DIE FURCHE · 1010 Religion6. März 2025Darf sie das?Die Produktion„Sancta“ der PerformancekünstlerinFlorentina Holzingerbei den Wiener Festwochensorgte imvergangenen Sommerfür Debatten.Von Jan-Heiner TückImmer wieder wird das Heilige zurZielscheibe der Persiflage: Eine Grünen-Politikerinaus der Schweiz hateine von Kugeln perforierte Madonnamit Jesuskind ins Netz gestelltund sich selbst als stolze Schützinmit Pistole in Szene gesetzt. Der Schussging nach hinten los – sie selbst sah sichbinnen Kurzem mit einem Shitstorm konfrontiert,der ihr Leben veränderte. Undvor einigen Monaten wurde auf mehrerenBühnen das Stück „Sancta“ der PerformancekünstlerinFlorentina Holzinger gezeigt,in dem eine Nonne, die ihr sexuellesBegehren entdeckt, mit dem Gekreuzigtenkopuliert – eine Provokation, die nach demMissbrauchsskandal das Thema Sex undKirche aufgreifen wollte. Wie soll man mitsolchen und ähnlichen Provokationen umgehen?Soll man das als gläubiger Zeitgenosseals Übung in Ambiguitätstoleranzhinnehmen – oder soll man sich wehrenund solche Akte der kalkulierten Per si flageals Gotteslästerung oder gar Blasphemiebrandmarken?Der Blasphemievorwurf, um die Grenzender Kunst und der freien Meinungsäußerungzu domestizieren, scheint mirheute anachronistisch und falsch zu sein.Gewiss, im österreichischen Strafgesetzbuchgibt es den Paragrafen 188, der Spottund Herabwürdigung von Religionen unterStrafe stellt, wenn sie öffentliches Ärgerniserregen. Dennoch erscheint mir derParagraf anachronistisch: Wir leben in keinemchristlichen Staat, der die Definitionshoheithätte, zu sagen, was aus religiöserSicht als Ärgernis erregend und verwerflicheingestuft wird.Blasphemieparagrafen ausdehnen?Für moderne Gesellschaften gilt die Ausdifferenzierungvon Funktionsbereichen,Religion ist da lediglich ein Subsystem nebenanderen. Falsch aber erscheint mir diejuristische Verfolgung von Spott und Satire,denn eine pluralistische GesellschaftLesen Sie dazuden Artikel„Die Wirkmachtder Bilder“(15. Jänner2015) von SeverinHeinischauf furche.at.Ob bei Theaterinszenierungen oder Karikaturen:Die Verunglimpfung religiöser Symbole ist in der Kunstoft eine Strategie der Aufmerksamkeitssteigerung.Manchmal funktioniert sie. Ein Gastkommentar.KalkulierteProvokation„ In modernen postsäkularenGesellschaften sollten Anders- oderUngläubige respektieren, dass eshier für fromme Akteure um etwasgeht, das ihnen heilig ist. “Foto: Nicole Marianna Wytyczakkennt unterschiedliche Sichtweisen, dieeben auch Kultur und Religion betreffen.Im Tableau der Meinungen hat die Kritikan Religion eine wichtige Funktion, dogmatischeEngstirnigkeit oder moralischenRigorismus aufzuspießen. Solche Artikulationender Kritik sind so lange möglich undwillkommen, als sie die Freiheitsrechte derjeweils anderen nicht verletzen. Der Preisfür eine ausgedehnte Anwendung des Blasphemieparagrafenwäre hoch, er würde dieKunst- und die Pressefreiheit einschränken.Auch bräuchte es ein Expertengremium,das entscheidet, was juristisch als Erregungdes Ärgernisses durch das Deliktder Gotteslästerung eingestuft wird undwas nicht. Ein Missbrauch des Blasphemieparagrafenim Interesse der Religion wäreauszuschließen. Kurz: Wer an den Errungenschaftendes liberalen Rechtsstaatsfesthält, der ja auch für gläubige Mitgliederder Gesellschaft Religions- und Gewissensfreiheitgarantiert, sollte die Zumutungenvon Provokationen von Kunst undSatire aushalten. Er kann ja, wenn es ihnstört, vom Recht auf freie MeinungsäußerungGebrauch machen und gegen die Verunglimpfungseiner Religion die Stimmeerheben. Das