DIE FURCHE · 238 International5. Juni 2025FORTSETZUNG VON SEITE 7eine humanitäre Basis, vor allemsind sie aber finanz- und wirtschaftspolitischmotiviert“, meintCarlos Victoria, Wirtschaftsprofessoran der katholischen Comillas-Universitätin Madrid. Tatsächlichbrauche Spanien nachSchätzungen jährlich bis zu300.000 Migranten, um das Wirtschaftswachstumund die Zahl derarbeitenden Bevölkerung stabil zuhalten, so der spanische Arbeitsmarktexperte.Gerade in der Gastronomie,Pflege, der Landwirtschaft,Fischerei und auf dem Bauwerden Arbeitskräfte gesucht.Obwohl Spanien mit einer Arbeitslosenquotevon rund zwölfProzent zu kämpfen hat und einersogar doppelt so hohen Jugendarbeitslosigkeit,können diese Wirtschaftsbereicheaufgrund teilsharter Arbeitsbedingungen undniedriger Löhne nur schwer mitSpaniern besetzt werden, versichertCarlos Victoria.Einige Gruppen benachteiligtWährend vor allem viele Nordafrikanerin Andalusien als Erntehelferarbeiten, finden lateinamerikanischeMigranten, diemit Touristenvisa ins Land kommenund die größte Migrationsgruppedarstellen, aufgrundder Sprache Anstellungen in derGastronomie, im Tourismussektor,aber auch in der Alten- undKrankenpflege, wo händeringendPersonal gesucht wird.Während halb Europa etwasskeptisch auf den spanischenSonderweg in der Migrationspolitikschaut, geht er vielen Hilfsorganisationenund der KatholischenKirche noch nicht weitgenug. Besonders problematischsind aber die Auswirkungenfür Asylbewerber, deren bisherigeund teils jahrelange Aufenthaltsdauermit den neuen Regelnnicht anerkannt werden, sollteihr Asylantrag abgelehnt werden,erklärt Mauricio Valiente, Vorsitzenderder spanischen Kommissionfür Flüchtlingshilfe (CEAR).KLARTEXTFoto: Caritas SevillaLesen Siehierzu denText „Warum soviele Migrantenin der Saharasterben“ vonTabea Mausz(15.5.2025) auffurche.at.Serbiens aufmüpfige Studierende„Sie sind in Spanien verwurzelt, lebenund arbeiten hier, und plötzlichwird ihre Uhr wieder auf nullgestellt. Das ist wirtschaftlich absurdund menschlich unmoralisch“,kritisiert Valiente. VieleAsylbewerber seien verunsichert.Die in Spanien regierenden Sozialistengestehen ein, dass dieneuen Einwanderungsregelnnicht alle Migrationsgruppen wiegewünscht einbeziehen. Deshalbwerben sie derzeit im Parlamentauch für eine „außerordentlicheRegularisierung“, mit der bis Endedes Jahres zusätzlich weiteren470.000 illegalen Einwandererneine Aufenthalts- und Arbeitserlaubniserteilt werden könnte.Die Initiative basiert auf einemEnde 2021 von der spanischen Bischofskonferenzund verschiedenenMenschenrechtsorganisationenwie der CEAR und Caritas imParlament eingereichten Volksbegehrenmit über 600.000 Unterschriften.„Es handelt sich nichtum billige Arbeitskräfte und bloßeInstrumente, unseren Wohlfahrtsstaatzu erhalten. Es sindMenschen mit einer Würde unddeshalb ist es für uns eine moralischeVerantwortung, sie auch mitWürde zu behandeln und vor Ausbeutungauf dem Arbeitsmarktzu schützen“, erklärt FernandoVon Susanne GlassEs mag inmitten der aktuellen Meldungen etwas untergegangensein, aber was sich in Serbien abspielt,ist höchstspannend. Am Wochenende haben wiedertausende Menschen in 30 Städten gegen die Regierungvon Präsident Vučić demonstriert. Unter dem Motto „ErhebeDich, Serbien!“ forderten sie vorgezogene Neuwahlen.Es ist eine gewaltige Protestwelle, die das Land seit dem 1.November vergangenen Jahres beherrscht. Damals war inder nordserbischen Stadt Novi Sad ein Bahnhofsvordacheingestürzt. 