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DIE FURCHE 05.06.2025

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DIE FURCHE · 2316

DIE FURCHE · 2316 Diskurs5. Juni 2025ZEITBILDAlpen im UmbruchFoto: APA / Keystone / Jean-Christophe BottIHREMEINUNGSchreiben Sie uns unterleserbriefe@furche.atDen Spirit messenFokus von Martin TaussNr. 22, Seiten 2–4Gab es nicht in der zweiten Hälfte der1980er und in den 90er Jahren ebenfallseine große Bewegung, die ganzähnlich zwischen Innerlichkeit unddem Anspruch auf gesellschaftlicheVeränderung oszillierte? Laut FritjofCapra und seinen tonangebendenBüchern „Wendezeit“ und „Das neueDenken“ wurde damals angeblich dasalte mechanistische Denken durchdie neue ganzheitlich-ökologischeSichtweise abgelöst. Wichtig seidabei das entsprechende Bewusstsein.Was aber wurde aus all diesenProklamationen?Diese Bewegung, die vor 40 Jahrenein „neues Zeitalter“ anbrechen sah,entstand interessanterweise gleichzeitigmit der Etablierung des Neoliberalismusund ging Hand in Handmit der abrupten Abkehr von all denemanzipatorischen Bestrebungen der1970er Jahre. Der brasilianische PädagogePaolo Freire und viele anderebetonten jedoch – konträr zu Capra& Co. –, die Gesellschaft ließe sichnicht allein durch das Bewusstseinder Menschen verändern. Ohne aktivesEintreten für Befreiung könne dieGeschichte nicht verändert werden.Seit 2010 gibt es in Berlin den Kongress„Meditation und Wissenschaft“.Vielleicht keine zufällige zeitlicheNähe zu einem anderen markantenEreignis? Die abgestürzten Workaholics,die nach dem Platzen derDotcom-Blase im Jahr 2000 und nachdem Bankencrash von 2008 vor demNichts standen, haben im großen Stilzu meditieren begonnen. Dass siemit derselben Intensität auch unserGesellschaftssystem grundsätzlichhinterfragt hätten, ist mir nichtbekannt. War die Botschaft von PapstFranziskus mit seiner Kritik „DieseWirtschaft tötet“ nicht emanzipatorischer?Sollte die Meditations- undAchtsamkeitsbewegung von heuteernsthaft um gesellschaftliche Veränderungbemüht sein, bleibt esdennoch rätselhaft, wie das ohneAnalyse und Kritik gelingen soll. DieGrundlagen unserer gesellschaftlichenVerhältnisse zu erkennen undzu benennen, findet kaum jemand derMühe wert: etwa dass Konkurrenzaufgrund des Wettbewerbsprinzipsunausweichlich ist und es folglichGewinner und Verlieren geben muss;Es ist ein gefährlicher Schutt, weil er jederzeit einbrechenkann: Nach dem Gletscherabbruch im SchweizerBergdorf Blatten haben sich Geologen einen Überblicküber das Ausmaß der Katastrophe verschafft. Der Haufenaus Eis, Schlamm und Geröll ist rund zwei Kilometer langund wohl mehr als hundert Meter hoch. Drei Millionen KubikmeterGestein waren auf den Gletscher und später aufdas rechtzeitig evakuierte Dorf im Lötschental gestürzt. 90Prozent der Siedlung sind zerstört, rund 300 Menschen habenihr Zuhause verloren. Blatten ist sinnbildhaft für einealpine Welt im Umbruch. Dass es soweit kommen konnte,hatte die Innsbrucker Gletscherforscherin Andrea Fischerbereits im Blick: Mit den Schweizer Kollegen war sie in ständigemAustausch. „In meiner 25-jährigen Tätigkeit als Glaziologinmusste ich leider schon einige als JahrhundertoderJahrtausendereignisse klassifizierte Events sehen“, soÖsterreichs „Wissenschafterin des Jahres 2023“ in APA Science.Felsstürze fanden zuletzt im Schweizer Bondo (2017),am Tiroler Fluchthorn (2023) und in der Schweizer Berninagruppe(2024) statt. Es gebe einfach eine Häufung aufgrundder globalen Erwärmung, so Fischer. „Es wird im Zuge desKlimawandels zu Ereignissen kommen, die es notwendigmachen, dass wir Möglichkeiten schaffen für Menschen,die an der Stelle, wo ihre Siedlungen für Jahrtausendesicher waren, nicht mehr leben können.