DIE FURCHE · 498 International5. Dezember 2024RücktrittDie ehemaligeFinanzministerinder Niederlande,Nora Achahbar,trat von ihrem Amtzurück. Der Grund:Aussagen, die imMinisterratgetätigt wordenwaren, beschreibtsie als massivrassistisch.Von Tobias MüllerLesen Sie schonFURCHE-Newsletter?Ihre ausgewähltenLieblingsthemen ab soforttäglich in Ihrer Mailbox.Jetzt neu:täglicheRessort-NewsletterJetzt anmelden:furche.at/newsletterJournalismus mit Sinn.Nach dem Gewaltexzess von Amsterdam zeigen sich tiefe Bruchlinien inder niederländischen Gesellschaft. Über Antisemitismus, Islamfeindlichkeitund politisch Verantwortliche, die beides instrumentalisieren.In einer„pechschwarzenNacht“Unlängst wagte sichNSC-ParteigründerPieter Omtzigt aufneues, meteorologischesTerrain vor:„Der Wellengang ist so hoch wienie. In der Gesellschaft herrschtWindstärke 11“, so der Chef deskonservativen Nieuw SociaalContract. Es war Ende November,als sich Omtzigt auf dem Parteitagso an die NSC-Basis wandte.Um gleich darauf zurück zur Politikzu kommen: „Es gibt keineEntschuldigung für das antisemitischeVerhalten, das in Amsterdamgezeigt wurde. Wir müssenalles daran setzen, dass sich diejüdische Gemeinschaft sicherfühlt in unserem Land.“Wie meist in den vergangenenWochen ging es um den Eklatnach dem Fußballspiel zwischenAjax Amsterdam und Maccabi TelAviv vor inzwischen einem Monat.In jener „pechschwarzen Nacht“,wie Femke Halsema, die Bürgermeisterinder Hauptstadt, sie späternennen würde, hatte ein fanatischerpro-palästinensischerMob israelische Fans durch dieStraßen Amsterdams gejagt. DieIsraelis wurden zusammengeschlagenund mit Feuerwerk beworfen.In Chatgruppen, in denendie Angreifer sich organisiert hatten,war unverhohlen von einer„Judenjagd“ die Rede. Ein Grund,weshalb in den Tagen danach eineDiskussion entbrannte, ob dasWort „Pogrom“ die angemesseneBezeichnung für die Vorfälle sei.Die Auseinandersetzung umDeutung und Konsequenzen derGeschehnisse war damit eröffnet –und wurde schnell äußerst heftig.So kursierte in einigen Medienund Gruppierungen das Narrativ,die Maccabi-Fans hätten mitkriegsverherrlichenden und rassistischenLiedern (etwa: „Ficktdie Araber – Ole, ole“ oder: „In Gazagibt es keine Schulen mehr, weiles keine Kinder mehr gibt“) sowieabgerissenen Palästina-Fahnenan Hauswänden die Gewalt provoziert.Das führte dazu, dass inpro-palästinensischen und muslimischenKreisen eine vermeintlicheinseitige Berichterstattungder Mainstreammedien kritisiertwurde. Redensführer war hier„ Damit erlebt die seitJahren brodelnde,plakative Integrations-Debatte ausgerechnetin dieser Konstellationein Comeback. “etwa K7, ein Zusammenschlussmehrerer Moschee-Dachverbände.Eine Debatte. die dann auchinternational aufgegriffen wurde.Die FAZ schrieb: „Die Gewalt kamnicht aus heiterem Himmel.“Die Grenze zwischen möglichstobjektiver Rekonstruktion derTatsachen und Relativierung derGewalt wurde dabei nicht nur geflissentlichüberschritten. Sehrzum Unverständnis von Femmetjede Wind, Pressesprecherindes niederländischen Zweigs derMaccabi- Sportvereinigung. „Ichsehe, das nun etwas passiert, wasman auch nach dem 7. Oktober beobachtenkonnte“, so die Schriftstellerin.„Nach einem kurzenMoment der Aufmerksamkeit fürAntisemitismus, die Opfer unddie Angst unter der jüdischen Bevölkerungwird das Geschehenebagatellisiert. Alle Juden werdenmit der israelischen Politikgleichgesetzt und es heißt: dashabt ihr euch selbst eingebrockt!