DIE FURCHE · 36 10 Religion 5. September 2024 Stephan Schulmeister übte als Sprecher des christlichen „Bündnis Demokratie und Respekt“ dieser Tage scharfe Kritik an der Politik der FPÖ. „ Österreich war Jahrhunderte lang Teil eines Vielvölkerstaats. Die wichtigste Botschaft einer österreichischen Leitkultur wäre also: Wir haben keine. “ Stephan Schulmeister FORTSETZUNG VON SEITE 9 Punkte findet, die katholischen Positionen widersprechen. Und da bleibt dann relativ wenig über. Aber noch ein Punkt ist mir wichtig: Die Kirche besteht nicht nur aus den Bischöfen, sondern aus allen Gläubigen. Diese können fragwürdige Positionen im Wahlkampf einordnen. Und alle anderen wird auch eine Aussage der Bischöfe oder des Laienrats nicht überzeugen. Schulmeister: Der Begriff der „Homogenität“ ist klar rassistisch. Er hat eben einen Volksbegriff zugrunde, das arbeitet auch die Deutsche Bischofskonferenz ganz nüchtern heraus. Ethnos ist etwas anderes als Demos. In der Demokratie operieren wir mit dem Begriff des Demos, wo jeder – unabhängig von seiner ethnischen Zugehörigkeit – Teil des Volkes ist. Der rassistische Volksbegriff, der ethnische, sagt hingegen, es gibt echte Österreicher. Und dann gibt es eben die Ausländer. Jetzt unterscheidet Kickl zwischen den Braven, die sich assimilieren, und den Eindringlingen. Und die Eindringlinge, die müssen wir dann eben „remigrieren“. Das ist schon so nah an der faschistischen Ideologie, dass einem schlecht werden kann. Was mich aber am meisten bedrückt, ist das ÖVP-Wahlprogramm. In den wesentlichen Punkten ist es genau auf derselben Linie wie das der FPÖ. So einen Irrsinn kann eine Partei nur beschließen, wenn sie in Panik versucht, es dem Herrn Kickl nachzumachen. Mazal: Was heute gerne übersehen wird ist, dass Politik eben nicht nur ein rein rationaler, sondern auch ein emotionaler Vorgang ist. Und ich glaube, man braucht eben diese Mischung, dass man die Menschen auch in ihren Ängsten ernst nimmt und nicht die Ängste per se verteufelt – und dann eine entsprechende rationale Antwort zu entwickeln versucht. Aber in den letzten Jahren wurden Menschen, die sich ängstlich gefühlt haben, fast zu Idioten erklärt und als Rechtsaußen etikettiert. DIE FURCHE: Zentral ist hier das Thema Migration, wo es tatsächlich Probleme gibt. Sie, Herr Mazal, sind auch im Expertenrat zum Thema „Leitkultur“ von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) vertreten. Neben der grundsätzlichen Kritik an diesem Begriff ist vielen auch unklar, was die Definition einer etwaigen „Leitkultur“ überhaupt bringen soll? Mazal: Es geht hier um die Frage, was ist für unsere Kultur wichtig. Leitkultur ist für mich ein Thema, das sich nicht nur an das migrantische Milieu wendet, sondern auch an die „Stammbelegschaft“. „ Die Zeiten sind vorbei, dass ältere Herren der Bevölkerung erklären müssen, was sie zu wählen haben. Das halte ich auch für demokratiepolitisch falsch. “ Wolfgang Mazal Wofgang Mazal ist Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung. Seit 2021 ist er auch Präsident des Katholischen Laienrates. Fotos: Clemens Fabry Es ist ein Thema der sozialen Kohäsion. Hier geht es nicht um den Maibaum, sondern um grundsätzliche Fragen der Gestaltung des Einigenden in einer pluralen Gesellschaft. Das gehört reflektiert und artikuliert. Schulmeister: Mein Vater (Otto Schulmeister war langjähriger Presse-Chefredakteur, Anm.) war gewiss ein sehr konservativer Intellektueller. Aber beim Gedanken an eine genuin österreichische „Leitkultur“ würde er sich im Grabe umdrehen. Es