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DIE FURCHE 05.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 36 22 Wissen/Ethik 5. September 2024 Daten für die Ewigkeit Services, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) Tote „zum Leben erwecken“ wollen, sind auf dem Vormarsch. Der Film „Eternal You“ begleitet die Pioniere und ersten Nutzer dieser Technologien. DIE FURCHE: Der Film zeigt deutlich, dass mit Künstlicher Intelligenz und virtueller Realität eine neue Erinnerungskultur entsteht. Die Szenen stammen allerdings aus den USA und dem Fernen Osten, wo es bereits eine große Affinität zu Robotern gibt. Welche Chancen geben Sie dem Vormarsch der „Digital Afterlife“-Industrie in Europa? Macho: Ich vermute, dass es in Europa – vielleicht mit zeitlichen Verzögerungen – ähnlich funktionieren wird wie in China, Japan oder den USA. In gewisser Weise sind Erinnerungskulturen in Europa vielfältiger und ausgeprägter als in anderen Weltregionen. Denken Sie nur daran, wie viele Personen ein Heldendenkmal erhalten haben! Vor kurzem habe ich an einer Tagung über neue Friedhöfe teilgenommen und da haben wir auch davon gesprochen, dass es neuerdings üblicher wird, Grabsteine mit QR-Codes auszurüsten, sodass man eine letzte Botschaft des Verstorbenen via Handy abrufen kann. Das sind aktuelle Phänomene, die direkt an ältere Formen von Erinnerungskultur anschließen, zum Beispiel die Partezettel oder Erinnerungskarten, die man bei einer Beisetzung erhält. Das Gespräch führte Martin Tauss You“ ist ein Erlebnis: Der Dokumentarfilm erzählt in einprägsamen sowie aufwühlenden Szenen „Eternal vom „Ende der Endlichkeit“ – ermöglicht durch die neuesten Entwicklungen in Künstlicher Intelligenz und virtueller Realität (siehe dazu die Filmkritik auf Seite 23). DIE FURCHE bat Thomas Macho um eine Einordnung: Der renommierte Kulturwissenschaftler, der sich wissenschaftlich vielfältig mit dem Ende des Lebens auseinandergesetzt hat , wird anlässlich der Film-Premiere bei einer Panel-Diskussion am 9. September im Wiener Topkino über die im Film aufgeworfenen Fragen diskutieren (siehe Hinweis auf S. 23). DIE FURCHE: Herr Professor Macho, ein Überthema von „Eternal You“ ist die Erschaffung künstlicher Personen, die – wie es im Film heißt – mit einem uralten Menschheitsprinzip gebrochen haben: Sie kommen auch als Tote zurück zu uns … Thomas Macho: Faszinierend ist, wie weit die Praxis der Kommunikation mit Toten in der Menschheitsgeschichte zurückreicht. Bereits in der Alten Welt waren die Geister der Ahnen auch im Alltag präsent. Zugleich war es niemals einfach, ein ewiges Leben zu imaginieren. Noch im Mittelalter haben Theologen darüber gestritten, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen oder wie ein verklärter Leib aussieht. Heute lesen wir selbstverständlich Bücher, die von Menschen verfasst wurden, die inzwischen gestorben sind. Meine Frau ist Übersetzerin. Kürzlich hat sie zu mir gesagt, wie froh sie sei, jetzt wieder ein Buch übersetzen zu dürfen, das nicht von einem toten Autor stammt. Wir fragen uns nur selten, ob die Stimmen, die wir beim Lesen hören, von Lebenden oder Toten stammen. Dabei sind wir umgeben von Bildern und Stimmen gestorbener Personen, die uns weiterhin begegnen. DIE FURCHE: Haben Sie eine Anekdote aus Ihren eigenen