“ (mt/apa)oder dass unser System seit derIndustrialisierung auf einem Weltbildfußt, das verspricht, mittels Technikunser Dasein zu erleichtern und unsvon allen Sorgen zu befreien. Schongar nicht will gesehen werden, wiesehr all unsere Kompetenzen immermehr ausgelagert und wir selbstzunehmend entmündigt wurden.„Experten“ nehmen uns in allen Belangendie Entscheidungen ab und gebenden Kurs vor. Ganz zu schweigenvon der Produktion – sowohl das Wasals auch das Wie wurde uns buchstäblichaus der Hand genommen.Sind für eine andere gesellschaftlichePerspektive nicht tiefschürfendereÜberlegungen und Taten nötig?Warum wurde der beherzte Geistso vieler kluger Köpfe offenbar aufder Mülldeponie der Geschichteentsorgt? Von Franz von Assisi überSimone Weil bis Albert Camus, vonHelder Camara, Oscar Romero bisDorothee Sölle und Heinrich Böll, vonGünther Anders, Robert Jungk bis zuErwin Chargaff und Ivan Illich?Dr. Maria WölflingsederRedakteurin der „Streifzüge“, Wien„Die Zukunft ist nicht geschrieben“Interview mit Sönke NeitzelNr. 22, Seite 5Sich auf einen Krieg vorbereiten, damites nicht zu diesem Krieg kommt?Na, da wünsch ich uns viel Glück. Diebeschränkte Denk- und Sichtweise,die Herr Nötzel repräsentiert, der DIEFURCHE eine ganze Seite einräumtund die sich „wunderbar“ mit denPerspektiven der herrschendeneuropäischen Meinungsführer deckt,befeuert die Aufrüstungsprogrammeund damit den Klimawandel, dieUmweltzerstörung und Ressourcenvergeudung.Wenn wir den Friedenwollen, müssen wir den Frieden vorbereiten.Aber braucht unsere Wirtschaftmöglicherweise eher den Krieg,um weiter wachsen zu können?Dr. Hannes Mossbauer4211 AlberndorfDas Ei der KolumneVon Lydia Mischkulnig, Nr. 22, S. 16W.O.R.T. M.A.C.H.T – wortmächtig, soerlebe ich Ihre Geschichten, Briefeoder andere Textseiten immer wieder,jede Woche. Ich tauche ein, vergessedie Welt um mich herum undgehe völlig auf in diesem Wortzauber.Genau deshalb liebe ich das geschriebenWort, weil es so einzigartig undindividuell den Geist und Charaktereines Menschen ausdrücken kann.Bei Frau Mischkulnig im „Federspiel“erlebe ich das so schön: „Schreibenals Kunst, ohne Pinsel Bilder zu erschaffen“.Danke tausend Mal.Hermann Exenberger, 1200 WienDie Österreichischen Lotteriensind Produktionssponsor diesesMusicals über Reformen, Leidenschaftund die Entstehung desGlücksspiels in Österreich.MARIA THERESIA –DAS MUSICALAb 10. Oktober 2025 werden dieAugen vieler Theater- und Musicalfansweltweit einmal mehr aufWien gerichtet sein, wenn dasRonacher zum Schauplatz einerWeltpremiere wird. Mit „MARIATHERESIA – DAS MUSICAL“ darfsich die Theaterwelt auf ein mitreißendesBühnenerlebnis freuen,das die faszinierende Geschichteeiner der einflussreichsten Monarchinnendes 18. Jahrhundertserzählt. Eine Geschichte, aus derauch das seriöse Glücksspiel inÖsterreich hervorgegangen ist.Die Österreichischen Lotterienbetreiben seit 1986 Glücksspielmit Verantwortung. Den Grundsteinfür