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DIE FURCHE 05.12.2024

DIE FURCHE · 492 Das

DIE FURCHE · 492 Das Thema der Woche Jahrhundert Dichterin5. Dezember 2024AUS DERREDAKTIONGroße Kunst antizipiert vieles, in gewisser Weise alles. Denn die großenFragen bleiben dieselben. Eine „Wirklichkeit, die ebenso sehr entgleitet, alssie sich eindringlich, wie in sich wiederholenden Wellen, vor einem öffnet“:Darauf hat etwa nach Ansicht der Schriftstellerin Andrea Winkler dasSchreiben von Friedrike Mayröcker abgezielt. Am 20. Dezember würde Mayröckerhundert Jahre alt, bereits am 5. Dezember hält Winkler im Rahmenvon „Autorinnen feiern Autorinnen“ im Wiener Rathaus eine Festrede aufsie. Einen Auszug daraus lesen Sie im aktuellen Fokus „Jahrhundert Dichterin“von Brigitte Schwens-Harrant, ergänzt durch eine Besuch der aktuellenSchau zu Mayröckers Leben im Literaturmuseum in Wien. Die entgleitendeWirklichkeit beschäftigt uns auch in weiteren Beiträgen dieser Ausgabe: etwain den Analysen zum erstarkenden Rassismus und Antisemitismus, zu bioethischfragwürdigen Entwicklungen wie der Leihmutterschaft, zum Skandaldes Missbrauchs in der katholischen Kirche oder zu den prophetischenGedanken von Johann Baptist Metz oder Joan Didion. DIE FURCHE begleiteteund begleitet diese Entwicklungen mit einer hochkompetenten Redaktion.Ab sofort werden uns die Medienwissenschafterin und Historikerin AstridWenz-Theriault (als Leiterin des Ressorts „Medien und Menschen“) sowiedie Digitaljournalistin Viktoria Kapp im Bereich Social Media unterstützen.Willkommen an Bord! Die Wirklichkeit bleibt aufregend. (dh)Von Andrea WinklerEhe ich mich hinsetzte,um zu beginnen, diesenText zu schreiben,versuchte ich michan meine erste Begegnungmit Friederike MayröckersProsa zu erinnern, und es tauchtenach einer Weile tatsächlich dasBild eines Zimmers auf, in demich mit anderen in einer privatenRunde saß, während eine Freundinden Anfang aus „Mein Herzmein Zimmer mein Name“ vorlas.Er lautet: „die Psyche wird in dasAlter hinein gerissen, wir machenpausenlos Lebensfehler, sage ichzu meinem Ohrenbeichtvater, eskommt auf den ersten Satz an, sageich zu meinem Ohrenbeichtvater.“Ich weiß nicht mehr, was wir,die wir in der Runde zusammensaßen,im Anschluss an die Lektüreeiniger Seiten aus dem Buch gemachthaben, aber ich weiß, dassich sehr still wurde und dass dieunmittelbare Berührung mit denWorten „hinein gerissen, Lebensfehler,Ohrenbeichtvater“ in mirnachwirkte, ohne dass ich zumAusdruck hätte bringen können,worin die Faszination bestand,die mich an diesen Anfang band.Ich überließ mich diesem erstenImpuls, dieser leisen Sehnsuchtnach etwas, von dem ichnicht wusste, was es war, undlas einige von Friederike MayröckersBüchern unmittelbar hintereinander,und zwar wirklichvon der ersten bis zur letzten Seite.Fragte ich mich selbst, was esnun war, das mich so in diesesWerk hineinzog, dann sagte ichmir, dass diese Sprache meine Lebendigkeitintensiviert und etwasin mir in Schwingung versetzt.Zudem öffnet sie mich für etwas,das ich nicht kenne, und ruft dasGefühl beständigen Strömensin mir hervor, manchmal so, alsmüsste ich mich davor hüten, berauschtzu werden.Konkretes SchwindelgefühlFoto: APA / Roland SchlagerLeuchtendeFädenDie österreichischeSchriftstellerin(20.12.1924–4.6.2021) gehörtzu den wichtigstendeutschsprachigenAutorinnenihrer Generation.Vor 100 Jahren wurde Friederike Mayröcker geboren, eine eindrücklicheStimme der deutschsprachigen