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DIE FURCHE 05.10.2023

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DIE FURCHE · 40 14 Diskurs 5. Oktober 2023 ERKLÄR MIR DEINE WELT Sie können stolz auf sich sein Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Herzlichen Glückwunsch zu ihrem ersten Hörgerät! Ich habe Ihren ersten Absatz mit Genuss gelesen. Wie lange habe ich mit meiner Oma verbal gekämpft, um sie von einem kleinen Hörhelfer zu überzeugen? Missmutig hat sie sich einen Hörapparat anfertigen lassen. Das war vor mindestens fünf Jahren, seitdem schlummert er beinahe ungetragen im Küchenkasterl. Ja, und ich laufe fast rot an beim Versuch, mit meiner Oma ein Gespräch zu führen. Naja, ich sehe es als Stimmtraining für mich. Was ich damit sagen möchte: Sie können stolz auf sich sein. Ich verstehe es bis heute nicht, „ Ich gestehe, als Kind wollte ich immer ein ‚Vierauge‘ sein. Und eine Zahnspange wollte ich auch, weil die coolen älteren Jugendlichen Brackets hatten. “ warum man sich vor einem Hörgerät schützen möchte. Wie Sie schreiben, gegen Brillen haben die meisten Menschen keine Vorurteile. Ich gestehe, als Kind wollte ich immer ein „Vierauge“ sein. Und eine Zahnspange wollte ich auch, weil die coolen älteren Jugendlichen Brackets hatten. Auf meine Brille würde ich heute gerne verzichten. Egal, welches Modell ich in den letzten Jahren hatte, die Bügel drücken hinter meinen Ohren, oft so stark, dass ich davon Kopfschmerzen bekomme. Und da meine Augen staubtrocken sind, werden Kontaktlinsen schnell zur Qual. Ein zartes, hübsches Gadget, wie das Hörgerät meiner Oma, würde ich dem lästigen Gestell vorziehen. Genug der Suderei, ich bin heute leider sehr müde, entschuldigen Sie bitte. Müll im Körper Auf meinem Herd brodeln gerade die „Bohnschadln“. Ich war schockiert, drei Euro hat eine Schale gekostet. Mich macht das wütend. Ja, sicher will ich bio und regional einkaufen, aber das ist schon wirklich alles teuer. Vor ein paar Tagen ist mir bewusst geworden, wie viel Müll eigentlich durch meinen Körper spaziert, wenn ich nicht auf die Herkunft oder Anbauweise achte. Genauer gesagt ist es mir bewusst geworden, als ich mit einer meiner Freundinnen gesprochen habe, die plötzlich ein Kind hat. Aus heiterem Himmel kam der Säugling natürlich nicht zu ihr, aber für mich war es plötzlich. So ein erwachsenes Leben mit Kind und Kegel, wie kann man sich das nur leisten?! Nun gut, zurück zur Ernährung und zu meiner Freundin. Sie ist eine positive und enthusiastische Person, aber beim Kochen in der Küche verliert sie ihre Nerven. Wie es die Geschlechterrollen so wollen (und auch meine Freundin, die mit diesen sozialisiert wurde), ist sie nun für das optimale (kulinarische) Heranwachsen zuständig. Koste es, was es wolle Nachdem sie zahlreiche Bücher verschlungen hatte, erzählte sie mir also am Telefon von den potenziellen Gesundheitsschäden durch Pestizide. Fazit: Ran an das giftfreie Gemüse und Obst aus ökologischer Landwirtschaft. Koste es, was es wolle. Und zumindest momentan kann ich es mir ja noch leisten. Vielleicht erahnen Sie, worauf ich hinaus möchte. Leider kann ich meinen Ekel vor den herablassenden und klassisischen Aussagen gegenüber armutsgefährdeten und armutsbetroffenen Personen nicht verbergen. Und wenn ich ehrlich bin, will ich das auch nicht. Dabei belasse ich es für heute, meine Fisolen sind fertig! Ich fürchte ja. Die Argumente, man würde damit Herbert Kickl den roten Teppich ausrollen und gewisse Vorhaben der Regierung – vor allem jene zum Klimaschutz, zur Pflege, zur Kinderbetreuung – fahrlässig stoppen, sind zu schwach. Zu Kickl: Laut Umfragen würde die FPÖ derzeit stärkste Partei werden. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung, dass sich politische Stimmungslagen auch drehen können. Das Damoklesschwert eines „Kanzler Kickl“ könnte auch Kräfte mobilisieren. Man sollte die Zivilgesellschaft in Österreich nicht unterschätzen. Es ist durchaus möglich, dass sich unterschiedlichste Gruppierungen formieren, um gemeinsam gegen eine Orbanisierung Österreichs vorzugehen. Angefangen von den Glaubensgemeinschaften, über soziale Verbände, NGOs, Schüler(innen)vertretungen, Elternverbände bis hin zur Kulturszene. Auch wären die Sozialdemokraten (aber auch die Neos) gezwungen, sich ins Zeug zu legen. Mitnichten halte ich Andreas Babler für den Traumkanzler schlechthin – aber er ist ein Menschenfreund, lernfähig, motiviert und vor allem keine Gefahr für das Land. Letzteres gilt auch für Karl Nehammer. Aber: Dass die ÖVP bei der vergangenen Nationalratswahl so stark war, ist nicht ihm, sondern Sebastian Kurz zu verdanken. Ein Teil der Wählerschaft lag dessen Inszenierung auf. Seine Versprechungen haben sich bekanntlich in Schall und Rauch aufgelöst. Karl Nehammer war nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und LASS UNS STREITEN! Zeit für Neuwahlen? Der Burger-Sager des Bundeskanzlers, Besuche des FPÖ-Ideologen Andreas Mölzer bei den Taliban und die geleakten Strategiepapiere von SPÖ und ÖVP: In der österreichischen Innenpolitik geht es Schlag auf Schlag. Nicht etwa, wenn es darum geht, Gesetze oder Reformen auf den Weg zu bringen. Die Parteien befinden sich längst im Wahlkampf. Doch sind Neuwahlen überhaupt gesellschaftlich zu verantworten? Wenn sich Politiker im permanenten Wahlkampf befinden, lassen sich keine langfristigen Maßnahmen etwa gegen den Klimawandel oder zur Lösung der EU-weiten Aufnahme von Schutzsuchenden finden. Ebenso wird die österreichische Gesellschaft im politischen Diskurs Zeuge, oder Zeugin, von immer extremeren Positionen. Dabei ist es die Aufgabe von Politikern, Mehrheiten zu finden und Kompromisse einzugehen. Ein Politiker spricht im Wahlkampf anders, als er dies nach seies wird langsam Zeit, dass man in Frage stellt, ob dieser Ort der richtige für ihn ist. Zum Argument, man solle die Regierungsarbeit nicht unterbrechen: Neuwahlen bedeuten schließlich nicht, dass übermorgen gewählt wird. Davor geht ein langer und mühsamer Wahlkampf vonstatten. Die Regierungsparteien würden vermutlich sogar punkten, wenn sie zeigten, dass sie trotz Wahlkampf ihre Arbeit fortführen können und nicht aus machttaktischen Gründen Reformen verweigern. Es stimmt schon, das ist unwahrscheinlich – was die Regierungsverantwortlichen wiederum einmal mehr entzaubern würde. Übrigens allen voran die Grünen, bei denen immer weniger klar wird, für was sie eigentlich stehen. Ihnen scheint es vorrangig darum zu gehen, an der Macht zu bleiben. Ein Wahlkampf, innerhalb dessen sie sich klar positionieren müssten, dürfte (nicht nur) der Partei gut tun. (Brigitte Quint) ner Angelobung tut. Auch, wenn der Burger-Sager von Bundeskanzler Karl Nehammer, wie viele schreiben und ich auch meine, gesellschaftlich nicht vertretbar und seines Amtes nicht würdig ist, können Neuwahlen nicht immer die Lösung sein. Wenn wir uns Länder wie Großbritannien oder Italien ansehen, die sehr kurze Regierungszeiten und häufige Wechsel an der Spitze vorweisen, dann lässt sich auch eine Politikverdrossenheit wahrnehmen. Erst vergangenen Montag wurde ein Verlangen der ÖVP nach einem Untersuchungsausschuss versehentlich öffentlich, der neben SPÖ und FPÖ auch den eigenen Koalitionspartner, die