16 Menschen kamen ums Leben. Für den Einsturzmachen Experten Korruption am Bau unter der RegierungVučić verantwortlich. Die Tragödie von Novi Sadhat eine Wut offen zum Ausbruch gebracht, die seit Jahrenunterschwellig vorhanden war. Vučić bestimmt seit2012 in unterschiedlichen Funktionen über das Land. Erkontrolliert Justiz, Polizei und Medien. Seine Regierungschüchtert Kritiker mit Schlägertrupps ein. Warum ichfinde, dass die Proteste spannend sind? Weil sie einer neuenStrategie folgen. Getragen werden sie von den Studentinnenund Studenten, die alle Universitätenbesetzt haben. Sie rufenregelmäßig zu Demonstrationen auf.Aber ohne dafür klare Anführer zubestimmen. Das liegt daran, dass sieniemanden exponieren und so zum Angriffsziel der Regierungmachen wollen; aber auch an der damit verbundenenAussage, dass die Proteste von der Allgemeinheit getragenwerden. Die fehlenden „Gesichter der Proteste“ warenvon vielen erst als Nachteil empfunden worden. Jetzt entwickeltsich die Idee zum Erfolgsmodell. Das Ansehen deraufmüpfigen Studenten innerhalb der serbischen Gesellschaftist mittlerweile enorm. Sie erreichen mit ihren Protestaufrufenweite Teile der Bauern- und Arbeiterschaft.Und werden damit zu einer Bedrohung für die Regierungvon Präsident Vučić.Die Autorin ist Redaktionsleiterin Auslandund politischer Hintergrund beim Bayerischen Rundfunk.Redondo, Migrationsbeauftragterder spanischen Bischofskonferenz.Doch Spaniens konservativeOppositionspartei PP steht derMassenlegalisierung von Einwandererneher skeptisch gegenüber.„Aber aus humanitärer,wirtschaftlicher und demographischerSicht gibt es eigentlichkaum eine Alternative“, meint derVorsitzende der spanischen Kommissionfür Flüchtlingshilfe MauricioValiente.Wäre der spanische Sonderwegalso auch eine Alternative für Österreichund Europa? Die auf Migrationsforschungspezialisierteösterreichische WirtschaftswissenschafterinGudrun Biffl glaubtdas eher nicht. Vieles hänge vonder Arbeitskräfteknappheit imjeweiligen Land ab und Spanien,das derzeit mehr wachse als Österreich,habe hier einen ganz anderenBedarf.Aber auch das Profil der Migrationspielt dabei eine wichtige Rolle.Migrierte zwischen 2014 und2016 vor allem die relativ gut qualifizierteMittelschicht aus Syriennach Österreich, seien es heuereher Menschen mit geringenQualifikationen, die sogar längereZeit in Flüchtlingslagern lebtenund unter denen es ein hohesMaß an Analphabeten gebe, verdeutlichtBiffl die Gründe, warumdie spanische Migrationspolitiknicht unbedingt auch eine Lösungfür Österreichs Wirtschaftsproblemewäre.„ Gewisse Wirtschaftsbereichekönnenaufgrund der extremenArbeitsbedingungenund der niedrigenLöhne nur sehr schwermit Spaniern besetztwerden. “DIE FURCHE EMPFIEHLTStadtführungenAm 11. Juni 2025 eröffnet QWIEN seinen neuenStandort als internationales Zentrum für queereKultur und Geschichte im 5. Wiener Bezirk.Anlässlich dessen werden historische Stadtspaziergängeangeboten, die aufzeigen, wieUniversität, Medizin und Recht auf homosexuellesLeben Einfluss nahmen. Intellektuellfundiert, historisch bedeutend – kostenlos mitAnmeldung! Alle Termine auf qwien.at.Der 24-jährigeIsmael aus Guineaerhält eine Ausbildungim Gastronomiegewerbeam Diözesan-Arbeitszentrumder Caritas Sevilla.Zudem fällt Spanien die Massenlegalisierungschon allein aufgrunddes Profils seiner Einwandererleichter, gibt auch derMigrationsverantwortlichederspanischenBischofskonferenz FernandoRedondo zu: „In der Mehrheithandelt es sich um lateinamerikanischeEinwanderer mitdemselben kulturellen, religiösenund sprachlichen Hintergrund.“Magnus Brunners (ÖVP) PläneDoch Spanien muss seine Migrationspolitikans EU-Recht angleichenund bis zum Juni 2026müssen die neuen europäischenAsyl- und Migrationsregeln vonallen Mitgliedsstaaten übernommenwerden ‒ und da ist Massenlegalisierungnicht vorgesehen. UndÖsterreichs EU-MigrationskommissarMagnus Brunner (ÖVP) hatbereits viele Pläne, um die Regelnnoch härter zu machen.So will er es den EU-Staatendemnächst auch noch leichtermachen, illegale Einwanderer inDrittstaaten ausweisen zu können.Für Abschiebungen soll bereitsdie Durchreise durch einensicheren Drittstaat ausreichen.Bei so einem Panorama will sichauch Ismael Sylla beeilen, ab Septembermit den neuen spanischenEinwanderungsregeln seinenAufenthalt so schnell wie möglichzu legalisieren.SichtbarmachungStadtführungenvon QWIENBis 13. Juni 2025kostenloswww.qwien.atE-Mail: info@qwien.at