das seriöse Glücksspielin Österreich legte MariaTheresia bereits im Jahr 1751mit jenem Zahlenlotto, das nochheute von den ÖsterreichischenLotterien angeboten wird. Gleichzeitigverbot sie jede andere Artvon Glücksspiel. Sie sichertedamit die Monopolstellung desStaates und schuf die Basis fürden besten Spielerschutz.Zu dieser Verantwortung zähltdamals wie heute auch die Übernahmevon gesellschaftsrelevantenAnliegen in und für Österreichund damit die Förderungvon Projekten und Initiativen, dieder Gesellschaft in Österreichzugute kommen. Sport, Sozialesund nicht zuletzt Kunst undKultur stehen bei den ÖsterreichischenLotterien im Fokus.v.l.n.r.: VBW Intendant ChristianStruppeck; Moritz Mausser übernimmtdie Rolle von Friedrich II. vonPreußen; Nienke Latten, HauptdarstellerinMaria Theresia; Fabio Diso,Franz Stephan von Lothringen;Foto: Stefanie J. SteindlIN KÜRZERELIGIONRELIGIONBILDUNGWISSEN■ Muslime: Hadsch gestartet■ Evangelische Kirchentage■ Ideen für weniger Bürokratie■ US-Forscher nach ÖsterreichNoch bis zum 9. Juni kommen Muslimeund Musliminnen aus aller Welt zur diesjährigenPilgerfahrt Hadsch in Mekka zusammen.Die Stadt in Saudi-Arabien istder Geburtsort des Propheten Mohammed(ca. 570-632) und heiligste Stadt des Islam.Während der Hadsch vollziehen die Gläubigenam Heiligtum der Kaaba und verschiedenenOrten nahe Mekka die vorgeschriebenenRituale. Nach Angaben des saudischenHadsch-Ministeriums nahmen im vergangenenJahr mehr als 1,8 Millionen Menschendaran teil. Schätzungen zufolge könntenes in dieser Woche über zwei MillionenPilger sein.Die evangelischen Diözesen in ganz Österreichfeiern rund um Pfingsten erneut ihretraditionellen Gustav-Adolf-Feste. Dieregionalen „kleinen Kirchentage“, die vomGustav-Adolf-Verein (GAV) gemeinsam mitwechselnden Pfarrgemeinden veranstaltetwerden, dienen der Begegnung, demgottesdienstlichen Feiern und der Präsentationevangelischen Gemeindelebens. Benanntsind die Feste nach König Gustav II.Adolf von Schweden (1594-1632), der als bedeutendeFigur in der evangelischen Geschichtegilt. Der Einsatz des Königs für dieGlaubensfreiheit wird bis heute in der evangelischenErinnerungskultur gewürdigt.Die Verwaltung des österreichischen Schulsystemssoll vereinfacht werden. Dieses Zielverfolgt Bildungsminister Christoph Wiederkehr(Neos) mit der Initiative „FreiraumSchule“. Lehrkräfte, Schulleitungen, Expertinnenund Experten der PädagogischenHochschulen und Verwaltung sind aufgerufen,ihre praxisnahen Vorschläge auf derWebsite des Bildungsministeriums einzubringen.Das Ministerium wünscht sich etwaweniger Formulare und Berichtspflichtenfür Lehrkräfte. Im Sommer werden dieIdeen weiterentwickelt, viele sollen bereitsim kommenden Schuljahr implementiertwerden.Eine geplante Gesetzesänderung soll es österreichischenHochschulen erleichtern,Wissenschafter aus den USA anzustellen.Ab Juli 2025 bis September 2026 könntenUniversitäten so in zehn anstatt wie bishernur fünf Prozent der Fälle Professoren undProfessorinnen im Schnellverfahren engagieren.Wissenschaftsministerin Eva-MariaHolzleitner (SPÖ) begründet den Schrittmit „internationaler Solidarität“, denn vieleForschende verlassen derzeit US-amerikanischeHochschulen aufgrund der Politikvon Präsident Donald Trump. Die Uni-Senatefordern eine Ausweitung auf andere Regionenin vergleichbaren Situationen.

