DIE FURCHE · 27 22 Wissen 4. Juli 2024 Angeregter Atomkern Erstmals wurde ein Atomkern mit Laser angeregt. Nach diesem sogenannten „Thorium-Übergang“ war jahrzehntelang gesucht worden. Bild: TU Wien / Oliver Diekmann Von Thomas Zauner „Es hat jahrelange Vorarbeiten und vier lange Wochen des Experimentierens gebraucht, aber dann war es geschafft.“ So fasst Professor Thorsten Schumm den Forschungsprozess hinter seiner neuesten Studie zusammen. Gemeinsam mit seinem Team am Atominstitut der Technischen Universität Wien und Kolleginnen und Kollegen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig hatte er zum ersten Mal einen Atomkern mit Laserlicht angeregt. Dieser Durchbruch verspricht nicht nur neue Technologien wie sehr stabile Atomuhren, sondern lässt die Forschenden auch tiefer als je zuvor ins Innere von Atomkernen sehen. Sie möchten damit in zukünftigen Experimenten testen, ob sich Naturkonstanten über die Zeit verändern – oder an verschiedenen Orten andere Werte annehmen. Das ist eine der grundlegenden Fragen der modernen Physik. Diesen Durchbruch, der heuer im prestigeträchtigen Fachjournal Physical Review Letters publiziert wurde, erzielten die Forschenden mit dem radioaktiven Element Thorium 229. Dieses Thorium-Isotop weist eine spezielle „ Eine Atomuhr zählt das Ticken von Elektronen zwischen zwei Energieniveaus mehrere Milliarden Mal pro Sekunde. Das macht sie um so viel genauer. “ Wochenausblick DIE FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben diese Themen in den Fokus: 90 Jahre Juli-Putsch Nr. 29 • 18. Juli Am 25. Juli 1934 um 12.53 Uhr stürmen 150 SS-Männer das Bundeskanzleramt in Wien. Der beim Angriff schwer verletzte Kanzler Engelbert Dollfuß stirbt, wird zum Märtyrer und ideologischen Reibebaum bis heute. Magische Momente Nr. 32 • 8. August Es gibt sie: Diese besonderen Augenblicke, die unser Leben positiv prägen und verändern können. Was zeichnet sie aus und wie entstehen sie? Über „Magic Moments“ – in Extremsituationen ebenso wie im Alltag. Nachhaltigkeit Nr. 35 • 29. August Was bedeutet Nachhaltigkeit philosophisch? Wie konsequent verfolgen die Grünen dieses Ziel – und wo gibt es blinde Flecken oder problematische Entwicklungen? Über ein Thema mit wechselnden Konjunkturen. Olympia Nr. 30 • 25. Juli Die Olympischen Spiele kehren zurück nach Paris, wo deren Wiedereinführung 1894 beschlossen wurde. Ein Fokus über die Faszination Hochleistung – und die Politik des Sports: von Transgender bis Nationalismus. Das Leben aufschreiben Nr. 33 • 14. August Seit der Antike sind Biografien beliebt. Sie gehören zum Kanon wie Romane, Novellen oder Lyrik. Aber welche Funktion erfüllten und erfüllen sie? Und warum sind Ahnenforscher so beliebt? Eine Kulturgeschichte. Sicherheit Nr. 36 • 5. September Mit dem Versprechen einer „Festung Österreich“ buhlen die Freiheitlichen unter Herbert Kickl um Stimmen. Zugrunde liegt die Sehnsucht nach Sicherheit in einer Krisen-Zeit. Doch was macht tatsächlich sicher? Fragiles Vertrauen Nr. 31 • 1. August Wissenschaft, Politik, Medien: Sie ringen um Vertrauen, eine der wertvollsten und rarsten Ressourcen unserer Zeit. Warum fällt es Menschen so schwer, an das wohlwollende und ehrliche Gegenüber zu glauben? Liberalität Nr. 34 • 22. August Vor der Nationalratswahl klopft DIE FURCHE in einer Serie Schlüsselbegriffe ab, die sich die fünf im Parlament vertretenen Parteien (zu Recht?) auf die Fahnen heften. Zum Auftakt geht es um Liberalität und die Neos. Solidarität Nr. 37 • 12. September Gerechtigkeit und der Blick auf die Schwachen einer Gesellschaft gehört zum programmatischen Kern der Sozialdemokratie. Doch was bedeutet Solidarität Anno 2024? Und: Ist der Fokus richtig justiert? Jeden Mittwoch und Freitag! Nichts mehr verpassen – Newsletter abonnieren Leistung Nr. 38 • 19. September Seit jeher versteht sich die Volkspartei als Anwältin der Leistungsträgerinnen und -träger in diesem Land. Doch wer gehört letztlich zu dieser Gruppe? Und was bedeutet Leistung überhaupt? Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Das große Synodenfinale Nr. 39 • 26. September Im Oktober tagt in Rom die finale Runde der Weltsynode zu Synodalität. Nach drei Jahren geht damit das wohl wichtigste Projekt von Papst Franziskus zu Ende. Was ist zu erwarten und was eher nicht? Eine Vorausschau. Jetzt anmelden furche.at/newsletter Der schwärzeste Tag Nr. 40 • 3. Oktober Israel erlitt durch den Überfall der Hamas am 7. Oktober den größten Massenmord an Juden seit der Schoa. Das Massaker jährt sich erstmals. Über die Folgen des Gegenangriffs und die Option Frieden für die Region.
