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DIE FURCHE 05.01.2023

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DIE FURCHE · 1 20 Film 5. Jänner 2023 ARTHOUSE-FILM Zwei außer Rand und Band Pádraic (re., Colin Farrell) will weiter der Freund von Colm (li., Brendan Gleesen) sein. Aber der will nicht. Als es eine Fabrikzeit, eine Kirchenzeit, eine Gemeindezeit und eine Telegrafenzeit gab … Kapitalismus und Anarchie Vom Setting her ist „Unrueh“, der zweite Spielfilm des Schweizers Cyril Schäublin, ein historischer Film und dennoch sind die Bezüge zur Gegenwart unübersehbar. Eine andere Welt scheint in der Uhrenindustrie im Schweizer Jura in den 1970er Jahren des 19. Jahrhunderts noch möglich. Nichts ist festgeschrieben, nicht einmal die Zeitmessung, gibt es doch – eine Fabrikzeit, eine Kirchenzeit, eine Gemeindezeit und eine Telegrafenzeit. Aber man ahnt schon, welche Zeit sich durchsetzen wird, wenn das Arbeitstempo zunehmend genauer kontrolliert und der Arbeitsprozess reglementiert und optimiert werden. Aber auch die Welt wird mit der aufkommenden Kartografie vermessen und die Abstände zwischen den Kontinenten durch die Telegrafie verkürzt. Gleichzeitig entwickelt sich gesellschaftlich als Gegenposition zu den Industriellen eine anarchistische Bewegung, die in der Uhrenindustrie vor allem von den Frauen getragen wird. Bewusst reduziert gehalten sind historische Kulissen und Kostüme. Kühl und spröde ist die Inszenierung, die an die Filme Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets erinnert. Weitgehend statisch bleibt die Kamera von Silvan Hillmann, die die Menschen meist in langen, distanzierten Einstellungen erfasst. Auch auf extradiegetische Filmmusik verzichtet Schäublin. Auf Distanz gehalten wird das Publikum aber auch durch den Verzicht auf Psychologisierung und Background der Charaktere. Nicht Emotionalisierung ist das Ziel, sondern vielmehr soll mit der nüchternen, aber präzisen Inszenierung Einblick in diese Umbruchszeit vermittelt werden. Geduld verlangt „Unrueh“ mit seiner entschleunigten Erzählweise zwar, doch wer sich darauf einlässt, erlebt einen ebenso ungewöhnlichen wie faszinierenden Film, der mit seinem inhaltlichen Reichtum spannende Einsichten bietet und zum Nachdenken anregt. (Walter Gasperi) Unrueh CH 2022. Regie: Cyril Schäublin. Mit Clara Gostynski, Alexei Evstratov, Monika Stalder, Hélio Thiémard. Filmgarten. 93 Min. Colm kündigt die Freundschaft auf. Und Pádraic weiß nicht warum – und wie ihm geschieht: Martin McDonaghs rabenschwärzeste Komödie „The Banshees of Inisherin“ Ein Finger nach dem anderen Von Otto Friedrich Wenn einer mit der Sperrigkeit seiner Filmtitel reüssiert, dann ist es der irische Regisseur Martin McDonagh. „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ gehörte vor fünf Jahren nicht nur wegen des Oscars für Hauptdarstellerin Frances McDormand zu den herausragenden Filmereignissen. McDonaghs neuester Geniestreich, „The Banshees of Inisherin“, kommt titelmäßig auch unhandlich daher. Und wenn die acht „ Man darf wirklich gespannt sein, ob Pádraic und Colm das wieder geradegebogen kriegen oder ob sie einander am Ende dann doch gegenseitig massakrieren. “ Nominierungen für den nächstjährigen Golden Globe etwas aussagen, dann dass dieser Film einen Tipp auch für die ganz großen Preise darstellt. Diesmal geht es McDonagh nicht um Recht in einer unrechtschwangeren Stadt in the Midst of Nowhere im US-Mittelwesten, sondern er verlegt seine Handlung auf ein kaum bewohntes Eiland an der irischen Westküste. Dort müssen die Todesfeen – eine ungefähre Übersetzung