Literatur. Schriftstellerin Andrea Winklererzählt von der Begegnung mit ihrer Prosa. Auszug aus der Festrede.LetztlichuneinholbarAuf diesen wenigen Sätzen hätteich meine Zuneigung beruhenlassen können, wenn ich nichtmein Germanistikstudium miteiner Arbeit zu beenden gehabthätte und nicht entschlossen gewesenwäre, diese ganz der Lektürevon „brütt oder Die seufzendenGärten“ zu widmen. Ichversuchte, dieses Buch mit Hilfeoder aus dem Geist der Textezu lesen, die in ihn hinein verwobenwaren, und das war eine ganzeMenge; sie reichten von GiordanoBruno bis zu Roland Barthesund Jacques Derrida. Und obwohlich glaube, möglichst sorgfältigund differenziert gearbeitet zuhaben, überkam mich zuweilenein ganz konkretes und realesSchwindelgefühl, das mich immerwieder in die Grenzen meinerBetrachtungen und meines Tunszurückholte und mir aufzeigte,welche Trittsicherheit es braucht,um sich in der Fülle der zu verfolgendenSpuren und der in den literarischenText hineinzitiertenSchriften nicht zu verlieren. Hatteich es hier nicht hauptsächlichmit Philosophen zu tun, die einegroße Vorliebe dafür hegten, allesWidersprüchliche sprachlich verfassterWirklichkeit aufzuspürenund jede scheinbare Gewissheitzu kappen? Der Modus des Fragensdominiert große Etappen ihresWerks, ebenso wie der Hangdazu, philosophiegeschichtlichbedeutsame Texte ganz aus demBlickwinkel bestimmter Detailszu lesen und sie aus dem Zusammenhangihrer Entstehung weitgehendzu lösen. In ihrer Herangehensweisean ein Problemerhält das Bruchstückhafte undFragmentarische eine beinaheheilige Aura, als wäre alles, wo„ In ihrer Herangehensweise an ein Problemerhält das Bruchstückhafte undFragmentarische eine beinahe heilige Aura.“Die Autorin beider Präsentationdes Eisernen Vorhangesin der WienerStaatsoperam 10.10.2019.Ihr Text „eintrojanischesPferd im Gebüschoder, der eiserneVorhang, desWinters“ erschienin der FURCHE.furche.ateinst noch die Ahnung des Ganzenhindurchschimmerte, gefährdet,einen verhängnisvollenTotalitätsanspruch auf alle Weltgeltend zu machen. Und dochmeinte ich, immer wieder auchnoch einen unhintergehbarenRest sprachlichen Sich-Ausstreckensnach etwas Absolutem herauszuhören,das der überbordendenSkepsis gegen alles Gewissestandhält.Es entbehrt einer gewissenIronie des Schicksals jedenfallsnicht, dass mich gerade der exzessiveReflexionsdrang, mit demich mich im Dialog mit FriederikeMayröckers Schreiben konfrontiertsah, ganz und gar auf denBoden der Wirklichkeit zurückwarf.Dort war ich immer nochvon Menschen umgeben – meineeigene Person eingeschlossen –,deren Reflexionsfähigkeit größerwar als die Möglichkeit, sieim konkreten und bloßen Lebeneinzuholen. Die Erfahrung, dassdiese Differenz, dieser Bruchsehr viel Leid verursachen kann,fällt gemeinsam mit der großenFreude an der schöpferischenSprache in die Anfänge der Entscheidung,mit meinem eigenenliterarischen Schreiben nach außenzu gehen. Ich bin gewiss, dasssich diese Freude dem Umstandverdankte, dass Friederike Mayröckerskonsequente Sprache irgendwoin meine Tiefe gedrungenist, um dort etwas zu wecken.Wie nun also, vor diesem Hintergrund,hier und jetzt einen Wegfinden und gehen, der einige wenigeleuchtende Fäden aus diesemweit und in alle Richtungensich streckenden Gewebes herausgreift,um sichtbar zu machen, inwelche Gegenden sie reichen undworan sie rühren? Friederike Mayröckerhat ja unablässig geschrieben,Prosa, Hörspiele, Gedichte;und vielleicht hätte sie tatsächlich,so wie sie es in manchem Interviewsagte, gern auf das Sterbenund den Tod verzichtet, um immerso scheinbar unbekümmert