Lektüre-Erfahrungen? Macho: Ich habe kürzlich ein Buch von Sylvie Weil gelesen, der Tochter des berühmten Mathematikers André Weil und Nichte der Philosophin Simone Weil (Anm.: „André und Simone – Die Familie Weil“; 2010). Da erzählt Sylvie in einem Kapitel beiläufig, Siehe auch das Interview mit Thomas Macho über Suizid: „Wir müssen lernen, darüber zu reden“ (2.11.2017), auf furche.at. Die uralte Sehnsucht, mit Toten in Verbindung zu treten, wird nun in neuem Maßstab umgesetzt: Philosoph Thomas Macho über die aufstrebende „Digital Afterlife“-Industrie. „Epiphanie im virtuellen Raum“ dass ihr 1998 verstorbener Vater sie nach wie vor häufig anrufe; seine Stimme erkenne sie sofort. Einmal soll er zu ihr gesagt haben: „Hol mich da raus, mich widert´s an.“ Das ist eine frappierende Parallele zum Film, in dem eine Frau mit ihrem verstorbenen Partner chattet. Doch als Sylvie Weil ihre Anrufe erlebt hat, gab es noch gar keine „Digital Afterlife“-Industrie! „ Wie wollen wir durchsetzen, dass wir irgendwann aus der Welt des Imaginären verschwinden? Können wir uns auf ein Recht berufen, ,gelöscht‘ zu werden? “ DIE FURCHE: Der Wunsch nach einer Begegnung mit Verstorbenen wird nun in einem neuen technologischen Umfeld verwirklicht. In einer stark kapitalistischen Kultur gibt es allerdings die berechtigte Sorge, dass diese uralte Sehnsucht kommerziell ausgebeutet wird – im Film ist bereits vom „Todeskapitalismus“ die Rede … Macho: Dieses Missbrauchspotenzial wird in der Filmdokumentation deutlich dargestellt – und zwar spätestens an der Stelle, an der darüber gesprochen wird, wem eigentlich die Daten, Stimmen und Bilder gehören, mit deren Hilfe die Verstorbenen so scheinbar lebendig gemacht werden. Diese Unklarheit bleibt ein zentrales, noch ungelöstes Problem in der KI-Debatte. Eine Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass Kapitalismuskritik und das Eintreten für strenge Urheberrechte kaum kompatibel sind. Zudem fragen wir, wie man eine missbräuchliche Verwendung von Daten nach dem Tod verhindern kann. Wie wollen wir durchsetzen, dass wir irgendwann aus der Welt des Imaginären verschwinden? Können wir uns auf ein Recht berufen, „gelöscht“ zu werden? Diese Frage wird zumindest in der EU zunehmend mit „Ja“ beantwortet. DIE FURCHE: Wenn in der virtuellen Realität der Kontakt zu Verstorbenen einmal hergestellt ist, könnte es schwer werden, diesen wieder abzubrechen. Für die Firmen, die solche hochemotionalen VR-Erfahrungen anbieten, wäre es ein gefundenes Fressen, wenn die Kunden von ihren Dienstleistungen abhängig werden. Wie beurteilen Sie die Suchtgefahr der „Digital Afterlife“- Angebote? Macho: Natürlich ist das Suchtrisiko hoch. Allerdings ist dieses Suchtrisiko älter als die neuen Kommunikationstechnologien. Ich selbst bin zum Beispiel seit meiner frühen Kindheit ein „lesesüchtiger“ Mensch. Gut möglich, dass ich in einer Woche bis zu acht Bücher verschlinge. Natürlich funktioniert das Lesen anders als das „Hängenbleiben“ in einer virtuellen Realität oder in den Chats der sozialen Medien, aber im Prinzip entspringt es ebenfalls einer Suchtdynamik. Wir müssen daher auch fragen, wie wir den Suchtbegriff möglichst differenziert in Forschung und Alltag verwenden können. Foto: Jan Dreer für IFK Wien Foto: filmdelights Thomas Macho war u. a. Direktor des Int. Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK). DIE FURCHE: Die religiöse Dimension der neuen Technologien ist ein großes Thema: „Künstliche Intelligenz ist eine moderne Form der Transzendenz“, sagt die Soziologin Sherry Turkle im Film. Stimmen Sie zu? Macho: Der größte Unterschied zwischen den neuen Technologien und den traditionellen Religionen besteht darin, dass Religionen zu scheitern beginnen, sobald sie nicht mehr auf einen Korpus von Ritualen und Praktiken bezogen werden. Wichtiger als alle Erzählungen, als alle heiligen Schriften, erscheinen mir die geteilten und praktizierten Rituale, die oft auch älter sind als die Texte, die wir mit den Religionen verbinden. Das liegt wohl daran, dass Rituale so etwas wie ein kollektives Verschmelzen erlebbar machen. Das ist eine andere Art von Transzendenz als eine religiöse „Erscheinung“. Jedenfalls wirkt das im Film gezeigte Wiedersehen der Mutter mit ihrer verstorbenen Tochter eher wie eine Epiphanie im virtuellen Raum. DIE FURCHE: So wie religiöse „Erscheinungen“ wird auch die KI- bzw. VR-Erfahrung über mehrere Sinneskanäle vermittelt… Macho: Stärker als visuelle Phänomene spielen in den Religionen akustische Erfahrungen eine Rolle: Dass Gott zu den Menschen spricht, kommt viel häufiger vor als dass man ihn in irgendeiner Gestalt sieht. Ähnlich ist das wohl in der Kommunikation mit den Toten. Daher fand ich den Anfang des Films plausibel, wo man sieht, wie eine Frau mit ihrem verstorbenen Partner schriftliche Nachrichten austauscht. Viel eher noch als die virtuelle Realität erinnert der KI-generierte Chat an eine Praxis, die bis zu den Wurzeln religiöser Transzendenzerfahrungen reichen mag. DIE FURCHE: Angesichts all dieser Entwicklungen: Graut Ihnen manchmal vor der Zukunft? Macho: Ich bin jetzt 72 Jahre alt; mir graut wohl weniger als so manchen jungen Menschen, die wissen, dass sie all die Schrecken und Ereignisse, die noch überhaupt nicht absehbar sind, höchstwahrscheinlich selbst erleben werden. Die Zukunft ist in vielen Aspekten so unvorhersehbar geworden, dass ich oft Sympathie und Mitleid mit den Jüngeren habe, die damit viel intensiver konfrontiert werden als Menschen meiner eigenen Generation. Film-Screening und Panel-Diskussion Mit Thomas Macho, Moritz Riesewieck (Regie) und Jaro Krieger-Lamina (Experte für Chatbots, Öst. Akademie der Wissenschaften); im Topkino, Rahlgasse 1, 1060 Wien, am 9.9. um 18.30 Uhr

DIE FURCHE · 36 5. September 2024 Wissen/Film 23 DOKUMENTARFILM Irritierende Szenen aus dem digitalen Jenseits Von Martin Tauss Eine Frau gestikuliert mit Spezialhandschuhen, ihre Bewegungen greifen ins Leere. Doch über ihr VR-Gerät ist sie in eine andere Realität eingetaucht: „Ich habe dich vermisst“, sagt ein kleines Mädchen. Es ist ihre verstorbene Tochter, die hier als lebensechter virtueller Avatar erscheint. „Ich dich auch!