des irischen Ausdrucks „Banshees“ – wüten, sonst hätte eine Geschichte – wie die erzählte – wohl kaum stattfinden können. Man schreibt das Jahr 1923, der irische Bürgerkrieg tobt auf der großen Insel, aber auch auf dem Eiland Inisherin gerät die Welt aus den Fugen: Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell), ein grundsympathischer Mann mittleren Alters, der allerdings nicht der hellste Kopf ist, besucht tagtäglich um 14 Uhr seinen besten Freund, den vierschrötigen Colm Doherty (Brendan Gleeson). Doch von einem Tag auf den anderen kündigt Letzterer dem Ersteren die Freundschaft auf. Weder Pádraic noch das Publikum verstehen, was dem wortkargen Colm da über die Leber gelaufen sein könnte. Weil Pádraic aber so tut, als wolle er Colms Ansinnen, jeden Kontakt zueinander abzubrechen, nicht nur nicht verstehen, sondern auch ignorieren, fährt Colm schwere Geschütze auf: Jedes Mal, wenn Pádraic ihn anspricht, werde er sich einen Finger abschneiden. Unglaublich, aber Colm fackelt nicht lang … Schwarzer Humor ist für diese „Komödie“ arg untertrieben. Denn Pádraic ist bald völlig außer sich und unfähig, mit der Situation, die von Colm weiter und weiter eskaliert wird, umzugehen. Pádraics Schwester Siobhan (Kerry Condon), die ihm den Haushalt führt, hält die Situation gleichfalls nicht mehr aus und steckt ihre Fühler aus nach einer Tätigkeit auf der Hauptinsel. Bleibt nur der von seinem Vater ständig gedemütigte Polizistensohn Dominic Kearney (Barry Keoghan), der für Pádraic so etwas wie Trost bieten kann – und sei es nur dadurch, dass er noch einfältiger als Pádraic ist. Ein kongeniales Paar Eine Tragik, die so komisch ist, dass einem Hören und Sehen vergeht. Und Colin Farrell ist als aus der Bahn geworfener Pádraic so authentisch, dass man tatsächlich glaubt, Colm schneide seinetwegen einen Finger nach dem anderen mit einer rostigen Schere ab. Mit Brendan Gleeson, der gemeinsam mit Farrell ja schon in McDonaghs Erfolgsfilm „Brügge sehen … und sterben?“ (2008) ein kongeniales Paar darstellte, spielt er sich in den „Banshees of Inisherin“ in schwindelnde Höhen einer Filmkomödie, die am gesunden Menschenverstand dieser irischen Dickköpfe zweifeln lässt. Man ahnt, welche dunklen Mächte da im Inneren – nicht nur Colms – wüten müssen, dass die Lage sich so unversehens zuspitzt. Mit „Banshees“, diesem Anklingen an keltisch-dunkle Mythologie, ist das Setting dann doch hinlänglich beschrieben. Man darf wirklich gespannt sein, ob Pádraic und Colm das wieder geradegebogen kriegen oder ob sie einander am Ende dann doch gegenseitig massakrieren. Den Ansatz dazu haben sie längst geliefert. Und das Publikum schaut lachend zu – und tut es weiter, auch wenn dieses Lachen im Hals steckenzubleiben droht. The Banshees of Inisherin IRL/GB/USA 2022. Regie: Martin McDonagh. Mit Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon. Disney, 154 Min. ARTHOUSE-FILM Die Zerrissenheit von Generationen Élisabeth ist gerade von ihrem Mann verlassen worden und ihr Schmerz ist groß. Noch weiß sie nicht, wie sie Tochter und Sohn alleine ernähren soll, denn in ihrer Familie herrschte die klassische Rollenverteilung. Sie findet Arbeit beim Radio, kann in einer nächtlichen Sendung die Anrufe der Hörer entgegennehmen. So lernt Élisabeth auch die junge Obdachlose Talulah kennen, die sie bei sich aufnimmt. Der französische Regisseur Mikhaël Hers lässt seine Emanzipationsgeschichte „Passagiere der Nacht“ mit einem historischen Datum beginnen. Es spiegelt den Veränderungswillen jener Epoche Élisabeth (Charlotte Gainsbourg) nimmt die drogensüchtige Obdachlose