“„Der giftige Cocktail“De Wind kümmerte sich amTag nach dem Spiel im Büro vonMaccabi Nederland um hundertbis 150 verängstigte, teils verletzteisraelische Anhänger, die sichnicht ohne Begleitung aus den Hotelsund zum Flughafen trauten.Dort sammelte sie Aussagen Betroffener.Ein zentrales Elementdarin ist, dass Maccabi-Fans, dienach dem Match vom Stadion indie Innenstadt zurückkamen, amHauptbahnhof erwartet wurden:von einem motorisierten Mob aufFoto: APA/AFP/ANP/Lina SelgRollern und in Autos, der Jagd aufsie machte, sie anfuhr und wahllosauf sie einprügelte.Ein Fan namens Motti Darmon,der sich mit seinem Sohn ins Hotelretten konnte, berichtet derFURCHE, die Angreifer hättenspäter vor den Augen der Polizeischweres Feuerwerk gegen dasGebäude geworfen, „Free Palestine!“und „Kill the jews!“ gerufen.Die sozialdemokratische LokalpolitikerinKeren Hirsch, in Jerusalemgeboren und leidenschaftlicherAjax-Amsterdam-Fan, sagtedem Telegraaf, sie habe schon inder Metro zum Stadion anderePassagiere von „Judenjagd“ sprechenhören.Parallel zur medialen Analysebegann die politische: BürgermeisterinHalsema schrieb in einemBrief an den AmsterdamerGemeinderat von einem „giftigenCocktail aus Antisemitismus,Hooligan-Verhalten und Wut überden Krieg im Nahen Osten“. EinCocktail, der für die Gewaltexzesseverantwortlich sei. Im Detailnennt sie den „Aufruf zur Judenjagd“,Filme von hasserfülltenund rassistischen Sprechchörengegen Araber, eine palästinensischeFlagge in Flammen sowiezielgerichtete Angriffe auf israelischeFans. Halsema betont außerdem,dass die Gewalt einer Seitenie eine Entschuldigung für dieGewalt der anderen sein dürfe.Während in Amsterdam empörtepro-palästinensische Aktivistenmehrfach gegen das einwöchigeDemonstrationsverbot verstießenund sich Vertreter der jüdischenBevölkerung in Treffen mit derStadtregierung besorgt um Leibund Leben zeigten, nahm sich dielandesweite Politik der Geschehnissean. Die turbulente Dynamikverstärkte sich dadurch noch.Stephan van Baarle, Chef derkonservativen, stark migrantischprofilierten Partei Denk, konntebei einer Parlamentsdebatteseinen Abscheu vor dem „Maccabi-Pack“ gar nicht oft genug ausdrücken.Mitglieder der Rechtsregierungindes machten pauschaldie vermeintlich gescheiterte Integrationjunger niederländischerMuslime für die Gewaltexzesseverantwortlich, da diese die niederländischen„Normen und Werte“nicht teilten.Damit erlebt die seit Jahren latentbrodelnde, plakative niederländischeIntegrations-Debatteausgerechnet in dieser Konstellationein Comeback. Fatalerweisefehlen ihr, um muslimischenAntisemitismus zu diskutieren,die analytischen Mittel ebensowie die inhaltliche Basis. DieRechte tut dies zwar gerne, freilich‒ nicht immer, aber häufig‒ vermischt mit ihrer rabiatenAnti-Migrations-Agenda und Vorschlägenwie Abschiebungen unddas Entziehen der Staatsbürgerschaft.Auf der Linken sieht manin einer solchen Debatte vor allem„Islamophobie“, fürchtet weitere„Polarisierung“ und geht dem Themagerne aus dem Weg.Hass mit Hass bekämpftSelbst innerhalb der Rechts-Koalition in Den Haag schlugendie Wellen, wie eingangs erwähnt,hoch. Im Zentrum derAufregung stand just der NieuwSociaal Contract, als moderatesteder vier beteiligten Parteiennicht zum ersten Mal Gegenpolder rechtspopulistischen SeniorpartnerinPartij voor de Vrijheid.Wegen vermeintlich rassistischerAussprachen im Ministerrattrat NSC- Staatssekretärin NoraAchahbar zurück, kurz daraufgaben zwei NSC-Abgeordnete ihreSitze auf. Ein Ende der erst imSommer angetretenen Regierungkonnte gerade vermieden werden.Die komplexe Konstellation,die dem grassierenden Antisemitismusein weites Spielfeld bietet,ist auch aus anderen europäischenLändern bekannt. In denNiederlanden und vor allem Amsterdamist die Situation jedoch besondersdringlich. LokalpolitikerinKeren Hirsch mahnt in diesenTagen: „Hass bekämpft man nichtmit Hass!“ Und Femmetje de Wind,die Sprecherin von Maccabi Nederland,nuanciert: „Das Problemist, dass ausschließlich rechte Parteiensagen, dass die Grenze nunerreicht ist und wir Maßnahmenergreifen müssen. Was dann wiederumvon linken Parteien kritisiertwird, sodass ich mir denke:gut, dann macht eigene Vorschläge!Doch die kommen nicht. Sofühlt man sich als jüdische Amsterdamerinwie ein Spielball zwischenRechts und Links.“
