DIE FURCHE · 1012 Gesellschaft6. März 2025PolitischerKopf1963 in Grieskirchengeboren,war die PolitologinDoris Schmidauervon 1999 bis 2018Geschäftsführerindes Grünen Parlamentsklubs.Seit2015 ist sie mitAlexander Van derBellen verheiratet.DIE FURCHE: Aber tatsächlich scheinenjetzt die wesentlichen Anliegen, für dieSie seit Jugendtagen eintreten, „rückabgewickelt“zu werden: Geschlechtergerechtigkeit,Klima schutz, Friedenspolitik. Sieselbst haben etwa gegen Hainburg und denNATO-Doppelbeschluss demonstriert, wiein Ihrem Buch zu lesen ist.Schmidauer: Natürlich beobachte ich dasalles mit Sorge. Gerade die Unterdrückungder Frauenrechte in vielen Ländern beunruhigtmich. Gleichzeitig suche ich immernach Hebeln, die man bewegen kann. Ichbin eine große Befürworterin der VereintenNationen, von denen man inzwischenleider zu wenig hört. In Genf habe ich etwaUNO-Frauen getroffen, die immer nochZugang finden, um Frauen in Afghanistanzu unterstützen. Daran richte ich mich auf.Lesen Sie dazuauf furche.atauch das Interviewmit AlexanderVan derBellen: „Nervenbewahren“(30. November2020).Das Gespräch führten Doris Helmbergerund Magdalena SchwarzEs war nicht so geplant, aber es hatso sollen sein: Just in der Woche,in der Doris Schmidauer ihr neuesBuch „Land der Töchter, zukunftsreich“präsentiert, kannihr Ehemann, Alexander von der Bellen ,endlich die neue Regierung in der Hofburgangeloben. Zur Tagespolitik will sichSchmidauer nicht äußern, zu ihren großenAnliegen aber sehr wohl. DIE FURCHE hatsie kurz vor dem Frauentag besucht.DIE FURCHE: Ein Stockwerk unter uns hatIhr Mann am Montag die neue Regierungangelobt – mehr als fünf Monate nach derWahl. Er sei „sehr froh“, dass die drei Parteiendoch noch „über ihren Schatten“ gesprungenseien, meinte er. Wie froh sindSie – als Ehefrau und als Staatsbürgerin?Doris Schmidauer: Ich bin genauso frohwie mein Mann und wohl viele Österreicherinnenund Österreicher, die jetzt lange daraufgewartet haben, dass es eine neue Regierunggibt.DIE FURCHE: In Ihrem Buch beschreiben Siesich als enge Beraterin Ihres Mannes. Sosei es etwa 2017 Ihre Idee gewesen, BrigitteBierlein zu fragen, ob sie Übergangs-Bundeskanzlerinwerden wolle. Sind Sie IhremMann auch bei den jetzigen Regierungsverhandlungenberatend zur Seite gestanden –zumal Sie einst als Geschäftsführerin imGrünen Parlamentsklub auch für das Manageninterner Krisen verantwortlich waren?Schmidauer: Ich bin hier in der Präsidentschaftskanzleinicht als Organisationsberaterintätig, sondern betrachte michals Mitglied eines großartigen Teams, dessenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitihren unterschiedlichen Perspektiven fürmeinen Mann extrem wichtig sind. Und ichbin Teil dieses Teams. Ich bringe mich mitIdeen gerne ein, aber meine Rolle hier isteine andere als damals bei den Grünen, woich Managerin und Personalchefin war.Doris Schmidauer über ihre Rolle als Frau und Beraterindes Bundespräsidenten, den globalen politischen Backlash,katholische Feministinnen und ihr Motto: „Trau dich!“„Wer streitetum welchePlätze?“DIE FURCHE: Ihr Buch trägt den Titel „Landder Töchter, zukunftsreich“. Weltpolitischstehen die Zeichen aber gerade bestens fürautokratische, starke Männer. Kann daskleine Österreich ein Gegenmodell zu diesenEntwicklungen sein?Schmidauer: Das wäre natürlich wünschenswert.Aber gerade weil die Gegenbewegungenderzeit so stark sind, geradeweil wir derzeit extreme geopolitische Herausforderungenerleben und sehen, wasmächtige Männer auf dieser Welt anrichten„ Gerade weil wir sehen,was mächtige Männer aufdieser Welt anrichten, ist esumso wichtiger, Frauenzu stärken.