35 · 29. August 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– on) schönzureden oder gar zu leugnen. „Unterscheidung der Geister“: Auf diese Gabe kommt es also bis zum 29. September an. Sie ist umso dringlicher, als die im nun veröffentlichten FPÖ-Wahlprogramm niedergeschriebenen Ermächtigungsfantasien à la „Volksinitiative“ oder „Notgesetz“ Österreichs Verfassung tatsächlich untergra- Von Doris Helmberger ben. So schwer es in der Praxis sein mag, vier Prozent der Bevölkerung (rund 250.000 in gekreuzigter Frosch. Ein Fastentuch mit Totenschädel. Eine mehr auch weichgezeichneten „Familieninitiative“ zu bewegen, die dann zu einer selbsternannten „Volkskanzlers“ und nun- Menschen) zur Unterschrift einer „Volks- gebärende Maria. Oder ein (Letztes?) Abendmahl in Paris: Zahl- geht schließlich nicht nur um das zen trale ner (gefühlt?) „unfähigen“ Regierung führt: vaters“ Herbert Kickl von neuer Qualität. Es Volksabstimmung über die Absetzung eireich waren zuletzt die Debatten Gebet aller Christinnen und Christen; es Allein die Idee der Aushebelung des Parlaments – laut „Legalitätsprinzip“ die zen- darüber, wo die Freiheit der Kunst endet geht um dessen völlige Umdeutung, ja Pervertierung: Das „Volk“ und dessen Wille trale demokratische Entscheidungsmacht – und wo „Blasphemie“ – im Wortsinn „Gotteslästerung“, faktisch eher die Verletzung werden an die Stelle Gottes gesetzt; und dieser wird – samt parlamentarischer Demo- „Österreich ist eine demokratische Repu- muss alle Alarmglocken schrillen lassen. religiöser Gefühle von Menschen – beginnt. So heftig das mediale Strohfeuer stets loderte: Oft haftete der Empörung etwas For- im Bundes-Verfassungsgesetz – und nicht kratie und Rechtsstaat – eliminiert. blik. Ihr Recht geht vom Volk aus“, heißt es ciertes, ja Unernstes an. „Haben wir keine Dämonische Kräfte bekämpfen etwa „Das Recht geht vom Volk aus“, wie anderen Sorgen?“, wollte man fragen. „Das Plakat ist nicht ,nur‘ Blasphemie, Kickl bewusst verkürzt. Der Rechtsphilosoph Ulrich Wagrandl formulierte es un- Außerdem: Was wäre das für ein Gott, der sondern Ausdruck einer postmodernen sich durch (mehr oder weniger anspruchsvolle) Kunst eher gelästert fühlte als durch raltheologin Regina Polak im FURCHE- tie kann das Volk nicht selbst herrschen. Dämonie“, meint dazu die Wiener Pastolängst in der FURCHE so: „In der Demokra- menschliche Barbarei und Terror, ausgeführt womöglich in seinem eigenen Na- geschehe“: Das sei die „nichts und niemanlichkeit werden.“ Durch sie wird sicher- Gastkommentar (vgl. Seite 10). „Euer Wille Nur Institutionen lassen Demokratie Wirkmen? „Gott braucht die Verteidigung durch den ernst nehmende Ankündigung eines gestellt, dass Minderheitenrechte und eifernde Hasser nicht“, meinte FURCHE- politischen Projektes zur Zerstörung der liberalen, menschenrechtsbasierten Demogesichts eines propagandistisch verführ- völkerrechtliche Verpflichtungen auch an- Chefredakteur Hubert Feichtlbauer schon 1980 anlässlich der Empörung über Gottfried von Einems Oper „Jesu Hochzeit“. eines divinisierten ,Volkwillens‘ auf Kos- Vor all dem zu warnen, wäre Aufgabe der kratie und ihrer Institutionen im Namen ten „Volkswillens“ gewahrt bleiben. Auch in die neuen FPÖ-Wahlplakate mit ten von ethnisch und religiös ,Anderen‘“. Medien und aller anderen Parteien – wenn dem Slogan „Euer Wille geschehe“ ist bislang kein göttlicher Blitz eingefahren – ob- am Ende nicht verhandeln oder kooperie- zerfleischen. Auf dass es am Ende nicht Mit solch dämonischen Kräften könne man diese sich nicht, wie die SPÖ, gerade selbst schon der Rückgriff auf das Vaterunser ren, man könne sie nur bekämpfen – ohne doch noch heißt: „Sein Reich komme“. überdeutlich ist. Und doch ist diese kalkulierte Provokation aus der Werkstatt des wa jene im Bereich von Flucht und Migratifreilich vorhandene Probleme (konkret et- doris.helmberger@furche.at Gerade findet im Tiroler Bergdorf das 80. Europäische Forum statt. Viel ist dabei vom „Geist“ die Rede, der hier angeblich weht. Eine Suche im „Dorf der Denker“. Seite 9 Auch 40 Jahre nach Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ bleiben seine