DIE FURCHE · 495. Dezember 2024Das Thema der Woche Jahrhundert Dichterin3„ Fragte ich mich selbst, was es nun war, das mich soin dieses Werk hineinzog, dann sagte ich mir, dassdiese Sprache meine Lebendigkeit intensiviert undetwas in mir in Schwingung versetzt. “weiterschreiben zu können. DieUnterschiede zwischen den Textenund Werken liegen allerdingseher im Detail sprachlicher Gestaltung,als im Wechsel des Gegenstandesoder Themas. Da bleibt esan mir, noch einmal so unbefangenwie möglich damit zu beginnen,jene Spuren freizulegen, diesich durch meine Lieblingstextegleichermaßen lebhaft ziehen. Sieberühren auf eigenwillige Weisedie Felder der Erinnerung, desTraums, des Anvisierens eines fernenDu und die Resonanz auf dasGeschriebene anderer.Ich beginne mit der Lektürevon Auszügen aus einem kurzenProsatext aus dem Jahr 1981, derden Titel trägt: „Ich saß dann daund starrte auf dieses Bild, die Erinnerung“.1(...) Ich saß dann da und im großenGarten an der Längsseite des Hausesglühten die Feuerlilien, und Zitronenfaltergaukelten darüberhin, das birkenweiße Lusthäuschenglänzte zwischen Büschenund Beeten und Zwergbirnbäumen.Ich saß dann da und vor meinenFüßen lag mein Weggefährteaus Weidenzweigen. Den zog ichals treuen Hund nach, wo immerich hinging. Ich saß dann da undblickte in die untergehende Sonne.2Ich wanderte dann umher mit meinemdürren Weidenzweig. Ich wandertedann umher, ein Stück dieDorfstraße aufwärts bis zum Wegkreuzund wieder zurück. Seltenwagte ich mich weiter weg. Ich streutedann auf dem Hinweg schöne duftendeRobinienblätter die ich ausniederhängenden Ästen gekämmthatte als Spur hinter mich um wiederheimzufinden. Ich kniete niedervor jedem Käfer, redete zu denKatzen, schlang meine Arme um jedesHündchen des Dorfes. (…)3(…) ich kam dorthin, zu den EnglischenFräulein, September 30,Cloth-Kleiderschürze, langerTrenchcoat, Pullmannmütze: ichwürde dort vor Infektionskrankheiteneher bewahrt bleiben: meinebesorgten liebenden Eltern,ich, ihr einziges Kind, zirpendein Christvögelein beinah Weihnachtsstern,Hausgeburt im großelterlichenSchlafzimmer, 20. Dezember1924, vier Uhr nachmittags,die Hebamme hob mich empor undrief: ENGELGOTTESKIND! (…)4(…) Ich saß dann da und hörte amWeihnachtsabend ein Schellenzum Zeichen dass die Bescherungbeginnt: ich saß dann da und sahdass meine Mutter mit ihrem Eheringgegen die Wasserkanne geklirrthatte.Ich saß dann da und es war einschwarzer Brief. Ich saß dann daund ich sah meine beiden Großtantenvorübergehen. Beide in langenwallenden grauen Gummimänteln.Ich saß dann da und schaute ausdem Kabinettfenster in der Wohnungder beiden Großtanten in einengrellgelb besonnten Hof hinunter.Ich saß dann da und wußtenicht was geschehen war aber ichfühlte dass es etwas Schreckliches,Schweres war. Ich saß dann da undwar so erschrocken und konnte esnicht verstehen, und alle Familienmitgliederwaren besorgt um michund wollten mir immerzu Limonademit Butterbrot geben. Ich saßdann da und hielt mir weinend dieHand vors Gesicht denn ich wolltemeine Mutter nicht ansehen müssenmit ihren geöffneten Adern.5Ich wanderte dann umher und sahviele Fliederbüsche. Ich wandertedann umher und in der Wandelhalleder Schule standen die Mädchenmit blauen Faltenröckenund weißen Blusen. Ich wandertedann umher und mein Vater führtemich auf den Leopoldsberg. Vonder Aussichtswarte aus wo es auchsommers stürmte, zeigte er