gibt doch kein einziges Land in Europa, das so sehr und seiner Essenz nach ein durchmischtes ist wie Österreich – weil es eben sieben Jahrhunderte lang ein Vielvölkerstaat war und wir nur ein Teil davon sind, wenn auch der dominierende Teil. Die wichtigste Botschaft einer österreichischen Leitkultur wäre also: Wir haben keine! Mazal: Ihre Botschaft ist absolut abzulehnen. Auch ich bin der Überzeugung, dass Österreich wesentlich aus der Vielfalt geprägt ist, doch ist das per se noch kein Rezept einer sozialen Kohäsion. Und darüber muss man reden: Was sichert soziale Kohäsion, damit wir in Vielfalt gut miteinander leben können. Da braucht es auch eine Gemeinsamkeit. Und die erfordert meines Erachtens beispielsweise eine Kultur der grundsätzlichen Achtung von staatlichen Normen und Organen, der grundsätzlichen Achtung von anderen, der Rücksicht auf andere, der Neugier und Offenheit gegenüber anderen, aber auch des Suchens nach Gemeinsamkeit. Das wären für mich Beispiele einer Leitkultur, die wir pflegen und vertiefen sollen. DIE FURCHE: Kommen wir zurück zu Herbert Kickl. Dieser gilt nicht gerade als Kirchenfreund und lieferte sich in der Vergangenheit regelmäßig mediale Scharmützel mit Kardinal Schönborn; während der Pandemie empfahl er etwa den Kirchen, ihre Kirchenbeitragseinhebung auszusetzen. Was wäre für die Kirchen zu erwarten, falls Kickl tatsächlich Kanzler wird? Mazal: Diese Frage ist Kaffeesudleserei. Wir haben keine Ahnung, wie das Wahlergebnis aussehen wird, geschweige denn, welche Koalitionsmöglichkeiten sich daraus ergeben oder gar, was Inhalt eines Koalitionsabkommens ist. DIE FURCHE: Wären Sie dafür, dass zum Beispiel in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Kirchen den Kirchenbeitrag aussetzen sollten, wie es Kickl forderte? Mazal: Eine Institution hat ein Recht darauf, sich zu finanzieren und über das Ausmaß selbst zu entscheiden. Das gilt auch für die Kirchen. Ich habe auch den Eindruck, dass die Einhebung des Kirchenbeitrags mit Augenmaß erfolgt, wenn es soziale Probleme gibt. Das Thema ist jedenfalls nicht Sache des Staates. Schulmeister: Die FPÖ könnte ja nur mit der ÖVP koalieren – und die wird schon schauen, dass keine allzu großen Angriffe auf die Kirche stattfinden werden. Wirklich gefährdet wären aus meiner Sicht jene Institutionen, auf die beide Parteien Hass hegen. Das ist der ORF und die Medienlandschaft im Allgemeinen. DIE FURCHE: Wird die ÖVP tatsächlich bei der Ansage bleiben, keine Regierung mit Kickl zu bilden? Die FPÖ wird es ja ohne Kickl nicht geben. Wird man also davon ausgehen können, dass es diese Koalition nicht geben wird? Mazal: Wahrscheinlich. Aber es kann im Interesse des Landes auch Situationen geben, in denen man sagt: Ich muss das, was ich vor der Wahl gesagt habe, verändern. Deswegen sollte man Politiker auch vor der Wahl nicht zu solchen Ansagen nötigen. Es ist die Größe und Tragik jeder Politik in der Demokratie, dass man das Wahlergebnis zu akzeptieren hat, auch wenn es einem nicht passt. Chefredakteurin Doris Helmberger und Religionsredakteur Till Schönwälder moderierten die Debatte. Erkennen, was dahinter steckt. THEOLOGISCHE KURSE Der Theologische Kurs Theologie intensiv erleben. Wissen kompakt Weltreligionen | Die Seele | Beziehungsethik | Trost Studienreisen: Siebenbürgen | Ephesus | Istrien Online Module Latein | Griechisch | Bibel–Talmud-Koran | Sieben Todsünden AKADEMIE am DOM Wie das Leben spielt. mehr wissen – tiefer fragen – klarer urteilen www.theologischekurse.at jetzt informieren & anmelden