Diagnosen zum Niedergang des Diskurses brisant, meint Otto Friedrich. Seite 11 Heuer jährt sich der Geburtstag Anton Bruckners zum 200. Mal. Christian Schacherreiter hat über das Leben des Komponisten einen Roman geschrieben. Seite 14 Der ungeschminkte Blick hinter den Vorhang des Lebens der „einfachen Menschen“ in Pompeji hält auch der heutigen Gesellschaft den Spiegel vor. Seite 16 Die vielen heißen Sommertage haben nicht nur an der Erdoberfläche massive Auswirkungen. Auch die heimischen Seen und deren Arten leiden darunter. Seite 18 @diefurche @diefurche @diefurche Die Furche Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 n seinem Buch „Der Glaube des Adolf Hitler“ beschrieb der Historiker und langjährige FURCHE-Redakteur Friedrich Heer, wie Hitler im Rückgriff auf christliche Motive (wie z. B. den Glauben an die göttliche Vorsehung) große Teile der Bevölkerung emotional für seine Ziele gewinnen konnte. Die Inszenierung des Nationalsozialismus als politische Religion fiel bei einer nur an der Oberfläche christianisierten Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Nun sollte man das FPÖ-Wahlplakat „Euer Wille geschehe“, das ebenfalls auf die Assoziation mit einem christlichen Motiv abzielt, nicht mit Nazipropaganda und Herbert Kickl nicht mit Hitler vergleichen. Nach Karl Marx wiederholt sich Geschichte nicht, und wenn, dann als Farce, d. h. als derbe, spottende Posse. Solche Possen – und das Plakat ist eine solche – können aber im politischen Raum nicht minder gefährlich sein. Denn Kickl und seine Gesinnungsgenossen appellieren nicht wie Hitler an religiöse Gefühle, sondern verspotten diese. Sie wissen, dass die österreichische Gesellschaft religiös ausgehöhlt ist. Das verächtliche Spiel mit religiösen Assoziationen steht ausschließlich im Dienst der schamlosen Durchsetzung von Machtinteressen. Die assoziative Verbindung mit nationalsozialistischen Vorstellungen („Volkswille“) ist die Hülle des blanken Willens zur Macht. Das Plakat ist deshalb nicht „nur“ Blasphemie, sondern Ausdruck einer postmodernen Dämonie. Denn eine Blasphemie lästert zwar, anerkennt aber immer noch die Wirklichkeit Gottes. Eine Dämonie anerkennt nur mehr irdische Macht und leugnet Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Aber worauf? Seit Jahrzehnten wird gegen Konventionen, Geschlechter stereotype und Stigmatisierungen gekämpft – braucht es da noch so eine aggressive Ansage? Als ich mir diese Frage stellte, erinnerte ich mich an mein von der britischen Musikerin Charlotte Emma Aitchison, zehnjähriges Ich, das am ersten Tag in der Unterstufe einen Auftritt älterer Schülerinnen zu Christina Aguileras besser bekannt als Charli XCX, aus. brat – also „Göre“ – ist der Titel ihres sechsten und aktuellen Albums. Bevor ich Song „Dirrty“ bewunderte. Die Jugendlichen ahmten das auf den Lifestyle eingehe, möchte ich darauf hinweisen, provokante Musikvideo nach, und ich war begeistert von dass ihr musikalisches Werk hochgeschätzt wird. der wilden, rebellischen „Xtina“, die sich von ihrem zucker- Der US-amerikanische Musikkritiker Anthony Fantano bewertet ihr Al- Bei näherer Betrachtung überrascht süßen Teen-Pop-Image lösen wollte. bum sogar mit zehn von zehn Punkten. Statt sich mit der künstlerischen Summer“ so erfolgreich ist. Ähnlich es mich also nicht, dass der „Brat Girl Leistung dieser jungen Frau zu befassen, konzentriert sich die Öffentlichckerwatten-Girlpop-Phase der 2000er wie „Dirrty“ den Übergang von der Zukeit jedoch lieber auf die „freche“ Social-Media-Bewegung. Diese will ich re Anhänger das Ende der „Clean markierte, leiten Charli XCX und ih- keineswegs verteufeln. Um ehrlich Girl“-Ära auf TikTok ein. In den vergangenen Jahren predigten „saubere“ zu sein, habe ich mich in den letzten Monaten weitgehend aus dem Social- weiße Mädchen die richtigen Lebensroutinen: Nahrungsergänzungsmittel, Media-Spiel zurückgezogen – zumindest so weit, wie es geht, ohne den sozialen Anschluss zu verlieren. Aber, Meal prep. Im Frühjahr schnürte Tik- Dankbarkeitstagebücher, Raumspray, und jetzt klinge ich vermutlich boomer licious: Es sind Tok das Korsett noch enger – unter den Begriffen „Tradwives“ oder „Stay-at-Home Girlfriends“ verherrlichten junge doch immer die gleichen Trends, die wiederkehren. Deshalb war ich zunächst skeptisch gegenüber dem „Brat Frauen ihre unterwürfige Hausfrauenrolle. Ihr Lebenssinn: den Mann verwöhnen, gut aussehen und bloß keine Girl Summer“. Zumal ich den Kern dieses Trends längst lebe: Ich mache mich nicht für andere schick, sondern Probleme machen. Bei aller Liebe, wenn ich die Wahl zwischen dem Diktat traditioneller Frauenbilder und einem verlasse das Haus auch mal mit verschmierter Schminke vom Vorabend und im bequemen Outfit. Bei mir ist das Sommer ohne Regeln habe, entscheide ich mich für brat. weniger eine Fashion-Entscheidung als vielmehr das Resultat schlechten Zeitmanagements. den sich vom Konkurrenzdenken, das unter den „braven, Die „Brat Girls“ feiern sich gegenseitig und verabschie- Aber zurück zu Social Media: Mit dem brat-Style hat tüchtigen Frauen“ herrscht. In dieser Hinsicht sehe ich das Marketingteam um Charli XCX ihrer Community einen Freifahrtschein erteilt, um „Scheiß drauf“ zu sagen. Beide wollen feiern, selbstbestimmt und frei kaum einen Unterschied zwischen „Swifties“ und Brats: sein. Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Aboservice: +43 1 512 52 61-52 Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl aboservice@furche.at Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Jahresabo (inkl. Digital): € 298,– Chefredakteurin Digital: Ana Wetherall-Grujić MA Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,– Redaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. Astrid Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (CvD), Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder, Anzeigen: Georg Klausinger Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic +43 664 88140777; georg.klausinger@furche.at Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz faktisch die Existenz Gottes, ungeachtet dessen, was öffentlich verkündet wird. Postmodern (im Alltagsverständnis) ist sie, weil sie keinen wie immer gearteten Anspruch auf Wahrheit anerkennt und alles für Eigeninteressen interpretiert und benützt. Mit dem Begriff der „Dämonen“ werden in der Bibel Prozesse und Dynamiken beschrieben, die auf die Zerstörung und Vernichtung von Leben zielen. Solche docken sich mit Vorliebe an Ängste, Sehnsüchte, Bedürfnisse angesichts realer Probleme an. Wenn also die FPÖ Lösungen für die zu lange ignorierten migrationspolitischen Probleme anbietet, bedient sie die damit verbundenen Ängste, zielt aber mit ihrem Ethnonationalismus letztlich auf die Exklusion all jener, die nicht den normativen Vorstellungen des imaginierten Volkswillens entsprechen. „Euer Wille geschehe“: Das ist die zynisch-spottende, nichts und niemanden ernst nehmende Ankündigung eines politischen Projektes zur Zerstörung der liberalen, menschenrechtsbasierten Demokratie und ihrer Institutionen im Namen eines divinisierten „Volkswillens“ auf Kosten von ethnisch und religiös „Anderen“. Das ist dämonisch. Nun haben jene, die vor einer Dämonisierung Kickls und der FPÖ warnen, schon recht – falls damit gemeint ist, die Verantwortung für zerstörerische politische Prozesse auf eine Person/ Gruppe zu projizieren und die eigene zu leugnen. Zu oft bezeugt dieser Einspruch aber nur das fantasielose, anbiederliche und feige Zurückweichen vor der bösartigen Energie, die sich auch in solchen Plakaten zeigt. Den beschwichtigenden Kickl/FPÖ-Verstehern ist auch zuzustimmen, dass Empörung keine Option ist. Empörung verstärkt zerstörerische Dynamiken und überdies das Risiko, dem bekämpften Gegner ähnlich zu werden. Auch Jesus von Nazaret, der Urheber des Vater Unser, empört sich nicht, wenn er Dämonen vertreibt. DIE FURCHE · 35 Von Regina Polak Zerstörerische Dynamiken stoppen, ohne Probleme zu leugnen Allerdings diskutiert und verhandelt er auch nicht mit dämonischen Mächten. Vielmehr zieht er eine klare und eindeutige Grenze, verweist sie vom Ort und heilt jene, die von Dämonen besessen sind. Er unterscheidet also klar zwischen der lebenszerstörerischen Dynamik und den Menschen, die von diesen besessen sind. Will man also die demokratiezerstörerischen Dynamiken stoppen, ist deren Protagonisten Einhalt zu gebieten und bedarf es fantasievoller Alternativen, die sich der nihilistischen Machtund Volkswillenlogik entziehen, ohne die Probleme zu leugnen. PS: In der Hebräischen Bibel, der auch Jesus als Jude verpflichtet ist, meint „Volk“ gerade keine ethnische, sondern eine Rechtsgemeinschaft. Das Gottes-Volk hat sich überdies darauf verpflichtet, den Willen Gottes zu tun. Das bedeutet: alle menschlichen Beziehungen, auch die politischen, gemäß der Vorstellungen des Reiches Gottes zu ethisieren. Die Assoziation mit dem „Volkswillen“ im besagten Wahlplakat ist daher eine Antithese zum biblisch bezeugten Glauben; der implizite Rekurs auf das Vater Unser dämonisch. Die Autorin ist Leiterin des Instituts für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Produziert nach Art Copyright ©Bildrecht, Wien. den Richtlinien des Österreichischen Dem Ehrenkodex der österreichischen Umweltzeichens, Presse verpflichtet. Druck Styria, UW-NR. 1417 Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. DIE FURCHE · 36 16 Diskurs 5. September 2024 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Kalt über den Rücken Sein Reich komme? Von Doris Helmberger Nr. 35, Seite 1 und allgemein Der Leitartikel bringt es in einer sprachlichen Dichte auf den Punkt, dass es einem kalt über den Rücken läuft. Herzlichen Dank dafür. Es ist ein bitterer Hochgenuss, ihn zu lesen und zu reflektieren. Insgesamt ist die dieswöchige FURCHE wieder einmal unerreicht in der literarischen und journalistischen Landschaft Österreichs. Josef Schmid, MSc MA 3350 Stadt Haag Brillante Kritik „Euer Wille geschehe“ Von Regina Polak Nr. 35, Seite 10 Vielen Dank für den hervorragenden Kommentar. Eine klar- und weitsichtige brillante Kritik! Kompliment! Dr. Ernst Jäger 6091 Götzens Statt Reparationen tiefere Erinnerung „Heiliger Newcomer“ Unheimliches Vermächtnis 85 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen soll Um die Geschichte, wie ein Splitter des Kreuzes Der Band „Miserere“ versammelt letzte Texte der ein neues Projekt in Berlin der Anerkennung pol ni- Christi in die südspanische Ortschaft Caravaca im Jänner verstorbenen österreichischen Autorin schen Leides Raum geben. · Seiten 6–7 kam, ranken sich Legenden. · Seite 8 Helena Adler. · Seite 15 Das Thema der Woche Seiten 2–4 „Euer Wille geschehe“, lässt Herbert Kickls FPÖ neuerdings plakatieren. Die Botschaft ist mehr als Blasphemie: Sie beschwört das Ende der parlamentarischen Demokratie, wie wir sie kennen. Sein Reich komme? E Welche Werte wir wählen: Freiheit Politik lebt von großen Ideen. Doch wie sehr kämpfen Österreichs Parlamentsparteien tatsächlich für ihre Ideale? Start der neuen FURCHE-Wahlserie. Folge 1: Liberalismus und Neos. „ ,Unterscheidung der Geister‘: Auf diese Gabe kommt es bis zur Nationalratswahl am 29. September an. “ Detail Flussmündung (Segelboote in leichter Brise) Jan van Goyen 1655; Foto: Getty Images / Universal Images Group / Sepia Times Foto: APA / Land Salzburg / Neumayr / Leopold / Neumayr Fotografie / Christian Leopold „Das Auto hat geschaukelt“ Pflanzenforscher Jiří Friml wurde diesen Sommer mit dem renommierten Wittgenstein-Preis ausgezeichnet. Ein Porträt. · Seite 20 „Das Vaterland versteckst du nicht einfach in der Tasche“ Nina Chruschtschowa lehnt das Politsystem von Putin ab. Trotzdem, vielmehr gerade deswegen sieht sie sich als Russin in der Verantwortung. Warum, erklärt sie im Interview. Seiten 13–14 AUS DEM INHALT Was ist der Geist von Alpbach? Alles ist eine Hetz „Ein singuläres Original“ Antiker Alltag Der Saibling in Bedrängnis furche.at Welche Hetze? wie oben Es sind Kommentare wie der von Regina Polak, die die Spaltung in der Gesellschaft selbst vorantreiben, wenn sie ihr Gegenüber gleich ins nationalsozialistische oder sogar ins dämonische Eck stellt. Es sollte sich mittlerweile schon herumgesprochen haben: Nazikeulen bewirken das Gegenteil von dem, was man eigentlich will. Auch wenn Polak es vermutlich gut gemeint und im schönen wissenschaftlichen Sprachduktus schreibt: Der Kommentar ist nahe an der Hetze. Denn was sind dann all jene, die der FPÖ ihre Stimme geben? Für Polak wohl entweder dumme, verirrte Schafe oder Menschen mit nationalsozialistischen und dämonischen Absichten. Sabine Krug via Mail Aufmerksamkeit erlangt wie oben Mein Kurzkommentar zum kompetenten Kommentar der Autorin Regina Polak: Und wieder ist es Kickl und seinen Gesinnungsgenossen gelungen, mit einem Plakat mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Dr. Wolfgang Himmler 8010 Graz Freiheit in einer Festung? wie oben sowie Welche Werte wir wählen: Freiheit Nr. 35, Seiten 2–4 Offensichtlich will die FPÖ die Freiheit hinter Festungsmauern einsperren: Was ist das für ein Verständnis von Freiheit? Sie will Mauern aufziehen, hinter denen Dinge geschehen sollen, über die man – so ein früherer Parteiobmann – sich noch „wundern wird“. Bei genauerem Hinschauen wird eine so selbst gestrickte Vorstellung von Freiheit zur Unfreiheit. Gerade beim Wahlkampfauftakt in Hallein hat Kickl in seiner oftmals schon gezeigten respektlosen Art gezeigt, wie es bei ihm um den Wert der Freiheit und eines guten Umgangs mit politischen Mitbewerbern, mit Mitmenschen, die bei GLAUBENSFRAGE Verachtung und Menschenliebe uns um Asyl angesucht haben, und Institutionen des Staates bestellt ist. Was da zu hören war, war nicht etwa eine feurige Rede mit Lösungsansätzen für die Probleme, die es gibt, sondern vielmehr eine beschämende Beschimpfung der Andersdenkenden. Das Programm schreckt dabei nicht einmal davor zurück, einerseits mit Bibelzitaten für seine Wahl zu werben, andererseits damit politische Mitbewerber zu beschimpfen. Seine Argumente sind kein Angebot, die Ängste der Menschen zu lindern, schon gar nicht eine Antwort auf die globalen Herausforderungen. Kickls Sprache ist eines politischen Repräsentanten nicht würdig. Es ist für einen Österreicher einfach zum Schämen, wie respektlos er über Menschen, die mit den Festspielen verbunden sind, oder auch über den Bundespräsidenten herzieht. Oder auch, wenn er mit seinen Hass-Reden seine „Fahndungslisten“ bejubelt. I 10 Diskurs 29. August 2024 KOMMENTAR „Euer Wille geschehe“: Ein FPÖ-Plakat als postmoderne Dämonie „ Kickl und seine Gesinnungsgenossen appellieren nicht wie einst Hitler an religiöse Gefühle, sondern verspotten diese. Es ist die Hülle des blanken Willens zur Macht. “ ERKLÄR MIR DEINE WELT Feiern, selbstbestimmt und frei sein erzlichen Glückwunsch! Es scheint, dass die Marketingmaschinerie bei Ihnen wirkt, denn genau H diese steckt hinter dem von Ihnen erwähnten brat- Trend. Wie Sie richtig feststellen, geht diese Bewegung „ Bei aller Liebe, wenn ich die Wahl zwischen dem Diktat traditioneller Frauenbilder und einem Sommer ohne Regeln habe, entscheide ich mich für ,brat‘. “ Ebenso haben wir auch noch die unfassbaren, menschlich zutiefst verletzenden Äußerungen gegenüber Verantwortungsträgerinnen in der EU („Hexentrio“) im Ohr. Mit solchen Wortspenden lassen Funktionäre der FPÖ ihre Masken fallen und zeigen, was sie von Freiheit halten – und offenbaren damit ihre Nichtwählbarkeit. Es sollten uns eher die spalterischen Hetzparolen von innen als die „Überfremdung“ von außen nachdenklich machen – und die FPÖ für unwählbar halten. Wir dürfen uns nicht von Hetze und Verschwörungsmythen beeindrucken lassen. Und wir sollten auch nicht auf Lügen, Verkehrung von Tatsachen und das „Gift der einfachen Lösungen“ hereinfallen. Von Asher D. Biemann Zeigen wir bei der Wahl, dass wir die Menschenwürde jeglichem Extremismus entgegenhalten. Gidi Außerhofer Hallein Dämon, nicht Person? wie oben Es ist wieder passiert: Die Strategen der FPÖ wissen ganz genau, womit sie Diskussionen und Aufsehen erregen. Und der Schaum im Mund von bestimmten katholischen Kreisen ist nicht nur einkalkuliert, sondern auch erwünscht, weil diese erstens die FPÖ eh nie wählen würden und diese zweitens auch innerhalb der Kirche einen gewissen Ruf haben. Bereitwillig tappt man in die Falle und hilft bei der Propagandierung. Ich persönlich finde die Plakate auch daneben. Was mich aber bei Prof. Polaks Kommentar stört, ist einerseits die schnelle Nutzung von Begriffen, die das Personsein des Gegenübers in Zweifel ziehen und damit von vornherein eine Diskussion abwürgen. Andererseits werden die kritischbesorgten Einstellungen stets auf zwei bestimmte Parteien angewandt. Wenn andere Parteien hingegen deutlich anti-christliche Werte vertreten, wird tunlichst geschwiegen. Dabei rede ich nicht nur vom Klassiker des Lebensschutzes, sondern auch, wenn etwa ein grüner Vizekanzler Unwahrheiten über die katholische Kirche erzählt oder die Neos selbst private religiöse Symbole aus den Schulen verbannen wollen. Da hätten sich Polaks Dämonie-Beschreibungen trefflich anwenden lassen können. Hätten… Ein Letztes noch: Wenn der Vergleich mit Nazi-Propaganda tatsächlich unangemessen ist, dann bringen Sie ihn bitte auch nicht! Diese Gegenüberstellung ist höchst problematisch, zumal ein bisserl insinuiert wird, dass Kickl noch schlimmer als Hitler wäre. Und so etwas sagt mehr über einen Autor aus als über Kickl selbst. MMag. Armin Haiderer, BA Präsident der Katholischen Aktion St. Pölen 2008–2022 Vizepräsident der KAÖ 2018–2021 Erheitert zurückgelassen wie oben sowie „mozaik“ von Manuela Tomic Die Wortmeldungen zum FPÖ-Plakat des geschehenden Willens sind eine Wohltat. Danke dafür. Und wenn man gerade keine Zeit hat, längere Texte zu lesen: „mozaik“ geht immer, lässt einen mitunter ratlos, aber immer erheitert zurück. Christian Euler via Mail „Kings Cash“, das jüngste Rubbellos der Österreichischen Lotterien, bringt ein bisschen royales Flair in die Annahmestellen „Königliches“ Rubbellos – bis zu 100.000 Euro Gewinn Ein herrschaftlich-kräftiges Rot und ein luxuriöses Gold – sie gehören zu den königlichen Farben und sind auch die dominierenden Farben von „Kings Cash“, dem neuen Rubbellos der Österreichischen Lotterien. „Kings Cash“ bietet drei einzelne Spiele mit der Chance auf Gewinne von bis zu 100.000 Euro. Unter der Rubbelschicht eines jeden der drei Spiele pro Los befinden sich Geldbeträge. Rubbelt dreimal den gleichen Betrag pro Spiel frei, dann hat man diesen Betrag gewonnen. Man kann mit einem Los bis zu dreimal gewinnen. Das Rubbellos „Kings Cash“ wurde mit einer Auflage von einer Million Losen produziert und ist zum Preis von 5 Euro in allen Annahmestellen der Österreichischen Lotterien erhältlich. Die Ausschüttungsquote beträgt 58%. Die Chance auf einen Gewinn beträgt 1:2,85. „Kings Cash“ ist das neue Rubbellos der Österreichischen Lotterien. Foto: © Österreichische Lotterien Sefan Zweigs späte Erinnerungen an die behütete Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beschreiben eine bürgerliche „Welt der Sicherheit“. Als Hannah Arendt 1943 Zweigs posthum erschienene Welt von gestern aus ihrem amerikanischen Exil besprach, schrieb sie diesen denkwürdigen Satz: „Hätten Juden jener west- und zentraleuropäischen Länder sich auch nur im Mindesten um die politische Realität gekümmert, sie hätten allen Grund gehabt, sich nicht gerade sicher zu fühlen.“ Diese Worte haben heute einen unheimlichen Nachklang. Denn sie sind nicht nur an Jüdinnen und Juden gerichtet, und nicht nur an europäische Länder, sondern sie betreffen eine viel weitere politische Realität und eine viel größere Zahl von Menschen unter uns, die sich heute nicht mehr gerade sicher fühlen. Ein politischer Bannkreis schließt sich immer enger um all jene, die irgendwie „anders“ sind. Er schließt sich, da Politik wieder zu dem geworden ist, was Max Scheler um die Zeit des Ersten Weltkriegs „Massenschmeichlerei“ nannte. Für Scheler sollte der Politiker „Vorbild“ sein und damit eigentlich „Massenverächter“, denn die „Masse“ ist immer launisches „Augenblicksgeschöpf“. Die Kunst der Politik sei es, die Masse zu verachten, aber den Menschen zu lieben. Dies war kein Elitismus bei Scheler: Es war politische Verantwortung. Eine Debatte ist entfacht um ein Gesetz, das unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ den neuen Antisemitismus bekämpfen soll. Besonders in progressiven Kreisen wird der Entwurf als Gesinnungs-Polizei verurteilt. Tatsächlich: Gegen Gesinnungen gibt es kein Gesetz. Aber es gibt Verachtung und Menschenliebe, die einzigen Mittel der Gesellschaft, die Launen der Masse vor ihrer politischen Salonfähigkeit zu bewahren. So wird politische Realität vielleicht mehr als bloßer Widerhall. So wird sie Vorbild. Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA. RELIGION IN KÜRZE ■ Martin Selmayr neuer EU-Botschafter beim Vatikan Martin Selmayr (53), zuvor Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich, hat sein Amt als EU-Botschafter beim Heiligen Stuhl angetreten. Damit vertritt er die Europäische Union auch beim Souveränen Malteserorden, der Republik San Marino sowie den in Rom ansässigen UN-Organisationen. Selmayr folgt der niederländischen Diplomatin Alexandra Valkenburg (54) nach, die seit 2020 amtiert hatte. RELIGION ■ Regina Petrik neue KAÖ-Generalsekretärin Regina Petrik ist seit 1. September neue Generalsekretärin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ). Ferdinand Kaineder, Präsident der KAÖ, nannte Petrik eine „profunde Kennerin der kirchlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und Vorgänge“. In den Jahren 2012 bis 2023 war Petrik Landessprecherin der Grünen im Burgenland. Zuletzt zog sie sich aus allen politischen Funktionen zurück.
DIE FURCHE · 36 5. September 2024 Kunst 17 Vor 250 Jahren, am 5. September 1774, wurde Caspar David Friedrich geboren. Er veränderte die Landschaftsmalerei. Seine Gemälde irritierten – und sie wirken bis heute. „Wir wissen nicht, wohin“ Foto: Wikipedia (Gemeinfrei) Von Brigitte Schwens-Harrant Welche „Anmaßung, wenn die Landschaftsmalerei sich in die Kirchen schleichen und auf Altäre kriechen will“! Basilius von Ramdohr, Kammerherr in Dresden, polemisierte 1809 in der Zeitung für die elegante Welt unter dem Titel „Über ein zum Altarblatte bestimmtes Landschaftsgemälde von Herrn Friedrich in Dresden, und über Landschaftsmalerei, Allegorie und Mystizismus überhaupt“ gegen jenen Maler, der mit seinem Gemälde „Das Kreuz im Gebirge“ für großes Aufsehen sorgte und damit in die Kunstgeschichte ebenso eingegangen ist wie der Streit, den sein Bild auslöste. Was hatte Caspar David Friedrich (1774–1840) da gemalt? Ein Kreuz auf einem Gebirge, hinter dem aus einer nicht sichtbaren Lichtquelle fünf Strahlen in den Himmel führen. Das Bild hat die Form, wie sie bei Altären üblich ist und ist nach oben hin halbkreisförmig abgerundet. Auch der Bilderrahmen wurde von Friedrich selbst entworfen, er gibt dem Gemälde eine gotisierende Form und ist mit religiösen Symbolen geschmückt. Der Rahmen lässt also ein Bild mit religiösem Inhalt erwarten. Verstörend anders Das Gemälde weist tatsächlich typische Merkmale christlicher Ikonografie auf, etwa ein Kreuz – das sich allerdings nicht in der Mitte befindet und auf dem der Corpus nicht nach vorne gerichtet ist –, und in der akribischen Konstruktion und Konstellation ist die Form eines Dreiecks zu erkennen, traditionell ein Symbol für die Dreifaltigkeit. Aber statt eine religiöse Szene zu erzählen, zeigt Friedrich eine Landschaft. Erhebt er hier die Landschaft in eine religiöse Sphäre? Löscht er die religiöse Historie mit Landschaft aus? Und: Bricht er nicht auch mit einigen Regeln der Kunst? Denn auch die Landschaft, die Caspar David Friedrich hier darstellte, ist kein Abbild der Natur, sondern eine kunstvolle Konstruktion. „Das Kreuz im Gebirge“, auch Tetschener Altar genannt, ist beileibe nicht das einzige Bild, in dem Friedrich einige Details sehr exakt malte, aber die einzelnen Bestandteile so zusammensetzte, dass weder eine reale Landschaft, die eventuell als Vorbild diente, abgebildet wurde, noch dass die Perspektive stimmt. Ein genauer Blick auf „Das Kreuz in Gebirge“ etwa zeigt: Von keinem Punkt aus könnte der Maler die Landschaft genau so sehen, wie er sie gemalt hat. „Um den Berg zugleich mit dem Himmel in dieser Ausdehnung zu sehen, hätte Herr Friedrich um mehrere tausend Schritte in gleicher Höhe mit dem Berg und so stehen müssen, daß die Horizontallinie mit dem Berg gleichlief. Aus dieser Distanz konnte er gerade gar keine Details innerhalb der Umrisse des Berges sehen“, kritisierte Ramdohr. Mehr noch, „die Beleuchtung des Kruzifix“ sei „völlig gegen die ersten Regeln der Optik. Denn zieht man das Prisma der Sonnenstrahlen, welche den Himmel durchschneiden, bis zu dem Punkt zusammen, von dem sie ausgehen, nämlich bis zur Sonne, so kommt ihr Stand so niedrig zu stehen, daß es unmöglich wird, daß Herr Friedrich, der hinter dem Berg stand, auch nur den geringsten Abglanz des Gestirns an der Christusfigur, am wenigsten von unten auf, habe bemerken können.