DIE FURCHE · 36 12 Bildung 5. September 2024 In der Volksschule Oskar-Spiel-Gasse lernen Schülerinnen und Schüler spielerisch den Umgang mit Zahlen. Dass man auf diese Weise mehr Kinder begeistert, glaubt auch Rudolf Taschner. Vielleicht sogar jene, die sich zum Schulstart besonders vor den Rechenstunden fürchten. Wenn Zahlen Geschichten erzählen Von Magdalena Schwarz Das Ende der Sommerferien bringt für Schülerinnen und Schüler Vorfreude und Ängste mit sich. Mathematik ist das Fach, das besonders polarisiert. Wenn es um diese Disziplin geht ist Rudolf Taschner, emeritierter Universitätsprofessor und Nationalratsabgeordneter (ÖVP), der Experte – doch heute ist er ausnahmsweise nicht derjenige, der erklärt, sondern der, der zuhört. Er ist zu Gast in der Volksschule Oskar- Spiel-Gasse im 19. Wiener Gemeindebezirk. Hier findet am Ende des Schuljahres mit den „Expertentischen“ der krönende Abschluss einer freiwilligen Mathematik-Übung statt: Neun Schülerinnen und Schüler demonstrieren ihren Eltern Aufgaben aus der Welt der Zahlen und Formeln. Sie erzählen vom jungen Karl Gauß, der seinen Lehrer mit seiner Summenformel beeindruckte, erklären das Geheimnis der Primzahlen und bauen die „Leonardo-Brücke“ des Universalgenies Leonardo Da Vinci nach. Der böse Wolf Julia Frischauf unterrichtet die freiwillige Übung bereits seit zwei Jahren. Sie ist an der Schule für Begabungs- und Begabtenförderung zuständig. An den wöchentlichen Mathematikeinheiten nehmen jene Kinder teil, die beim Känguru-Wettbewerb, einem weltweit im März durchgeführten Test, gut abgeschnitten haben. Doch, das betont Schulleiterin Gabriele Riefler, die Übung ist für alle offen. „Die Kinder, die hier im Kurs sind, sind nicht hochbegabt, sondern einfach begabt und haben ein Interesse an Mathematik“, sagt auch Frischauf. Noch mehr beeinflussen aber die Gefühle, die Kinder einem Fach entgegenbringen, ihre Leistungen. Hier gibt es eine gute Nachricht: Die PISA-Ergebnissen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass Schüler in Österreich weniger Angst vor Mathematik haben, als dies in anderen EU-Ländern der Fall ist. Die schlechte Nachricht: Seit 2012 ist die Furcht vor den Zahlen hierzulande signifikant gestiegen, und zwar bei Mädchen und Burschen. (Generell haben Mädchen in allen EU-Ländern mehr Angst vor dem Fach.) Wie macht man die Mathematik spannend für möglichst viele Kinder? Wie „ Die Bildung sollte in den Eltern-Kind- Pass. Haben die Eltern geschaut, ob diese das höchste Gut ist? Stempel drauf oder nicht ... “ Rudolf Taschner Es war einmal Am Schulschluss besuchte Rudolf Taschner eine Wiener Volksschule. Dort sind Kinder die Mathe-Experten und erzählen spannende Anekdoten. nimmt man ihnen die Angst vor den Zahlen? Laut Taschner gibt es einen einfachen Trick: „Sie müssen Geschichten erzählen, daran sind die Leute wahnsinnig interessiert“. Genauso, wie Julia Frischauf es in ihrer freiwilligen Übung macht, in der sie den Schülerinnen und Schülern zum Beispiel die Cäsar-Chiffre näherbringt. Dieses einfache Verschlüsselungsverfahren soll der römische Kaiser schon vor über 2000 Jahren verwendet haben, um geheime Botschaften zu schicken. Eines der Kinder erklärt Taschner, wie die Geheimsprache funktioniert – und zwar mit Zettel und Stift. In ihrer Mathematik-Übung