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DIE FURCHE 05.06.2025

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DIE FURCHE · 2312

DIE FURCHE · 2312 Gesellschaft5. Juni 2025ErstmalspersönlichAm Schluss habensich die Journalistin,Moderatorinund PodcasterinJohanna Hirzbergerund der Ö1-Radiopionier sowiePublizist HubertGaisbauer dochnoch leibhaftigkennengelernt.„ Ich habe mit meinenEnkelinnen viele Gesprächegeführt. Aber diese Rollewollte ich bei Ihnen nichtspielen, obwohl ich immerwieder hineingetappt bin. “Hubert GaisbauerFotos: Carolina FrankERKLÄRMIR DEINEWELTDas Gespräch führten Doris Helmbergerund Astrid WenzEs ging um Alter und Trost, um Bewunderungund Übergriffigkeit,um Religion, Sprache und digitaleÜberforderung. Nun, nachmehr als zwei Jahren und 114 Briefenin der FURCHE-Rubrik „Erklär mir deineWelt“, haben die beiden RadiomenschenHubert Gaisbauer und Johanna Hirzbergereinander endlich auch leibhaftig getroffen.Was bleibt von diesem so besonderen Briefwechselzwischen zwei so unterschiedlichenPersönlichkeiten? DIE FURCHE hatdie beiden eingeladen, ihre Konversationmit einem persönlichen Gespräch zu beschließenund zu reflektieren.In 114 Briefen haben Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer einander ihre je eigeneLebenswelt erklärt. Wurde sie für das Gegenüber plausibler? Ein Gespräch zum Abschied.„Gut, dass Sie michprovoziert haben“DIE FURCHE: Wie war es für Sie, jemandemBriefe zu schreiben, den man noch nie getroffenhat?Johanna Hirzberger: Ich weiß nicht, wiees Ihnen geht, Herr Gaisbauer, aber ichhabe schon eine Beziehung aufgebaut zuIhnen. Es hat mich auch fasziniert, dassman sich näherkommen kann, obwohlder Briefwechsel öffentlich ist, obwohles aus mehreren Gründen eine Distanzgibt und man sich noch nie gesehen hat.Hubert Gaisbauer: Ich habe es eigentlichals sehr sinnvoll empfunden, dass wir unsnicht gekannt haben, weil wir dadurch versuchthaben, uns anzuschleichen…Hirzberger: ...zu tänzeln…Gaisbauer: Ach, da kommt jetzt fast einbisschen Abschiedswehmut auf.Hirzberger: Kennen Sie eigentlich diesesBuch, in dem ein Mann und eine Fraueinander zufällig E-Mails schreiben?Gaisbauer: Das Buch von Daniel Glattauer?Das habe ich nie gelesen.DIE FURCHE: Sie meinen den Roman „Gut gegenNordwind“?Hirzberger: Ja. Ein bisschen so ist es mirvorgekommen...DIE FURCHE: Der erste Brief von Ihnen, HerrGaisbauer, trug den Titel „Alter weißerMann? Alter weiser Mensch“ – wobei dieAntwort von Ihnen, Frau Hirzberger, unterDen gesamtenBriefwechselzwischen HubertGaisbauerund JohannaHirzbergerkönnen Sie auffurche.at bzw.unter diesemQR-Code nachlesen:dem Titel „Bitte verstehen Sie mich richtig!“durchaus saftig ausgefallen ist. Die Antwortdarauf lautete dann: „Lehnen Sie sichruhig aus dem Fenster“. Wie weit haben Siesich beide hinausgelehnt?Hirzberger: Mit der Zeit bin ich ein wenigsanfter geworden. Aber gerade am Anfanghaben mich die Themen besonders emotionalisiert.Gaisbauer: Mich haben Themen wie Männerbilder,Geschlechterdifferenz und soweiter auch emotionalisiert. Und das wargut, denn ich habe durch das Nachdenkendarüber sehr viel gelernt. Es hat michauch provoziert. Aber ich habe es mir gewünscht,dass Sie mich provozieren, weilich nicht in der für mich sehr unangenehmenRolle als „Erinnerungsmensch“ oder„Großvater, der seinen Enkelinnen da waserzählt“ verharren wollte.„ Ich war es nicht gewohnt,dass es so viele religiöseReferenzen gibt. Was dasteht, hat mich manchmalwütend gemacht.