“können, um es neutral zu sagen, ist es umsowichtiger, Frauen zu stärken. Wir Frauenmachen eben 50 Prozent der Menschheitaus, deswegen steht uns auch auf allen Ebenendie Hälfte zu. Wir sollten uns geradejetzt überlegen, mit welchen Mitteln undStrategien wir mehr Menschen von dieserGrundhaltung überzeugen können. Ichdenke hier aus frauenpolitischer Perspektivezum Beispiel an Polen. Dort waren wirzu einem Zeitpunkt auf Staatsbesuch, andem gerade das Abtreibungsrecht extremverschärft bzw. de facto abgeschafft wordenwar – und sehr, sehr viele Frauen dagegenauf die Straße gegangen sind. Ihnenwar klar, dass sie sich jetzt schon rüstenmüssen für den nächsten Wahlgang, damitdann wieder ein Gegentrend stattfindet.Fotos: Carolina FrankDIE FURCHE: Gerade in Afghanistan wurdendie Frauenrechte in kürzester Zeit radikalbeschnitten. Wie ernüchtert sind Sie hier?Schmidauer: Der Abzug der amerikanischenTruppen aus Afghanistan war fürmich schrecklich mitanzusehen. Manchedachten, die Taliban wären jetzt wenigerradikal. Als die Menschen dort am Flughafenzurückgelassen wurden, hat michdas ins Herz getroffen. Wir haben damalsden Frauentag den Frauen in Afghanistanund im Iran gewidmet. Mein Mann und ichhaben auch Kontakt zu afghanischen Communitysin Österreich aufgenommen. DieFrauen, die sich hier engagieren – auch dieehemalige Botschafterin Manizha Bakhtari,die hier einen Sonderstatus erhaltenhat –, haben Frauen dort über Online-Schoolingunterstützt. Wir können die Situationin anderen Ländern nicht sofort ändern,aber wir können Wertschätzung und Interessezeigen. Die Menschen, die bei Katastrophenund Krisen helfen, geben mir Hoffnung.Und auch mit meinem Buch möchteich Handlungsfelder sichtbar machen.DIE FURCHE: Inwiefern?Schmidauer: Ich denke, wir müssen Frauenauf individueller wie auch auf politischerEbene bestärken. Deshalb habe ichetwa die Schirmherrschaft der Bürgermeisterinnenkonferenzübernommen. Esreicht auch nicht, dass eine Frau gerneVollzeit arbeiten will, solange es keinenentsprechenden Kinderbetreuungsplatzgibt. Immer mehr Menschen haben das Gefühl,den bestehenden Verhältnissen ausgeliefertzu sein, aber wir können dem entgegenwirken.Es gibt viele Bereiche, wowir aktiv sein können: etwa beim Projekt„Nachbarinnen“ von Christine Scholtenund Renate Schnee, wo sich Frauen mit verschiedenenkulturellen Hintergründen gegenseitigbestärken; oder bei der Initiative„FREI.Spiel“ von Dorith Salvarani-Drill, diesozioökonomisch benachteiligte Kinderbeim Lernen unterstützt. Aktivität hilft einem,aus der Negativspirale auszubrechen.DIE FURCHE: Doch gerade jene Frauen, diepolitisch aktiv sind bzw. in der Öffentlichkeitstehen, erleben oft Sexismus und berichtenvon Hass-E-Mails und Drohungen.Haben Sie selbst damit Erfahrungen?Schmidauer: Ich bin nicht auf Social Media,ich lese diese Dinge nicht. Nach demeinen oder anderen Interview habe ich einenBlick auf die Postings geworfen, die danachgekommen sind – das hat mir dann gereicht.Ich weiß, dass Frauen in politischenFunktionen massiv sexistischen Angriffenausgesetzt sind. Wir haben deshalb dieJournalistin und Digitalisierungs expertinIngrid Brodnig eingeladen, mit den Bürgermeisterinnenüber Hass im Netz zusprechen. Frauen müssen wissen, wie siesich schützen, sich zusammenschließenund wann sie klagen können.DIE FURCHE: Sie schreiben in Ihrem Buchüber Ihr feministisches Engagement. Für
