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DIE FURCHE 05.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 36 18 Kunst 5. September 2024 FORTSETZUNG VON SEITE 17 schuf der Maler seine Landschaften. Die Unbestimmtheiten und Widersprüche, die er malte, luden und laden bis heute zum Interpretieren ein. In Friedrichs berühmtem Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ befinden sich drei Gestalten am Rand eines Abgrunds, der die Form eines Trichters hat. Eine steht, eine liegt, eine sitzt. Doch sie stehen, liegen, sitzen auf Weisen, dass man meint, sie flögen beziehungsweise rutschten demnächst in diesen Krater hinein. Der eine steht beinah auf den Ästen eines Busches, die sein Gewicht kaum auf Dauer tragen werden, die andere scheint schon zu rutschen und hält sich an einem Busch an (und man fragt sich: Kann man in so einer Position dort überhaupt so sitzen? Vom bröckeligen Gestein ganz abgesehen). Drei Farben tragen die drei Gestalten – rot, blau und grün –, und da derartige Bilder zum Deuten einladen, interpretierte man sie mit den christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung. Was aber bedeutet es dann, sie derart am Abgrund zu sehen? Landschaften des Inneren Und was sieht man im Abgrund? Földényi etwa entdeckt „im Laub zur Seite gekämmtes Haar und in den Sträuchern und Grasbüscheln Anzeichen eines Bartes“; „dann erkennen wir im Abgrund unschwer ein Gesicht – das Gesicht Friedrichs“. Dieser Interpretation muss man nicht folgen. Aber der Hinweis darauf, dass Friedrichs Landschaften eher Landschaften des Inneren, denn welche des Äußeren sind, mag in eine wichtige Richtung führen. Idyllen jedenfalls sind diese Naturdarstellungen keine. „In der Idylle sind wir stets von etwas umschlossen: Wir können uns in ihr einnisten. Im Unendlichen jedoch gibt es nichts, woran wir uns festhalten könnten – keinen Ausschlupf, keinen Dispens“, meint Földényi und spricht damit auch an, warum Friedrichs Bilder vielleicht bis heute faszinieren. Foto: Getty Images / Universal Images Group / Picturenow Friedrichs Gestalten sind wie in „Der Mönch am Meer“ oft dem Betrachter entzogen, das Gesicht bleibt ungesehen. „ Vielleicht gründet das Interesse auch darin, was László Földényi so formulierte: Friedrich stellt keine Rätselaufgaben dar, sondern das Rätselhafte selbst. “ Das gilt auch für Friedrichs berühmtes Gemälde „Der Mönch am Meer“, das „in einem mühsamen und immer neu ansetzenden Prozess auf der Leinwand entstanden“ ist, so der Kunsthistoriker Werner Busch in seiner Biografie über den Maler. Insgesamt vierfach wurde übermalt, wird angenommen, und offenbar wurde auch die Gestalt in diesem Bild, der so genannte „Mönch“, teilweise derart überarbeitet. Denn er schaut zwar, dem Betrachter des Gemäldes den Rücken zuwendend, aufs Meer – doch die Füße unter seiner Kutte wenden sich dem Betrachter zu. Vermutlich, so Busch, hat Friedrich im Prozess des Malens die Gestalt weiter Richtung Meer gedreht und damit die Rückenfigur erfunden, „die er in Zukunft vielfältig variieren wird“. Friedrichs Gestalten sind derart oft dem Betrachter entzogen, das Gesicht bleibt ungesehen, und man ist versucht, den Blick der jeweiligen Figur einzunehmen (was nicht gelingen kann, denn man steht ja hinter ihr). Vielfältige Interpretationen Wenn man Friedrichs „Der Mönch am Meer“ betrachtet, ist es, „als ob Einem die Augenlieder weggeschnitten wären“. So formulierte es Zeitgenosse Heinrich von Kleist 1810 in seiner Überarbeitung eines Beitrages, den Clemens Brentano und Achim von Arnim geschrieben hatten. Und: „das, was ich in dem Bild selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nehmlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild that; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct im einsamen Kreis.“ Die enorme und vielfältige Interpretationsgeschichte hält an. Bilder können sich nicht wehren und so konnte auch der Nationalsozialismus sie für seine Interessen deuten und missbrauchen. Wie groß das Interesse an Friedrichs Bildern heute noch und wieder ist, zeigte der enorme Besucherandrang zu den Jubiläumsausstellungen in Deutschland. Friedrichs Bilder, so Busch, eröffnen Bedeutungsdimensionen, „einen Erfahrungsraum, in den wir uns begeben können. Sie schaffen ein Feld, auf dem wir uns durch die ästhetischen Vorgaben nicht etwa beliebig bewegen können, aber doch in voneinander leicht abweichende Richtungen.“ Vielleicht gründet das Interesse auch darin, was Földényi so formulierte: Friedrich stellt keine Rätselaufgaben dar, sondern das Rätselhafte selbst. „Der Anblick (das Naturbild) schreitet […] über sich hinweg, aber wir wissen nicht, wohin – es ist niemand da, der zurückkäme und über das Ziel berichtete.“ Der Maler und der Wanderer Von László Földényi. Aus dem Ungarischen von Akos Doma Matthes und Seitz 2021 191 S., geb., € 22,70 Caspar David Friedrich Die Nachtseite der Malerei Von László Földényi. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki Matthes und Seitz Neuauflage 2024 171 S., kart., € 14,40 Caspar David Friedrich Unendliche Landschaften Für die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin hg. von Birgit Verwiebe und Ralph Gleis. Prestel 2024 351 S., geb., € 50,40 Caspar David Friedrich Von Werner Busch C. H. Beck 2021 127 S., kart., €12,40 Empfehlenswert ist auch: Christian Scholls Essay über den Tetschener Altar in dem von Kristin Marek und Martin Schulz herausgegebenen Kanon Kunstgeschichte, Paderborn 2015. WIEDERGELESEN Ein Buch, das fast nicht erschienen wäre Von Anton Thuswaldner Bücher haben ihre Schicksale wie ihre Verfasser. 1963 hatte Vincent O. Carter (1924–1983) seinen großen Roman „Amerigo Jones“ fertiggestellt, und niemand wollte ihn haben. Zu der Zeit lebte Carter bereits in Bern. Amerikanische Verlage lehnten das Manuskript ab, weil es ihnen zu umfangreich und wenig erfolgversprechend schien. Überhaupt verlief die Schriftstellerkarriere des sträflich übersehenen Autors unglücklich. 1957 hatte er ein Buch über seine Erfahrung als afroamerikanischer Autor in der Schweiz in einem Bern-Buch abgeschlossen, das erst 1973 erscheinen konnte. Immerhin erlebte Carter das noch. Sein Roman „Amerigo Jones“ erschien überhaupt erst 2003. Es dauerte noch einmal 21 Jahre, bis das Buch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht wurde. Entmutigt von den vielen Absagen hörte Carter mit dem Schreiben auf, malte und unterrichtete Englisch. Eine vernünftige Erklärung für diesen rüden Umgang mit einem herausragenden Talent gibt es nicht. Rassismus mag ein Grund dafür sein. Das ist auch eines der Themen, an denen sich Carter in seinen beiden einzigen je veröffentlichten Büchern abarbeitet. In der Schweiz erfährt er Ablehnung und Benachteiligungen, seine Erfahrungen in den USA haben ihn darauf ohnehin schon vorbereitet. Auch sah man dem Autor nicht nach, dass er sich einer rauen, ungeschönten, mit Slang-Ausdrücken gespickten Sprache bediente. Man hatte Angst vor zu viel Milieu im Text. Gerade dieser Getto-Jargon aber trägt den Roman, anders ist nicht in die Denk- und Gefühlswelt der ausgesperrten Afroamerikaner hineinzukommen, in einer Zeit, als Rassentrennung politisch überwachter Alltag war. Amerigo Jones wächst in den 30er Jahren in Kansas City auf, früh wird ihm deutlich gemacht, dass ihm seine Hautfarbe Probleme bereiten wird. Natürlich wird es dem aufgeweckten Burschen in dieser Welt der beschränkten Möglichkeiten zu eng. Er kapiert, dass etwas falsch läuft in einer Gesellschaft, die Diskriminierung für richtig hält. Also hadert er mit seiner Community der Farbigen, die sich abgefunden hat mit Ungerechtigkeiten und sich wegduckt, wenn sie wieder einmal das Unrecht mit aller Härte trifft. Dieser Schule des widerstandslosen Überlebens möchte Amerigo entfliehen. Der Roman ist Duke Ellington gewidmet. Der Jazz als Ausdruck der Selbstbehauptung leuchtet Vincent O. Carter ein. Das englische Original ist unter dem Titel „Such Sweet Thunder“ erschienen, so hieß auch ein Album Duke Ellingtons von 1957. Dieses liefert eine Spur zur Literatur, handelt es sich doch um eine musikalische Auseinandersetzung mit Shakespeare. Amerigo Jones Roman von Vincent O. Carter Aus dem Amerikanischen von Pociao und Roberto de Hollanda Limmat 2024 752 S., geb., € 40,10

DIE FURCHE · 36 5. September 2024 Ausstellung 19 Von Ursula Philadelphy Vor dem Haus, überlebensgroß, eine Arbeit des britischen Künstlers Thomas J Price. Ein Eyecatcher. Der Künstler ist hierzulande bislang unbekannt. Kein Wunder, denn es ist die Kunsthalle Krems, die ihm die erste Ausstellung in Europa außerhalb seines Heimatlandes widmet. Die Ausstellung entstand auf Initiative der Kunsthalle Krems und ist eine Kooperation mit den Ausstellungshäusern Kunsthal Rotterdam und Arnolfini Bristol. Florian Steininger, künstlerischer Direktor der Kunsthalle, sieht in Price „den neuen Shootingstar der aktuellen figurativen Bildhauerei“, nachdem sich der Künstler „mit Konzept und Analyse […] die klassische westliche Bildhauerei von der Antike bis zur Moderne aneignet“ und sich damit, so Steininger, „ mit seinen pop-klassizistischen Helden und Heldinnen des Alltags in den Kanon der weißen Kunstgeschichte einschreibt“. Was auf den Punkt gebracht zu sein scheint, ist allerdings alles andere als einfach und geradlinig, denn Price arbeitet multidisziplinär in den Bereichen Skulptur, Animation, Fotografie und Malerei und will mit seinen figurativen Skulpturen vorgefasste Meinungen über Repräsentation und Identität hinterfragen. Was statuesk daherkommt, sind keine Statuen, weil sie keine Abbilder realer Menschen sind, für den Künstler sind sie „fiktive Helden und Heldinnen des Alltags“, die in einem mehrstufigen, komplexen Verfahren durch einen hybriden Ansatz aus traditioneller Bildhauerei und intuitiver Digitaltechnik entstehen. Price will dadurch Anhaltspunkte für eine tiefere menschliche Verbindung liefern, wobei es ihm um die gegenseitige Wahrnehmung in der Gesellschaft geht, aber ohne auch nur irgendwie zu kategorisieren. Für den Künstler ist der Arbeitsprozess enorm wichtig, weil er überzeugt davon ist, dass man erst durch die Art, wie er etwas macht, das Ganze umfassend verstehen kann und er nur dadurch die innere Bedeutung des Kunstwerkes transportieren kann. Beklemmender Videostill Der Titel der Ausstellung – „Matter of Place“ – fußt auf einer frühen Performancearbeit („Licked“, 2001), in der sich der Künstler mit der Frage beschäftigte, was es heißt, wenn man als Künstler buchstäblich Teil eines Ortes und seiner materiellen Geschichte wird. In dieser Performance schleckt Price die Wände einer Galerie mit seiner Zunge ab, bis er blutige Spuren hinterlässt. Ein beklemmender Videostill. 2004 entstand die Arbeit „Mixed Feelings About Bus Drivers“, zu der ihn Londoner Busfahrer inspiriert haben. Price überzog einen Gipskopf mit weißem Marmorstaub, setzte den Kopf auf einen einfachen Holzsockel und schraubte ihn an die Wand. Einer griechischen Skulptur gleich, wird hier mit der Interpretation von Macht und Status gespielt. Dies gilt für die kleinen Figuren © Thomas J Price, Courtesy the artist and Hauser & Wirth, Foto: Keith Lubow ebenso wie für die überdimensionalen, die allesamt in ganz normalen Alltagsklamotten daherkommen; es sind trotzdem keine realen Menschen, sondern fiktive Personen, wodurch Price versucht, „die Idee des Porträts und die Wertesysteme dahinter zu untergraben“, wie er in einem Gespräch mit dem Künstlerkollegen Charles Gaines meint. Genauso wichtig ist es ihm, seine Arbeiten als „Skulpturen über Statuen“ zu definieren – selbst wenn sie aus Bronze und ihm die Konnotationen zu diesem Material durchaus bewusst sind. Einen extrem spannenden Kontrapunkt zu den Kunstwerken von Price bietet eine Videoarbeit, die in der Kunsthalle im Rahmen des Donaufestivals präsentiert wurde und in Zusammenarbeit mit dem Museum Folkwang und „ Es sind keine realen Menschen, sondern fiktive Personen, wodurch Price versucht, ,die Idee des Porträts und die Wertesysteme dahinter zu untergraben‘ . “ Mit Künstlerarbeiten von Thomas J Price und Candice Breitz stellt die Kunsthalle Krems in zwei spannenden und herausfordernden Ausstellungen wichtige Fragen zu Rassismus und Identität. Figurative Bildhauerei und eine Bauchrednerpuppe FEDERSPIEL Das eigentliche Jahr Ich beneide die Schülerinnen und Schüler nicht, die gestern den ersten Schultag in der zweiten Klasse der Volksschule hatten. Dieser Tag, den ich im Jahr 1978 erlebt habe, war der erste Tag in meinem Leben, an dem ich mich alt gefühlt habe. Plötzlich gab es Schülerinnen und Schüler, die jünger waren als ich. Eine schreckliche Entdeckung, die – konsequent weitergedacht – ein memento mori ist. Anfang September bedeutet mir viel. Es ist der Zeitpunkt, an dem für mich das eigentliche Jahr beginnt. Den Jänner kann niemand ernst nehmen. Er wurde durch die vielen Feierlichkeiten davor zu einem ersehnten Leer- Monat gemacht. Der September hingegen muss busy sein. Immer noch hat man bei uns das Gefühl, dass ab der ersten Septemberwoche alle wieder da sind. Eine beängstigende Stimmung des Etwas-Tun-Müssens kommt in mir auf. Ich schreibe noch mehr To-Do-Listen als sonst, auf denen ich täglich noch weniger Punkte streichen kann als sonst. Ich prokrastiniere 48 bis 96 Stunden lang, bis ich es der Staatlichen Kunsthalle Baden- Baden entstand. Unter dem Titel „Whiteface“ widmet sich die südafrikanische Künstlerin Candice Breitz auf satirische Art dem Thema Rassismus, indem sie fast wie eine Bauchrednerpuppe agiert. Es geht um „Weißsein“ und „Weiße Privilegien“, wobei Breitz, nur in einem weißen Hemd, mit wechselnden blonden Perücken und Kontaktlinsen arbeitet, die ihren Augen einen toten Ausdruck verleihen. Die Texte, die aus ihrem Mund kommen, sind Mitschnitte von Dokumentationen, die über Jahre gesammelt wurden und von weißen Menschen stammen, die über „Rasse“ sprechen. Weiße Facetten von Rassismus Die Perspektiven reichen von rechtsextremen Ideologien und rechtsextremer Propaganda bis zu erschreckendem Alltagsrassismus. Breitz verdeutlicht in dieser Videoarbeit die Stereotypen weißer Menschen zu den Themen „weiße Privilegien“, „weiße Empfindlichkeit“ oder auch „weiße Schuld“. Die Archivstimmen lassen das Video, dank der theatralischen Darbietung, zu einer Persiflage absurder Ängste werden. Zugleich legt Breitz aber den Finger auf einen sehr wunden Punkt – und das im internationalen Kontext. Thomas J Price – Matter of Place Candice Breitz – Whiteface Kunsthalle Krems Bis 22. September 2024 www.kunsthalle.at schaffe, den Installateur anzurufen und einen Termin für die jährliche Thermenwartung auszumachen. Das eigentliche Jahr hat heuer am 2. September begonnen und es scheint bis zum Dezember keinen Ruhepunkt zu geben. Nein, halt! Für Schülerinnen und Schüler gibt es heutzutage die sogenannten Herbstferien; dieses Phänomen ist für mich so gewöhnungsbedürftig wie der Umstand, dass die Straßenbahnlinien 1 und 2 in Wien nicht auf der Ringstraße im Kreis fahren. Ich werde mich nie daran gewöhnen. Für mich gibt es also keine Herbstferien. Der Ernst des Lebens hat begonnen. Ich stelle mir vor, dass andere Menschen Relikte aus der Kindheit besser überwinden können als ich. Aber vielleicht stimmt das nicht. Ich sollte arbeiten müssen. Ich bin in Panik. Immerhin kann ich heute den Punkt Federspiel schreiben! von meiner Liste streichen. Der Autor ist Schriftsteller. Ohne reales Vorbild Mit seinen pop-klassizistischen Heldinnen und Helden des Alltags schreibt sich Thomas J Price in den Kanon der Kunstgeschichte ein. Von Daniel Wisser

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