DIE FURCHE · 495. Dezember 2024Gesellschaft9Das italienische Verbotvon Leihmutterschafthat den Streit darüberwieder angeheizt. Wasunter Normalsterblichennoch diskutiert wird,ist in Hollywood freilichlängst Normalität.Von Magdalena SchwarzBarbara Streisand ließ ihrengeliebten Pudel Sammieklonen. Der Tech-Investor Bryan Johnsonkämpft mit Testosterongegen das Altern an. Der ehemaligeBaseballstar Alex Rodriguez sollVerletzungen mittels Stammzellentherapiebehandeln lassen. Die „Reichenund Schönen“ sind oft die Ersten,die biologische und ethischeGrenzen austesten. Mal öffnen siedamit die Tür für den Fortschritt,mal die Büchse der Pandora. Das giltauch für die Reproduktionsmedizin:Möchte man sich mit den extremsten„Was-wäre-wenn“-Szenarien derFortpflanzung auseinandersetzen,schreibt die Journalistin Ruth Graham,dann sind Boulevardzeitungenmittlerweile eine ebenso guteQuelle wie Bioethikbücher.Eine Art des Kinderkriegens, dieunter Hollywood-Stars kaum mehrfür Aufregung sorgt, ist die Leihmutterschaft.Stars wie Paris Hiltonoder Cristiano Ronaldo nahmen siein Anspruch. Unter „Normalsterblichen“ist die Methode weiterhinumstritten. Diesen November verbotdie rechtspopulistische italienischeRegierung es, Kinder von Leihmütternim Ausland austragen zulassen. Auf europäischer Ebene bekommtdas Modell jedoch Aufwind,denn das Parlament in Brüssel hatEnde 2023 für eine EU-weite Anerkennungjeder Elternschaft gestimmt,und zwar unabhängig davon,wie eine Familie entstandenist. Eigentlich hat der Gesetzesentwurfdas Ziel, dass Kinder überalldie gleichen Rechte auf Bildung, Gesundheitsversorgungund Sorgerechthaben, doch er unterstützt indirektauch die Leihmutterschaft.Die EU-Regierungen müssennoch einstimmig über eine finaleFassung der Regeln entscheiden. Istdas „Elternschaftszertifikat“ einmalin Kraft, dann sind alle Mitgliedstaatenverpflichtet die familiäreBeziehung zwischen Eltern undKindern anzuerkennen, sobald siein einem Land eingetragen ist.Nicole Kidman und Ricky MartinDie Leihmutterschaft per se bleibtin Europa aber weitgehend illegal.In Österreich ist sie indirekt verboten,da laut Fortpflanzungsmedizingesetzdie Frau, die ein Kind gebärt,dessen Mutter ist. Doch manche Paareumgehen diese Vorgabe, indemsie Leihmütter im Ausland, etwa inder Ukraine, beauftragen. In solchenFällen sahen österreichische Gerichteschon mehrmals die Frauen alsMütter an, die in der ausländischenGeburtsurkunde vermerkt war.Die Leihmutter ist auch in denmeisten Promi-Homestorys auffallendabwesend. Die Frauen, die dieKinder von Sarah Jessica Parker, RickyMartin oder Nicole Kidman austrugen,sind unbekannt.Eine Ausnahme bildet DeborahBolig, die im Jahr 2003 Arm in Armmit der damals 52-jährigen TV-ModeratorinJoan Lunden, deren Zwillingesie austrug, für das Cover desamerikanischen People Magazineabgelichtet wurde. Alles sei vorabvertraglich festgelegt worden, erklärteLunden später: Ob es bei derEinnistung mehrerer Embryos eine„selektive Reduktion“ gibt, wieviele Kinder die Leihmutter auszutragenbereit ist, und ob und wieviel Kontakt es zwischen ihr undder Familie während der Schwangerschaftund nach der Geburt gebenwird. Sie habe ihre Stimmeaufgenommen und Bolig habe diesedem wachsenden Bauch nachtsvorgespielt. Nun, Jahre nach derGeburt der Kinder, würden sichdie Lundens und Boligs immernoch jährlich treffen.Direkt nach Geburt getrenntBoulevardundBioethikIn den meisten Fällen bleibendie Rechte der Leihmütter aber unbeachtet.Bei einer Paneldiskussiondes Vereins Terre de Femmesund des „Bunds sozialdemokratischerAkademikerInnen“ MitteNovember in Wien thematisiertedie Hebamme Renate Mitterhuberdie erhöhten Risiken bei In-vitro-Schwangerschaften, von Bluthochdruckbis hin zu Früh- und Fehlgeburten.Das volle Honorar erhaltendie Mütter auch nur, wenn „dieQualität des Produkts stimmt“, alsofür eine erfolgreiche Schwangerschaftsleistung,erklärte dieJournalistin Eva Bachinger.