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DIE FURCHE 05.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 36 2 Das Thema der Woche Welche Werte wir wählen: Nachhaltigkeit 5. September 2024 AUS DER REDAKTION Eigentlich würde es schon reichen, dass wieder September ist – mit wiedergeöffneten Schulen, mit reaktivierten Weckern, mit endlosen To-Do-Listen. Unter dem Titel „Das eigentliche Jahr“ hat Daniel Wisser diese Stimmung im „Federspiel“ brillant beschrieben. Doch diesmal werden dies- und jenseits der Grenze auch noch Wahlen geschlagen – und dabei die Grenzen des demokratiepolitisch Erträglichen verschoben. Wie lautstark muss man sich hier einbringen, wie dezidiert vor Brandstiftern warnen? Auch die christlichen Kirchen sind vor diese Frage gestellt. DIE FURCHE hat zwei namhafte Stimmen, Stephan Schulmeister und Wolfgang Mazal, zum Streitgespräch gebeten. Um (bedrohte) Ideale geht es auch in unserer Wahlserie „Welche Werte wir wählen“. Nach der „Freiheit“ (und den Neos) stehen diesmal „Nachhaltigkeit“ und Grüne im Fokus. Dass die Konjunktur für Klimaschutz schon einmal besser war, ja dass das gesamte öko-emanzipatorische Projekt samt liberaler Demokratie kippen könnte, skizziert der Soziologe Ingolfur Blühdorn im Interview. Es ist nur eines von mehreren spannenden Gesprächen dieser Ausgabe: Philipp Axmann hat in Alpbach Hanna Molden besucht; und Martin Tauss konnte Thomas Macho für eine Reflexion über Künstliche Intelligenz und Unsterblichkeit gewinnen. Davor lässt Sie Brigitte Schwens-Harrant eintauchen in die Gemälde Caspar David Friedrichs. „Wir wissen nicht, wohin“, heißt es hier. Passt ganz gut für diesen Herbst. (dh) Das Gespräch führte Doris Helmberger als gäb’s ein Morgen“: So heißt es auf den grünen Plakaten zur Natio- „Wähl, nalratswahl. Zugleich gibt es gute Gründe, den Glauben an dieses Morgen längst verloren zu haben. Der Green Deal ist unter Druck, weltweit reüssieren Autoritäre. Auch Ingolfur Blühdorn, Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuni Wien, zeichnet in seinem vielbeachteten Buch „Unhaltbarkeit“ (vgl. Kritik in FURCHE Nr. 26) ein düsteres Bild – und weist doch den „Weg in eine andere Moderne“. DIE FURCHE: Aber warum? Und warum hoffen heute nicht wenige eher auf einen „Volkskanzler“? Blühdorn: Der hat sich vor allem selbst so betitelt! Dabei macht er sich zunutze, dass die heutigen Aufgaben vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Beschleunigung, der geopolitischen Verschiebung, der Vielfältigkeit der Lebensentwürfe und der Erwärmung des Klimas so komplex sind, dass es einen neobiedermeierlichen Rückzug aufs Private gibt. Gerade junge Menschen, von denen man ja in der Soziologie klassischerweise erwartet, dass sie demokratischere und ökologischere Werte in die Gesellschaft einführen, sind oft erstaunlich zurückgezogen und auf ihre Freunde, Familie und persönliche Sicherheit konzentriert. Hier spüren sie eine große Selbstwirksamkeit und Gestaltbarkeit – und hier sind sie auch optimistisch hinsichtlich der eigenen Zukunft. Aber das Gesamtgesellschaftliche wird zunehmend delegiert, weil man sich sagt: Da kann ich ohnehin keinen Beitrag leisten. DIE FURCHE: Herr Professor Blühdorn, was bedeutet „nachhaltig“? Ingolfur Blühdorn: Im engeren Sinne ökologisch „nachhaltig“ ist all das, was von der Natur nicht mehr verbraucht als regeneriert werden kann. Wobei diese Beschreibung nicht sehr hilfreich ist. Denn erstens ist Nachhaltigkeit heute nicht mehr auf das Ökologische beschränkt, sondern man unterscheidet etwa ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit – ich selbst würde auch noch demokratische und kulturelle Nachhaltigkeit ergänzen. Und zweitens spricht der Begriff „Nachhaltigkeit“ ökologische Fragen auf eine ganz bestimmte Art und Weise an. Er wurde an der Wende zu den 1990er Jahren eingeführt – als Nachfolger von weitgehend unpolitischen Begriffen wie „Natur-„ oder „Umweltschutz“ einerseits und öko-fundamentalistischen Ansätzen andererseits, die Ökologie und die kapitalistische Wachstumsökonomie als kategorisch unvereinbar betrachteten. DIE FURCHE: So wie das heute auch die Degrowth-Anhänger sehen? Blühdorn: Ja genau. Das Konzept der Nachhaltigkeit hatte demgegenüber das klare Ziel, die Sphären von Ökologie einerseits und Kapitalismus und Wachstum andererseits kompatibel zu machen. Gleichzeitig ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ aber sehr unbestimmt. Aus sich selbst heraus sagt er nichts darüber, was erhalten werden soll, für wen, für wie lange etc. – und er hat auch etwas Optionales. All das hat dazu geführt, dass unsere Gesellschaften sich zwar seit Jahrzehnten um eine Transformation bemühen, aber einen echten Strukturwandel noch immer nicht hinbekommen haben. DIE FURCHE: Als Reaktion haben Sie den Begriff der „Unhaltbarkeit“ geprägt – und ihn soeben im gleichnamigen Buch beschrieben (Suhrkamp 2024). Was meinen Sie damit? Blühdorn: Der Begriff ist definitiver. Denken wir an Milch, die im Unter „FURCHE- Wahlserie: Welche Werte wir wählen“ finden Sie auf furche.at alle Artikel dieses Fokus und weitere digitale Inhalte. Ingolfur Blühdorn, Professor für soziale Nachhaltigkeit an der WU Wien, über das Ende der grünen Hegemonie, „ökologische Unregierbarkeit“, den reaktionären Pendelschlag zur Diversität und den Mut zum Aufbruch. „Die Normalität ist unhaltbar“ Kühlschrank steht. Ist das darauf vermerkte Haltbarkeitsdatum überschritten, dann kippt sie bald und wird ungenießbar, das ist dann keine Frage der Optionalität mehr. Auch in unseren Gesellschaften sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir nicht nur in ökologischer Hinsicht, sondern auch mit Blick auf unsere Demokratien, den Liberalismus, ja das gesamte westliche Wertesystem zu kippen drohen – oder bereits gekippt sind. Da stellt sich dann nicht mehr die Frage, ob wir das wollen oder nicht, sondern das passiert einfach. Und plötzlich sind wir in einer ganz anderen Gesellschaft. Da ist dann nur noch wenig von „Nachhaltigkeitswende“ die Rede, sondern von „Ausgrenzung“, „Abschiebung“ oder „Festung“, die die sogenannte „Normalität“ retten sollen. „ Wir sind an einem Punkt, an dem wir nicht nur in ökologischer, sondern auch in demokratiepolitischer Hinsicht zu kippen drohen. “ Raus aus dem Paradies! So brachte Jan van Kessel der Ältere den „Eintritt in Noahs Arche“ 1650 ins Bild. Foto: Getty Images / DeAgostini DIE FURCHE: Tatsächlich hat sich die Themenkonjunktur dramatisch geändert: Der einst gefeierte „Green Deal“ wurde bei der EU- Wahl von allen Seiten attackiert. Und nun wettern nicht nur die Freiheitlichen gegen „grünen Verbotswahn“, sondern auch die ÖVP fordert „Klimaschutz mit Hausverstand“. Was zeigt sich hier? Blühdorn: Unter anderem ein Überforderungssyndrom, das nicht nur ökologische Maßnahmen betrifft, die als Bedrohung für den Wohlstand empfunden werden, sondern auch die Demokratie insgesamt. Die demokratische Haltbarkeit bricht weg, der Fortschrittsglaube, der Glaube an die Machbarkeit des Notwendigen. In den 1970er Jahren haben wir gedacht, zivilgesellschaftliche Bewegungen könnten verantwortlich gestalten, was die politischen Eliten nicht geschafft hatten. Doch dieses Aufbruchsgefühl, diese Überzeugtheit von der eigenen bürgerlichen Mündigkeit, ist uns zwischen den Fingern zerronnen. DIE FURCHE: In dieses Bild der Jungen, die ihren Kampf aufgegeben haben, passt die Meldung der „Letzten Generation“, ihre Anklebe-Proteste zu beenden. Blühdorn: Diese Bewegungen sind in Österreich wie in vielen anderen Ländern systematisch kriminalisiert worden und – wie auch die Grünen selbst – vielfach zum politischen Feindbild Nummer 1 erklärt worden. Dem Druck konnten sie nicht standhalten. Wobei eigentlich schon 2019, zu der Zeit des großen Hypes um „Fridays for Future“ – als viele das Gefühl hatten: Jetzt gibt es die große Wende, Another World is possible – vollkommen klar war, dass das Unsinn ist. Denn die vielen gesellschaftlichen Verschiebungen, der spätmoderne Strukturwandel, hatten das sozial-ökologische Transformationsprojekt da längst unmöglich gemacht. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die Illusion von der anderen Welt zerplatzen würde. DIE FURCHE: Sie sprechen von einer „ökologischen Unregierbarkeit“. Ist das nicht zu radikal? Blühdorn: Ich meine damit, dass ein ambitioniertes Transformationsprojekt nicht mehr umsetzbar ist, auch wenn sich zum Beispiel das Klima immer weiter und schneller erwärmt. Die ökologische Debatte steckt fest in einem doppelten Konservatismus: Die einen freuen sich über diesen Zusammenbruch des grünen Projekts und sagen: Endlich haben wir Ruhe von diesem Klimakleber-Wirbel und können zurück zur „Normalität“. Und auf der anderen Seite gibt es einen grünen, aktivistischen Konservatismus, der verbissen an der Mission festhält, die Welt vor der großen Katastrophe retten zu müssen. Beides sind Formen von Realitätsblindheit. Die einen übersehen, dass es im Zeichen des Klimawandels etc. kein Zurück zur alten Normalität mehr gibt; die anderen übersehen, dass die meisten Menschen sich nicht primär um den Weltuntergang sorgen, sondern um ihr all-

DIE FURCHE · 36 5. September 2024 Das Thema der Woche Welche Werte wir wählen: Nachhaltigkeit 3 „ Es zeigt sich ein Überforderungssyndrom, das nicht nur die ökologischen Maßnahmen betrifft, sondern Demokratie insgesamt. “ Bei den Grünen dominiert im Wahlkampf – wenig überraschend – die ökologische Nachhaltigkeit. Doch auch soziale und wirtschaftliche Aspekte spielen eine Rolle. Eine Datenanalyse anhand von Wahlkabine.at. tägliches Leben und ihre Sicherheit. Sie fühlen sich nicht wie „fünf vor Zwölf“. Was Klimaaktivistinnen als große Bedrohung sehen, ist für sie nur eine Transformation in eine neue Normalität. DIE FURCHE: Nochmals eigen sind Gruppen wie die neue „Liste Madeleine Petrovic“, die im Gegensatz zu den Grünen nicht den Klimaschutz, sondern – wie die FPÖ – Umwelt- und Naturschutz in den Mittelpunkt rücken und in puncto Corona auch verschwörungstheoretisch argumentieren. Blühdorn: Der Glaube an das Progressive ist nicht nur bei den Rechten, sondern auch bei vielen Linken zerbrochen. Deshalb gibt es diese irrlichternden Gruppen, diese merkwürdige Mischung zwischen Rechts und Links, die man in Deutschland etwa auch bei Sahra Wagenknecht sieht – und die sich in Corona-Zeiten „Querdenker“ nannten. Genau das war übrigens auch einmal der Anspruch von grün-emanzipatorischen Bewegungen. Diese Elemente kommen heute in rechtsradikalen oder rechtspopulistischen Bewegungen wieder und werden rekombiniert. Deswegen ist es wichtig, dass wir diese rechts- oder auch linkspopulistischen Bewegungen nicht vorschnell abkanzeln und für regressiv oder reaktionär halten, sondern dass wir genau hinschauen und uns fragen: Wie kommt es eigentlich zu diesen Reaktionen? DIE FURCHE: Was ist Ihre Antwort? Blühdorn: Dass es teilweise Reaktionen sind auf progressive, emanzipatorische Agenden, die anders gewirkt haben als erwartet. Ein Beispiel dafür ist die Gender- und Diversitätsfrage, die nun einen reaktionären Gegenschlag des Pendels provoziert hat. Grüne Parteien und Bewegungen sind einst davon ausgegangen, dass wir alle auf demselben Ast oder in einem Boot sitzen. Gleichzeitig haben sie aber eine Diversifizierung in alle möglichen Identitäten und Lebensformen betrieben und erklärt, man müsse die Vielfalt der Wirklichkeiten und Rationalitäten akzeptieren. Wenn man insistiere, dass nur die wissenschaftliche Rationalität gelte, sei das ein Herrschaftsinstrument. Exakt diese Argumentationsfigur haben sich nun die Rechten angeeignet, wenn sie „alternative Fakten“ hernehmen und sagen: Meine Wirklichkeit ist genauso wertvoll wie deine. 1964 in Nordrhein-Westfalen geboren, hat Ingolfur Blühdorn in Deutschland und Großbritannien studiert und gelehrt. Seit 2015 ist er an der WU Wien. Foto: Privat Das heißt jetzt natürlich nicht, dass der Rechtspopulismus vor allem von den Linken provoziert worden wäre – das wäre Unsinn. Dennoch haben die eigentlich emanzipatorischen Bewegungen vielfach Annahmen gemacht, die nicht haltbar waren und nicht nur zur Provokation für Rechte geworden sind, sondern auch Problemlagen geschaffen haben, die die Menschen jetzt überfordern. DIE FURCHE: Aber was wäre angesichts dieses doch recht ernüchternden Befunds die Alternative? Die Dystopie einer Gesellschaft, die sich vom Trauma der doppelten Unhaltbarkeit mit Zerstreuung durch Smartphones ablenkt, wie Sie es am Ende Ihres Buches zeichnen, kann ja wohl nicht das Ziel sein. Schon gar nicht vor entscheidenden Wahlen... Blühdorn: Ich glaube, erstens müssen wir tatsächlich lernen mit dieser Situation der Unsicherheit zu leben – und zur Kenntnis nehmen, dass dieser große, öko-emanzipatorische Aufbruchsversuch, den wir unternommen haben, nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat – und dass es in der Spätmoderne auch keinen Sinn macht, an diesem Projekt in der bisherigen Form festzuhalten. Das würde nur die schon sichtbaren Nebenwirkungen verstärken. Zweitens ist, auch wenn wir in der jetzigen Situation noch kein neues, positives Leitbild haben, völlig klar: Wir stehen auf der Schwelle zu einer ganz anderen Moderne. Die Welt geht nicht unter, sondern vor unseren Augen entsteht eine neue. „ Die emanzipatorischen Bewegungen haben Annahmen gemacht, die nicht nur die Rechten provozierten, sondern die Menschen überfordern. “ DIE FURCHE: Und die ist, wie Sie sagen, oft nicht mehr demokratisch und pluralistisch, sondern oligarchisch und autoritär, wie wir bei Trump oder Orbán sehen können. Blühdorn: Leider. Umso mehr sind in dieser Situation progressive Parteien gefordert. Sie müssen sich erstens fragen, inwieweit sie selbst ungewollt zu diesen Entwicklungen beigetragen haben – und zweitens sich und allen anderen klar machen, dass die nun feilgebotenen Geschichten von der „Festung Österreich“ völlig unplausibel sind. Wem helfen die eigentlich? Denn wem hilft es, soziale Umverteilung und Klimaschutz zurückzufahren, die öffentlich-rechtlichen Medien zu delegitimieren und den Oligarchen für ihre Machtinteressen freie Bahn zu machen? Das Versprechen, dass sich durch rechte Narrative gerade für die benachteiligten Teile der Gesellschaft irgendetwas verbessern könnte, muss man ebenso durchleuchten wie die Erzählung von der Rückkehr zur verlorenen Normalität. Es steht viel auf dem Spiel! Wir haben enorm viel zu verteidigen! Das wäre die Aufgabe der Stunde. Sie ist positiv und durchaus zu bewältigen. Das macht Mut! Mehr als nur „öko“? Wer in diesem Wahlkampf „Nachhaltigkeit“ hört, denkt an Klimakrise und Renaturierung, Umwelt- und Tierschutz – allesamt Begriffe der ökologischen Nachhaltigkeit. Auch auf der Plattform Wahlkabine.at, die vor der Nationalratswahl Orientierung geben will (und mit der DIE FURCHE kooperiert), ist dieses Thema abgedeckt. Wie in der Vorwoche hat DIE FURCHE sämtliche 25 Fragen des Umfragetools durchforstet und jene Fragen ausgewählt, die sich im Kern um „Nachhaltigkeit“ drehen – sowie zusätzlich zwei ursprünglich aussortierte Umweltfragen ergänzt, um das Spektrum zu erweitern: konkret die Frage, ob die Haltungsform auf jedem tierischen Produkt verpflichtend angegeben werden muss; und weiters, ob die Bodenversiegelung österreich- 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0 % -20 % -40 % -60 % -80 % -100 % 1200 1000 800 600 400 200 0 Umwelt vor Wirtschaft Auf Wahlkabine.at fokussieren sich die Grünen auf Klima und Umwelt, achten aber weniger auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit – Abzüge gibt es beim Pensionssystem. -83,33 ÖVP weit auf 2,5 Hektar pro Tag begrenzt werden soll. Das Ergebnis: Nachhaltigkeit im ökologischen Sinne – dafür stehen insbesondere die Grünen. Die selbsternannte Ökopartei ist – neben der Begrenzung der Bodenversiegelung und einer verpflichtenden