Grünen, im Visier hat. Die ÖVP bestätigte zwar die Echtheit des Entwurfs, betonte aber, dass „aktuell“ kein solcher U-Ausschuss geplant sei. Die Grünen zeigten sich erstaunt und verschnupft. Doch angesichts von Inflation, Fachkräftemangel oder der Frage der sozialen Ungleichheit, gäbe es genug Themen, denen sich Politiker und Politikerinnen widmen können. Selbstverständlich gibt es aus der Sicht der Parteien Interessen, die für oder gegen Neuwahlen sprechen. Laut Umfragen könnte die FPÖ stark zulegen, wenn es jetzt Neuwahlen gäbe. Die ÖVP könnte hingegen verlieren. Aus Sicht der Parteien macht der aktuelle Wahlkampfsprech also auch Sinn. Aber nur aus Sicht der Parteien. Die Wählerinnen und Wähler möchten Lösungen und Mehrheiten und keine weitere Krisenstimmung in einem Dauerwahlkampf. (Manuela Tomic) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Philipp Axmann, Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.), Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 298,– Uniabo (Print und Digital): € 120,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger 01 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417

DIE FURCHE · 40 5. Oktober 2023 Diskurs 15 Warum es unvernünftig ist, FPÖ-Chef Herbert Kickl und seine Wählerschaft in die faschistische Beschämungsecke abzukommandieren – und was sinnvoller wäre. Ein Gastkommentar. Die gefährlichen Folgen der Selbsterhöhung Die FPÖ schwimmt mit ihren 30 Prozent (in Umfragen) auf einer Vertrauensverlustwelle, welche die vielfach als abgehoben und korrupt wahrgenommene Regierung ebenso zu überrollen droht wie die Medien. Dieser Vertrauensverlust ist die Kehrseite jener Veränderungserschöpfung, die längst relevante Wählerteile erfasst hat. Ausgelöst wurde sie durch die Anforderungen einer ethnisch und kulturell diverser werdenden Gesellschaft, durch die Lasten, die das Ende fossiler Energien mit sich bringt – und durch eine als entgleisend erfahrene Asylpolitik. Die Teuerung und der Krieg in der Ukraine treiben den Vertrauensverlust noch weiter an. Medien geben nicht bloß den Brandbeschleuniger bei – oft fragwürdigen – Korruptionsvorwürfen. Als Folge dessen, wie sich heute Medienmitarbeiter in Information und Unterhaltung rekrutieren – nämlich im Durchschnitt links der Gesamtbevölkerung – und in Folge woker Gender- und Identitätspolitik hat sich in vielen Medien (ebenso im ORF) ein Ton der moralisierenden Dauerbelehrung und der selbstgefälligen Verachtung für jene breit gemacht, die angeblich mit dem Fortschritt nicht mehr Schritt halten können. Auch liegt vielen Grünpolitikern die moralische Selbstüberhöhung nahe. Was Veränderungserschöpfung und Vertrauensverlust weiter verstärkt. Unterschätzte Veränderungserschöpfte Man unterschätzt die Erschöpften. Nach Umfragen ist die gleichgeschlechtliche Ehe selbst von der Mehrheit der AfD-Wähler akzeptiert. Aber viele nervt die Belehrung bis ins Unterhaltungsprogramm, wie man als Spießer Homosexuelle weiter benachteilige und nur Genderstern & Co der sozialen Diskriminierung Transsexueller ein Ende machen können (was sozial naiv ist). Vielen rechts der Mitte ist wohl auch das Ende fossiler Energien klar, doch wüssten sie gern, wie die Heizungsumstellung real funktionieren soll – und sie bezweifeln, dass Europa allein die Welt vom CO₂-Ausstoß befreien kann. Unterschätzt wird ebenso, wie weit eigene Kollegen sowie Mitarbeiter mit Migrationshintergrund (etwa in Krankenhäusern) längst akzeptiert sind. Foto: Privat Aber weniger Verständnis herrscht, wenn die Forderung nach Integration (was die Genannten regelmäßig erfüllen) als diskriminierender Sprachexzess