“Johanna HirzbergerDIE FURCHE: Was hat Sie an der jeweils anderenWelt am meisten überrascht oderauch verstört?Hirzberger: Ich war es nicht gewohnt, dasses so viele religiöse Referenzen gibt. Unddas, was da steht, hat mich manchmal auchwütend gemacht. Aber ich habe mich zurückgehalten,weil mir klar ist, dass mitFrauen, vor allem jüngeren Frauen, in derÖffentlichkeit nicht immer so fein umgegangenwird. Und weil ich auch das Gefühlhatte, dass meine direkte Haltung bei derFURCHE-Zielgruppe nicht so gut ankommenwürde. Gerade unlängst, bei der Neuernennungdes Papstes, hat mich fast derSchlag getroffen, als ich diese vielen alten,weißen Männer in Reih und Glied mit derimmer gleichen Uniform gesehen habe.Gaisbauer: Das geht mir auch auf denGeist. Je mehr ich darüber nachdenke, umsomehr erschrecke ich. Mein lieber PapstFranziskus wollte das auch nicht, aber dieserApparat… Ich habe schon gespürt, dassIhnen das Thema Religion ein bisschenauf die Nerven geht. Aber dann habe ichmich an den Titel unseres Briefwechselserinnert: „Erklär mir deine Welt“. Und ichdarf sagen: Das ist meine Welt. Und die istmanchmal sehr retro. Auch bei der Literaturkomme ich immer wieder zu den altenSachen zurück. Ich kann mir vorstellen,dass man damit ein Problem haben kann.Hirzberger: Damit habe ich kein Problem.Ich habe meinerseits viel Persönlicheshineingebracht, das ist der Schreibstil meinerGeneration. Manchmal hatte ich dasGefühl, dass Sie sachlicher und distanzierterwaren. Und ich dachte mir, es ist schoneinfacher, über andere Inhalte zu reden alsüber jene, die einen persönlich betreffen.Gaisbauer: Trotzdem waren wir uns auchin vielen Dingen einig. Etwa was die Rolleder Frau betrifft. Oder haben Sie mich alsMacho empfunden?Hirzberger: Es gab gerade am Anfang eineSituation, die mir zu weit ging. Da ging esum sexualisierte Gewalt und Übergriffigkeit,und Sie haben sinngemäß geantwortet:Man wird ja noch ein Kompliment machendürfen...DIE FURCHE: „Ich fühle mich beobachtetund bewertet“, haben Sie damals geschrieben,Frau Hirzberger. Und Sie, Herr Gaisbauer,haben geantwortet: „Gibt es nichtauch bewunderndes Anschauen?“Gaisbauer: Das ist eine gute Frage, denndie Grenze zwischen Begehrlichkeit undBewunderung ist fließend.Hirzberger: Beim Anschauen kommt eshalt darauf an, ob es eine sanftere Variantevon Anstarren ist. Ich wurde in meinemLeben schon sehr oft in unangenehme Situationengebracht – allein über Blicke. Deswegenreagiere ich hier sehr sensibel, undich kenne auch viele Freundinnen, die das

DIE FURCHE · 235. Juni 2025Gesellschaft13„ Ich wurde schon sehr oft in unangenehmeSituationen gebracht – allein über Blicke. Deswegenreagiere ich hier sensibel. Andere haben sich eininternalisiertes Patriarchat angeeignet. “Johanna Hirzbergerähnlich sehen. Aber ich habe auch Freundinnen,die das anders sehen und die sichaus meiner Sicht ein internalisiertes Patriarchatangeeignet haben.Gaisbauer: Ich kann mich erinnern an dieSzene, wo Sie geschrieben haben, dass eineFrau Sie gefragt hat, ob sie Ihre Haare angreifendarf.Hirzberger: Ja, und die hat das auch ungefragtgemacht.Gaisbauer: Ich erinnere mich auch nochan eine zweite Szene, wo Sie auf einem Seminarwaren und sich dann selbst umarmthaben. Das Bild ist mir geblieben. Ich habemir gedacht: Du kannst dich auch öfterselber umarmen. Das war schön, weil ichetwas von einer mir völlig fremden Körperlichkeitempfunden habe. Mein Problemwar von Anfang an, dass ich nicht belehrendauftreten wollte. Ich habe mit meinenEnkelinnen viele Gespräche geführtund erzähle gern. Aber die Rolle wollte ichbei Ihnen nicht spielen, obwohl ich immerwieder hineingetappt bin.DIE FURCHE: Haben Sie das Gefühl, Sie verstehenIhre Enkelinnen nun besser?Gaisbauer: Ich verstehe mich mit meinenEnkelinnen sowieso gut. Ich verstehenur manches aus ihrer Lebenswelt nicht,etwa wie man so zusammengewachsensein kann mit dem Handy. Das ist wie beiden Cowboys im Saloon. Sofort die Handam Colt. Ich brauche auch ständig Nachhilfeunterricht– wie viele in meiner Welt.Es