DIE FURCHE · 106. März 2025Gesellschaft13„ Ein Politiker meinte einmal zu mir:‚Die Frauen muss man immer dreimal fragen.‘Da habe ich ihm geantwortet: ‚Na und?Dann fragt man sie halt dreimal.‘ “Sie steht die soziale Frage im Zentrum. Innerhalbder Frauenbewegung gibt es aberimmer wieder Konflikte, auch bei den Grünen,zuletzt auch rund um die Anliegender LGBTQI-Bewegung. Die ist gerade fürRechtspopulisten ein Feindbild. Habenantidemokratische Kräfte mögliche Fehlentwicklungenim Feminismus genutzt?Schmidauer: Das kann schon sein. Dochwem bringen diese Konflikte etwas? Ich sageimmer: Wer streitet um welche Plätze?Minderheiten kämpfen zu Recht um ihrenPlatz in der Gesellschaft, aber stehen inkeinem Konkurrenzverhältnis zur Hälfteder Weltbevölkerung – nämlich Frauen.Manche Männer freuen sich immer nochdarüber, wenn Frauen geschwächt werden.Das ist absurd. Für mich ist Feminismuseine inklusive Weltanschauung, eineWertehaltung, die alle Menschen gleichermaßenumfasst. Alle müssen die gleichenRechte und Chancen haben.DIE FURCHE: In der katholischen Kircheist das ein eigenes Thema. Sie selbst entstammeneinem „christlich-sozialen Elternhaus“,bezeichnen sich aber heute als„nicht besonders religiös“. Im Buch würdigenSie Angelika Ritter-Grepl, die Vorsitzendeder Katholischen FrauenbewegungÖsterreichs – und waren auch selbst beiPapst Franziskus zu Besuch. Der schwerkrankePapst hat soeben eine Frau zur Regierungschefindes Vatikans erhoben (vgl.Seite 11). Wie beurteilen Sie das?Schmidauer: Es bewegt sich etwas, langsam,aber doch. Und ich bewundere die katholischeFrauenbewegung sehr. Das sindwirklich Feministinnen, die sich nichtso leicht unterkriegen lassen. Sie hättenjeden Grund für Frustration. An der erwähntenVatikanreise habe ich quasi alsTüröffnerin gerne teilgenommen, aber ichspreche nicht für die katholischen Frauen,die können für sich selbst sprechen.Es hilft ihnen natürlich, sich auch hier inÖsterreich innerkirchlich zu positionieren,wenn man sagen kann, man hat selbstbeim Papst vorgesprochen und ist nichtunbedingt auf die Vermittlung eines Bischofsangewiesen. Wenn die Bischofskonferenzhier in der Hofburg zu Gastist, dann sind das die Fragen, denen ichnachgehe.DIE FURCHE: Als Frau des Bundespräsidenten– wir sagen bewusst nicht First Lady,denn diesen Begriff mögen Sie nicht – habenSie Tipps von Vorgängerinnen wieMargit Fischer und Margot Klestil-Löfflerbekommen. Haben Sie Vorbilder?Schmidauer: Eigentlich nicht. Der Austauschmit Margit Fischer und MargotKlestil-Löffler war für mich sehr hilfreich.Ich spreche auch gerne mit Elke Büdenbender,der Frau des deutschen BundespräsidentenFrank-Walter Steinmeier.Aber jede brennt für ihre Themen und hatihr eigenes Rollenverständnis.DIE FURCHE: Brigitte Bierlein , von derwir schon gesprochen und die Sie in IhremBuch ebenfalls gewürdigt haben, erzählteim persönlichen Gespräch, dass sie nur„als Dienst“ an der Republik Bundeskanzleringeworden sei – sich also nicht um diesePosition „gerissen“ habe. Ist diese Zurückhaltungtypisch weiblich?Schmidauer: Brigitte Bierlein war einezurückhaltende Frau, aber ihr Leben zeigt,wie oft sie Pionierin war. Diese Ausnahmekarrierekam freilich erst in den Fokus,als sie Bundeskanzlerin wurde. Ich habemit ihr auch nach ihrer Kanzlerschaft gutzusammengearbeitet. Sie war ein wirklichesRole-Model für Mädchen und jungeFrauen und hat ihnen diesen Leitsatz„Trau dich!“ auch mitgegeben. Als meinMann sie gefragt hat, ob sie das Amt übernehmenmöchte, hat sie eben kurz überlegt.Frauen überlegen, Männer sagen oft:Warum hat man mich nicht schon längstgefragt? Ein Politiker meinte einmal zumir: Die Frauen muss man immer dreimalfragen. Da habe ich gesagt: Na und? Dannfragt man sie halt dreimal.Ob mit der afghanischen Community oder der katholischen Frauenbewegung: Doris Schmidauer ist gernim Gespräch (im Bild mit FURCHE-Redakteurin Magdalena Schwarz und CR Doris Helmberger).DIE FURCHE: Wir wollen uns vor Pauschalierungenhüten, dennoch: Sind Frauenklüger, weil sie sich