„Die Frauen bleiben mit ihrenWunden, körperlich wie seelisch,zurück“, sagt auch Martina Kronthaler,Generalsekretärin von AktionLeben Österreich. „Das Prinzipdes Nicht-Schadens sollte mehrwiegen als das Erfüllen von Wünschenmit Methoden, die andereMenschen gefährden.“Kinderrechte sind ebenfalls einStreitpunkt. Eine Beziehung zwischenLeihmutter und Baby, wie inBoligs Fall, ist die Ausnahme. Meistwerden die Neugeborenen nach derGeburt von ihnen getrennt. Kronthalerspricht von Kinderhandel,der laut UN-Kinderrechtskonventionverboten ist: „Man meint, alleskaufen zu können: auch eine Fraufür die Dauer der Schwangerschaftund ein Kind.“Die Mütter, in deren Bauch sieheranwuchsen, lernen die wenigstenKinder kennen. Das kritisierteauch die 22-jährige Helen Frey gegenüberdem ZDF. Sie wurde mithilfeeiner Eizellspende gezeugtund von einer Leihmutter in denUSA ausgetragen. Frey findet, dassgerade Paare, die sich mittels Leihmutterschaftden Wunsch nach einembiologischen Kind erfüllen,das Bedürfnis nach einer Beziehungzu den eigenen biologischenEltern nachvollziehen sollten.Auch wegen berühmter Papas,wie dem Schauspieler Neil PatrickHarris oder Elton John, wirddie Leihmutterschaft häufig mithomosexuellen Männern assoziiert.Weil zuverlässige Daten fehlen,ist aber unklar, wer das Modelltatsächlich in Anspruch nimmt.„ Promis sind oft die Ersten, diebiologische und ethische Grenzenaustesten. Einmal öffnen sie die Türfür den Fortschritt, einmal dieBüchse der Pandora.“Bild: iStock/ SvetaZiLesen Sieauch dasumfangreicheDossier mitKommentaren und Reportagenrund um das Thema Leihmutterschaftauf furche.at.Dass zumindest bei einigen Gegnernder Leihmutterschaft Homophobieeine Rolle spielt, ist unbestreitbar.Die rechte Koalition deritalienischen MinisterpräsidentinGiorgia Meloni begründete ihr Verbotexplizit damit, „traditionelle Familien“schützen zu wollen.Barbara Schlachter, Obfrau desVereins FAmOs Regenbogenfamilien,findet, dass „alle Maßnahmender Fortpflanzungsmedizin, die heterosexuellenPersonen zugänglichsind, auch queeren Menschenohne Einschränkungen offenstehenmüssen“. Sollte die Leihmutterschafthierzulande je erlaubtwerden, dann müsste sie allen Paarenunabhängig von ihrer sexuellenOrientierung offenstehen. Dasitalienische Gesetz sieht Schlachterals „Kampfansage an alle Familien,die nicht diesem engen (traditionellen,Anm.) Bild entsprechen“.HOSI, die Homosexuelle InitiativeWien, lehnt die Leihmutterschaftaufgrund der potenziellen Ausbeutungvon wirtschaftlich benachteiligtenFrauen explizit ab. MartinaKronthaler betont, dass gleichgeschlechtlichePaare ebenso gute Elternsein können, wie andere auch.Sie verweist auf Alternativen, wieAdoption oder Pflege. Ein Recht aufein Kind gäbe es allerdings nicht.Macht Plastik unfruchtbar?Sicher ist, dass auch viele heterosexuellePaare Leihmütter in Anspruchnehmen - oft nach Jahrendes unerfüllten Kinderwunsches.Global hat etwa jedes sechste PaarSchwierigkeiten, innerhalb einesJahres schwanger zu werden, ausmehreren Gründen. So nimmt dieSpermienzahl bei Männern seitJahrzehnten ab. Dazu trägt der Lebensstilbei – etwa übermäßiger Alkoholkonsum,Übergewicht undStress –, aber vermutlich auch Um-FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITEVORSORGE& BESTATTUNG11 x in WienVertrauen im Leben,Vertrauen beim Abschied01 361 5000www.bestattung-himmelblau.atwien@bestattung-himmelblau.at
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE