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DIE FURCHE 05.06.2025

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DIE FURCHE · 232 Das

DIE FURCHE · 232 Das Thema der Woche Ins Humane5. Juni 2025AUS DERREDAKTIONDer Firnis der Zivilisation ist dünn. Wie Deutschland in historischunvergleichlicher Weise in die Barbarei geriet, ist Gegenstandvon Thomas Manns Musikerroman „Doktor Faustus“, derim US-Exil entstand. Dieser Tage, am 6. Juni, wäre der Schriftsteller150 Jahre alt geworden. Brigitte Schwens-Harrant hat ihmden Fokus „Ins Humane“ gewidmet und zwei besondere Stückedarin verpackt: ein Interview von Erich Klein mit dem irischenAutor Colm Tóibín über den „Propheten“ Mann sowie einen Essayvon Heinrich Schmidinger über Manns Toleranz-Manifest„Joseph und seine Brüder“. Wie weit entfernt Toleranz und Humanitätin der Gegenwart sind, zeigt die Situation in Gaza, der wiruns aus zwei völlig unterschiedlichen Blickwinkeln widmen. Inscharfem Kontrast dazu steht das Bemühen von Johanna Hirzbergerund Hubert Gaisbauer, sich in die Welt des je anderen einzufühlen.Im persönlichen Gespräch beschließen sie nun ihrenBriefwechsel „Erklär mir deine Welt“. Was künftig folgt, lesenSie in der kommenden FURCHE. Ebenso freuen dürfen Sie sichauf Johannes Mantl, der bereits von 2018 bis 2021 wesentlich ander Digitalisierung der FURCHE beteiligt war – und diese nunals Head of Digital weiter vorantreiben wird. Welcome back! (dh)Foto: PrivatVor 150 Jahren wurde Thomas Mann geboren. In seinen Romanenthematisierte er mit Musik eine politisch gefährliche Sehnsucht, in seinenReden über Deutschland war er visionär, sagt der irische Autor Colm Tóibín.„Für mich warThomas Mannin Amerika eineArt Prophet“Ab 1938 lebte Thomas Mann (geb. am 6. Juni 1875 in Lübeck, gest. am 12. August 1955 in Zürich) im amerikanischen Exil: Das Bild zeigt ihn in seinem Haus in Pacific Palisades, Los Angeles, ca. 1947.Foto: Getty Images / ullstein bild / Thomas-Mann-Archiv

DIE FURCHE · 235. Juni 2025Das Thema der Woche Ins Humane3„ Man muss es sich nur vorstellen –draußen ist Kalifornien, drinnen ThomasMann im Exil samt Bibliothek mit Goethes‚Sämtlichen Werken‘ im Regal.“Das Gespräch führte Erich KleinIn seinem international gefeiertenRoman „Der Zauberer“(2021) erzählt der irischeSchriftsteller, Journalist undLiteraturkritiker Colm Tóibíndas Leben von Thomas Mann: vonder großbürgerlichen Kindheit mitbrasilianischer Mutter in Lübecküber die Heirat in München und diePositionierung gegen die Nazis bisins amerikanische Exil, wo der großeMusiker-Roman „Doktor Faustus“entsteht. Colm Tóibín, 1955 in Enniscorthy,County Wexford geboren,lehrt derzeit als Professor an der ColumbiaUniversity in Manhattan.DIE FURCHE sprach mit ihm überden deutschen Schriftsteller, überMusik als Metapher, die für Politischesnicht funktioniere, und überManns Reden, die an die Möglichkeitender Demokratie erinnern – etwas,das in den USA heute fehle.DIE FURCHE: Klaus Mann schrieb überdas fast tägliche Klavierspielen seinesVaters: „Es war immer Tristan“.Welche Bedeutung hat Richard Wagnerfür den „Zauberer“, wie Sie ThomasMann in Ihrem Buch bezeichnen?Colm Tóibín: Ich glaube, Mann hatvon Wagner das genommen, was erbrauchte, und zwar als Romancier.Zu