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DIE FURCHE 05.12.2024

DIE FURCHE · 49245.

DIE FURCHE · 49245. Dezember 2024Von Till SchönwälderVon Manuela TomicGame GirlMOZAIKWeihnachten 1997 erfülltemir das Christkind meinensehnlichsten Wunsch.Es legte für mich einen Game Boymit zehn Spielkassetten unter denbunt behängten Weihnachtsbaum.Mein Cousin und ich zerfetzten sofortdie Verpackung und fetzten unsum die angebetete Konsole. Wirhüpften durch Höhlen, besiegtenDrachen, aßen rote Riesenpilze,summten die russische Melodie vonTetris. Wir sammelten und vergeudetenunzählige Leben. Eingenebeltvom Zigarettenrauch der qualmendenFamilie versuchten wir, Rekordezu brechen. Mit der Zeit verstummtendie Stimmen. Mein Cousin undich hoben ruckartig unsere Köpfe, sodass unsere Genicke knackten. UnsereDaumen schmerzten und unsereAugen tränten. Ich blickte auf dasKreuz an der Wand, dann wieder aufdas Steuerkreuz des Game Boy. AlleGäste waren gegangen, meine Elterntuschelten am Gang. In dieserChristnacht ging ich, verpixeltvom Zocken und verzuckert vomCola, viel zu spät zu Bett. GrelleWeihnachtssterne flimmerten wieTetristeilchen vor meinen überreiztenAugen. Herzchenklopfen bis insMorgengrauen.Manuela Tomic, Autorin und ehemalsFURCHE-Redakteurin, ist in Sarajevogeboren und in Kärnten aufgewachsen.In ihrer Kolumne schreibt sie überKultur, Identitäten und die Frage,was uns verbindet.Die Kolumnengibt es jetztals Buch!Illustration: Rainer MesserklingerDer Heilige Nikolaus von Myra hatviele Bischofshüte auf: Die ältestenQuellen skizzierten ihn alsBeschützer der Schwachen, Seefahrermachten ihn aufgrundseiner zahlreichen Schiffsreisen zu ihremPatron – und Legenden, nach denen Nikolausdurch seine Fürsprache Kinder wieder zumLeben erweckte oder zu ihren Eltern zurückbrachte,trugen dazu bei, dass er als Patronder Kinder und Jugendlichen gilt. Heute verknüpfenihn insbesondere Kinder im angelsächsischenSprachraum oftmals mit demWeihnachtsmann – auch der weltweit größteGetränkehersteller Coca-Cola nahm sich denNikolaus bei der Interpretation ihrer Santa-Claus-Darstellung zum Vorbild.Fest steht: So wenig historische Faktenüber den historischen Nikolaus belegt sind,so viele Legenden und Mythen ranken sichum den kleinasiatischen Bischof. Nach übereinstimmendenÜberlieferungen wurdeNikolaus zwischen 270 und 286 in Patara geboren,einer Stadt in Lykien in der heutigenTürkei. Mit 19 wurde er von seinem Onkel Nikolaus,dem Bischof von Myra, zum Priestergeweiht und war im Anschluss als Abt desKlosters Sion in der Nähe von Myra tätig. ImZuge der Christenverfolgung wurde er 310gefangen genommen und gefoltert. Davon,dass er sein Vermögen an Notleidende verteilthaben soll, berichten sowohl Ambrosiusvon Mailand als auch Basilius von Caesarea,die beide im 4. Jahrhundert lebten. Am 6. Dezember326, 345, 351 oder 365 starb Nikolausschließlich in Myra (heute Demre).Nikolaus wurde handgreiflichUnsicherer wird es bei der in manchenQuellen wiedergegebenen Behauptung, Nikolaussei Teilnehmer des Konzils von Nicäaim Jahr 325 gewesen und dort sogar in Handgreiflichkeitenmit einem Widersacher involviertgewesen. Auf der unvollständig erhaltenenUnterzeichnerliste des Konzils findetsich Nikolaus jedenfalls nicht. Von den insgesamtbekannten 16 Teilnehmerlisten desKonzils ist Nikolaus von Myra immerhinsechsmal als Teilnehmer vermerkt.Sein weiteres Leben und Wirken gleichenhingegen einem legendarischen Dickicht ausWunder und Bekehrungserzählungen undSchilderungen mit historischem Kern. Nikolauswurde zur Projektionsfläche und Symbolfür Frieden und der Verständigung. Bereitskurz nach seinem Tod ist eine breite Verehrungdes Heiligen belegt. Sein Grab in Myrawurde bald zu einem Anziehungspunkt fürPilger, die den Reliquien des Bischofs Wundertatenzuschrieben. Dass diesen eine geheimnisvolleFlüssigkeit, die „Manna“ genanntwurde, entsprang, kann ebenfalls demReich der Mythen zugeordnet werden.Als Kaufleute die Reliquien von Nikolausim 11. Jahrhundert raubten und