bespricht Frischauf auch verschiedene Zahlensysteme mit den Kindern, eine Vorbereitung für das Programmieren. Abgesehen davon setzt sie aber auf analoge Methoden. Lern-Apps können den Unterricht ergänzen, aber nicht ersetzen, stimmt Riefler zu. Mithilfe einer neuen Schulordnung hat sie sogar Handys aus den Klassenzimmern verbannt. Sind Computer nicht elementar für die moderne Mathematik? Taschner schüttelt den Kopf. „Mathematik ist die zweitbilligste Wissenschaft nach der Philosophie: Man braucht nur Zettel, Stift und Papierkorb. Die interessantesten Mathematiker sind die, die es im Kopf haben.“ Eine Utopie Noch wichtiger für den Bildungserfolg als Talent oder Unterrichtsmethoden ist der Bildungsgrad der Eltern, das zeigen die PI- SA-Ergebnisse immer wieder. Schulleiterin Riefler bestätigt das: „Es gibt schulinteressierte Eltern, die fragen: Warum gibt es dieses und jenes Angebot noch nicht? Und dann gibt es auch Eltern, die sind froh, wenn ihr Kind überhaupt einen Schulplatz hat“. Taschner würde sich wünschen, dass das elterliche Bemühen um die Bildung der Kinder im Eltern-Kind-Pass steht. „Haben die Eltern geschaut, ob Bildung das höchste Gut ist? Stempel drauf oder nicht.“ Seine praktischen Erfahrungen im Bildungssystem sammelte er durch seine Lehrtätigkeit an der Universität und seine Jahre als Mathematiklehrer am Wiener Elite-Gymnasium Theresianum. Rieflers Utopie für das österreichische Bildungssystem wäre eine natürliche Durchmischung der Schülerinnen und Schüler am Schulstandort. Sie hat Verständnis dafür, dass viele Familien mit sozialen und finanziellen Herausforderungen kämpfen. Es läge an den Lehrkräften, die Kinder dort abzuholen, wo sie stehen. „Das ist unsere Aufgabe, und die ist größer denn je. Die Bandbreite unter den Kindern ist heute sehr groß.“ Begabungen sind unabhängig von Gesellschaftsstrukturen, Ethnien und Religionen“, sagt die Schulleiterin. „Man muss sie nur entdecken.“ Ihr FURCHE-Abo Als FURCHE-Leser:in schätzen Sie Journalismus mit Sinn: unterschiedliche Standpunkte und neue Perspektiven, am Menschen ausgerichtet, verantwortungsbewusst und tiefgründig. 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DIE FURCHE · 36 5. September 2024 Gesellschaft 13 Von Isabel Frahndl mein Name ist Gurke und ich muss nun zum dritten Mal ope- „Hallo, riert werden“, beginnt ein Spendenaufruf auf der Online-Plattform GoFundMe (zu Deutsch: Geh und finanziere mich). Darüber prangt ein Foto von einem spitzgesichtigen, grauen Hund, der leidend aus einer Plastikkrause herauslinst. Und daneben: eine Liste der 80 Personen, manche mit Klarnamen, manche anonymisiert, die bereits gespendet haben, um Gurke von seinen Urinsteinen zu befreien. Etwa 750 Euro sind es schon, 5000 Euro sollten es werden. Was nicht gebraucht wird, werde laut Gurkes „Mami“, einer jungen, unbezahlten Praktikantin, an ein Tierheim gespendet. Seit seiner Gründung 2010 ist GoFundMe nach eigenen Angaben zur meistgenutzten Online-Spendenplattform geworden. Betrug komme kaum vor; „für den seltenen Fall, dass etwas nicht stimmt“, würden Spenden laut Website ein Jahr lang voll rückerstattet werden. Laut GoFundMe gäbe es ein „Team für Sicherheit“, das Initiativen auf ihre Authentizität prüft. Dieses wird jedoch laut Website erst aktiv, wenn der Verdacht eingereicht