auf dieStadt und den Fluß und erzähltemir Lehrreiches über das Landund die Landschaft aber ich wolltenicht hinhören.Ich wanderte dann umher undim Hinterhof eines Abbruchhausessah ich einen kahlen Strauchder plötzlich zu brennen begonnenhatte, es war ein Pfingsttag. Ichwanderte dann umher und kauertenieder und schrieb im Anblickdes brennenden Busches mein erstesGedicht.Dies ist einer der wenigen Texteder Autorin, der sich sogar, wennauch unvollständig und vage,nacherzählen ließe: Ein Ich blicktauf einige Erinnerungen aus derKindheit, und – wie der Titel nahelegt– dies bereits im Bewusstsein,dass es sich dabei um Bilderhandelt, die das Gescheheneauf eine bestimmte Weise ordnen.Es erschließt sich die Welt sowohlaus der ruhigen Wahrnehmungder Perspektive eines Kindes,das sitzt und schaut und sich dabeiganz in die Lebendigkeit desGeschauten mit hineinnehmenlässt, als auch aus der Bewegungdes neugierigen Umherwanderns,mittels dessen der Radius der eigenenWelt erkundet wird. DieFeuerlilie, der Zitronenfalter, dieBeete und Zwergbirnbäume – alldas bleibt nicht Gegenstand distanzierterBetrachtung, sondernteilt sein Dasein ganz direkt undunmittelbar mit, so wie die Berührungdes Salamanders Tränender Freude hervorruft. Dieerinnerten Bezugspersonen werdensehr viel mehr über das, wassie ausstrahlen, wahrgenommenals über ihre konkreten Worteund Handlungen; ja, die Realitätder familiären und dörflichenBeziehungen vermittelt sich demKind wie dem Leser eher atmosphärisch,über kleine Vorgänge,die sowohl die Freude als auchdie Erschütterung, die mit ihnenverbunden gewesen mögen, eherstreifen als deutlich hervorheben.Die Liebe, mit der dieses Kind indas großelterliche Schlafzimmerhineingeboren wird, steht eng nebender Trauer über den Verlustdes versteigerten Landhauses –offenbar ein Garant für die glücklicheEinheit von Freiheit und Ge-borgenheit – und dem Schreckenüber die „geöffneten Adern“ derMutter. Die Weise, in der hier Geschehenals atmosphärisches Bildbewahrt bleibt oder in Erinnerunggerufen wird, scheint mirfür Friederike Mayröckers Poesieinsgesamt charakteristisch. Seltenfreilich lässt sich diese Besonderheitso konturiert fassen wie indiesem kleinen Prosastück, denndas sprachliche Merkmal derWiederholung einzelner Sequenzen,die den Text und das Ereignisin ihm strukturieren, treten inden langen Prosatexten so üppigund ausufernd auf, dass sich dasGeschehen in ihm tatsächlich immermehr verflüssigt, bis an dieGrenze zu seiner Auflösung. Hieraber schimmert es noch als greifbaresdurch: „Ich wanderte dannumher und im Hinterhof eines Abbruchhausessah ich einen kahlenStrauch der plötzlich zu brennenbegonnen hatte, es war ein Pfingsttag.Ich wanderte dann umher undkauerte nieder und schrieb im Anblickdes brennenden Buschesmein erstes Gedicht.“Diese letzten Sätze tragennichts Geringeres als das Gedächtnisan zwei verschiedenebiblische Szenen. Der brennendeBusch, von dem hier die Redeist, lässt unweigerlich an die BegegnungMoses mit seinem Gottdenken und an die eigentümlicheWeise, in der sich ihm dieser offenbartund zugleich entzieht. Sie findetstatt, während Moses die Schafeseines Schwiegervaters hütetund darüber staunt, einen Dornbuschzu sehen, der brennt, ohnezu verbrennen. Gott ruft Moseszu, er möge sich die Schuhe ausziehenund fernhalten, denn derOrt, an dem er sich befinde, seiheilig. Er überträgt ihm die großeAufgabe, das Volk Israel ausAndrea Winkler wurde 1972 in Freistadt geboren. Nach den Studien der Germanistik und der Theaterwissenschaftenlebt sie als Schriftstellerin in Wien. Für ihre zwischen Erzählung und Betrachtung changierendeProsa erhielt sie einige Preise und Auszeichnungen. Zuletzt erschienen von ihr: „König, Hofnarrund Volk“ (Zsolnay 2013), „Die Frau auf meiner Schulter“ (Zsolnay 2018). „Mitten im Tag“ erscheint imJänner 2025 bei Sonderzahl.