DIE FURCHE · 36 5. September 2024 Religion 11 Jedes Jahr präsentiert das Hilfswerk Open Doors ein Ranking mit 50 Ländern, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. Während Medien und Politik die Zahlen gerne aufgreifen, ist die dem Ranking zugrunde liegende Datengrundlage nicht nachvollziehbar. Problematischer Verfolgungsindex Von Till Schönwälder Mehr als 365 Millionen Christinnen und Christen sind weltweit von Verfolgung und Diskriminierung betroffen: Mit Nachrichten wie diesen thematisiert die NGO Open Doors regelmäßig die schwierige Situation von christlichen Gläubigen in vielen Weltregionen. Erst Ende August, anlässlich des jährlichen UN-Gedenktags für Opfer religiöser Gewalt, hatte das laut Eigenbezeichnung „internationale überkonfessionelle christliche Hilfswerk“, das auch in Wien eine Zweigstelle unterhält, auf seinen „Weltverfolgungsindex“ aufmerksam gemacht. Dieser reiht jedes Jahr die 50 Länder, in denen Christen am stärksten von Verfolgung und Gewalt betroffen sind, in einem übersichtlichen Ranking. 2024 führte Nordkorea die Negativ-Rangliste der stärksten Unterdrückung erneut, gefolgt von Somalia, Libyen, Eritrea, Jemen, Nigeria, Pakistan, Sudan, Iran und Afghanistan. Der Index wird von Medien gerne aufgegriffen, Rankings sind eine dankbare Quelle. Mit Superlativen und dramatischen Zuspitzungen geizt die Organisation, die 1955 in den Niederlanden vom evangelikalen Missionar Anne van der Bijl gegründet worden war, in ihren Aussendungen zudem nicht. Gerne wird von einer „Explosion der Gewalt“ in verschiedenen Weltregionen gesprochen, als Auslöser für die Verfolgung werden meistens islamistische Gruppierungen genannt. Unklare Definition Der Haken an der Sache: Das Zustandekommen der Daten für die Reihung ist keinesfalls nachvollziehbar. So gibt das Hilfswerk an, für seine Erhebungen auf Daten dokumentierter Angriffe zurückzugreifen, ebenso würden staatliche „Schikanen“ und diskriminierende Gesetzgebungen herangezogen. Dafür unterhält das Open Doors extra ein „internationales Analyseteam“, welches in den betroffenen Ländern aktiv ist, wie es auf der Webseite der Organisation heißt. Das mache den Index zu einem „einzigartigen Expertengutachten, um Öffentlichkeit, Medien und Politik darauf aufmerksam zu machen, was über 365 Millionen Christen in unserer Zeit erleiden müssen“. Was aber tatsächlich alles unter „Verfolgung“ subsummiert wird, erwähnt Weltverfolgungsindex 2024 Die Top 50 Länder, in denen Christen am stärksten verfolgt werden Ausmaß der Verfolgung Schwer Sehr schwer Extrem Seit 2022 gibt es in den Top 50 Ländern des WVI keine Länder mehr in Gelb (Ausmaß der Verfolgung: schwer). 37 22 1 Nordkorea 2 Somalia 3 Libyen 4 Eritrea 5 Jemen 6 Nigeria 7 Pakistan 8 Sudan 9 Iran 1 0 Afghanistan 30 34 23 24 20 11 Indien 12 Syrien 13 Saudi-Arabien 14 Mali 15 Algerien 16 Irak 17 Myanmar 18 Malediven 19 China 20 Burkina Faso der Bericht nicht. Letztendlich existiert auch keine soziologische oder juristische Definition für den Terminus, wie das Hilfswerk selbst kürzlich gegenüber der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA einräumte. Experten zweifeln schon länger an der Seriosität der Daten. In Österreich werden die Zahlen nicht nur von vielen Medien meist kritiklos übernommen, auch die Politik, etwa die Volkspartei, greift auf die Daten immer wieder zurück, um etwa ihre Vorstellung eines christlichen Wertebilds zu untermauern. So hatte Sebastian Kurz in seiner Zeit als Außenminister wie auch als Bundeskanzler mehrfach aus dem Bericht zitiert. Auch die