DIE FURCHE · 235. Juni 2025Religion9Der slowenischePhilosoph Slavoj Žižekgreift für seine Theseeines „christlichenAtheismus“ aufdie Evangelien zurück.Gerade zu Pfingstenlohnt sich ein Rückblickauf den Karfreitagund den Kern derchristlichen Botschaft.Von Hans FörsterFür die Argumentationdes Philosophen SlavojŽižek ist der Ruf Jesuam Kreuz, wie ihn dasMatthäusevangeliumüberliefert, besonders wichtig. Geradezu Pfingsten lohnt sich deswegenein Rückblick auf den Karfreitagund den Kern der christlichenBotschaft. Nach der revidiertenLutherbibel (2017) steht dort (Mt27,46): „Mein Gott, mein Gott, warumhast du mich verlassen?“ Žižeksieht Gott hier an sich selbst zweifeln,was ihn zu seiner These des„christlichen Atheismus“ hinführt.Ein wenig muss man hier den Bibelübersetzernden Vorwurf machen,dass sie den Text interpretierendund potenziell verfälschendübersetzten. Aus der Sicht desGriechischen ist das wohl keineWarum-Frage, sondern vielmehrdas Eingeständnis eines am Kreuzsterbenden Menschen, dass ernicht versteht, zu welchem ZweckGott dies so zugelassen hat. Damittritt aber etwas anderes in den Vordergrund:Es ist nicht der Zweifelan Gott, es ist das Eingeständnis,dass man als Mensch etwas nichtversteht.Grund, an Gott zu zweifelnIn der Tat ist vieles unverständlich,was es im Leben an Schicksalengibt. Ob nun ein Auto unbeteiligtePassanten an der Ampelerfasst, die einfach nur zum falschenZeitpunkt am falschen Ortwaren, die Krankheit einen jungenMenschen aus dem Leben reißt odereine Drohne im Krieg Zivilisten tötet,weil der Gegner die Zivilbevölkerungterrorisiert: Es gibt immereinen Grund, an Gott zu zweifelnund die Frage aufzuwerfen, warumer dies zulässt. Das ist aber nichtsNeues. Auch die Menschen, von denendie biblischen Texte stammen,hatten dieses Problem. Das Lebendamals war viel unsicherer, da gabes zahlreiche Krankheiten, die unbehandelbarwaren, es starben vieleFrauen im Kindbett und vieleKinder erreichten nicht einmal dieJugend, geschweige denn das Erwachsenenalter.Im Vergleich mitdamals ist das persönliche Lebenheute weitaus sicherer, und dieseSicherheit betrifft auch das materielleLeben. Zahlreiche Versicherungensorgen dafür, dass vieles,was in vergangenen Jahrhundertenschwere Schicksalsschläge gewesenwären, heute keine existenzielleBedrohung des menschlichenLebens mehr darstellt.Angesichts aller Unsicherheitenist es nur allzu verständlich, dassauch die Psalmen ausdrücklich thematisieren,dass Gott nicht einfachdie Lösung aller menschlichen Problemedarstellt (Ps 53,2): „Die Torensprechen in ihrem Herzen: ‚Esist kein Gott.‘ Sie taugen nichts; ihrFoto: Getty Images / Universal Images Group / Sepia TimesSlavoj ŽižekMit seinem Buch „ChristlicherAtheimus“ sorgte er für Aufregung.Nun ist die deutsche Übersetzungim Verlag S. Fischer erschienen.Auch betendeMenschenhaben ÄngsteTreiben ist ein Gräuel; da ist keiner,der Gutes tut.“ Für den Psalmbeterist Atheismus Torheit. Bei dem vonŽižek zitierten Jesuswort handeltes sich um ein Zitat aus Psalm 22.Er beginnt mit diesem Aufschreider Verzweiflung, dem Unverständnisdarüber, dass Kriegstreiber undskrupellose Machtmenschen Vorteilehaben, die einem Menschen,der sich an Gottes Weisung hält,versagt bleiben. Wer bei der Karriereüber die sprichwörtlichen Leichengeht, kommt weiter als jemand,der sich immer korrekt verhält. DerPsalm gibt den Spott wieder, denein frommer Mensch damals erlebte(Ps 22,8–9): „Alle, die mich sehen,verspotten mich, sperren das Maulauf und schütteln den Kopf: ‚Er klagees dem Herrn, der helfe ihm herausund rette ihn, hat er Gefallenan ihm.