ist allemal produktiver, alsden Affekt des Beleidigten zu kultivieren.Wird Gott aber selbst durch Blasphemieangetastet? Nein. Es werden Glaubensüberzeugungenvon Menschen verletzt, die dasHeilige nicht zur Disposition stellen wollen.In der späten Moderne, in der die unbedingteAbneigung gegen alles Unbedingteweitverbreitet ist, scheint es manchen Zeitgenossenüberhaupt schwer nachvollziehbar,dass es für Gläubige Bezirke gibt, diesie nicht relativiert sehen wollen oder diefür sie als unantastbar gelten: Für Juden etwaist es der heilige Gottes name, der nichtangetastet werden darf; für Katholiken istes die konsekrierte Hostie, die in Kirchenund Kathedralen als Aller heiligstes im Tabernakelaufbewahrt wird; für Muslimegelten der Koran und sein Prophet als unantastbar,sodass hier auf Karikaturen mitbesonderer Empfindlichkeit reagiert wird.In modernen postsäkularen Gesellschaftensollten Anders- oder Ungläubige respektieren,dass es hier für fromme Akteureum etwas geht, das ihnen heilig ist.Das Heilige aus bloßer Provokationslust zupersiflieren oder gar durch Akte des Vandalismuszu destruieren, setzt die friedlicheKoexistenz in der Gesellschaft, ja dastaktvolle Miteinander aufs Spiel. Wer alsgläubiger Mensch bereit ist, ein reflexivesVerhältnis zu seiner religiösen Praxis auszubildenund sich selbst mit den Augen andererzu sehen, darf freilich nicht ausblenden,welche Zumutungen die „ungläubigenSöhne und Töchter der Moderne“ (JürgenHabermas) vonseiten der Religion lange zuerdulden hatten und partiell noch immererdulden. Lange sind Bücher, die dem HeiligenOffizium aus moralischen oder dogmatischenGründen verwerflich erschienen,auf den Index der verbotenen Büchergesetzt worden – darunter nicht nur theologischeoder philosophische, sondern auchliterarische!Besondere Brisanz im IslamIn islamischen Staaten ist die Situationbis heute brisant: Der indisch-britischeSchriftsteller Salman Rushdie wurde wegenseines Buches „The Satanic Verses“ am14. Februar 1989 vom iranischen RevolutionsführerAjatollah Chomeini mittels einerFatwa sogar zum Tode verurteilt. Ein Kopfgeldwurde ausgesetzt, das mehrfach erhöhtwurde. Am 12. August 2022 wurde Rushdievor einer Podiumsdiskussion in New YorkOpfer einer lebensgefährlichen Messerattackedurch einen Islamisten. Der FilmemacherTheo von Gogh wurde 2004 nach Ausstrahlungseines Films „Submission“, derprovokant die Unterdrückung der Frau imIslam zum Thema macht, von einem Islamistenerschossen, zwölf Mitglieder des SatiremagazinsCharlie Hebdo, das Mohammad-Karikaturenpubliziert hatte, wurden2015 bei einem Terroranschlag ermordet.Die Verunglimpfung oder Karikatur religiöserSymbole ist in der Kunst oft eineStrategie der Aufmerksamkeitssteigerung.Manchmal funktioniert sie. Der Protestzweier österreichischer Bischöfe gegen dieSchändung des Kreuzes in „Sancta“ hatsich für die Performancekünstlerin FlorentinaHolzinger ausgezahlt, sie ist für ihrStück mit mehreren Preisen ausgezeichnetworden. Dabei ist die wenig subtile Skandalisierungnicht schon ein Gütesiegel vonKunst. Wer religiöse Symbole schändet –und die öffentliche Inszenierung einer Kopulationmit dem Gekreuzigten ist für gläubigeChristen grenzwertig –, muss sichfragen lassen, ob es nicht auch eine freieSelbstbegrenzung der künstlerischen Freiheitgibt, die Ausdruck von Klugheit ist. Sowie es umgekehrt für Gläubige besonnensein kann, nicht auf jede künstlerischeProvokation mit Empörungsäußerungenzu reagieren.Das Votum für Besonnenheit soll allerdingsnicht mit einer Schweigeempfehlungverwechselt werden. Es