DIE FURCHE · 235. Juni 2025Geschichte17Es gilt, nicht nur daraufzu achten, was geredetwird, sondern auch wie:Denn in Verwirrungen undVerkehrungen kann sicheine Strategie verbergen,weiß Hitler-ÜbersetzerOlivier Mannoni.Von Brigitte Schwens-HarrantVielleicht sind Übersetzerja die besten Literaturkritiker.Weil sie so genauauf Sprache achtenwie kaum jemand anderer.Jede Verschiebung, jede Ungenauigkeitsehen sie, und im Nachdenkendarüber, wie das, was sielesen, in die andere Sprache zu übersetzenist, müssen sie auch überlegen,warum etwas stört und welcheBedeutung das vielleicht hat.Denn Unverständlichkeit kannpassieren, sie kann aber auch Absichtsein, Wörter „falsch“ verwenden,kann passieren, kann aber auch Absichtsein. Und so las ich mit wachsendemInteresse die Erfahrungen undReflexionen des französischen ÜbersetzersOlivier Mannoni, die unterdem Titel „Hitler übersetzen“ nun aufDeutsch erschienen sind. „Innerhalbvon dreißig Jahren, seit den erstenTexten der Konservativen Revolutionbis zum Ende des Zweiten Weltkriegsund dem Fall des Nationalsozialismus,hatten die Jünger der völkischenBewegung, die Mitglieder der Freikorps1919, die Anhänger der deutschnationalenStrömungen sowie derkleinen Deutschen Arbeiterpartei(DAP) und schließlich der Nationalsozialistischendeutschen Arbeiterpartei(NSDAP) die deutsche Sprache,die gleichwohl auf ein unermesslicheskulturelles und literarisches Kapitalzurückblicken konnte, zerstückeltund zerrüttet. Sie war auf einenJargon reduziert worden, mit dem diean der Macht befindlichen Militantenoder Intellektuellen nach und nachdie Alltagssprache ersetzten.“Dass die Nationalsozialisten perfekteKommunikatoren waren, beweisennicht nur ihre Inszenierungen,sondern wird auch an ihrem Umgangmit Sprache sichtbar, die sie zur Waffeverwandelten. Appelliert wird andie „primitivsten Emotionen“, „Skandaleund Empörungswellen“ sindgewollt, denn sie steigern „ihre Bekanntheitund Popularität“ und sorgendafür, dass sie ständig in allerMunde sind. Und wer in aller Mundeist, der erscheint als Macht, an derman nicht vorbeikommt. Mit konkretenZitaten belegt Mannoni, dass einsolches Vorgehen bereits Jahre vorder Machtergreifung der Nationalsozialistengeplant war.Um solche Strategien sichtbar machenzu können, ist es notwendig, aufdie entsprechenden Dokumente zugreifenzu können. Daher sollte auchdas ab 1924 von Adolf Hitler verfassteMachwerk „Mein Kampf“, das nachder Befreiung 1945 eiligst vernichtetoder versteckt wurde, nicht aus demkulturellen Gedächtnis getilgt, sondernhistorisch und kritisch aufgearbeitetwerden. Dies umso mehr, alsdas Buch und das darin vermittelteGedankengut ohnehin weiter herumgereichtwerden. Auch von dieser Debatte,die in Frankreich anlässlichder geplanten Neuübersetzung hitziggeführt wurde, erzählt Mannoni. Erführt einige der genannten Argumentegegen die Neuübersetzung an – etwa,dass man an dieses Gedankengutgar nicht mehr erinnern sollte – undjene dafür: Es ist wichtig, anhand historischerDokumente wie diesem auchzu analysieren, wie etwas warum gekommenist. Nur so könne man aus derGeschichte lernen. (Deswegen gibt esauch eine kritische deutsche Edition.)Die Absicht der Originaltexte, nämlichder „Eroberungs- und Zerstörungsmaschinerie“zu dienen, müsse„man beim Lesen, Verstehen und folglichÜbersetzen“ immer mitbedenken.Schaut man sich die Sprache genau an,kann man diese Intention auch erkennen.Mannoni bemerkt zum Beispiel,dass sich die Nationalsozialisten bestensdarauf verstanden, die deutscheSprache, die sich „durch eine erheblicheVieldeutigkeit auszeichnet“ undderen großes „Spektrum an Nuancen“für Literaten ebenso ein Glücksfall istwie für Übersetzer, als Nebelwerfereinzusetzen: „sagen und gleichzeitigWas mit Worten passiertDer Dadaismus spießte mit der Sprache zugleich Politik und Gesellschaftkritisch auf (Bild: Collage von J. Heartfield und G. Grosz, 1919).Grosz, so Mannoni, begriff rasch, „wes Geistes Kind die Nazis waren“.ZertrümmerteSprache,zerrütteteDemokratievertuschen; andeuten, ohne zu offenbaren;behaupten und beschweigenin einem“. Und so wird dann etwa eine„systematische KZ-Inhaftierung“als „Schutzhaft“ bezeichnet, erhält alsoeinen Begriff, der sogar etwas Positiveszu konnotieren scheint und der,so Mannoni, „aufgrund seiner weitreichendenVieldeutigkeit noch immerals unübersetzbar“ gilt.