dreimal fragen lassen,bevor sie sich so einen Job antun?Schmidauer: Frauen sind oft selbstreflektierter.Männer sind meist anders sozialisiert.Ein CEO hat mir erst kürzlich erzählt,dass Männer sich bewerben, wennsie nur 50 Prozent der Anforderungen erfüllen.Frauen erfüllen hundert Prozentund weisen im Bewerbungsgespräch daraufhin, dass sie noch etwas nachholenmüssen. Mädchen wird immer noch wenigerzugetraut. Man sollte nicht unterschätzen,dass diese Rollenverteilungenschon in der Familie beginnen. Wer istdie Fürsorgliche? Wer sitzt am Krankenbettdes Kindes? Was erleben sie im Kindergarten?DIE FURCHE: Denken Sie, dass Role-Modelswie Brigitte Bierlein etwas in den Köpfenvon Männern, von Menschen verändern?Schmidauer: Ja, davon bin ich überzeugt.Mädchen müssen sehen, dass FrauenAstronautin, Vorstandsvorsitzende, Tischlermeisterinoder eben auch Bundeskanzlerinwerden können. Ich würde das nichtunterschätzen. Es hat eine Bundeskanzleringegeben, und ich hoffe, sie wird nichtdie letzte sein.DIE FURCHE: Wann wird es die erste Bundespräsidentinin Österreich geben? Sie kennenden Job aus nächster Nähe, würdenSie Frauen dazu raten?Schmidauer: Natürlich! Alles, was einMann kann, kann eine Frau genauso. Wiedie Amtszeit dann verläuft, weiß man vorhernicht. Wir wussten das auch nicht, alsmein Mann gewählt wurde. Ich würde aufjeden Fall eine Frau ermutigen, zu kandidieren.DIE FURCHE: Und Sie selbst?Schmidauer: Ich freue mich auf die nächstenJahre, in denen ich sinnvolle Projekteund Initiativen weiter betreuen kann.Lesen Sieauf furche.atunter „Die andereKanzlerin“(5. Juni 2024)den Nachruf aufBrigitte Bierleinvon Doris Helmberger.Land derTöchter,zukunftsreichVon DorisSchmidauer. AufgezeichnetvonNina HoraczekMolden 2025192 S., geb.,€ 26,–WochenausblickDIE FURCHE nimmt in den kommendenAusgaben diese Themen in den Fokus:Viktor Frankl für heuteNr. 12 • 20. MärzDer Wiener Psychiater und Philosoph hatdie sinnorientierte Form der Psychotherapiebegründet. Zu seinem 120. Geburtstagerscheint sein Erbe aktueller denn je.Welche Ressourcen wir in Viktor FranklsLebenswerk finden können.Austrokino unter DruckNr. 13 • 27. MärzDie Diagonale wird das heimische Filmschaffenwieder eine Woche lang in Grazversammeln – vor dem Hintergrund einerneuen Regierung und vielen Herausforderungenfür die Filmkunst im Land. Ein Fokus ausAnalysen und Gesprächen mit der Branche.BerührungslosNr. 14 • 3. AprilImmer mehr Menschen kommunizieren,arbeiten und verlieben sich sogar online.Werden das Händeschütteln und dieUmarmung über kurz oder lang verschwinden?Über die große Macht der körperlichenBerührung in einer Zeit der Unberührtheit.JedenMittwochund Freitag!NeustaatNr. 15 • 10. AprilDass Österreich inzwischen eine Regierunghat, bedeutet längst nicht, dass die österreichischeDemokratie „gerettet“ ist. Um sielangfristig abzusichern, muss sie reformiertwerden. DIE FURCHE fragt: Wie sieht dieDemokratie der Zukunft aus?Ein Selfie mit JesusNr. 16 • 17. April2,5 Milliarden Menschen feiern zu Osterndie Auferstehung Jesu. Doch was wissenwir historisch über das wichtigste Glaubensfestdes Christentums? Und wäre estheoretisch möglich gewesen, ein Selfiemir dem Auferstandenen zu machen?Das Inferno in VietnamNr. 17 • 24. AprilDer Vietnamkrieg brachte unfassbares Leidfür die Vietnamesen und wurde zum Desasterfür die USA. Am 30. April 1975 marschiertennordvietnamesische Kommunisten inSaigon ein: Südvietnam kapitulierte. Übereines der Infernos des 20. Jahrhunderts.Nichts mehrverpassen –NewsletterabonnierenÄnderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten.Jetzt anmeldenfurche.at/newsletter
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