Angabe der Haltungsform – für eine höhere Besteuerung der CO2-Emissionen sowie als einzige Parlamentspartei für Tempo 100 auf Autobahnen. Die hohe Gewichtung der Themen wirkt sich in der FURCHE- Grafik entsprechend positiv aus. Dieses Mal gibt es aber auch Negativwerte – für jene Parteien, die sich dezidiert gegen Nachhaltigkeits-Maßnahmen aussprechen. Hier sticht insbesondere die ÖVP hervor, die bundesweit weder den Tierschutz verschärfen noch die Bodenversiegelung regulieren will. Das Wahlprogramm der Grünen ist mit 112 Seiten nicht nur erheblich dicker, es ist mit mehr als 40.000 Wörtern im Schnitt auch drei bis vier Mal so textreich wie das der anderen Parteien. Reichlich Platz also für Ideen und Ziele. Laut FUR- Allem voran nachhaltig Die FURCHE Schlagwort-Analyse der Wahlprogramme ergibt: Nachhaltigkeit findet bei den Grünen mit Abstand am häufigsten Erwähnung, vor allem im ökologischen Sinne (Angaben in Anzahl der Schlagworte). 384 Freiheit CHE-Schlagwortanalyse findet der Begriff der Nachhaltigkeit im Wahlprogramm der Grünen weitaus öfter Erwähnung als die Begriffe Gerechtigkeit, Leistung, Sicherheit oder Freiheit. Dabei sehen die Grünen durch ökologische Nachhaltigkeit auch positive Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die CO₂-Bepreisung stärke letztlich den Wirtschaftsstandort Österreich – und nicht zuletzt auch den Wintertourismus. Umsetzen konnten die Grünen in den vergangenen fünf Jahren als Regierungspartei einiges. Von sämtlichen 895 Initiativanträgen seit Beginn der letzten Gesetzgebungsperiode am 23. Oktober 2019 kamen 507 von den Grünen oder wurden mit ihnen unterstützt; 466 davon wurden am Ende auch Gesetz – darunter auch mindesten 25 Vorhaben, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigten. Ökologisch nachhaltige Veränderungen gibt es beispielsweise durch das Umweltförderungsgesetz, das gleichzeitig die Biodiversität schützen und die Wasserwirtschaft fördert soll. Auch der Klimabonus, welcher gerade dieser Tage Anfang September ausgezahlt wird, sowie das österreichweit geltende Klimaticket sind Gesetzgebung zugunsten der ökosozialen Nachhaltigkeit. Beides geht auf das Konto der Grünen. 11,11 SPÖ -44,44 FPÖ 1168 Grüne Nachhaltigkeit 55,56 55,56 NEOS 496 Sicherheit 22,22 KPÖ 50 BIER 389 Gerechtigkeit 55,56 KEINE Petrovic 253 5,56 Nachhaltigkeit findet sich aber nicht nur im ökologischen Bereich, sondern auch im sozialen und im wirtschaftlichen (vgl. Interview links). Die Grünen waren wesentlicher Treiber bei der ökosozialen Steuerreform und setzten diese als Regierungspartei auch über den Klimabonus um. Im Sinne sozialer Nachhaltigkeit fordern sie – wie die SPÖ und anders als ÖVP und FPÖ – auch eine sogenannte Kindergrundsicherung. Eine erhöhtes Pensionsantrittsalter, das Ökonomen angesichts steigender Lebenserwartung und sinkender Geburtenraten als wesentlich erachten, lehnen die Grünen aber ab. Eine nachhaltige Lösung für das Pensionssystem, wie sie auch der Rechnungshof einmahnte, lässt also weiter auf sich warten. (Maximilian Hatzl) Was Grüne wollen – und umsetzen Leistung Daneben setzten die Grünen das Verbot von Qualzuchten und das Aus für Vollspaltenböden durch. Wirtschaftlich wurde eine Gesetzesnovelle im Stromverbrauchsreduktionsgesetz umgesetzt, durch die der Verbrauch fossiler Brennstoffe minimiert wird sowie Photovoltaikanlagen und Biomasse gefördert werden. Nachhaltig mehr Transparenz soll das Informationsfreiheitsgesetz bringen, welches in genau einem Jahr – am 1. September 2025 – in Kraft tritt und das Amtsgeheimnis ablöst. (Maximilian Hatzl) Mehr zur FURCHE-Datenanalyse finden Sie online unter www.furche.at/dossier/die-furchewahlserie-welche-werte-wir-waehlensowie unter dem QR-Code auf Seite 2. Eigene Auswertung; Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: wahlkabine.at) Eigene Auswertung; Grafik: RM (Quelle: Die Grünen, Wahlprogramm Nationalratswahl 2024

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