Talulah (Noée Abita) bei sich auf. und prägt auch den stimmigen Ton des Films. Am 10. Mai 1981 wurde François Mitterrand zum Staatspräsidenten gewählt. Zugleich schlägt dieses Datum den Bogen in das Jahr 1968 zurück, als sich in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai in Paris die 68er-Bewegung gewaltsam Gehör verschaffte. Mit Mitterrand war die Erwartung verbunden, dass mehr Gleichberechtigung, mehr Rechte für gesellschaftliche Randgruppen hergestellt würden. Im Film meldet sich das gesellschaftlich Unbewusste in den Stimmen der „Passagiere der Nacht“ zu Wort, wie der Talulahs oder eines Mannes, der sich manchmal als Frau verkleidet. Und in der einfühlsamen Art, mit der Élisabeth und ihre Chefin Vanda auf diese Menschen zugehen, kündigt sich auch der Wertewandel an. Soziale Fähigkeiten, wie ‚Mitdenken‘, ‚Sensibilität‘, Aufrichtigkeit, werden aufgewertet, mit ihnen wollen Menschen wie Élisabeth das gemeinsame Interesse, eine humanere Gesellschaft verwirklichen. Der Optimismus, der sensible Umgang mit dem Anderen, spricht auch aus der formalen Gestaltung des Films. Virtuos arbeitet er mit Farben und Licht, um die Gemütsverfassung, auch Fragilität seiner sympathischen Figuren zu porträtieren. Doch in der drogen- süchtigen Außenseiterin Talulah manifestiert sich bereits die Zerrissenheit der nächsten Generation. Fürsorge, Feingefühl und Weichheit können auch ersticken. Seelenverwandte findet sie im Kino, wenn sie Éric Rohmers „Vollmondnächte“ oder Eric Rochants „Eine Welt ohne Mitleid“ schaut, Filme, zu denen auch Hers Bezüge knüpft. Wenn sich Talulah am Ende davonmacht, weist das bereits in die Zukunft. (Heidi Strobel) Passagiere der Nacht (Les passagers de la nuit) F 2021. Regie: Mikhaël Hers. Mit Charlotte Gainsbourg, Quito Rayon- Richter. Filmladen. 111 Min.

DIE FURCHE · 1 5. Jänner 2023 Film 21 Sie ist die Tochter von Italo-Western-Legende Giuliano Gemma. Tizza Covis und Rainer Frimmels neuer Film „Vera“ setzt auch einer verkrachten Schauspielerin ein Film-Denkmal. AGENTENKOMÖDIE Leben einer Reserve-Diva Von Otto Friedrich Das Filmland Österreich kann immer wieder mit grandiosen cineastischen Leistungen aufwarten. In den letzten Jahren waren die (semi)dokumentarischen Arbeiten von Rainer Frimmel und Tizza Covi durchwegs Garanten für höchste Qualität, das ist auch bei ihrem neuesten Coup „Vera“ nicht anders. Bei den Filmfestspielen in Venedig gewann das halbfiktionale Biopic mit Vera Gemma in der Hauptrolle den Preis in der Sparte „Orizzonti“, und auch die Hauptdarstellerin wurde für ihre Performance dort prämiert. „Vera“ war auch der Eröffnungsfilm der Viennale 2022, was den Film erst recht adelt, wird dort ja immer einer der relevantesten europäischen Filme des Jahres vorgestellt. Nicht nur das kongeniale Filmemachen von Frimmel und Covi erweist sich auch bei Vera als Glücksfall, sondern es ist die Protagonistin des Films, die mindestens so zur Qualität dieser Arbeit beiträgt. Vera Gemma, die sich hier sozusagen selbst spielt, ist die Tochter des italienischen Schauspielers und Italowesternhelden Giuliano Gemma (1938–2013). Tochter eines berühmten Vaters zu sein, ermöglichte eine „sorgenfreie“ Kindheit und lastet gleichzeitig als schwere Hypothek über diesem Leben: Denn bewusst und unbewusst entkommt Vera Gemma dem Ansinnen nicht, in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Und natürlich ist der Name „Gemma“ kein Zauberwort, das eine Karriere quasi garantiert. Keine Chronik eines miesen Lebens Im Gegenteil: Vera tingelt durch die italienische Society und muss sich mit kleinen Aufträgen in der Branche