DIE FURCHE · 40 4 Das Thema der Woche Mädchen an die Macht 5. Oktober 2023 Von Katja Heine sexy, aber nicht zu aufreizend, in einer Partnerschaft oder Ehe mit einem Mann, Partys haltend „Intelligent, und beliebt.“ Das ist die typische Antwort auf die Frage, was heutzutage Anforderungen an eine Frau bzw. vermeintliche Idealvorstellungen sind. „Da haben sich die Mädchen sämtliche Klischees aus allen Serien und von Instagram zusammengesucht“, sagt dazu Elisabeth Mayr. Sie arbeitet als Soziologin bei „Queraum. Kultur- und Sozialforschung“ in Wien und hält gemeinsam mit einer Kollegin regelmäßig Workshops an Schulen mit Jugendlichen im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren – im Rahmen des Projekts „I am good enough. Stark durch vielfältige Körperbilder“. Dieses Projekt wird in Kooperation mit der „Wiener Gesundheitsförderung – WiG“ umgesetzt und aus Mitteln der Agenda Gesundheitsförderung und des Fonds Gesundes Österreich gefördert. Ziel des Workshops ist es, ein positives Körpergefühl zu stärken, denn die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper in den westlichen Ländern nimmt weiterhin zu. Neben Depressionen gehören Essstörungen zu den zentralsten psychischen Erkrankungen bei Frauen und Mädchen – sie sind bei ihnen um bis zu 6,5-mal häufiger als bei Burschen und Männern. Zudem steigt die Anzahl der Personen mit Essstörung – wie etwa Magersucht, Ess-Brechsucht oder Fettleibigkeit, wobei in Österreich rund 40 Prozent der Erwachsenen übergewichtig sind, wie Erhebungen des Gesundheitsministeriums aus den letzten 20 Jahren belegen. Vor allem junge Frauen sind mit ihrem Körper unzufriedener denn je. Sich wegen traditioneller gesellschaftlicher Rollenbilder stärker mit körperlichen Idealen auseinanderzusetzen, kann eine starke psychische Belastung darstellen. Mehr als ein Drittel der Mädchen empfindet sich laut der im Schuljahr 2021/22 durchgeführten Studie zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen als zu dick, jede zehnte normalgewichtige junge Frau fühlt sich zu dünn. „Kein Aufwachsen in luftleerem Raum“ Dieselbe Studie zeigt jedoch, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper entgegen gängiger Klischees auch junge Männer betrifft. Hier ist der Trend umgekehrt: Mehr als ein Drittel fühlt sich zu dünn, etwa jeder Zehnte zu dick. „Dieses Ergebnis reflektiert die in der westlichen Welt gängigen Geschlechterstereotype, nach denen das weibliche Körperideal schlank und das männliche muskulös ist“, erklärt die Psychologin und Studienautorin Rosemarie Felder-Puig. Diese Geschlechterstereotype werden oft mit positiven Eigenschaften verbunden. Schönheit und ein attraktiver Körper implizieren für die meisten Menschen beruflichen Erfolg und gesellschaftliches Ansehen. In den Workshops problematisiert KONSENS STATT „ME TOO“ Das Gespräch führte Katja Heine Sexualisierung und idealisierte Körperbilder sind eng aneinandergeknüpft. Reinhard Gaida ist Lebens- und Sozialberater und Gründer der „Schwelle“, einem Gastronomie-Betrieb mit Tanzfläche. Dort gibt es regelmäßig Workshops zu Themen der Sexualität. Er will die Konsenskultur in die Mitte der Gesellschaft bringen, erklärt er im Interview. DIE FURCHE: Was bedeuten die Konzepte „Konsens-Kultur“ und „sexpositiv“? Reinhard Gaida: Sexpositiv ist eine grundlegend positive Einstellung zur Lesen Sie das Interview mit Cheryl Benard über das Buch „Let‘s kill Barbie“ unter „Kampfplatz Frauenkörper“ (1.5.2003) auf furche.at. In Zeiten omnipräsenter sozialer Medien wächst die Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen – insbesondere bei jungen Frauen. Wie ein Umdenken möglich ist. Normierte Körper „ Das Wort dick suggeriert: Du ernährst dich ungesund, machst zu wenig