kann für GläubigeEreignisse geben, wo Schweigen Verrat anden religiösen Überzeugungen ist. Was dereine noch an Zumutungen zu ertragen bereitist, kann für den anderen eine unerträglicheGrenzüberschreitung sein. Hier kann,ja soll er sich äußern. Leisetreterei kann jaAusdruck von Konfessionsmüdigkeit oderFeigheit sein. Daher ist von Fall zu Fall zuentscheiden. Protest steigert aber die Publizitätdessen, wogegen protestiert wird. Dasist zu bedenken, wenn gegen mediale Ausfälleoder Persiflage in der Kunst Einsprucheingelegt wird. Manches kann man getrostauch dem Vergessen überlassen.Der Autor ist Professor für Dogmatikan der Katholisch-Theologischen Fakultätder Universität Wien.
DIE FURCHE · 106. März 2025Religion11Mit Raffaella Petrini hat der Papst die erste Frau zur Regierungschefin im Vatikanstaat ernannt. Die Franziskanerin verfügt damit über eineMachtfülle, die im Kirchenstaat bislang nur Männern vorbehalten war. Seine Strategie zur Frauenförderung geht jedenfalls auf.Die neue starke Frau im VatikanVon Till SchönwälderWährend der krankePapst derzeitalle Aufmerksamkeitauf sichzieht, hat sich imVatikan dieser Tage etwas Historischesereignet: Mit 1. März istSchwester Raffaella Petrini Regierungschefindes Vatikanstaates.Die 56-Jährige ist damit dieerste Frau, der die Leitung desKirchenstaates übertragen wurde– bisher hatte diese immer einKardinal inne. Petrini unterstelltsind gleich zwei Generalsekretäre.Über Erzbischof Emilio Nappasowie den Rechtsanwalt GiuseppePuglisi-Alibrandi hat sienach dem ausdrücklichen Willendes Papstes volle Weisungsbefugnis,teilte der Vatikan mit. DiePersonalentscheidung war Franziskusso wichtig, dass er sie bereitsAnfang Jänner in einem TV-Interview verkündete und damitviele Beobachter, aber auch denvatikanischen Regierungsapparatselbst überraschte.Möglich macht die Ernennungdie Kurienreform Praedicate Evangelium,die 2022 in Kraft trat undvorsieht, dass Laien, also auchFrauen, in höchste Kurienämteraufsteigen können – solange diesekeine Weihen voraussetzen.So ist Petrini auch nicht die ersteFrau, die Papst Franziskus inein hohes Amt beförderte. Erst imJänner ernannte er Schwester SimonaBrambilla zur Präfektin dervatikanischen Ordensbehörde.Mit Schwester Nathalie Becquart,die Franziskus zur Untersekretärinder Bischofssynode machte,schaffte es eine Vatikanmitarbeiterin2024 zudem in die Forbes-Liste der 50 mächtigsten Frauender Welt.2000 Mitarbeiter unterstelltMit Petrinis Ernennung hebtder Papst seine Politik der Frauenförderungallerdings auf ein neuesLevel. So bedeutet das Amt des„Präsidenten der Päpstlichen Kommissionfür die Stadt des Vatikanstaates“zwar einerseits „nur“ dieVerwaltung des offiziell kleinstenStaates der Welt. Auf der anderenSeite bildet es die Basis derLeitung der katholischen Kircheund damit der größten Organisationder Welt. Zuständig ist es unteranderem für die VatikanischenMuseen, die Vatikanischen Gärtenund alle Dienste im Vatikanstaat,es beschäftigt dafür knapp2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.Die Entscheidungen, die imsogenannten Governatorat getroffenwerden, sind also von durchausgroßer Tragweite.Die Staatsverwaltung bestehtaus einer Kommission von siebenKardinälen, der ein Präsident, imFalle Petrinis erstmals eine Präsidentin,vorsteht. Wie wichtig dieseMachtzentrale ist, verdeutlichtder Umstand, dass dem Regierungschefdes Vatikanstaates bislangein Platz in der K9 genanntenKardinalskommission, dieden Papst in Fragen der Kirchenreformberät, reserviert war. Obdie neue Regierungschefin alserste Frau auch