begnügen. Das harte Brot des Schauspielbusiness wird ihr mitnichten durch das Tochtersein vom berühmten Giuliano Gemma versüßt. Solch enttäuschtes Leben spiegelt sich buchstäblich im Gesicht der Vera wieder, das unverkennbar die Spuren von Operationen aufweist, die es jünger machen sollen, als es ist. Eine tragische Figur also und „Vera“ könnte als Chronik eines miesen Lebens daherkommen. Der Film tut dies aber ganz und gar nicht. Zum einen waren Frimmel und Cozzi noch nie daran interessiert, sich für Sozialpornografie herzugeben. Mag sein, dass es ganz lustig wäre, einer gescheiterten Schauspielertochter bei ihrem Weg in den existenziellen Abgrund zu folgen. Aber „Vera“ offenbart überraschenderweise etwas ganz Anderes, nämlich die Grandezza, die Größe und den verhohlenen Witz dieser Reserve-Diva. Das liegt nicht nur an der filmischen Anlage, bei der Frimmel-Cozzi einmal mehr brillieren. Sondern es ist die Protagonistin und Hauptdarstellerin selbst, die ihre Figur auf eine so schillernde und parodierende Weise hinüberbringt, dass es eine Freud „ Der Zuschauer ist bei ‚Vera‘ im Nu gefangen in einer Welt aus Tragödie, Scheitern und gleichzeitiger Selbstparodie, dass es nur so kracht. “ ist. Der Zuschauer ist im Nu gefangen in einer Welt aus Tragödie, Scheitern und gleichzeitiger Selbstparodie, dass es nur so kracht. Man fühlt sich da an die Gemeinheiten eines Luis Buñuel erinnert, der ja auch gern, anstatt die hehren Armen der verlotterten Bourgeoisie gegenüberzustellen, die Erst-recht-Gemeinheit der Unterprivilegierten hervorgekehrt hat. Ähnliches wird in „Vera“ erzählt, wenn die Protagonistin in einen Auto unfall am Stadtrand von Rom verwickelt wird, bei dem sie Freundschaft mit dem dabei verletzten Arbeiterkind und dessen Familie schließt. Vera entdeckt ihre soziale Ader und beginnt, sich um die wie einem Pasolini’schen Subproletariat entnommene Sippschaft zu kümmern. Aber arme Leute müssen eben beileibe keine gute Menschen sein ... Es sind derartige Facetten, welche die Handlung von „Vera“ weitertreiben: Existenzen, die einander begegnen, obwohl sie nichts miteinander gemein und einander auch nichts zu sagen haben. Und doch trägt eine Episode wie die angedeutete zum Lebensmut von Vera Gemma bei. Natürlich wird das Publikum im Unklaren gelassen, ob es sich bei dem Gezielten nun um eine filmische Autobiografie oder um ein herbeigeschriebenes Leben handelt, das sich tatsächlich so ereignet haben könnte: Rainer Frimmel und Tizza Covi gelingt im Verein mit ihrer Protagonistin in dieser filmischen Als-ob-Form eine Hommage an das Leben in etwas außergewöhnlicher Form. Das ist spannend. Lustig. Und zugleich höchste Filmkunst. Vera A 2022. Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel. Mit Vera Gemma, Daniel de Palma, Sebastian Dascalu. Stadtkino. 115 Min. FEDERSPIEL Vera Gemma Dem berühmten Vater muss Vera entkommen. Und tut es – betrachtet man nur ihr Outfit – dennoch nicht. Wandelnde Profil-Neurose Jason Statham, Josh Hartnett und Aubrey Plaza in „Operation Fortune“. Fröhlich ins neue Jahr Dann solle er halt einfach sich selbst spielen, wird dem supernervösen Hollywood-Star Danny Francesco (Josh Hartnett) in „Operation Fortune“ geraten, der einem Team der weltbesten Agenten (Aubrey Plaza, Cary Elwes, Bugzy Malone) als Köder dient. Der britische Geheimdienst MI6 setzt ihren „Mann fürs Grobe“, Orson Fortune (Jason Statham), auf den Hehler/Händler Greg Simmonds (herrlich: Hugh Grant) an – Waffen können es diesmal nicht sein. Und tatsächlich: Jungunternehmer aus dem Silicon Valley wollen in dieser wendungsreichen Agentenkomödie – in Bestform: Regisseur Guy Ritchie – das globale Bankensystem crashen, um ihre Goldbestände zu pushen. (Von den Anglizismen zum Zusatztitel im englischen Original, der in etwa „Überlistung des Feindes mit unorthodoxen Methoden“ meint.) Zu Orson Fortunes Unbehagen hat der MI6 jedoch ein konkurrierendes Team – ausgerechnet unter der Leitung seines Lieblingsfeindes Mike (Peter Ferdinando) – eingesetzt. Das Schlachtenglück wechselt. Zur beinah-finalen Konfrontation kommt es im farbintensiven Hafenviertel und in der Sand-/Steinwüste von Antalya (mit 2,5 Mio. Einwohnern die fünftgrößte Stadt der Türkei). Direkt daran anschließend: der Showdown im Kommandozentrum der Künstliche Intelligenz-Proponenten USamerikanischer Provenienz. Jason Statham (5 ×) und Hugh Grant (3 ×) haben gewusst, worauf sie sich unter Guy Ritchies Regie eingelassen haben. Gut gelaunt ins neue Jahr starten? Operation Fortune wäre eine gute Möglichkeit dazu. (Rudolf Preyer) Operation Fortune (Ruse de Guerre) USA 2023. Regie: Guy Ritchie. Mit Jason Statham, Hugh Grant, Josh Hartnett. Constantin. 114 Min. Von Peter Plaikner PRÄSENTIERT FILMMONTAG EIN VERBORGENES LEBEN Bildgewaltig hat der US-amerikanische Regisseur Terrence Malick das Leben des vor 80 Jahren hingerichteten Franz Jägerstätter verfilmt. Es ist eine gradlinige, nicht in allen Details geschichtstreue Erzählung über den NS-Kriegsdienstverweigerer. Otto Friedrich, DIE FURCHE, und Christian Rathner, Dokumentarfilmer beim ORF, zeigen und analysieren „Ein verborgenes Leben“ (2019). Montag, 9. Jänner, 19 Uhr, Otto-Mauer-Zentrum, 1090 Wien, Währinger Straße 2–4. Infos: www.kav-wien.at Foto: Bildnachweis Bei der vorletzten Wahl zum Generaldirektor des ORF ist Richard Grasl (49) Alexander Wrabetz (62) nur knapp unterlegen. 2016 erhielt der von ÖVP, FPÖ und Team Stronach unterstützte Herausforderer 15, der von SPÖ, Grünen und Neos bevorzugte Titelverteidiger 18 Stimmen im 35-köpfigen Stiftungsrat. Heute ist der Sieger von einst Rapid-Präsident – und ein Schützling des damaligen Verlierers, sein früherer Büroleiter Roland Weißmann (54), ORF-Chef. Grasl selbst ist seit 2018 beim Kurier und wurde dort vor einem Jahr stellvertretender Chefredakteur. Das bleibt er trotz seines jüngsten Avancements zum Geschäftsführer des Profil. Das Nachrichtenmagazin gehört der Tageszeitung. Eine solche Doppelfunktion – redaktionell und kaufmännisch – gilt bei Journalisten mehrheitlich als unvereinbar. Dass sie überdies für zwei verschiedene, auch wirtschaftlich durch eigene Gesellschaften getrennte Medien gelten soll, verschärft den Vorwurf eines unauflöslichen Interessenkonflikts. Der auch als Person umstrittene Grasl hat die Stichhaltigkeit dieser Kritik bereits untermauert. Obwohl erst ab 2023 in Funktion, trat er schon vor Wochen als Geschäftsführer auf – ausgerechnet bei der Verkündigung von Anna Thalhammer (37) als künftiger Profil-Chefredakteurin. Das war nicht nur schlechter Stil, sondern eine plumpe Machtdemonstration, die der renommierten Investigativ-Journalistin der Presse den Job-Antritt am 1. März unnötig erschwert. Bis dorthin bleibt Christian Rainer (61) noch im Amt. Auch als Herausgeber. Letztere Schlüsselfunktion zwischen Verlag und Redaktion übernimmt nach ihm keine Person, sondern die Profil-Redaktion GmbH, in der Grasl Geschäftsführer ist. Die Skepsis zur Zukunft des Magazins hat also handfeste Grundlagen. Nur Journalismus vermag dieses Vorurteil abzubauen. Management kann dabei bloß Helfer sein. Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst.

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