ÖVP-Menschenrechtssprecherin Gudrun Kugler teilt den Weltverfolgungsindex regelmäßig auf ihrer Webseite. Erst Anfang August gab die für Religionsfragen zuständige Ministerin Susanne Raab (ÖVP) bekannt, künftig eine Millionen Euro speziell für Hilfsprojekte bereitzustellen, die verfolgten religiösen Minderheiten weltweit zugutekommen. Verkauft hatte die 14 15 6 27 33 43 3 28 41 21 Laos 22 Kuba 23 Mauretanien 24 Marokko 25 Usbekistan 26 Bangladesch 27 Niger 28 ZAR 29 Turkmenistan 30 Nicaragua 50 12 48 38 8 32 4 39 16 13 45 2 5 9 40 25 29 31 10 7 47 31 Oman 32 Äthiopien 33 Tunesien 34 Kolumbien 35 Vietnam 36 Bhutan 37 Mexiko 38 Ägypten 39 Mosambik 40 Katar Partei die Maßnahme freilich als „Zeichen gegen Christenverfolgung“. Rechtspopulisten nutzen hingegen das Thema, um das Narrativ der Verteidigung des christlichen Abendlandes zu befeuern. In Ungarn geriert sich Ministerpräsident Viktor Orbán seit Jahren als Retter der verfolgten Christen, lässt internationale Konferenzen veranstalten und unterstützt entsprechende Initiativen finanziell. Kurt Igler, Geschäftsführer von Open Doors Österreich, appellierte kürzlich an die Politik, „sich aktiv und kompromisslos gegen Gewalt gegen Christen einzusetzen“. 2017 gab er der Neuen Freien Zeitung (NFZ), der Parteizeitung der FPÖ, ein Interview, in dem er vor der 46 18 11 36 26 17 41 Kongo (DRK) 42 Indonesien 43 Kamerun 44 Brunei 45 Komoren 46 Tadschikistan 47 Kasachstan 48 Jordanien 49 Malaysia 50 Türkei 49 19 Lesen Sie hierzu den Artikel „An die Retter des Abendlandes“ von Otto Friedrich (15.12.2011) auf furche.at. „ Die Lage von Christen ist in vielen Weltregionen prekär. Umso wichtiger wäre eine Debatte auf Basis seriöser Daten und ohne parteipolitischen Beigeschmack. “ 21 35 44 42 1 Politisierung und Radikalisierung des Islam als „stärkster Triebkraft für die Verfolgung von Christen“ warnte. Auch in Österreich nicht sicher Die Lage von christlichen Gläubigen ist in vielen Weltregionen prekär, das steht außer Frage und sollte auch nicht kleingeredet werden. Gerne wird diese Tatsache von linksliberal eingestellten Kreisen ignoriert. Geflüchtete Christen etwa aus Afghanistan oder dem Iran, sind selbst in Österreich und anderen europäischen Ländern vor Angriffen durch Landsleute nicht immer sicher. Wie heikel die Situation geflüchteter Menschen ist, die zum Christentum konvertieren, zeigt etwa die Vorgehensweise der Erzdiözese Wien, die bei den regelmäßig stattfindenden Erwachsenentaufen eine Reihe von Vorkehrungen trifft, um den Schutz der Konvertiten zu gewährleisten. Umso wichtiger wäre eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Thematik abseits von parteipolitischer Vereinnahmung und auf Basis seriöser Daten. Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: www.opendoors.at/index Simple Grafik Die Verfolgungssituation wird in drei Stufen eingeteilt. Eine einheitliche Definition dessen, was alles unter Verfolgung subsummiert wird, gibt es nicht. KREUZ UND QUER DIE MACHT DES KÖNIGS SALOMON DI 10. SEPT 22:35 König Salomon gehört zu den großen und wohl bekanntesten Gestalten der Bibel. Weise soll er gewesen sein und unermesslich reich. Seine Begegnung mit der Königin von Saba zählt zu den berühmtesten Erzählungen der Heiligen Schrift. Ob Salomon jedoch tatsächlich gelebt hat, ist heute umstritten. Mit Hilfe neuester Technologien suchen Forscher und Forscherinnen nun in Jerusalem und der Wüste Negev nach belastbaren Indizien. religion.ORF.at Furche24_KW36.indd 1 21.08.24 16:03
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