‘“Hier kommt in den Gegnerndes Psalmenbeters ein Gottesverständniszum Ausdruck, das moderneÜbersetzungen mit ihrerverzerrenden Wortwahl Jesus inden Mund legen. Wenn man erwartet,dass Gott in einer Extremsituationhilft, dann kann es ihn nicht„ Dass Žižek mit seiner Auslegung so vielAufmerksamkeit findet, wirft die Frageauf, ob Christen selbst ihren zentralenText nicht mehr wirklich kennen.“geben, wenn ein frommer Menschin Not gerät. Dann darf man sichdarüber lustig machen, dass Gottdiesen Menschen im Stich gelassenhat. Eben diesen Hohn erfährtder Beter des Psalms.Jesus fasst nun mit dem Psalm22 in Worte, dass er die Situationnicht versteht. Er wusste sichvon Gott zur Verkündigung gerufen– und dieser Gott lässt es zu,dass sein Prophet kein Gehör findet,sondern brutal scheitert undam Kreuz endet. Jesus spricht aus,dass er Gott und die Welt nicht versteht– das heißt aber nicht, dasser deswegen an Gott oder gar ander Existenz Gottes zweifelt. Fürdieses Textverständnis sprichtauch, wie der Psalm dann weitergeht.Der Beter fasst das Gefühlin Worte, einsam in einer bedrohlichenund bedrohenden Welt zusein (Ps 22,12): „Sei nicht ferne vonmir, denn Angst ist nahe; denn esist hier kein Helfer.“Ausdrücklich wird hier thematisiert,dass Glaube keine Gefühlsduseleiist, wo man sich halteinfach geborgen fühlt, weil esda noch ein Wesen gibt, das imZweifel eingreift, wenn die Schadensversicherungfür das Hochwassernicht greift. Auch betendeMenschen haben Ängste – und legendann eben diese Ängste mitVertrauen vor Gott, auch wenn ernicht sofort zur Stelle ist, wennman einmal ruft. Eben dieses Vertrauenkommt auch in dem von Jesusam Kreuz zitierten Psalm zumAusdruck (Ps 22,27): „Die Elendensollen essen, dass sie satt werden;und die nach dem Herrn fragen,werden ihn preisen; euer Herzsoll ewiglich leben.“ Es mag durchausim Leben öfter einmal so aussehen,als ob es Gott nicht gibt; derPsalmbeter vertraut jedoch darauf,dass es „am Ende“ gut wird – undwas genau unter „am Ende“ zu verstehenist, überlässt der Beter hierGott. Das wird einmal geschehen.Eben diese Erwartung erfülltsich auch mit Ostern. Mit Jesu Todwar es aus der Sicht der neutestamentlichenSchriften gerade nichtaus, Jesus ist nach diesen Berichtenals der Auferstandene zurückgekehrt.Damit ist jedoch auchPfingsten nicht einfach innerweltlichzu verstehen, wie Žižek diestut. Für ihn ist „der Heilige Geistganz einfach die egalitäre Gemeinschaftder Gläubigen, in der sozialeHierarchien überwunden sind“.Hier spielt der Philosoph auf Paulusan (Gal 3,28): „Hier ist nicht Judenoch Grieche, hier ist nicht Sklavenoch Freier, hier ist nicht Mannnoch Frau; denn ihr seid allesamteiner in Christus Jesus.“ Žižek hatoffensichtlich nicht mitbekommen,dass Paulus keinesfalls sozialeHierarchien pauschal aufhebt.Schließlich akzeptiert Paulus beispielsweiseim Philemonbriefganz selbstverständlich, dass Onesimusder Sklave des Philemon ist.Eine egalitäre Gemeinschaftmag dem Gesellschaftsentwurfdes Philosophen entsprechen, siein die Bibel hineinzulesen, scheinteinmal mehr dem Sinn des Texteszu widersprechen. Im Ersten Korintherbrief(1 Kor 12,12f) machtPaulus mit seiner Rede vom Hauptund den Gliedern des Leibes deutlich,dass Wertunterschiede imAngesicht Gottes aufgehoben sind,von einer egalitären Gesellschaftist nicht die Rede. In Österreichmögen alle Menschen vor dem Gesetzgleich sein, trotzdem fährtnicht jeder einen Porsche Cayenne.Damit widerspricht der von Žižekzitierte Text seiner Deutung. DassŽižek mit seiner Auslegung so vielAufmerksamkeit findet, wirft dieFrage auf, ob vielleicht Christinnenund Christen selbst ihren zentralenText nicht mehr wirklichkennen. Schließlich verwendetŽižek das Neue Testament lediglichals Steinbruch für seine eigenenThesen, die mit der Botschaftdes Neuen Testaments nicht mehrviel zu tun haben.Der Autor ist evangelischer Theologeund Privatdozent in Wien.VORSORGE& BESTATTUNG12 x in WienVertrauen im Leben,Vertrauen beim Abschied24H 01 361 5000www.bestattung-himmelblau.atwien@bestattung-himmelblau.at
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