diesem wichtigenGremium angehören wird, ließder Vatikan noch offen. Klar zutrennen ist auch der Bereich derKurie von der Verwaltung. So hatPetrini zwar die Leitung im Staatder Vatikanstadt inne, nicht aberin der Kurie. Vatikanstaat undHeiliger Stuhl sind, trotz der umgangssprachlichenBezeichnung„Vatikan“, juristisch zwei verschiedeneVölkerrechtssubjekte.An der Spitze beider steht derPapst.Doch wer ist Raffaella Petrini?Die am 15. Jänner 1969 geboreneItalienerin promovierte nach universitärenAbschlüssen in Hartford(USA) und Rom an der PäpstlichenDominikaner-UniversitätHeiliger Thomas von Aquin (Angelicum)in Rom in Sozialwissenschaften.Ab 2005 arbeitete sieals Beamtin in der vatikanischenMissionsbehörde. 2022 wurde sieauch Mitglied der Kurienbehördefür Bischöfe und stimmt damitauch über weltweite Bischofsernennungenmit ab. Im vergangenenOktober berief Franziskus sieMächtige LaiinAls Präsidentin der„Päpstlichen Kommissionfür die Stadt des Vatikanstaates“sind SchwesterPetrini künftig auch hohegeistliche Würdenträgerunterstellt.Foto: picturedesk.com / PA / Alessia GiulianiLesen Sie denText „Franziskusreformiert dieKurie“ (13. März2022) von AndreasR. Batloggauf furche.at.„ Franziskus war die Personalie so wichtig, dass er siebereits Anfang Jänner in einem Interview verkündete und damitviele Beobachter und Vatikanmitarbeiter überraschte. “zudem in die Güterverwaltungdes Apostolischen Stuhls (Apsa),bei der sämtliche Investmententscheidungendes Vatikans angesiedeltsind.Petrini ist Ordensfrau der „FranciscanSisters of the Eucharist“, dieerst 1973 im US-Bundesstaat Connecticutgegründet wurden. Beiihnen legte Petrini 2007 ihre Professab. Die Kongregation gilt alskonservativ und wird als Gemeinschaftpäpstlichen Rechts anerkannt.So tragen die Franziskanerinnenaus Connecticut einenSchleier. Politisch engagieren siesich etwa für den Lebensschutzund nehmen unter anderem anAnti-Abtreibungs-Märschen teil.Dass die Gemeinschaft bereitsvon den konservativen PäpstenBenedikt XVI. und Johannes PaulII. durchaus geschätzt und gefördertwurde, passt gut in das Bildder US-Schwestern. Mit Niederlassungenin Assisi und Rom sorgtensie außerdem frühzeitig dafür,dass sie auch im Zentrum derfranziskanischen und der katholischenWelt präsent waren. Einigevon ihnen arbeiten am „NorthAmerican College“ – der Kaderschmiededer US-Bischofskonferenzin Sichtweite des Vatikans.Konservative GemeinschaftIn Rom war Petrini bislang wenigerfür ihre öffentlichen Auftritteals für ihre Arbeit im Hintergrundbekannt. Sie gilt alsfleißig und mit einer ausgeprägtenHands on-Mentalität ausgestattet.In ihrer neuen Funktionwird Petrini künftig deutlichhäufiger im Rampenlicht stehenals bisher. Allein im aktuellenHeiligen Jahr stehen ihr alsoffizieller Vertreterin des Vatikanstaatesunzählige Veranstaltungenins Haus. Das Kalkül vonFranziskus scheint aufzugehen.Dass er Frauen tatsächlich aufdie höchste Kirchenebene hebtund es damit nicht mehr nur Männernvorbehalten ist, im KirchenstaatKarriere zu machen, wirdihm von progressiver Seite hochangerechnet. Andererseits bieteter konservativen Kreisen kaumStoff für (öffentliche) Kritik, indemer die Weihefrage für Frauenin der katholischen Kirche weiterungeklärt lässt.DIESE FRAU KANNUMWELTZERSTÖRUNG AUFHALTEN!Eine indigene Gouverneurin in Kolumbien rettete 301.000 ha Amazonas-Urwald.Gemeinsam für mehr Klimagerechtigkeit!SIE KÖNNEN ES AUCH!Mit dem QR-Codeeinfach onlinespenden!spenden.teilen.atteilenspendetzukunftaktion familienfasttag© Doinmedia
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