wird etwa vorausgesetzt, dass jederMensch mit einem QR-Code umgehenkann. Doch das können viele nicht. Da sageich oft zu meinen Enkelinnen: Wahnsinn,wie ihr das handelt. Und sie sagen: Opa,wir sind mit dem aufgewachsen!Hirzberger: Aber deswegen ist es nichtweniger anstrengend und es macht nichtweniger mindfuck – weil man eben so abhängigist von diesem Gerät und von derOnline-Welt, weil man alle Freunde nurdarüber kontaktieren kann und weil mansonst nichts mitbekommt von den Dingen,die gerade passieren.Man bekommt auch alsJournalistin eher Aufträgeoder einen Job,wenn man eine gewisseFollowerinnenschaftoder eine gewisse Online-Präsenzhat. Dasist anstrengend undnervig.DIE FURCHE: Die digitaleWelt hat auch den Wortschatzverändert…Gaisbauer: Ja, und ichhabe viele neue Wörterbei Ihnen gelernt.Hirzberger: Was waren das für Worte?Gaisbauer: Das letzte war, glaube ich, cringe!Umgekehrt hat es mich aber auch immergefreut, alte Worte einzubringen.DIE FURCHE: Solche wie „Labsal“?Gaisbauer: Richtig, ein wirklich schönesWort. Aber jetzt müssen Sie uns ein bisschenprovozieren.DIE FURCHE: Gut, wir provozieren mit demThema „Cancel Culture“ und dem Umstand,dass man manche Wörter heute nicht mehrsagen, geschweige denn schreiben darf.Wie wird das in Ihren Welten gesehen?Gaisbauer: Da muss ich jetzt aufpassen,weil ich gleich eine Rüge bekomme – aberaus einem anderen Grund. Um aus meinerWelt zu berichten: Ich höre schlecht und habedie Frage nicht ganz verstanden. Weilwir ja heute fotografiert werden, habe ichden Hörapparat nicht drin, über den ich„ Ich möchte heutenicht mehr jung sein.Ich möchte nichtso hastig und ohneReligion leben.Deshalb tut es mirauch leid, dass dasWort ,Gott‘ nicht mehrvorkommen darf. “Hubert Gaisbauerauch in einem Brief berichtet habe. Jetztgibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Siesprechen etwas lauter oder ich setze mirdoch meine Ohren auf.DIE FURCHE: Wir sprechen etwas lauter.Hirzberger: Ich habe auch einen Freund,der ein Hörgerät hat. Ich glaube, es ist gut,wenn man das schon ganz früh verwendet.Gaisbauer: Genau, ständig werde ich ermahnt:Du musst das immer tragen, duwirst schon sehen, es wird schlechterwenn du es nicht trägst. Ständig.Hirzberger: Es gibt auch einen Zusammenhangzwischen Demenz und Hörgeräten.Aber wir wollen jetzt nicht über Hörgerätereden.DIE FURCHE: Die Frage war, ob man heutegewisse Worte nicht mehr verwenden darf.Das könnte ein Reibungspunkt zwischenIhren beiden Welten sein...Gaisbauer: Ja. Ich habe 2022 in einemText für DIE FURCHE unter dem Titel „DasWort Gott – toxisch?“ geschrieben: „Manvermeidet das Wort ,Gott‘, wie man auchnicht mehr ,Neger‘ sagt.“ Da hat es danneinen Aufstand gegeben, die KatholischeJungschar hat sich fürchterlich aufgeregt.Hirzberger: Das kann man so nicht sagen,geschweige denn schreiben…DIE FURCHE: Es gab auch innerhalb derFURCHE-Redaktion heftige Debatten.Gaisbauer: Aber das ist ja verrückt, wennman Worte nicht mehr aussprechen darf,wenn der Kontext völlig klar ist und wennes gerade um dieses Wort geht. Jetzt macheich mich total angreifbar, aber ich sage, dagibt es teilweise eine totale Überempfindlichkeit.Und ja, in diese Richtung habe ichSie auch ein bisschen verdächtigt.Hirzberger: Das stimmt auch. Aber wennes Ihnen um das Wort Gott geht: Das sindzwei komplett unterschiedliche Kontexte.Sie vergleichen ein Unwort mit einem starkdiskriminierenden Wort.Gaisbauer: Da haben Sie völlig recht, aberich habe das nur alsdrastischen Vergleichverwendet, dass mansich hütet, ein Wort zuverwenden, weil es offenkundigfür viele Leuteeine Provokation ist.Hirzberger: Aber imFall des N-Wortes gehtes nicht um eine Provokation,sondern das verletzt.Worte verletzenbekanntlich oft mehrals Taten, sie könnenganz tief