nach Apulienüberführten, wurde aus „Nikolaus von Myra“kurzerhand „Nikolaus von Bari“. Seine letzteRuhe fand er in der eigens errichteten BasilikaSan Nikola, wo er bis heute begraben liegt.Die türkische Nikolaus-Stiftung fordert dieGebeine des Heiligen nach wie vor zurück. Sokönnten Nikolaus-Reliquien besonders fürdie vielen russischen Türkei-Urlaubendenein Angebot darstellen. Immerhin gilt Nikolausals Nationalheiliger Russlands. Einmalin Europa angekommen, verteilten sich Reliquiendes Bischofs auf eine Reihe von Ländern,so gibt es Kultgegenstände, die mit Nikolausassoziiert werden in Deutschland,Frankreich und der Schweiz. 2006 wurde einTeil der Freiburger Nikolaus-Reliquien demorthodoxen Metropolit Filaret von Minsk undSluzk zur Verehrung in der Heilig-Geist-Kathedralevon Minsk in Belarus übergeben.Ähnlich wie bei denvon der westlichenkünstlerischen Traditioninspirierten Jesus-Darstellungen , habenauch die bekannten Nikolaus-BildnissewenigÄhnlichkeiten mit demhistorischen Vorbild. Sorekonstruierten Wissenschaftler2014 sein Gesicht:Dunkle Haut undFoto: iStock/Mordolff„ Im 11. Jahrhundertraubten italienischeKaufleute die Reliquienvon Nikolaus undbrachten sie nachApulien. Die Türkeifordert sie bis heutezurück. “Kein Erzieheroder Mahnerein wettergegerbtes Gesicht, ebenso wie einemarkante Nase und ein kurzer Bart. Nikolauswar wohl zudem von gedrungener Statur undetwa 1,60 Meter groß.In Österreich hat der Besuch des Nikolausseinen fixen Platz in der Adventzeit. Nikolausfeiernsind bis ins 15. Jahrhundert belegt,etwa verbunden mit dem Brauch, aus Papieroder anderem Material Nikolausschiffezu basteln, in die der Heilige seine Gaben legensoll. Hintergrund für diesen Brauch dürftedas Schifferpatronat sein. Auch heute nochbefindet sich auf vielen Handelsschiffen einBildnis des heiligen Nikolaus. Bereits ab dem16. Jahrhundert wird auch der Krampus, alsböser Konterpart des Nikolaus beschrieben.Die Gestalt des Krampusses ist allerdingsweit älter und stammt – wie auch viele anderedämonische Gestaltendes Alpenraumes – ausder vorchristlichen Zeit.Heute legen Kinderorganisationenwie dieKatholische Jungschardarauf Wert, dass derHeilige Nikolaus in ersterLinie Schutzpatronder Kinder und kein Erzieheroder Mahner ist.„Wichtig ist uns, dass derAndreas R.Batlogg hat dasBuch „Jesus(m/w/d) – eineGeschlechtergeschichte“(13.10.2024)auf furche.atbesprochen.So, wie wir ihn uns heute vorstellen, sah Nikolaus nicht aus. Forschende rekonstruierten ihn als 1,60 Metergroßen Mann mit dunkler Haut und einem wettergegerbten Gesicht, einer markanten Nase und kurzem Bart.Um kaum eine historische Person ranken sich so viele Legendenwie um den Heiligen Nikolaus. Das, was heute noch vom „Nikolo“übrig ist, hat mit dem Original fast nichts zu tun.Nikolausbesuch für alle Kinder ein Erlebnisist, das ihnen Freude und Mut macht.“ Angsthabe dabei keinen Platz; Mahnungen, Sündenregisterund ein angstmachender Krampusseien verboten, sagte der steirischeJungschar-Referent Lukas Kraßnitzer im Gesprächmit Kathpress. Drohungen würdenhingegen dem, wofür der Heilige Nikolaussteht, „völlig widersprechen“.Um einen hohen Standard bei den unzähligenNikoläusen und Nikoläusinnen zu erreichen,die rund um den 6. Dezember in Schulen,Kindergärten und Pfarren unterwegssind, bietet die Jungschar eigene Nikolausschulungenan. Auf dem Lehrplan stehen nebenden Legenden des Heiligen auch Tippsfür einen kindgerechten Auftritt und die akkurateKostümierung.Die alljährliche Diskussion um die vermeintlicheAbschaffung des Nikolaus-Festsin Schulen und Kindergärten sieht die KatholischeJungschar gelassen. Die hohe Nachfragenach den Nikolaus-Schulungen würdedie nach wie vor große Bedeutung desBrauchs unterstreichen. Die Gestalt des heiligenNikolaus könne „wichtige Werte wieNächstenliebe, Solidarität und Orientierung“vermitteln und damit unabhängig von der religiösenZugehörigkeit der Kinder gefeiertwerden, ist die Jungschar überzeugt.

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