„ Zielt ihr Schreiben nicht auchbeharrlich auf eine Wirklichkeit,die ebenso sehr entgleitet, alssie sich eindringlich, wie in sichwiederholenden Wellen, voreinem öffnet? “der ägyptischen Versklavung zubefreien und es in ein Land zuführen, in dem Milch und Honigfließen. Moses bejaht, aber erbittetvon Gott, Aufschluss über seineIdentität zu erhalten, denn wiesollte er sich bei seinem Volk Autoritätverschaffen, ohne einen Namennennen zu können? Gott gibtsich selbst hier aber keinen Namenim strengen Sinn des Wortes,sondern nennt sich lediglich der„Ich-bin-da“. Der Gott, mit dem Mosesin Beziehung tritt, hat keineschon vorgegebene Referenz inder Wirklichkeit; dem Wunsch,Foto: Kurt HörbstFriederikeMayröckerveröffentlichteam 22.2.1964ihren Text „Zuden DünenDeutschlands“in der FURCHE,furche.atdingfest und haltbar gemacht werdenzu können, entzieht er sich beharrlich,und biblisch betrachtet,besteht eben in seiner Andersartigkeitauch sein alle Maßensprengendes Potenzial.Von hier aus lässt sich ein AspektMayröckerschen Schreibensin den Blick nehmen: Zieltes nicht auch beharrlich auf eineWirklichkeit, die ebenso sehrentgleitet, als sie sich eindringlich,wie in sich wiederholendenWellen, vor einem öffnet? Das Ichhier, das Kind vor dem brennendenBusch am Pfingsttag, lässtsich doch als eines erkennen, dasmit einem Teil seiner selbst nochfraglos eingebunden ist in eineWelt, in der es ein Gedicht schreibenkann. Jetzt sitzt es nicht, jetztwandert es nicht, jetzt kauert essich hin, eine Geste der Zurücknahme,des Kleinwerdens vor derGröße der Gabe. Alttestamentarischverweist der Pfingsttag, dasFest Schawuot, auf das Gedenkenüber die Freude, die Tora empfangenzu haben; neutestamentarischfeiert dieser Tag die Wirksamkeitdes Heiligen Geistes, deres bekanntlich vermag, dass sogarfremde, unbekannte Sprachehörbar und verständlich wird,ohne ihre Andersartigkeit zu verlieren.Dass diese kleine Passagedie Erinnerung an die biblischeSzene wachruft, erlaubt einentieferen Blick auf das, was FriederikeMayröcker in mehrerenGesprächen bzw. Interviews zubeteuern nicht müde wurde: dasssie ihr Schreiben bei aller deutlichwerdenden Methodik, die sieangewandt hat, als ein inspiriertesbegreift, das sich nicht in derAnwendung literarischer Verfahrenerschöpft.Gegen die AneignungSicher gab sie auch darüberreichlich Auskunft, und – mehrals das – die großen Texte sind vollerAnspielungen auf die Art undWeise, wie ihr Werk entsteht, ja,welcher Manie, welchen Zwängendes Notierens etwa oder des Abschreibensaus geliebten Bücherndas schreibende Ich verfallen ist.Dennoch bläst einem beständigein Wind entgegen, der sich gegendie total erklärende Aneignungdes Schreibaktes, des Textesund der schreibenden Person zurWehr setzt. Dies geschieht unteranderem durch den Rückbezugauf eine Tradition, in der das letztlichUneinholbare, Uneinnehmbaredie zentrale Rolle spielt.Die gesamte Festrede vom 5. 12. imWiener Rathaus („Autorinnen feiernAutorinnen“) erscheint auch als Buch.Über Friederike MayröckerVon Andrea WinklerMandelbaum 2024. 100 S., kart., € 12,–

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