DIE FURCHE · 1 12 Bildung 5. Jänner 2023 Das Gespräch führten Doris Helmberger und Jana Reininger Martin Polaschek ist ein vielbeschäftigter Mann. Vor Weihnachten musste er auf Kritik an den Deutschförderklassen sowie an der geplanten Reform der Lehrerausbildung reagieren, Montag dieser Woche präsentierte er neue Lehrpläne und Dienstag den Zwischenbericht einer Studie zur Wissenschaftsskepsis. Die größte Herausforderung ist freilich die klaffende Personallücke in Schulen und Kindergärten sowie in der Ärzteschaft. Was sind seine Lösungsvorschläge? Und wo liegen aus seiner Sicht die tieferen Ursachen dieser Probleme? DIE FURCHE hat mit dem Bildungsund Wissenschaftsminister (ÖVP) am Minoritenplatz gesprochen. Ein Rektor als Minister 1965 in Bruck/Mur geboren, wurde der habilitierte Jurist mit Fokus auf Nachkriegsjustiz, Universitätsrecht und Kommunalforschung 2019 Rektor der Universität Graz. Am 6. Dezember 2021 löste Martin Polaschek Heinz Faßmann als Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung ab. DIE FURCHE: Herr Minister, beginnen wir mit einem Gedankenexperiment: Wenn Sie anno 2023 ein Maturant wären – würden Sie danach Lehrer werden wollen? Martin Polaschek: Ja, ich würde das interessant finden. Es ist doch großartig, wie man in diesem Beruf mit jungen Menschen arbeiten und ihnen etwas mitgeben kann. DIE FURCHE: Wenn Lehrer so ein „Klasse Job“ ist, wie es in einer aktuellen Kampagne des Bildungsministeriums heißt – wie ist dann der manifeste Lehrermangel an Österreichs Schulen zu erklären? Polaschek: Für diesen Lehrerbedarf gibt es verschiedene Gründe. Das Image ist nur einer davon. Warum wir ein so schlechtes Bild von Schule haben, hängt für mich vor allem damit zusammen, dass wir in Österreich generell keinen positiven Zugang zum Thema Bildung haben – und nie hatten. Seit ich mich erinnern kann, hat man immer darüber diskutiert, was alles im Bildungsbereich nicht funktioniert – und nicht darüber, was gelingt und welche tollen Initiativen es gibt. Dass immer wieder Reformen notwendig sind, steht völlig außer Zweifel. Aber dieses generelle Schlechtreden halte ich für gefährlich, weil es den gesamten Bildungsbereich diskreditiert. Fotos: Carolina Frank Bildungsminister Martin Polaschek über den Mangel an Lehrkräften und Elementarpädagog(inn)en, das negative Bild von Schule und die grassierende Wissenschaftsfeindlichkeit. „Das Schlechtreden ist gefährlich“ DIE FURCHE: Ist dafür auch die Bildungspolitik verantwortlich? Polaschek: Ich habe den Eindruck, dass die Bildungsminister der letzten Jahrzehnte alle sehr engagiert um Verbesserungen bemüht waren. Aber die Politik kann nur auf Basis der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen agieren. Deshalb ist die Initiative „Klasse Job“ ein erster, wichtiger Schritt. Wir brauchen aber auch eine neue Erzählung von Schule. Wir müssen den Menschen vermitteln, welchen Wert Bildung hat, was Schule leistet. Ich will damit – wie gesagt – nicht Probleme kleinreden. Aber es geht oft völlig unter, wie viel Gutes auch in unseren Schulen passiert. DIE FURCHE: Wobei der Wiener Integrationsrat erst kurz vor Weihnachten in einer Studie „unzureichende Deutschkenntnisse bei zahlreichen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund“ festgestellt hat. Was machen Sie mit diesem Befund? Polaschek: Wir machen einiges. Es ist klar, dass die Kinder Deutsch lernen müssen, um in der Schule Erfolg haben zu können. Aber das sogenannte „Sprachbad“, bei dem man im ständigen Austausch mit anderen Menschen eine Sprache lernt, funktioniert nur dann, wenn die meisten im Umfeld gut Deutsch können. Das ist in ländlichen Regionen so, aber nicht im urbanen Bereich. Wobei die besagte Studie auch zeigt, dass sich bei den Kindern Deutsch als gemeinsame Konversationssprache immer mehr durchsetzt. Dennoch sind die Sprachkenntnisse mäßig. Deshalb bleibt das Erlernen der deutschen Sprache so wichtig. Unter dem Titel „Fördern statt trennen“ hat Manuela Tomic am 21.11. 