Wagners Politikverständnis hatteer hingegen keine besondere Affinität.Wagner war ihm als Schöpfer vonKlangmustern wichtig. Die Idee, wiederkehrendeMotive als Gestaltungselementzu benützen, findet sich imJosephs-Roman, wo kaum Musik vorkommt,ebenso im „Zauberberg“ undeigentlich in allen Büchern.DIE FURCHE: Sie schreiben über die verdrängteHomosexualität des sechsfachenFamilienvaters sehr direkt – wasist von der Verbindung zwischen Homosexualitätund Musik zu halten,die Thomas Mann herstellt?Tóibín: Mann war offenbar davonüberzeugt, dass da ein Zusammenhangbesteht. In „Doktor Faustus“gibt es eine Reihe von Hinweisen aufdie Homosexualität des KomponistenLeverkühn; dasselbe gilt für die „Buddenbrooks“.Der kleine Hanno Buddenbrookhat einen sehr „speziellen“männlichen Freund, außerdem ister der Musik absolut verfallen. DasFremde, das durch die Homosexualitätin sein Leben tritt, stellt sich auchbeim Musizieren ein.DIE FURCHE: Musik ist für Mann derheilige „Grundtypus der Kunst“, wieer einmal sagte. Er lässt aber HansCastorp geradezu grotesk mit Schuberts„Lindenbaum“ in den ErstenWeltkrieg ziehen.Tóibín: Für Mann war Musik ein Elementeiner Sehnsucht, die nach ständigerSteigerung der Gefühle verlangt.Irgendwann bekommt dieserUmstand auch eine politische Bedeutungund es wird politisch gefährlich.Am Anfang wird die Seele nuraus dem Gleichgewicht gebracht, wasgleichermaßen durch große symphonischeMusik wie durch unschuldigklingende Lieder von Schubert geschieht.Mann spricht einmal vonder Kluft zwischen Kultur und Zivilisationund entwickelt die Idee, dassVolkslieder tief im Heimatboden verwurzeltsind. Das löst bei den Menschenseiner Zeit das Gefühl einesbedrohten, von Feinden umgebenenErbes aus. Das unschuldigste Liedüber eine Linde, eine Kindheitserinnerungoder eine verlorene Liebewird plötzlich zu etwas ganz Besonderem.Eigentlich geht es um das Lebenam Dorf, das Leben auf dem Landoder im Wald, doch das Lied bekommteine seltsam bebende Resonanz. Dieseunschuldige und einfache Sprachedes Liedes gehört nun nicht nur demSänger oder dem Zuhörer, sonderndem Heimatboden selbst. Damit gerätman in wirklich gefährliche Gefilde.DIE FURCHE: Mann besaß in den1920er Jahren achthundert Schellacksmit Aufnahmen von Bach bisAlban Berg. Hans Castorp organisiertin der morbiden Apokalypseam „Zauberberg“ gemeinsame Plattenabende,was ihn – sieht man heutevon „Spotify“ und dergleichen ab –fast zu unserem Zeitgenossen macht.Tóibín: Es gibt zwei moderne Maschinenim „Zauberberg“, die Mann großartigbeschrieben hat. Das eine ist derRöntgenapparat, das andere der Plattenspieler,der für ihn außerordentlicheMagie besitzt. Wenn die Nadelauf das Vinyl herabgesenkt wird,bringt sie nicht nur einen Ton hervor,es kommt zu einer regelrechten Geisterscheinung.Wie bei einer Geisterbeschwörungwird etwas aus einemfernen und dunklen Ort heraufbeschworen.Diese ganz einfachen materiellenDinge Vinyl und Nadel bewirkeneine Vorstellung von Seele.DIE FURCHE: Die deutsche Seele aufdem Weg in die Barbarei ist Gegenstanddes im amerikanischen Exilentstandenen Musikerromans „DoktorFaustus“. Der Tonsetzer AdrianLeverkühn sieht sich herausgefordert,eine musikalische Antwort aufden Nationalsozialismus zu finden.Tóibín: In „Doktor Faustus“ passiertetwas Merkwürdiges. Die Musik,die Adrian Leverkühn komponiert,ist nicht die Art von Musik, die ThomasMann selbst gehört hat. Er fühltesich damit nicht besonders wohl.Von Bedeutung ist hingegen Kalifornien,der Ort, an dem er sich befand,als er das Buch schrieb. Adorno undArnold Schönberg hielten sich ganzin der Nähe auf. Mann ging es im Romanweniger um Schönbergs Musikals um Schönberg selbst, wie sichder in dieser Welt bewegte, und natürlichum Adornos Musiktheorie.Er hat versucht, all das mit der Zerstörungdes Geistes von BeethovensNeunter Symphonie zu verknüpfen.Dieser unglaubliche Motor an Hoffnung,Optimismus und Fortschritt,das Gefühl der Erhebung sollte mitfröhlichem Pessimismus dekonstruiertwerden.Übrigens – es ist sehr schwierig,in einem Roman über Musik zuschreiben. Man kann sich mit Wortenden musikalischen Noten nurannähern. Also versuchte Mann,das Ganze zu politisieren und Verbindungenzwischen verschiedenenKlangformen und Kompositionenherzustellen. Bekanntlich warSchönberg sehr beleidigt, dass er aufdiese Weise benutzt wurde. Ich warhier in Los Angeles, in Pacific Palisades,im Raum, in dem der Roman geschriebenwurde. Man muss es sichnur vorstellen – draußen ist Kalifornien,drinnen Thomas Mann im Exilsamt Bibliothek mit Goethes „SämtlichenWerken“ im Regal. Die Leutemachten sich darüber ja auch lustig,während er das Gefühl hatte, dasssich das wirkliche Deutschland dortbefand, wo er schrieb; in den Worten,die er mit all seiner Ironie undallen Gefühlen in Bezug auf die Musikniederschrieb.DIE FURCHE: Ist „Doktor Faustus“ eingelungenes Buch, eine adäquate Antwortauf die deutsche Tragödie?diesem Zeitpunkt gehe, ist ziemlichfantastisch. Mir kommt das Ganze irgendwieweithergeholt vor.Tóibín schreibt für London Review of Books und The New York Review of Books. Seit seinemliterarischen Debüt „Huldigung an Barcelona“ (1992) erschienen elf Romane – darunterdie Auswanderergeschichte „Brooklyn“ (2010), „Nora Webster“ (2016) und „Long Island“(2024). Erst kürzlich erschien sein erster Gedichtband „Vinegar Hill“ (Hanser 2025).Tóibín: Ich frage mich, ob „DoktorFaustus“ tatsächlich ein politischesBuch ist. Es war der Versuch, in derklassischen Musik eine Metapherfür Deutschlands Barbarei und Untergangzu finden. Offenbar gibt esdas große Bedürfnis nach einer solchenMetapher. Ich mag die Figurendes Romans – den humanistischenErzähler, Leverkühns Anarchismus –aber die zentrale Idee des Buches istim Grunde falsch. Um etwas über diedamalige Politik oder den Krieg zusagen, müsste man eigentlich überPolitik und Krieg schreiben. Hierfunktioniert keine Metapher. DasBuch ist faszinierend, aber die Vorstellung,dass Thomas Mann im Exildenkt, es sei die Musik, um die es zuDIE FURCHE: Inwiefern weithergeholt?Tóibín: Im Imperial War Museum inLondon gibt es eine Schellack mit derNussknacker-Suite, die Hitler und EvaBraun gehörte. Man kann sich leichtvorstellen, wie sich Thomas Mann inKalifornien eine Wagner-Platte auflegtund den „Ring des Nibelungen“anhört. Gleichzeitig hören Hitler undseine Spießgesellen dieselbe Musik.Was bedeutet das? Gibt es etwas in dieserMusik, das zu Gewalt und Faschismusführt? Das ist für mich die Frage!Oder nehmen wir unser aktuelles Problemin den Vereinigten Staaten – esmacht keinerlei Sinn, Donald Trumpirgendwie mit Kultur in Verbindungzu bringen. Der hört nie zu. Er hörtnicht einmal Country- und Western-Musik und schon gar nicht Wagner. Eswäre absolut sinnlos, danach zu fragen,ob irgendein Gedicht, eine Musikoder ein Bild Einfluss auf DonaldTrump hatte. Und dennoch saßen Hitlerund seine Kumpane ständig in denOpernhäusern und waren von Wagnersschmachtenden Klängen undWotans Stimme überwältigt, die etwasersehnte, das nicht benannt werdenkonnte.Foto: Getty Images / NurPhoto / Miquel LlopDIE FURCHE: In Ihrem Roman spieltnicht Schönbergs Zwölftonmusik,sondern ein spätes Streichquartettvon Beethoven eine zentrale Rolle.Tóibín: Thomas Mann hat Opus 132sehr oft gehört und einmal bat er SohnMichael, mit seinem Quartett dasStück für ihn zu spielen. Zwei Dingesind dabei wichtig: Es handelt sich umBeethovens späte Kammermusik, dieganz einzigartige Schönheit besitzt.Sie erweckt keine militärischen Geisteroder irgendwelche nationale Sehnsüchte– vielmehr ist sie einsam, geradezufremdartig einsam. Das zweiteMoment: Mann sitzt in Kalifornien, beobachtetdiese jungen europäischenMusiker im Exil und denkt an europäischeStädte wie Budapest, Prag oderBerlin: Dort hatte er genau solch jungeMänner, oft auch junge jüdische Männermit ihren Instrumenten herumlaufengesehen, die sich zum Quartettspielentrafen. Diese Welt gehörte jetztder Vergangenheit an und würde niemehr zurückkommen. Manns Problembestand darin, dass ihm diese Musikgleichzeitig Freude bereitete. Erhat diese Musik genossen. Ich glaube,wir müssen uns beim Hören von schönerMusik nicht immer fragen, worinihre politische Bedeutung liegt. SovielUngereimtheit müssen wir dem Romancierzugestehen.„ Leider haben wir imMoment in Amerikaniemanden, der uns sagt,dass es die Demokratie seinwird, die Trump besiegenwird; also die Menschen, diewählen gehen! “DIE FURCHE: Manns Rundfunkansprachen„An die deutschen Hörer“und Reden waren zur selben Zeit unmissverständlich.Tóibín: Für mich war Thomas Mannin den Jahren 1942 bis 1945 in Amerikaeine Art Prophet. In seinen Redenüber Deutschland ging es nichtso sehr um die Notwendigkeit, die Naziszu besiegen, vielmehr behandeltensie den künftigen Sieg der Demokratie.Leider haben wir im Momentin Amerika niemanden, der uns sagt,dass es die Demokratie sein wird, dieTrump besiegen wird; also die Menschen,die wählen gehen! Genau darübersprach Mann, es ging ihm darum,die demokratische Tradition inDeutschland wieder zu etablieren,die unterbrochen worden war. Ichglaube, das hatte in Amerika sehrgroßen Einfluss – Deutschland würdenach dem Krieg als vorbildlicheDemokratie wieder auferstehen, wases dann ja auch tat. Wer außer Mannhätte so etwas 1943 sagen können? Zudieser Zeit gab es keinen japanischenund keinen italienischen Schriftstellerin Amerika, die Vergleichbares getanhätten. Man darf auch nicht vergessen– während er seine Romaneschreibt, fährt Mann jede Woche mitdem Zug los, um in seinem stockendenEnglisch für eine riesige ZuhörerschaftReden über die Zukunft zuhalten. Und diese war nicht einfachtöricht optimistisch. Wenn man nacheinem Ursprungsmythos der BundesrepublikDeutschland sucht – ThomasMann war dessen Erfinder!

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