Sport, du bist faul. Es suggeriert: Du bist nicht leistungsfähig. “ Elisabeth Mayr, Soziologin „Die Antwort auf ein ,Nein‘ muss ,Danke‘ sein“ Sexualität – sowohl zur eigenen als auch zu der von anderen. Es geht darum, einfach zu akzeptieren und wertzuschätzen, wie man ist – man selbst oder andere – und auch auf seine Gesundheit zu achten. Bei der Konsens-Kultur geht es darum zu klären, was Einvernehmen beim Thema Sexualität bedeutet – und dass ein „Nein“ respektiert wird. Diese Themen beschäftigen mich schon lange. Weil mich das Flirtverhalten, vor allem in Clubs, so gestört hat – Frauen tanzen auf der Tanzfläche und Männer stellen sich einfach hinter sie, ohne zu fragen – habe ich dann 2012 die „Schwelle“ gegründet: als einen Ort, wo Einvernehmen hergestellt wird und nur ein enthusiastisches „Ja“ als Einverständnis gilt. DIE FURCHE: Vor dem Hintergrund der aktuellen Eklats in der Club-Szene und der schon länger bestehenden „Me-Too“-Bewegung: Gab bzw. gibt es einen Wandel im Umgang mit Sexualität und Konsens-Kultur? Gaida: Natürlich ändert sich etwas. Aber ich würde nicht per se sagen wollen, dass dieses Thema von den einzelnen Generationen und Geschlechtern unterschiedlich behandelt wird. In die „Schwelle“ kommen auch Personen, die über 60 Jahre alt sind und noch einmal ihre Beziehung Mayr die Klischees und Stigmata, die mit bestimmten körperlichen Merkmalen einhergehen: „Das Wort ,dick‘ ist nicht nur eine Körperbeschreibung. Es suggeriert: Du ernährst dich ungesund und machst zu wenig Sport, du bist faul. Es suggeriert: Du bist nicht leistungsfähig.“ Das in einer Leistungsgesellschaft zu hören, in der das höchste Gut der Körper ist und sich die meisten Personen über das Aussehen definieren, führe in eine Negativspirale. Es sei daher wichtig, schon mit Kindern und Jugendlichen darüber zu sprechen, was der Körper alles kann und für sie leistet – ganz unabhängig von den individuellen Ausformungen. Daher versucht Mayr zu vermitteln, wie man sich body neutral – also losgelöst von den körperlichen Eigenschaften – mit Blick für andere Qualitäten – begegnen kann. „Aber das geht nicht nach ein, zwei Workshops. Das ist eine innere Haltung, eine gesellschaftliche Einstellung.“ Kinder und Jugendliche wachsen nicht in luftleerem Raum auf – ihr Umfeld hat gewisse Körpervorstellungen an sie, die sie erfüllen müssen. Die verzerrte Körperwahrnehmung ist oft induziert von Social Media – hängt aber auch von genetischen und individuellen Dispositionen ab. Ein wesentlicher Faktor ist das soziale und familiäre Umfeld mit gesellschaftlichen Normen, die oft unbewusst von Erwachsenen vermittelt werden. „Wow, du hast aber abgenommen“, wird als Kompliment aufgefasst. „Die meisten Komplimente sind körperbezogen“, kritisiert Mayr. öffnen wollen. Das Thema zieht sich auch durch alle Berufsgruppen, Altersschichten und sexuellen Identitäten – da ist dann einmal der 82-jährige, ehemalige Staatsanwalt und dann die 20-Jährige mit zwei Partnerinnen. Wir heißen in der „Schwelle“ alle willkommen. Und die Konsenskultur ist jedenfalls etwas, das in allen Bereich Einzug halten muss. DIE FURCHE: Was ist die größte Fehlauffassung beim Thema Liebe und Konsens-Kultur? Gaida: Man muss Nein-Sagen lernen, sonst fehlt ja auch die Möglichkeit, überhaupt einmal einen Konsens herstellen zu können. Ein „Nein“ sollte nicht als reine Zurückweisung aufgefasst werden, sondern als Möglichkeit zu lernen. Bild: Foto: iStock/photovideostock (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) So wie die Unzufriedenheit mit dem Körper in den westlichen Ländern zunimmt, so steigt aber auch die Sensibilisierung für diese Problematik. Mayr sagt: „Oft kennen die Jugendlichen schon die Begriffe und wissen in der Theorie, was Body Positivity ist: der Grundsatz, dass jeder Körper schön ist, das Feiern der Körpervielfalt. Aber dieses Konzept in der Praxis zu leben, fällt vielen natürlich schwer.