2019 zu den Deutschförderklassen recherchiert, siehe furche.at DIE FURCHE: Genau dafür wurden 2018 von Türkis-Blau die „Deutschförderklassen“ eingeführt. Doch diese haben „erheblichen Weiterentwicklungsbedarf“, wie die Bildungspsychologin Christiane Spiel in einer Evaluation festgestellt hat. Polaschek: Diese Evaluation nehmen wir sehr ernst. Klar ist: Es braucht Deutsch-Förderunterricht auch im Regelunterricht, nicht nur im außerordentlichen Status, der nach maximal zwei Jahren endet. Das haben wir bereits letzten Sommer angepasst und dafür 4,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Klar ist auch, dass die Lehrerinnen und Lehrer mehr Ressourcen brauchen, weshalb wir in kürzester Zeit noch einmal zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben. Auch soll die Zahl der Deutschförderstunden von 20 auf 24 Stunden pro Woche erhöht werden. Wir werden auch, wie von der Evaluierungs-Studie empfohlen, den Test zur Sprachstandsfeststellung – den sogenannten „MIKA-D“ – anpassen. Für all das brauchen wir auch mehr Personal mit Kompetenzen im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Hier eine Lösung zu finden, ist aber komplexer, weil „ Der Schulbereich ist ideologisch extrem aufgeladen. Man kann in diesem Land über Schulpolitik nicht emotionsfrei diskutieren. “ es ja schon einige Lehrgänge und Studienangebote gibt, die bislang nur zum Teil angenommen werden. DIE FURCHE: In der Evaluation der Deutschförderklassen wird auch deren mangelnde Flexibilität kritisiert, die dem Gedanken der Schulautonomie entgegensteht. Wissen nicht die Schulen selbst am besten, wie sie die Deutschförderung gestalten sollen? Polaschek: Ich bin offen dafür, die Meinungen vor Ort mehr einzubeziehen. Die Frage ist, wie viel Autonomie wir den Schulen geben. Ich sehe die Problematik, dass dann diese Klassen einfach nicht mehr eingeführt werden könnten. Letztlich muss es ja um objektive Entscheidungen gehen – und nicht um subjektive. DIE FURCHE: Trauen Sie den Lehrerinnen und Lehrern vor Ort nicht zu, das kompetent entscheiden zu können? Polaschek: Es geht hier nicht um Kompetenz, sondern auch um persönliche Einschätzungen. Und da sind wir wieder bei der Eingangsdiskussion. Der Schulbereich ist ideologisch extrem aufgeladen. Man kann in diesem Land über Schulpolitik im Grunde nicht emotionsfrei diskutieren – sei es über Ganztagsschulen, Gesamtschulen oder was auch immer. Gerade wenn wir im sensiblen Bereich der Sprachförderung rationale Entscheidungen haben wollen, muss gewährleistet sein, dass diese Entscheidungen auch rational und von mehreren Menschen getroffen werden. DIE FURCHE: Apropos rational: Erst vor Kurzem hat die österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) kritisiert, dass die von Ihnen geplante Neugestaltung der Lehrerausbildung „ohne Evaluationsergebnisse und Forschungswissen“ zustande gekommen wäre. Konkret soll ab 2024/25 das Studium für die Primarstufe (v.a. Volksschule) neu strukturiert und das Studium für die Sekundarstufe (Mittelstufe, AHS, BHS) von sechs auf fünf Jahre verkürzt werden. Polaschek: Die ÖFEB ist ein Verein von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, dessen Vorsitzende die Vizerektorin der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich ist – und ein weiteres Vorstandsmitglied ist die Rektorin der PH Wien. Erst im Dezember habe ich mich mit beiden das letzte Mal getroffen – und das vorletzte Mal zwei Monate davor. Ich bin in ständigem Austausch mit der Community – und der Vorschlag, in der Primarstufe von einem vierjährigen Bachelor und einen einjährigen Master auf einen dreijährigen Bachelor und einen zweijährigen Master zu wechseln, ist ja aus der Community gekommen; ebenso der Vorschlag, die Studiendauer in der Sekundarstufe zu verkürzen. DIE FURCHE: Wenn Sie in so intensivem Austausch sind – wie erklären Sie sich dann diese kritische Aussendung? Polaschek: Ich habe eine Interpretation, aber ich trage das nicht über die Medien aus. DIE FURCHE: Ein Letztes noch zu den Schulen: Sie haben Montag dieser Woche die