“, wispert die Mutter. Sie versucht, das künstliche Wesen zu umarmen – und beginnt zu weinen. Millionen Fernsehzuseher sind live dabei, denn es handelt sich um einen Auftritt in der südkoreanischen TV-Show „Meeting You“. Die Szene geisterte im Jahr 2020 durch die Medien und sorgte für Euphorie wie Empörung. Im Dokumentarfilm „Eternal You“ bilden die Aufnahmen der Koreanerin eine Art Klammer für viele andere Beispiele, die zeigen, wie sich im digitalen Zeitalter ein neuer Trend herausgebildet hat: mittels Künstlicher Intelligenz (KI) und virtueller Realität (VR) mit Verstorbenen in Kontakt zu treten (siehe auch S. 22). Im Film erfährt man den Hintergrund zur gezeigten Szene: Die Tochter von Jang Ji-sung hatte Leukämie; die letzte Begegnung mit ihr war leider wenig liebevoll. Die Mutter wurde seither von Träumen geplagt, in denen ihre Schuldgefühle zum Ausdruck kamen. Die virtuelle Realität soll ihr ermöglichen, den Abschied von ihrem Kind nachzuholen und neu zu gestalten. Glückliche Erinnerungen sollen entstehen. In diesem Fall war das Experiment erfolgreich: Nach der VR-Erfahrung, erzählt Jang Ji-sung, haben ihre belastenden Träume aufgehört. „Ich bin in der Hölle“ Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit D/USA 2024 Regie: Moritz Riesewieck, Hans Block. Mit Mark Sagar, Sara M. Watson, Sherry Turkle. Filmdelights. 87 Min. Anders gelagert die Geschichte von Christi Angel: Die tiefgläubige Frau aus New York hatte keine Gelegenheit, sich von ihrem Partner zu verabschieden, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Sie überlegte nur kurz, ob sie sich auf einen Chat mit ihrem toten Geliebten einlassen soll. Im Film sitzt sie vor dem Bildschirm und tippt ihre Nachrichten. Die Antworten sind nicht immer so, wie sie das gerne hätte. „Ich bin in der Hölle“, schreibt der Chatbot aus dem digitalen Jenseits. „Ich wollte das nicht hören“, sagt Christi. Ein paar Tage später die Beruhigung: Ihr Partner versichert, jetzt an einem „besseren Ort“ zu sein. „Eternal You“ zeigt eindringlich, wie gefährlich nah die Wirkungen und Nebenwirkungen der digitalen Technologien hier beieinander liegen. Die KI, die Tote scheinbar zum Leben erweckt, ist am besten mit einem Medikament zu vergleichen, dessen Einsatz in akribischen Studien zu prüfen wäre. Im therapeutischen Kontext gäbe es wohl einige Indikationen. Doch KI wird bereits „ Nicht nur Start-up- Gründer, auch die großen Tech- Konzerne wittern bereits das große Geschäft mit den urmenschlichen Erfahrungen von Trauer, Tod und Verlust. “ weltweit vor den Karren eines kapitalistischen Verwertungszusammenhangs gespannt. Nicht nur Start-up-Gründer, auch die Tech-Konzerne wittern das Geschäft mit den urmenschlichen Erfahrungen von Trauer, Tod und Verlust. Verdienstvoll ist, dass der Film viele Perspektiven eröffnet und sich vorschnellen Wertungen entzieht. Eine breite gesellschaftliche Diskussion wird unabdingbar sein. DIE FURCHE EMPFIEHLT Filmpremiere und Debatte Am Freitag, 6. 9., findet um 20 Uhr im Wiener Topkino (Rahlgasse 1, 1060 Wien) die Österreich-Premiere von „Eternal You“ statt. Anschließend spricht FURCHE-Chefredakteurin Doris Helmberger mit den Regisseuren, Hans Block und Moritz Riesewieck. Am 9. 9. folgt ebenfalls im Topkino ein Experten-Gespräch mit Thomas Macho (siehe Seite links). Das Kreuz mit dem Kreuz wird leichter mit gesicherten Informationen. Vielen Dank für Ihren Abo-Beitrag! Um sich eine eigene Meinung bilden und Entscheidungen treffen zu können, braucht man unabhängige Informationen sowie Hintergrundwissen. Qualitätsjournalismus schafft mit fundierter Recherche die Basis für eine wirklich freie Wahl. dubistwasduliest.at DU BIST, WAS DU LIEST.

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