“ Das Thema ist aber nicht nur eine Bildungs- und Ressourcenfrage, sondern betrifft das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein. „Mit den transportierten Schönheitsidealen verdienen eine ganze Menge Menschen viel Geld. Ich bin mir nicht sicher, ob dies allen bewusst ist; das sollte es aber auf jeden Fall sein“, sagt Felder- Puig. Die beste Prävention, seine Kinder zu schützen, sei, sie zu selbstbewussten und kritischen Menschen zu erziehen. „Das ist einfacher gesagt als getan, trotzdem muss dies der Anspruch unserer Gesellschaft sein und bleiben“, meint die Psychologin. EU-Gelder für den Selbstwert Das scheint auch bei der Europäischen Kommission angekommen zu sein, die in diesem Jahr psychische Gesundheit auf dieselbe Stufe wie körperliche Gesundheit gestellt hat. Die Mitgliedsstaaten sollen bei der Förderung der mentalen Gesundheit der Bevölkerung sowohl inhaltlich als auch finanziell unterstützt werden. Rund 1,23 Milliarden Euro plant die Kommission dafür ein. Denn aktuell gelten oft noch Bilder von kleinen, dünnen, süßen Mädchen und Frauen als Ideal – größere, stärkere Frauen können sich aber diesbezüglich nicht ändern. Ähnlich geht es kleinen, schmächtigen Jungen, die nicht das Ideal des großen, muskulösen Mannes erfüllen können. „Es wird darüber oft vergessen, dass es andere Qualitäten als körperliches Aussehen gibt,“ meint Mayr. Das in Erinnerung zu rufen – und vor allem, körperliche Merkmale bei der Bewertung der Persönlichkeit und Charaktereigenschaften anderer Personen außen vor zu lassen – sei wichtig. Das möchte sie bei ihren Workshops zu Body Neutrality vermitteln. Der Fokus gehe weg von Körper und Aussehen. Mayr erklärt: „Ich muss meinen Körper nicht lieben oder hassen, sondern nehme ihn einfach so an, wie er ist und bin dankbar für das, was er kann.“ Nächste Woche im Fokus: Von 18. bis 22. Oktober 2023 präsentiert sich Slowenien als Ehrengast auf der alljährlichen Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Anlass blicken wir ins Nachbarland: auf seine Literatur, auf seine Politik und auf kulturelle Eigenheiten, wie sie Grenzgänger wie Janko Ferk erleben. DIE FURCHE: Warum ist es gerade am Weltmädchentag so wichtig, darüber zu sprechen? Gaida: Es ist wichtig, dass man weiß: Es ist total in Ordnung, „Nein“ zu sagen – natürlich ganz unabhängig davon, welcher geschlechtlichen Identität man sich zugehörig fühlt. Die Antwort auf ein „Nein“ muss immer „Danke“ sein. Und wenn das nicht kommt, ist es das Problem der anderen Person. Denn diese müsste eigentlich dankbar sein zu wissen, woran sie ist. Für ein „Nein“ braucht es aber auch Mut, unter anderem Mut zum eigenen Sein. Konsenskultur ist also letztlich immer Arbeit am Selbstwert. Die ungekürzte Version des Interviews lesen Sie auf furche.at.
DIE FURCHE · 40 5. Oktober 2023 International 5 Am 8. Oktober wird in Bayern gewählt. Die „Jetzt erst recht!“-Stimmung dürfte einen Rechtsruck befeuern. Über eine innovative Region, in der die Angst vor dem Fortschritt umgeht. Wenn das Erreichte „bedroht“ scheint Von Brigitte Quint Die 1911 von Ludwig Thoma veröffentlichte Satire „Ein Münchner im Himmel“ erheitert in Bayern bis heute bereits die Kleinsten. Sie handelt von Alois Hingerl, einem gestandenen und vor allem grantigen Bayern, der stirbt und im Himmel landet. Hingerl wird dort zum „Engel Aloisius“ und ist quasi unintegrierbar. Er drangsaliert vom Petrus abwärts jeden den er trifft und stört mit seinem Unmut die heilige Himmelsgesellschaft. „Ja, was ist denn da für ein Lümmel heroben?