DIE FURCHE · 1 5. Jänner 2023 Bildung 13 lange erwarteten Lehrpläne für Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe erlassen, die ab 2023/24 gültig sein sollen. Viele haben schon während der Begutachtung vor inhaltlicher Überfrachtung gewarnt, der Bildungswissenschafter Stefan T. Hopmann hat in der FURCHE gar von einer „Höllenfahrt“ gesprochen. Polaschek: Den Vorwurf der Überfrachtung kann ich nicht nachvollziehen, zumal es weiterhin Flexibilität gibt. Wir haben jedenfalls nach der Begutachtung die 133 Stellungnahmen zu den Lehrplänen gesichtet und Vorschläge eingearbeitet: Die Finanz- und Wirtschaftsbildung wird verankert, um schon früh einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld sowie die Mechanismen unserer ökosozialen Markwirtschaft zu lehren. Gleichzeitig soll politische Bildung die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft erklären. Und auch die umfassende Landesverteidigung als schützende Hand unseres neutralen Landes wird im Unterricht verankert. Wir haben damit einen umfassenden Lehrauftrag über die Republik Österreich in den Lehrplänen – und setzen einen wichtigen Schritt, um Demokratiefeindlichkeit zu bekämpfen und politische Mitbestimmung zu fördern. DIE FURCHE: Kommen wir von den Schulen zu den Kindergärten, wo es bereits seit langem große Herausforderungen gibt. Laut einer vom Bildungsministerium in Auftrag gegebenen Studie könnten 2030 bis zu 13.700 Elementarpädagog(inn)en fehlen. Polaschek: Es werden deshalb bereits verschiedene Maßnahmen gesetzt – oder sie sind in Planung. Aber der Bund ist hier „nur“ für die Ausbildung zuständig. DIE FURCHE: Gerade dieses Zuständigkeitsgewirr zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist seit jeher ein Problem – an dem sich auch der Österreich-Konvent die Zähne ausgebissen hat. Polaschek: Mittelfristig sehe ich in der Elementarpädagogik auf jeden Fall Änderungsbedarf. Aber es wird wohl nicht so sein, dass der Bund die Kompetenz für die gesamte Elementarpädagogik an sich zieht. Was wirklich wichtig ist, sind ohnehin die Arbeitsbedingungen. DIE FURCHE: Das stimmt. Doch knapp die Hälfte der Absolventinnen der fünfjährigen „Bafep“ (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik) beginnt gar nicht erst in einem Kindergarten zu arbeiten. Wie wollen Sie erreichen, dass mehr junge Menschen Lust auf eine Arbeit in Kindergärten und Krippen haben, wo händeringend nach Pädagoginnen gesucht wird? Polaschek: Natürlich werden wir eruieren, ob wir etwas an der Bafep-Ausbildung ändern müssen. Wir werden auch deutlich mehr Kolleg-Plätze anbieten – von wo immerhin 84 Prozent in den Beruf wechseln – und mehr Angebote zum Quereinstieg machen. Aber natürlich müssen wir auch hinterfragen, warum nicht mehr junge Menschen ins Feld gehen. DIE FURCHE: Das „Feld“ Kindergarten ist weit vom Idealzustand entfernt: Würde man das Betreuungsverhältnis verbessern, würden 2030 sogar 20.200 Fachkräfte fehlen. Welche Initiativen werden 2023 kommen, um die Arbeits- und Betreuungsqualität zu heben? Polaschek: Die Länder haben sich im Rahmen der 15-A-Vereinbarung bereits dazu verpflichtet, gemeinsame Qualitätsstandards zu erarbeiten. Und von Bundesseite werden wir diesen Prozess aktiv mitgestalten. Erst vor Kurzem haben wir von der EU den Zuschlag für ein großes Projekt bekommen, bei dem Experten der UNICEF mit ihren internationalen Erfahrungen alle Stakeholder dabei unterstützen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. DIE FURCHE: Kommen wir zu einem dritten Bereich, wo es derzeit Mangel gibt – nämlich bei den Ärztinnen und Ärzten. Sie sind auch hier für die Ausbildung zuständig. Soll sich an der Zulassung zum Medizinstudium etwas ändern? Polaschek: Der Rechnungshof hat festgestellt, dass wir genügend Absolventinnen und Absolventen haben. Doch geht nur ein Teil dieser Personen in die Kliniken und in Stefan Hopmann hat am 9.11.2022 unter „Neue Lehrpläne als Höllenfahrt?“ für DIE FURCHE einen Gastkommentar verfasst, siehe furche.at. „ Pflege ist ein extrem wichtiger Beruf, den man erlernen muss. Das macht man nicht so nebenbei, damit man einen Medizin-Studienplatz ergattert. “ die Allgemeinmedizin – und sehr viele gehen in die Wahlarztpraxen. Hier sind also in erster Linie die Krankenanstalten gefordert. Ich darf auch daran erinnern, dass wir bereits sukzessive die Zahl der Medizin-Studienplätze ausbauen. Außerdem setzen wir beim Zulassungstest vermehrt auch auf soziale Kompetenzen. DIE FURCHE: Der Leobener Primar Reinhold Kerbl hat im November vorgeschlagen, junge Menschen nur nach einem verpflichtenden einjährigen Pflegepraktikum zum Medizinstudium zuzulassen... Polaschek: Es ist mittlerweile von verschiedenen Expertinnen und Experten klargelegt worden, dass ein solches Modell einen gesamten Berufsstand diskreditieren würde. Pflege ist ein extrem wichtiger Beruf, den man ordentlich erlernen muss. Das macht man nicht einfach so nebenbei, damit man einen Studienplatz ergattert. DIE FURCHE: Am Schluss möchten wir nochmal zu Ihrer Anfangskritik am Schlechtreden kommen. Auch von der Wissenschaft hat man hierzulande keine allzu gute Meinung: Das hat der Zwischenbericht einer von Ihnen in Auftrag gegebenen Ursachenstudie zur Wissenschafts- und Demokratieskepsis gezeigt. Was werden Sie nun tun? Polaschek: Die Studie zeigt eindeutig, dass wir Handlungsbedarf haben – aber auch, dass das Bildungsministerium mit den Maßnahmen der „Trust in Science and Democracy“-Strategie den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir müssen früh in der Schule das Interesse an Wissenschaft fördern: Daher werden wir Wissenschaftsbotschafterinnen und -botschafter an die Schulen bringen, die den jungen Menschen ihre Arbeit näherbringen, sie für Wissenschaft begeistern und zu wissenschaftlicher Neugier motivieren sollen. DIE FURCHE: Auch die Medien sollen gegen Wissenschaftsskepsis ankämpfen. Ihre Regierungskollegin, Medienministerin Susanne Raab (ebenso ÖVP), plant aber gerade eine Reform der Medienförderung, bei der ausgerechnet die Wissenschaftsberichterstattung kein Kriterium für Qualitätsjournalismus sein soll. Sie haben das bereits kritisiert, werden Sie Raab überzeugen können, das noch einmal zu überdenken? Polaschek: Die Ressortverantwortung darüber liegt klar bei Frau Ministerin Raab. Aber es ist mir ein persönliches Anliegen, dass wir generell auf allen Ebenen gegen Wissenschafts- und Demokratiefeindlichkeit ankämpfen. KREUZ UND QUER DIE AMISH IM DSCHUNGEL – WARUM DIE MENNONITEN IN DEN REGENWALD ZIEHEN DI 10. JÄN 22:35 Es ist eine fast gänzlich abgeschottete Gemeinschaft: Die Mennoniten in Mittelamerika leben als strenggläubige Protestanten ähnlich wie die bekannteren Amish. Vor rund 250 Jahren wanderten sie aus Europa aus. Doch die moderne Welt mit ihren technischen Errungenschaften bedroht das strenge mennonitische Leben. Die Suche nach einem neuen abgeschiedenen Refugium im peruanischen Regenwald beginnt. religion.ORF.at Furche23_KW01.indd 1 13.12.22 13:39
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