wird, dass die eigene Spende veruntreut worden sein könnte. Ob Gurkes OP also wirklich 5000 Euro kostet beziehungsweise ein Überschuss an Spendeneinnahmen tatsächlich einem Tierheim zugutekommt, ist also zunächst kaum nachweisbar. Die 80 Menschen, die bereits gespendet haben, haben – sofern sie die Initiatorin nicht persönlich kennen – keine konkreten Beweise für die Authentizität des Spendenaufrufs, abgesehen von ihrer Intuition und ihrem Glauben an die Menschheit. Besonders in Ländern mit schlechter Krankenversicherung wie den USA sind viele Menschen mit schweren Erkrankungen auf den karitativen Geist ihrer Mitmenschen angewiesen, weil sie ihre Arztrechnungen anders nicht bewältigen können. Rührselig und intransparent Viele Social-Media- Beiträge, die die Emotionen ansprechen, verleiten Menschen dazu, helfen zu wollen. Praktischerweise ist der Weg zur Kasse meist nicht lang. Tierarztrechnungen, OP-Kosten, Familien in Gaza: Im Internet kursieren unzählige Spendenaufrufe. Transparenz ist dabei oft Nebensache. Liken, Teilen, Spenden Geld für einen neuen BMW Dass „der seltene Fall“ einer Veruntreuung von GoFundMe-Spenden jedoch durchaus vorkommen kann, zeigen Geschichten wie die einer US-Amerikanerin, deren Spendenaufruf für einen Obdachlosen in sozialen Netzwerken viral gegangen ist. Der Mann habe ihr sein letztes Geld gegeben, weil ihr das Benzin ausgegangen sei, und dafür wolle sie sich revanchieren. Da GoFundMe direkt mit Instagram, Facebook und Co. verknüpft werden kann, ist der Weg vom emotionalen Posting zur Spendenkasse nur ein paar Klicks lang. An die 14.000 Menschen spendeten so insgesamt über 400.000 US-Dollar an einen „obdachlosen Mann“, bei dem es sich aber in Wahrheit um einen Bekannten der Initiatorin handelte. Laut Staatsanwaltschaft seien Spendengelder unter anderem für einen BMW, Designerhandtaschen und einen Silvestertrip in ein Casinoparadies ausgegeben worden. Das Fazit: Kennt man die Menschen hinter den Spendenaufrufen nicht persönlich, kann es schwierig sein, sich von ihrer Authentizität und ihren Motiven zu überzeugen. In Österreich können wohltätige Organisationen und Initiativen sich von der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ein Spendengütesiegel verleihen lassen, das für Sicherheit und Transparenz beim Spenden steht. Bei Online-Privatinitiativen fehlen solche Kontrollinstanzen. Ein sicherer Weg, über Social Media zu spenden, war bis vor Kurzem das Spenden- Tool von Meta, das Nutzerinnen und Nutzern erlaubte, Spendenaufrufe für verifizierte Wohltätigkeitsorganisationen zu sammeln. Viele nutzen diese Funktion, um sich etwa zu ihrem Geburtstag eine Spende in ihrem Namen an das Rote Kreuz oder das SOS Kinderdorf zu wünschen. „ Die Möglichkeit, privat zu spenden, fördert eine ‚Kultur des Gebens‘. Es geht darum, Altruismus und Unterstützung für andere Menschen ins Gedächtnis zu rufen. “ Gerald Czech Mit Juli 2024 hat der Meta-Konzern dieses Tool jedoch für den Europäischen Wirtschaftsraum ohne konkrete Begründung eingestellt. Direkte Spenden auf den Social-Media-Seiten der Wohltätigkeitsorganisationen sind damit auch nicht mehr möglich. Viele österreichische Hilfsorganisationen kritisieren diesen Schritt hart und warnen vor einem Einbruch der Spendensummen. Vor allem bei großen internationalen