“, fragt dann irgendwann der liebe Gott und beschließt den Hingerl „abzuschieben“. Künftig soll er als himmlischer Bote regelmäßig vom jenseits ins diesseits pendeln, um der bayerischen Landesregierung göttliche Ratschläge zu übermitteln. Dieses Unterfangen scheitert allerdings bereits beim ersten Anlauf. Der Engel fliegt mit seinem Brief nicht auf direktem Weg in die Staatskanzlei, sondern macht am Hofbräuhaus Halt um sich vorher noch eine Maß zu genehmigen. Aus einer Maß werden zwei, dann drei, dann vier. Und noch heute soll er dort sitzen. „Und so wartet die bayerische Regierung bis heute auf die göttlichen Eingebungen…“, lautet dann Thomas Schlusssatz, für den er eine ordentliche Geldstrafe zu zahlen hatte. Söder legte sich (zu) früh fest Seine Kritiker zur Kasse bitten – das kann der amtierende bayerische Ministerpräsident heutzutage selbstverständlich nicht mehr. Und vermutlich würde das Team um Markus Söder gerade jetzt im Wahlkampfendspurt mit dem Rechnungen ausstellen gar nicht mehr fertig. Gleichzeitig versteht sich Söder ohnehin als Bewahrer der Meinungsfreiheit, die er von der „Cancel Culture“ bedroht sieht. Eine Haltung, die vor allem die ländliche Bevölkerung befürwortet, die ihm aber dennoch keine Rückkehr in die CSU-Alleinregierung bescheren wird. Wohlwissend sprach er sich daher schon früh für eine Neuauflage der Koalition aus CSU und Freien Wählern aus. Denn dass er weiterregieren wird und die CSU bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag stärkste Kraft wird, ist gesetzt. Mit seiner frühen Festlegung war Söder allerdings schlecht beraten, brachte sich dadurch in die Bredouille. Die Flugblatt-Affäre seines Stellvertreters Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wurde dadurch auch zu seinem Problem. Er musste an seinem Vize festhalten, um sein Gesicht nicht Eine „Engel Aloisius“-Figur hängt in der Schwemme des Hofbräuhauses und erinnert die Besucher daran, dass der himmlische Bote einst hier versumpert ist. „Und so wartet die bayerische Regierung bis heute auf die göttlichen Eingebungen…“ (L. Thoma) zu verlieren. Geschwächt hat ihn die Causa dennoch. Hubert Aiwanger indes brachte es damit zu einer bundesweiten, ja sogar europaweiten Bekanntheit. Was genau war geschehen? Die Süddeutsche Zeitung hatte aufgedeckt, dass Aiwangers Bruder Helmut zu Jugendzeiten ein den Nationalsozialismus verharmlosendes Flugblatt produziert haben soll. Einige Exemplare waren dann auch in der Schultasche des kleinen Huberts gefunden worden. Welche Rolle der heutige Vize-Landeshauptmann bei der Verteilung ebendieser Flugblätter gehabt hatte, ist bis heute unklar. Er selbst spricht von „Erinnerungslücken“, die ihm selbst seine größtem Fans nicht abnehmen und trotzdem nicht übel nehmen. Ganz im Gegenteil. Durch die Debatte um seine Person sind Aiwangers Umfragewerte sogar gewachsen. Er wurde zum Symbol für eine Stimmung in der Gesellschaft, die mitunter problematisch anmutet: Dem Freistaat Bayern steht ein enormer Rechtsruck bevor. Zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler gaben in Umfragen an, entweder für die CSU (37 Prozent, wird mittig-rechts verortet), die Freien Wähler (15 Prozent, gelten zunehmend als rechtspopulistisch) oder die Alternative für Deutschland (14 Prozent, rechtsextrem, wird vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet) zu stimmen. Die Sozialdemokraten können derzeit nur mit einem einstelligen Ergebnis (9 Prozent) rechnen, die Grünen mit lediglich 15 Prozent und die liberale FDP muss hoffen, überhaupt in den Landtag (Fünfprozenthürde) einziehen zu können. Geringste Arbeitslosenquote Politologen führen vor allem emotionale Gründe für diese Entwicklung ins Feld. Es sei das Gefühl „das Erreichte ist