“ Da hatte Herr Ramdohr schon recht, aber offenbar war es Herrn Friedrich darum auch gar nicht gegangen. Der Blickpunkt bleibt in vielen seiner Bilder ungewiss. Das gehört zu den Faszinosa von Friedrichs Gemälden. Auch an der Beseitigung von Widersprüchen, die man ihm vorwarf, war der Maler, so der Kunsttheoretiker László F. Földényi, gar nicht interessiert, er vertiefte sie sogar. Oft stellt er etwa den Vordergrund ganz genau dar, während der Hintergrund verschwimmt, oft gibt es gleichzeitig mehrere Tageszeiten im Bild und der Raum ist so strukturiert und konstruiert, dass er irritiert. Das Ungewisse, Offene, das angesichts seiner Gemälde oft empfunden wird, wird nicht nur durch die Motive ausgelöst, wie etwa durch ein weites Meer, einen verschwimmenden Himmel oder alles verwischenden Nebel, sondern resultiert auch und gerade aus der Art und Weise der Darstellung. „Wolke und Nebel waren für Friedrich nicht nur ein ‚Thema‘, ein ‚Objekt‘, sondern ein Bindegewebe, das sogar durch seine in hellstes Licht getauchten Bilder hindurchschimmert. […] Die Wolken und die Nebel untergraben die Verlässlichkeit des Raumes und lassen die Perspektive kippen“, erkennt Földényi in seinem Großessay „Der Maler und der Wanderer“ über das Bild „Wanderer über dem Nebelmeer“. Viel Kritik Wenn jemand etwas neu und anders macht, bleibt Kritik nicht aus. Das war auch in diesem Fall, bei diesem Maler so. „Die Kritiken begleiten ihn auf seiner ganzen Laufbahn“, schreibt Földényi in seinem 1986 erstmals erschienenen und nun wieder neu aufgelegten Essay über Caspar David Friedrich und „Die Nachtseite der Malerei“: „der vom Maler eingenommene Blickpunkt sei unbestimmbar; im Gegensatz zum Vordergrund sei vom Hintergrund kaum etwas zu sehen; der Horizont sei unwirklich gerade; die Wolken wirkten unnatürlich; zwischen der Höhe und der Leuchtkraft von Sonne und Mond bestehe meistens keine Harmonie; zwischen den Perspektiven fehle der Übergang; er kenne Das Große Gehege Das Gemälde aus dem Jahr 1832 verblüfft aufgrund der darin ausgeführten Raumkonstruktion von Himmel und Erde auch heute noch. „László F. Földényi über Caspar David Friedrich: Das Sehen sehen“ von Brigitte Schwens-Harrant, 17.11.2021, furche.at. „ Der Blickpunkt bleibt in vielen seiner Bilder ungewiss. Das gehört zu den Faszinosa von Friedrichs Gemälden. “ nicht die Kunst der Beleuchtung, die Farbabstufungen, die Regeln der Kunst, deshalb male er – und das sagte Goethe – trotz seines unermesslichen Talents unerträgliche Bilder.“ Umgekehrt aufgehängt würden Friedrichs Bilder genauso viel bedeuten, meinte Goethe; statt seines Werkes hätte der Maler genauso gut eine leere Leinwand ausstellen können, sie hätte einen ähnlich tiefen Sinn, lautete 1820 das Urteil eines anderen Kritikers. Herzog August von Sachsen-Gotha stellte fest, Friedrichs Bilder seien „bunte, krause, polarische Unnaturen“, man könne sie von allen Seiten betrachten, „ohne zu wissen, was es ist“. Man meint in diesen Reaktionen jene wiederzuerkennen und zu lesen, die viel später gegen die abstrakte Kunst polemisierten. Und tatsächlich: Wassily Kandinsky hielt Friedrich für den Erfinder der abstrakten Kunst; und auch wenn das kunstgeschichtlich vielleicht nicht halten mag: Sieht man sich „Das Große Gehege“ aus dem Jahr 1832 an, mag man aufgrund der darin ausgeführten Raumkonstruktion von Himmel und Erde heute noch staunen. Leer sind nicht nur viele Landschaften, die Friedrich malt, sondern war offenbar auch sein Atelier. Die Staffelei, ein Stuhl, ein Tisch und eine Reißschiene an der Wand: Mehr gab es nicht, so beschreibt der Sohn eines Malerkollegen den Ort, wo Friedrich arbeitete. Nicht in der Natur, sondern dort, in seinem leeren Atelier, FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE
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