Katastrophen seien auf diesem Wege relevante Summen gesammelt worden, so Gerald Czech, Pressesprecher vom Österreichischen DATEN UND FAKTEN „Rekord-Großzügigkeit“ Roten Kreuz. Als eines der größten österreichischen Wohltätigkeitsorganisationen sieht Czech das Rote Kreuz zwar nicht in seiner Existenz gefährdet; das Tool habe jedoch durchaus zum karitativen Geist der Gesellschaft beigetragen. „Ich selbst habe mir ein paar Mal zum Geburtstag gewünscht, dass Freunde und Bekannte für ein Rot-Kreuz-Projekt spenden. Diese unbürokratische Möglichkeit, privat zu spenden, fördert eine ‚Kultur des Gebens‘, wie es der Fundraising-Verband so schön formuliert. Es geht darum, mittel- und langfristig Altruismus Inflation, Kriege, Klimakatastrophen: Die großen Krisen unserer Zeit scheinen dem österreichischen Wohltätigkeitsgedanken keinen Abbruch zu tun – im Gegenteil. 2023 wurde in Österreich laut Bericht des Fundraising Verband Austria mit 1,1 Mrd. Euro so viel wie noch nie gespendet. Das entspricht einer Steigerung von über 26 Prozent innerhalb eines Jahres. Diese „Rekord-Großzügigkeit“ sei vor allem mit der großen Hilfsbereitschaft für die Ukraine zu erklären. Mit 84 Prozent wurde der Mammutanteil von Privatpersonen gestellt; mittlerweile kommt außerdem jeder neunte Spendeneuro des Landes aus einem Testament oder einer Erbschaft. Von Unternehmen stammen „nur“ acht Prozent des Aufkommens. Foto: iStock/michellegibson und die Unterstützung für andere Menschen ins Gedächtnis zu rufen“, so Czech. Den Trend, online für Privatinitiativen zu spenden, findet Czech nicht verwerflich, sondern in erster Linie förderlich für den Altruismus-Gedanken: „Ich würde nicht grundsätzlich mit Misstrauen herangehen. Man kann Veruntreuungen natürlich nie ausschließen, und die Chancen, dass alles passt, sind bei etablierten Organisationen höher, weil es dort ein Rechnungswesen und andere Kontrollinstanzen gibt. Andererseits wurde immer schon von Person zu Person geholfen. Früher haben sich Nachbarn zusammengetan und Spenden gesammelt, um einen Wald zu retten oder eine Straße zu verschönern. Heute werden solche Aktionen mit digitalen Tools unterstützt. Ich finde es sehr sinnvoll, auch digitale Möglichkeiten zu ergründen.“ Hinter dem Hundeblick Außerdem ist GoFundMe kein rechtsfreier Raum. Die Plattform arbeitet nach eigenen Angaben im Ermittlungsfall mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Wichtig ist trotzdem, sich nicht nur von traurigen Hundeaugen in einem Instagram-Posting direkt zum Spenden verleiten zu lassen. Schon ein kurzer Hintergrund-Check im Internet kann hilfreich sein, etwa eine Querrecherche des Namens von Gurkes Besitzerin oder ein Blick auf ihre Instagram-Seite. Denn Spenderinnen und Spender sollten sicher sein, dass ihr Geld ankommt und sinnvoll genützt wird – wie etwa für eine Operation, die einen Wiener Hund um ein paar Urinsteine leichter macht. In seinem Text „Hilfe, die Helfer kommen!“ vom 14. Dezember 2006 reflektierte Georg Bauernfeind von „Jugend Eine Welt“ über den Beginn seiner Beziehung zum Spenden – nachzulesen auf furche.at. VORSORGE & BESTATTUNG 11 x in Wien Vertrauen im Leben, Vertrauen beim Abschied 01 361 5000 www.bestattung-himmelblau.at wien@bestattung-himmelblau.at
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