„Die Verfremdung der Sprachewar keine Nebensache, sondern dieQuintessenz des nationalsozialistischenTotalitarismus.“ Aus einer solchenSprache übersetzen bedeute füreinen Übersetzer nicht, „aus demDeutschen zu übersetzen“, sondern„aus einer Sprache, die für einen undvon einem mörderischen Totalitarismusgeprägt wurde“, einer „Sprache,die täuschen, lügen und […] abstumpfensoll.“Foto: IMAGO / GRANGER Historical Picture ArchiveMannoni, der sich viele Jahredurch die hunderten Seiten desHitlerʼschen Machwerks gequält hat,erzählt von den Wirkungen, die dieserantisemitische Sumpf auf ihn hatte.„In keinem anderen Text war ichbisher mit einer solchen Dichte anHass und einer vergleichbaren verbalenGewalt konfrontiert gewesen“.Vor allem analysiert er den schlechtenStil, der in der Übersetzung nichtgeglättet werden sollte. „Hitlers verschwurbelteSyntax“ sieht er „systematischim Dienst eines perversenDenkens“, und er belegt dies mit Beispielsätzen.Behauptungen, die jederfaktischen Grundlage entbehren,stürzen „lawinenartig auf die Lesenden“ein, immer in der gleichenStruktur: „ein repetitiver, obsessiverEinstieg, der um sich selbst kreist […]Eine Fülle von überflüssigen, widersprüchlichenBegriffen im Dienste fadenscheinigeroder lügenhafter Argumente,bevor das Ganze mit einerFlut von Syllogismen in ein sentenziösesFazit mündet.“Nur Sprache? Keineswegs. DassHitler an die Macht kommen konnte,habe, so Mannoni, nämlich mit diesemDiskurs zu tun, der zudem „dieGrundwerte der modernen Zivilisationangreift“. Kein Wunder, dass Mannoniin seinem Schlusskapitel aufdas Erstarken der Neuen Rechten inFrankreich hinweist, die die „Mauerder sprachlichen Tabus“ zertrümmern,die seit 1945 aus gutem Grundgegolten haben – „die Häufung grenzüberschreitenderkleiner Sätze“ führtdazu, dass sich altbekannte Rassismen,Ausgrenzungen und „Männlichkeitsfantasien“nun in der Alltagssprachewiederfinden. Begriffewie „Grand Remplacement“ („GroßerAustausch“) oder „Remigration“ werdendurch Wiederholung (auch in denMedien) „normal“, wie etwa auch dieRede gegen „das System“, ein Begriff,den die Nationalsozialisten gegen dieWeimarer Republik benützten.„ Appelliert wirdan die ‚primitivstenEmotionen‘,‚Skandaleund Empörungswellen‘sind gewollt.“Die bewusste Verwirrung, „die Verkehrungvon Begriffen und Werten(‚Hitler war links, weil nationalsozialistisch‘)“untergraben die Demokratie,deren Stärke, so gibt sich Mannoniüberzeugt, die Sprache als „Werkzeugdes Dialogs und der gemeinsamenEntscheidungsfindung“ ist. „Wenn siepervertiert ist, gerät folglich auch dieDemokratie aus den Fugen, sie verkümmertund verliert ihre Daseinsberechtigung.“Dass hinsichtlich dieserErkenntnis auch die Sprache DonaldTrumps Mannonis Interesse weckt,versteht sich von selbst. Und lesenderinnert man sich auch an die inzwischenunzähligen Debatten, in denenDiskutanten, die den Blick auf dieSprache richten wollen, ausgerichtetwird, sie mögen bitte keine sinnlosen„semantischen“ Wortklaubereien vomZaun brechen, die ohnehin niemandeninteressieren.Man greift vielleicht nur zögerlichzu einem Buch mit dem Titel „Hitlerübersetzen“. Immerhin hat VictorKlemperer bereits 1947 mit „LTI“ dieSprache des Nationalsozialismus aufgedecktund analysiert, wie sie funktioniert(Mannoni verweist daher oftauf Klemperer), zudem schreckt dieAussicht auf das Waten durch diesenentsetzlichen sprachlichen Sumpf ab.Aber Mannoni öffnet mit seinen Erfahrungenund Erkenntnissen weitereTüren, und so wird sein schmalesWerk, das 2022 in Frankreich erschienenist, im Bücherregal neben Klemperers„LTI“ zu stehen kommen. Alsergänzende Analyse und Warnung.Hitler übersetzenVon Olivier MannoniÜbersetzt von Nicola DenisHarperCollins 2025144 S., geb., € 23,50

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