DIE FURCHE · 40 24 Ausstellung 5. Oktober 2023 Ohne Scheu In rund 120 Fotografien in Schwarzweiß und Farbe sowie einer Videoarbeit zeigt das Foto Arsenal Wien die überwiegend in Ost-Berlin, Dresden und Leipzig entstandenen Arbeiten der Dokumentarfotografin Gundula Schulze Eldowy (*1954), wie hier Dresden 1989. Von Wenzel Müller FEDERSPIEL Eine neue kulturelle Institution startet mutig: Das Foto Arsenal Wien präsentiert mit Gundula Schulze Eldowy eine weithin unbekannte Fotografin, die in ihrem Heimatland DDR Publikationsverbot hatte. Blick hinter die Mauern Am Eingang eine sogenannte Triggerwarnung: Manche Bilder der Ausstellung könnten auf einige Besucher womöglich „(re)traumatisierend“ wirken. Zu sehen bekommen sie: nackte Menschen, abgemagerte Tiere, verkrüppelte Patienten. Gezeigt wird, so kann man es auch nüchtern ausdrücken, die weniger schöne Seite des Lebens. Immerhin ist kein Foto gestellt, keines manipuliert. Die Kamera wurde vor allem auf die sich hinter Mauern verbergende Wirklichkeit gerichtet: In den Entbindungsstationen, den Schlafzimmern, den Schlachthöfen, den Spitälern. Autorin der Fotoarbeiten: Gundula Schulze Eldowy. Mit ihr bestreitet das Foto Arsenal Wien seine Eröffnungsausstellung „Schattenwinde“ im MuseumsQuartier, das noch so lange vorübergehender Standort ist, wie die Bauarbeiten am eigenen Haus andauern. Gundula Schulze Eldowy? Selbst für Fotoeingeweihte ein weithin unbekannter Name. Und das hat einen einfachen Grund. Armutszeugnis Freizeitquote Die Freizeitquote erhöhe sich nicht einmal bei Frauen, die keine Betreuungspflicht hätten, sagt der Kanzler. Hm. Fast nur Männer im Bild. Gläser mit Weißwein. Brötchen. Der Tenor klar: Wer mehr verdienen will, soll arbeiten gehen. Wer arbeitet hat Geld. Hm. Frauen ohne Betreuungspflicht. Die hätten viel Freizeit. Denkt der Kanzler. Aber ihre Freizeitquote erhöhe sich nicht. Hm. Wie löst er das Paradoxon? Simpel: Frauen ohne Betreuungspflicht arbeiten, erhöhen ergo ihre Freizeitquote nicht, sind ergo nicht arm. Die Männer im Video sind nicht armutsgefährdet. Sie wirken auch nicht hungrig, haben zu wenig Freizeit für gesunde Bewegung. Die kostet natürlich was. Zeit zumindest. Die wird geopfert, für den Kanzlerauftritt. Was kostet dieser? Das Setting, wie ein Partykeller. Gelächter, Zwischenrufe, hysterische Affirmation. Die Aufnahme ist übersteuert, knistert. Wir müssen mehr als wachsam sein, sonst komme die DDR-Wirtschaft, dann würden die Kalorien berechnet für jedes Kind und die Qualität der Nahrung bestimmt. Hm. Viele Jahre hat die Fotografin, 1954 in Erfurt geboren, fast ausschließlich für ihr eigenes Archiv gearbeitet. Denn ihre Arbeiten passten nicht in die offizielle Bildwelt ihres Heimatlandes DDR. Sie hatten nichts Strahlendes, nichts Hoffnungsvolles, nichts, was von Vielleicht ein modifizierbarer Ansatz für einen demokratischen Sozialstaat? Der Burger und die Pommes Frites für Elternteile, die keine warme Mahlzeit beschaffen können. Die Kamera schwenkt kurz zur Decke. Das Licht färbt die Gesichter teigig. Kaufkraft, Inflationsbereinigung schwirren als Selbstlob. Blasse Blumen in den Vasen. Häppchen ab in die Münder. Sozialpartnerschaftliches Verhandeln mit Angeboten für die Lohnabschlüsse. Usw. Teilzeit. Arbeitslose. Arbeitsplätze. Arbeitsverweigerung. Beirat. Wir sind alles gelernte ÖVPler, wir wissen was Leiden heißt. Was meinte der ÖVP-Kanzler damit? Den Fake seines Vorbildes Figl, der seinen Satz „Österreich ist frei“ erst am Totenbett 1965 auf Tonband gesagt hat? Meint er Figls KZ-Geschichte? Das ist schwere Verharmlosung. Ein Wirklichkeitsverweigerer heutiger Armut ist er. Die Autorin ist Schriftstellerin. Von Lydia Mischkulnig Foto: © Gundula Schulze Eldowy der machtvollen Überlegenheit des Sozialismus kündete ‒ wie es die Machthaber aber wünschten. Erst jetzt, lange nach dem Untergang der DDR, werden ihre Arbeiten entdeckt. Es spricht für den Mut des Direktors des Foto Arsenal Wien, Felix Hoffmann, dass er mit einem weitgehend unbeschriebenen Blatt startet. Er hätte ja auch einen oder eine der weltweiten „ Zu überzeugenden Aufnahmen, so ihr Credo, gelangt man nur, wenn man sich mit einem Ort bestens vertraut macht bzw. mit einer Person. “ Fotogrößen nach Wien holen können. Dann wäre ihm Aufmerksamkeit gewiss gewesen. Doch diesen Weg, den man nach dem Vorgehen des Albertina-Direktors den Albrecht-Schröder-Weg nennen könnte, wollte er offenbar nicht gehen. Ihm ist mehr daran gelegen, gerade jetzt, da die Fotografie immer mehr den Kunstbetrieb erobert und zu selbstreferenziellen Neigungen tendiert, wieder zu ihren Anfängen zurückzukehren: zur visuellen Erfassung der Welt. Und damit auch zu einer Art Zeitdiagnose. Ein Verdienst von Schulze Eldowy liegt darin, dass es ihr ein ums andere Mal gelungen ist, eine Fotoerlaubnis in den von ihr besuchten Institutionen zu erhalten. Und dass sie sich dann jeweils alle Zeit nahm, diese Institutionen genau zu erkunden. Rein und schnell ein paar Fotos gemacht, dann wieder raus, zum nächsten Ort, das war und ist nicht ihre Art. Zu überzeugenden Aufnahmen, so ihr Credo, gelangt man nur, wenn man sich mit einem Ort bestens vertraut macht beziehungsweise mit einer Person. Besonders eindrucksvoll ist in dieser Hinsicht ihre Serie über Tamerlan, so nennt sie eine ältere Dame, die sie eines Tages in einem Park in Berlin kennenlernte. Über Jahre begleitete Schulze Eldowy sie, die allmählich zur Freundin wurde, mit der Kamera, auch bis ins Altersheim und schließlich ins Krankenhaus. Auf einem Foto sehen wir Tamerlan nackt auf einem Krankenhausbett sitzen, mit zwei Stümpfen. Die Unterschenkel wurden ihr abgenommen. Mit festem Blick, ohne jede Scham, schaut die alte Frau in die Kamera. Ein eindrucksvolles Foto, Resultat eines großen Vertrauensverhältnisses. Fürsprache zum Erfolg Auch wer sich der dokumentarischen Fotografie verpflichtet fühlt, versteht sich in der Regel als „Künstler“. Mit der einfachen Wiedergabe der Wirklichkeit ist es nicht getan, vielmehr sucht er oder sie jene so ins Bild zu setzen, dass die Aufnahme schön ist, berührt, überzeugt, Staunen macht, was auch immer ‒ in jedem Fall den Betrachter nicht kalt lässt. Ihn haben Schulze Eldowys Bilder nachweislich überzeugt, in den 1980er Jahren, als er sie bei einem Besuch in Ost-Berlin zu sehen bekam: Robert Frank. Den großen amerikanischen Fotografen (mit Schweizer Wurzeln). Er war es auch, der sie, Schulze Eldowy, nach dem Fall der Mauer zu sich nach New York einlud. Wahrscheinlich hat sie ihren Erfolg (und späten Durchbruch) vor allem seiner Fürsprache zu verdanken. Denn allein mit einem überzeugenden Werk schafft man den üblicherweise nicht. Foto Arsenal Wien Schattenwinde von Gundula Schulze Eldowy Gegenüber im kleineren Raum: Mine and Yours von Mari Katayama MQ Freiraum Museumsplatz 1, 1070 Wien Täglich außer Montag 11‒19 Uhr Bis 19. November 2023 www.fotoarsenalwien.at
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