verurteilt wird; oder wenn es keine Lösung für Schulen gibt, die durch zu viele nicht-deutschsprachige Kinder überfordert sind; oder wenn Maßnahmen gegen islamistische Propaganda fehlen; oder wenn jene als Fremdenfeinde gebrandmarkt werden, die ein Asylsystem kritisieren, in dem tatsächlich 70 Prozent der Asylanträge (laut Verfahrensstatistik für Österreich 2022) unberechtigt sind, aber falsche Anträge oft das Bleiben ermöglichen. Ganz unrichtig ist der Eindruck DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Aurelius Freytag „ Jungen ist die Nazikeule egal. Aber jene, die sich darob verachtet fühlen, treibt sie noch mehr in Kickls Lager. “ ideologischer Wirklichkeitsverweigerung also nicht – oder von Eliten, die zwar der eigenen Gesinnung gerecht werden wollen, nicht aber ihrer Verantwortung und manchen Fakten, deren Einwurf sie mit Verachtung quittieren. Es wäre nun Schönfärberei, die gefährlichen Folgen der Veränderungserschöpfung zu ignorieren: den Abschied in dubiose Social Media Kanäle von FPÖ-TV bis zu Telegram; und das Sprießen von Verschwörungsmythen, die den Vertrauensverlust und die Wut darüber, verachtet zu werden, antreiben (was wiederum – ein Teufelskreis – die moralisierende Selbsterhöhung der Gegenseite munitioniert). Hier schlagen dann Schwierigkeiten mit Teilen der Migrationspolitik in blanken Fremdenhass um, Abneigung gegen Gendersprache in perverse Gewaltphantasien gegen Homo- und Transsexuelle, fehlende Unterstützung bei der Heizungsumstellung in Prügeln von Klimaklebern. Auch Antisemitismus sprießt. Um Regierung und Medien auszurichten „ihr könnt mich mal“, wird die FPÖ gewählt. Sie ist nicht bloß für Veränderungserschöpfte, sondern auch für Verschwörungstheoretiker offen. Seltsames Video, einfältige Reaktionen Die Reaktion einer erheblichen Zahl von Medien darauf ist, die Wähler der FPÖ ins faschistische Eck zu stellen, teils mit einfältigen Argumenten. Ein seltsames Video der freiheitlichen Jugend wurde kürzlich als Feier Adolf Hitlers geframt, der vom Heldenplatzbalkon Österreich heim ins Reich hole. (Vermutlich wollte die FPÖ-Jugend aber auf Prinz Eugen als Vorbild zur Vertreibung der Türken verweisen. Gefährlicher Unsinn, doch ein anderer.) Damit konfrontiert, reagierte Kickl genüsslich schnurrend wie ein Kater. Guten Gewissens kann er Sehnsucht nach Großdeutschland leugnen. Wie den Vorwurf, die Demokratie beseitigen zu wollen. Denn er liebt Wahlen. Jungen ist die Nazikeule egal. Ihnen liegt die Nazizeit fern wie die Steinzeit. Aber jene, die sich darob verachtet fühlen, treibt sie noch mehr in Kickls Lager. Von vermeintlich korrupten Eliten verachtet zu werden, ist Teil ihrer Identität. Der FPÖ wird damit kein Wähler abspenstig gemacht. Soll die FPÖ nicht stärkste Partei werden, muss man die Anliegen und Sorgen der Veränderungserschöpften ernstnehmen. Das verlangt nicht, ihnen überall zu folgen. Aber man muss mit ihnen ins Gespräch treten. Staatliches Geld auszuschütten, hilft hingegen wenig. Man muss ihnen auch sagen, dass die FPÖ für sie nur Wut, aber keine Lösungen hat. Das holt nicht alle Verschwörungstheoretiker zurück – doch womöglich einen Teil jener, die mit ihrer FPÖ-Stimme einer misstrauten Regierung den Mittelfinger zeigen. Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner von Eversheds Sutherland. ZUGESPITZT Neue olympische Disziplinen Der Text der französischen Nationalhymne wird in Paris dieser Tage gelebt. „Aux armes, les citoyens“, werden die Bürger zum Handeln aufgerufen – gegen die etwa sieben Millimeter langen unerwünschte Mitbewohner: Die Bettwanze hat sich in der französischen Hauptstadt häuslich eingerichtet. Sie loszuwerden, gerät zur neuen olympischen Disziplin – immerhin steht das sportliche Großevent unmittelbar vor der Türe. Was den Umgang mit den kleinen Krabbeltierchen betrifft, ist Österreich bereits voraus. Die Bettwanzen in Wiener Altersheimen oder den Nightjets der ÖBB sind längst vergessen. Denn Schuld daran waren sowieso die vielen Reisenden, die die Tiere aus dem Ausland mitgebracht hatten. Wer vorhat, demnächst nach Frankreich zu reisen, braucht sich allerdings keine Sorgen machen, möglicherweise ungebetene Gäste mitzubringen. Qualifizierte Zuwanderer sollen laut ÖVP-Ministerin Raab künftig bereits vor ihrem Umzug auf ein Leben in Österreich vorbereitet werden. Und qualifiziert haben sich die Bettwanzen in Paris zumindest in einer weiteren olympischen Disziplin: Sie ärgern die Politik. Wer weiß, vielleicht schaffen sie es damit zumindest für kurze Zeit von einer sonst nur allzu tristen Nachrichtenlage abzulenken. Victoria Schwendenwein PORTRÄTIERT Physiker in der Attosekunden-Welt Wie bewegen sich Elektronen, die negativ geladenen subatomaren Teilchen, die zweifellos zu dem gehören, was die Welt im Innersten zusammenhält? Jedenfalls ultraschnell – so rasant, dass es viel Einfallsreichtum brauchte, um diese Bewegungen sichtbar zu machen. Ferenc Krausz ist das gelungen, gemeinsam mit einem Team an der Technischen Universität (TU) Wien. 2001 kam der Durchbruch, als der ungarisch-österreichische Physiker extrem kurze Lichtblitze erzeugen und auch messen konnte. Es waren Laserpulse im Attosekunden-Bereich, die erstmals solche Einblicke ermöglichten. Zur Veranschaulichung: Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstel-Sekunde. Seither konnte Krausz zahlreiche Echtzeit-Filmaufnahmen dieser „Elektronendynamik in Materie“ herstellen. Für seine experimentelle Kreativität wurde der 61-jährige Forscher nun mit den Physik-Nobelpreis ausgezeichnet – gemeinsam mit dem in den USA tätigen Physiker Pierre Agostini und der in Schweden arbeitenden Physikerin Anne L’Huillier. Obwohl Krausz spätestens seit 2015 als Nobelpreis-Favorit gehandelt wurde, war er dann doch überwältigt: „Ich versuche zu realisieren, dass das Realität ist und kein Traum“, sagte der Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Dienstag kurz nach der Preisverkündung. Nach dem Studium in Budapest war Krausz an die TU Wien gewechselt, wo er in Quantenelektronik promovierte und später auch seine grundlegenden Studien durchführte. Es folgten die Habilitation (1993) und eine ordentliche Professur in Wien (1999). Auf Basis seiner Arbeit sind neue Forschungsbereiche entstanden, etwa eine hochauflösende Mikroskopie, die auch Organismen durchleuchtet. Die praktischen Anwendungen reichen von der Entwicklung leistungsstärkerer Computer bis zu innovativen Diagnoseverfahren in der Medizin. Krausz leitet heute mehrere Forschungszentren, darunter das Max-Planck Institut für Quantenoptik im bayerischen Garching. Aufgrund seiner Doppelstaatsbürgerschaft ist er bereits der fünfte österreichische Physik-Nobelpreisträger – zuvor waren Erwin Schrödinger (1933), Victor F. Hess (1936), Wolfgang Pauli (1945) und erst im Vorjahr Anton Zeilinger geehrt worden. Der Preis ist heuer mit umgerechnet 926.000 Euro dotiert. Übergeben wird die höchste wissenschaftliche Auszeichnung alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. (Martin Tauss) Foto:ÖAW / APA-Fotoservice / Martin Hörmandinger Der ungarischösterreichische Physik-Nobelpreisträger Ferenc Krausz (61) hat grundlegende Forschung an der TU Wien durchgeführt.

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