hineingepflanztwerden undtraumatisieren. Aberwen verletzt das G-Wort?Gaisbauer: Da bin tatsächlich ich ein bisschenempfindlich. Ich habe den Eindruck,die Leute reden permanent vom Universum:„Das hat mir das Universum geschickt“oder sonst etwas.Hirzberger: Also Sie fühlen sich schon vondem Wort „Universum“ provoziert? StellenSie sich das vor!Gaisbauer: Mir tut einfach eine Welt undeine Gesellschaft leid, die das Wort „Gott“nicht mehr aussprechen will und stattdessenirgendwelche unverbindlich-qualligenBegriffe wählt.DIE FURCHE: Kommen wir zum gesprochenenWort im Radio – Sie sind ja beide Radiomenschen.Hat Sie das verbunden?Hirzberger: Ich glaube schon. Teilweise.Gaisbauer: Da komme ich wieder auf einenPunkt, wo ich in meiner Welt „heiß gehe“,nämlich beim schlampigen Umgangmit der Sprache, dem raschen Reden undSchludern. Ich kann nicht sagen, wie dasbei Ihnen ist, ich habe nur zwei Sendungenvon Ihnen auf Ö1 gehört, aber da kannich nichts diesbezüglich bemäkeln. DerVorwurf geht eher an die Verantwortlichen,die kein Acht darauf haben, dass einegewisse Sprach- und Sprechkultur imRadio herrscht. Man hat immer das Gefühl:Die hetzen durch die Zeit. Das findeich so betrüblich. Aber das hat nichts mituns zu tun.Hirzberger: Auf Social Media ist es nochdeutlich extremer, da wird alles megaschnellgesprochen. Das erste Mal, als ichauf Tiktok war, vor etwa sieben Jahren, warich selbst etwas überfordert. Mittlerweilebin ich da auch drinnen. Und ich erwischemich auch dabei, dass ich mir Videos aufYoutube in doppelter Geschwindigkeit ansehe,weil es sonst so langsam geht.DIE FURCHE: Machen wir noch ein Gedankenexperiment:Wie wäre es, wenn Sie heutejung wären, Herr Gaisbauer?Gaisbauer: Ich möchte heute nicht jungsein. Wirklich nicht. Ich möchte nicht soschnell und so hastig und ohne Religion leben,wohin die Tendenz geht, wenn man dieJugendstudie liest. Deshalb tut es mir auchleid, dass das Wort „Gott“ nicht mehr vorkommendarf. Es verschwindet alles. Deshalbbin ich so dankbar für die Jugend, dieich gehabt habe. Aber ich freue mich sehr,dass ich mit meinen vier Enkelinnen – einedavon ist ein Down-Syndrom-Kind, zweisind jüdisch – herrlich über Religion redenkann. Sie haben keine Berührungsängstevor dem Christentum und ich nicht vor demJudentum. Aber da kommen wir jetzt vielleichtzu einem noch schwierigeren Thema.DIE FURCHE: Und Sie, Frau Hirzberger: Waswäre, wenn Sie heute so alt wie Herr Gaisbauerwären?Hirzberger: Ich würde wahrscheinlichtausend Hobbys haben und immer wiedereinen neuen Kurs anfangen, weil ich essonst nicht aushalte. Ich brauche immer etwaszu tun. Und wer weiß, vielleicht hätteich sogar ein Social-Media-Profil und würdedort Sachen posten, die ich witzig findeund die provokant sind.Gaisbauer: Interessant. Als alter Mensch?Hirzberger: Ja. Auch Sie könnten übrigensReligions-Influencer werden!DIE FURCHE: Werden Sie nach Ihren 114Briefen weiter in Kontakt bleiben?Hirzberger: Ja, vielleicht. Ich habe mirschon gedacht, ich schreibe Ihnen nochmal.Aber dann müssen Sie mir Ihre Adressegeben, dann schreibe ich Ihnen einenechten Brief.Gaisbauer: Das würde mich freuen. Ich binaber kein Echtbriefschreiber…Hirzberger: Also lieber eine E-Mail?Gaisbauer: Wenn ich ehrlich bin: ja.Die Langversiondieses GesprächsfindenSie unter „‚Erklärmir deine Welt’:Hubert Gaisbauerund JohannaHirzberger imAbschiedsgespräch“auffurche.at sowieunter diesemQR-Code.„Entweder Sie sprechen jetzt etwas lauter – oderich setze mir meine Ohren auf“, sagt HubertGaisbauer. Das Hörgerät gehört zu seiner Welt.Fast so wie „Gutgegen Nordwind“,den Roman vonDaniel Glattauer,hat Johanna Hirzbergerden Briefwechselmit dem ihrzuvor unbekanntenHubert Gaisbauerempfunden.

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