bedroht“, das in der Bevölkerung Oberwasser gewinne und von Populisten gefeuert würde. Foto: IMAGO / Smith Lesen Sie hierzu auch den den FURCHE-Fokus „Bayern und Österreich: Der unheimelige Bruder“(25.3.2021) auf furche.at. „ Aiwanger spricht von ‚Erinnerungslücken‘, die ihm selbst seine Fans nicht abnehmen und trotzdem nicht übel nehmen. “ Rational ist die Unzufriedenheit im deutschen Süden kaum zu erklären. Bayern ist das Bundesland mit der zweitstärksten Wirtschaftsleistung (nach Nordrhein-Westfalen) und eine der wirtschaftlich stärksten und innovativsten Regionen Europas. Die Automobilindustrie (BMW, Audi), der Maschinenbau, die Chemiebranche, die Informationstechnologie und der Tourismus treiben das Bruttoinlandsprodukt regelmäßig in die Höhe: 2022 lag es bei 716.784 Millionen Euro. Auch hat Bayern die bundesweit geringste Arbeitslosenquote (zurzeit 3,4 Prozent) und liegt damit weit unter dem deutschen Durchschnitt von 5,7 Prozent (Österreich: 5,9 Prozent). Zudem ist Bayern in puncto Bildungspolitik in einer Vorreiterposition, nicht zuletzt, weil die Industrie hier stets Druck gemacht hat. Wer in Bayern maturiert und/oder studiert hat, erhält bis heute von vielen Arbeitgebern Vorschusslorbeeren. Um zu verstehen, warum der Standort Bayern so glänzend dasteht, lohnt sich ein Blick zurück: Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten Firmen wie Siemens und Audi aus der sowjetisch besetzten Zone nach Bayern um. Zugleich nahm das Land fast zwei Millionen Vertriebene aus dem Osten auf. Die bayerische Regierung erklärte der damaligen Besatzungsmacht USA, dass Bayern die Industriejobs brauche, um die einheimische Bevölkerung und die Neuankömmlinge zu ernähren. Die Amerikaner sahen daraufhin von größeren Demontagen ab und die bayerische Industrie konnte schnell an die Produktion der Vorkriegszeit anknüpfen. Was den Grant auslöst Warum also konnte sich „rechts“ von der CSU genau jene offene Flanke etablieren, die Franz Josef Strauß immer verhindert wollte? (Dessen Mantra lautete: „Rechts von der CDU/ CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“) Weil der Erfolg von AfD und Freien Wählern, so unterschiedlich die Parteien sind, auf ähnlichen Faktoren basiert: Es geht gegen „die da oben“, gegen das Establishment. Es geht aber auch um die Ablehnung von allzu viel gesellschaftspolitischem Fortschritt. Bei der AfD ganz grundsätzlich: Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner fordert etwa getrennte Volksschulklassen von Muttersprachlern und Kindern mit Sprachproblemen sowie den sofortigen Rauswurf aller abgelehnten Asylwerber. Bei den Freien Wählern gibt es Politiker von der Sorte Hubert Aiwangers, die Reden wie diese in den Bierzelten schwingen: „Cowboy und Indianer sind ja jetzt rassistisch. Unsere Kinder dürfen sich nicht mehr als Indianer anziehen, dürfen aber zu Dragqueen-Lesungen gehen und sich als Dragqueen anziehen.“ Oder: „Hätten unsere Eltern und Großeltern nicht die Städte aufgebaut und die Straßen, dann könnten sich diese Klimaleute nicht hinkleben.“ Viele Bayerinnen und Bayern hören einfach zu gerne aus Politikermündern, was sie selbst am Stammtisch so daherreden und was bei ihnen einen Grant auslöst. Da macht man schon mal eine Gaudi über Sachverhalte, die in Wahrheit bierernst angegangen werden müssten. Die XXL-Nachbildung vom „Engel Aloisius“ in der historischen Schwemme des Münchener Hofbräuhauses, die auf die Wirtshausbesucher aus aller Welt herunterschaut, ist schon auch ein Symbol für diese mitunter weitverbreitete Ignoranz, die sich bald einmal rächen könnte. Auf die göttlichen Eingebungen zu setzen, wäre naiv. Die werden freilich weiter auf sich warten lassen.
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