36 · 5. September 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– „Epiphanie im virtuellen Raum“ Der Kulturphilosoph Thomas Macho über den neuen Film „Eternal You“ und ewiges Leben durch Künstliche Intelligenz. · Seiten 22–23 Fremdeln mit der Realität Problematischer Verfolgungsindex „Wir wissen nicht, wohin“ Nach den Wahlen in Ostdeutschland verstört vor allem die Reaktion der SPD. Über die bizarre Aufarbeitung eines Rechtsrucks. · Seite 5 Jährlich veröffentlicht die NGO Open Doors ein Ranking der Länder, in denen Christen verfolgt werden. Seriös sind die Daten nicht. · Seite 11 Vor 250 Jahren wurde Caspar David Friedrich geboren. Seine Gemälde irritierten – und sie wirken bis heute. · Seiten 17-18 Foto: Getty Images / DeAgostini Jan van Kessel der Ältere „Eintritt in Noahs Arche“, 1650 (Detail); Das Thema der Woche Seiten 2–4 Deutschlands Bischöfe warnten vor der AfD ‒ ohne Erfolg. Österreichs Kirchenfunktionäre sind in ihrer Kritik an Herbert Kickl weniger deutlich. Warum? Drei Positionen. (Seiten 9‒10 & 14) Dürfen Christen FPÖ wählen? Foto: APA / Christian Bruna Die unhaltbare Normalität Im zweiten Fokus der FURCHE-Serie „Welche Werte wir wählen“ geht es um Nachhaltigkeit – und die grünen Mühen bei der Umsetzung. Dazu: Ingolfur Blühdorn im Gespräch. Das österreichische Bildungssystem ist zu kompliziert. Das fördert unnötige Grabenkämpfe und verhindert echte Chancengerechtigkeit für Schülerinnen und Schüler. Die zersplitterte Schule Von Magdalena Schwarz Schulstart mitten im Wahlkampf, diese Chance nutzte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) und präsentierte am Montag seine neuesten Pläne. So versprach er mehr Psychologen und Sozialarbeiter zur Bewältigung des Gewaltproblems an Wiener Schulen. Die Ursache verortet er in einer „jahrelangen falschen Integrationspolitik in der Bundeshauptstadt“ – und nicht etwa in jahrzehntelanger falscher Bildungspolitik in ganz Österreich. Das Gegeneinandersausspielen hat im Bildungssektor Tradition, die Grabenkämpfe sind zahlreich: Bund gegen Landeshauptleute, Stadt gegen Land, Mittelschule gegen AHS, Volksschule in Favoriten gegen Volksschule in der Innenstadt. Dass über Bildung so viel gestritten wird, ist kein Zufall. Was ist der perfekte Nährboden für Konflikt? Man zersplittere eine Gruppe in Untergruppen mit widerstrebenden Interessen. Dann reduziere man ihre Ressourcen, verteile diese ungleich und vergrößere parallel ihre Herausforderungen. Et voilà: Die Teilgruppen stürzen sich in Machtkämpfe, während sie gemeinsame Ziele aus den Augen verlieren. Würde Niccolò Machiavelli, dem das Prinzip Divide et impera (Teile „ Unzählige Schultypen ringen bei immer wachsenden Herausforderungen um Ressourcen. “ und herrsche) zugeschrieben wird, einen Blick auf die österreichische Bildungslandschaft werfen, er wäre höchst beeindruckt. Eine grafische Darstellung unseres Schulsystems, die kaum auf eine A3-Seite passt, würde jeden römischen Feldherrn neidisch machen. Unzählige Schultypen ringen bei immer wachsenden Herausforderungen (Digitalisierung, Mentale Krisen, Migration) um schwindende Ressourcen (Pädagogen, Psychologen, administrative Hilfe). Schulautonomie und Lehrer bespitzeln Statt sich um Einigung zu bemühen, befeuert die Bildungspolitik das Auseinanderdriften – selbst gelähmt durch das Gerangel zwischen Bund, Länder und Gemeinden. Der Wahlkampf verstärkt den Zwist noch weiter. Die ÖVP ruft nach immer mehr Schulautonomie. Wer diese angesichts des akuten Lehrermangels umsetzen soll, ist unklar. Die FPÖ träumt derweil von einer „Meldestelle gegen politisierende Lehrer“, denn viele würden „ihre Tätigkeit für die politische Beeinflussung der Schüler, zumeist in Richtung des linken Mainstreams“ missbrauchen. SPÖ, Grüne, Neos und KPÖ wiederholen Forderungen nach einer Gesamtschule, an deren Realisierbarkeit sie nach Jahrzehnten der ÖVP-Blockade selbst nicht mehr glauben. Groß angekündigte Strategien, wie die am Montag von Polaschek versprochene Aufstockung des Schul-Unterstützungspersonals, werden vielerorts aus Geld- oder Personalmangel nie umgesetzt. Stattdessen gibt es ideologische Kämpfe und intransparente Fleckerlteppichlösungen: hier eine Schulpsychologin, da eine Deutschförderklasse, dort ein Freizeitpädagoge. Wie das berühmte Dorf der Gallier erkämpfen sich einzelne gut vernetzte Schulteams zusätzliche Ressourcen, andere gehen unter. Die Kehrseite der Zersplitterung des Bildungssystems ist Chancenungerechtigkeit für die Kinder. Manche bekommen sofort einen Platz in einem öffentlichen Kindergarten, andere müssen warten. Manche sitzen in einer sozial durchmischten Klasse, andere werden in Deutschförderklassen abgeschoben. Manche profitieren von freiwilligen Übungen und Teamlehrkräften, andere werden alleingelassen. Noch immer entscheidet das Zeugnis des zehnjährigen Kindes, ob es in die Mittelschule oder AHS übertritt. Die Lösung: Gleiche Rahmenbedingungen, innerhalb derer individuelle Stärken gefördert werden. Gute Vorschläge liefert das „Netzwerk elementare Bildung Österreich“, das sich für einheitliche Gesetze engagiert, oder die Initiative „Gemeinsame Bildung 2.0“, die für eine Schule für alle bis 15 Jahre eintritt. Doch nebst Bottom-up-Druck bräuchte es auch den politischen Willen. Das überkomplexe System verlangt nach Entschlackung statt metastasierender Individualisierung. magdalena.schwarz@furche.at AUS DEM INHALT Die verschwundene Bibliothek Mit der Kontrolle von Territorium übernimmt Israel offenbar auch die Kontrolle des kultur-historischen Erbes der Palästinenser. Ein Besuch in Ostjerusalem. Seite 7 „Nur kein Fleischhauer“ Hanna Molden erzählt, wie Arthur Koestler nach Alpbach kam, kritisiert, am Forum würde nicht mehr improvisiert, und warnt vor Kickl. Ein Besuch. Seite 8 Liken, Teilen, Spenden Private Spendenaufrufe bewegen im Internet viele Menschen und enorme Summen. Oft wird jedoch mehr auf Emotionalität als auf Transparenz gesetzt. Seite 13 Grenzen der Meinungsfreiheit! Medienethiker Alexander Filipović über den Fall Pawel Durow und die bis dato fehlende Verantwortung von Telegram und Co für die auf ihnen publizierten Inhalte. Seite 15 Bildhauerei und Bauchrednerpuppe Mit Künstlerarbeiten von Thomas J Price und Candice Breitz stellt die Kunsthalle Krems in zwei Ausstellungen wichtige Fragen zu Rassismus und Identität. Seite 19 @diefurche @diefurche furche.at @diefurche Die Furche Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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