DIE FURCHE · 27 4. Juli 2024 Wissen 23 Nach wochenlangen Laser-Experimenten gelang einem Forschungsteam aus Wien und Braunschweig ein Durchbruch in der Kernphysik. Das ermöglicht neue Präzisionstechnologien – und könnte helfen, grundlegende Rätsel der Physik zu entschlüsseln. Neue Stufe der Atomuhr Eigenschaft auf, die schon jahrzehntelang erforscht, aber mit dieser Studie nun erstmals auch experimentell nachgewiesen wurde. In Atomen können aufgrund der Regeln der Quantenmechanik sowohl die Elektronen in der Atomhülle als auch die Protonen und Neutronen im Atomkern nur ganz bestimmte Mengen an Energie aufnehmen oder abgeben. Damit können sie zwischen sogenannten Energieniveaus hin und her springen – der sprichwörtliche Quantensprung. Licht kann mit ihnen daher nur wechselwirken, sie also anregen, wenn es genau die richtige Energie hat – nicht zu viel und nicht zu wenig. FORSCHUNGSGESCHICHTE Es begann in Wien... Pünktlich wie die Uhr: Das ist vorbildlich, doch auch bei den Uhren gibt es Unterschiede. Das Maß der Dinge ist in diesem Fall die Atomuhr: In 40 Millionen Jahren (!) fallen die Geräte um maximal eine Sekunde aus dem Takt. Durch den Abgleich der international definierten „Atomzeit“ mit der „astronomischen Zeit“ entsteht so die „Koordinierte Weltzeit“. Während Atomuhren bislang u.a. mit Cäsium oder Rubidium betrieben werden, eröffnet eine Atomkern- Uhr mit Thorium nun neue Möglichkeiten. Der Weg dorthin wurde am Atominstitut in Wien geebnet: 2010 erhielt Physiker Thorsten Schumm den „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC), mit dem u. a. das Lasersystem für die heute erfolgreichen Experimente finanziert werden konnte. (mt) Die Energie genau „treffen“ „All unsere Alltagserfahrung mit Interaktionen zwischen Licht und Materie beruht auf Wechselwirkungen zwischen Licht und Elektronen, nicht aber dem Atomkern. Das liegt einerseits daran, dass er im Zentrum des Atoms liegt und gar nicht vom Licht erreicht wird. Andererseits auch daran, dass die benötigten Energien mit Licht gar nicht erreicht werden können“, erklärt Schumm. Das Besondere an Thorium 229 ist, dass sein Kern jedoch einen Energiesprung aufweist, der klein genug ist, um mittels Laserlicht angeregt zu werden. Der genaue Wert dieses Energieübergangs im Kern von Thorium 229 wurde durch eine Vielzahl von Experimenten in den letzten Jahrzehnten immer weiter eingegrenzt. Die größte Schwierigkeit bei diesem Experiment war, dass die Forschenden diese Energie ganz genau treffen mussten, damit die Wechselwirkung zwischen Licht und Atomkern stattfindet. „Der Vorteil dieses Überganges, dass er enorm hochfrequent und extrem präzise angeregt werden kann, ist gleichzeitig auch der Nachteil, wenn man nicht weiß, wo der ist“, sagt Schumm. „Wir haben mit einem Laser auf die Atomkerne geschossen und so lange die Energie variiert, bis es zu einer Anregung gekommen ist.“ Die Forschenden an der TU Wien produzierten die durchsichtigen Kristalle, in denen das Thorium eingebracht ist, und das Team an der Physikalisch- Technischen Bundesanstalt baute das notwendige Lasersystem. Schumm erklärt: „Unsere Leute sind mit LKWs nach Braunschweig gefahren und haben zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen alles aufgebaut und experimentiert, bis wir nach Wochen gemeinsamer Anstrengung die Ergebnisse hatten.“ Die Auswertung der Daten fand in Wien statt und wurde inzwischen von einem anderen Forschungsteam in den USA mit einem zweiten Experiment mit großer Übereinstimmung bestätigt. Schumm fügt hinzu: „Dieses Experiment basiert auf einem großen Förderformat des Europäischen Forschungsrats, das genau darauf abzielt, dass man solche Experimente gemeinsam macht. Einzelne Gruppen können das aufgrund von Expertise oder Ressourcen nicht alleine stemmen.“ Dieser Meilenstein der Nuklearphysik könnte eine neue Art der Atomuhr ermöglichen, denn die hohe Frequenz des Energieübergangs im Thoriumkern, also wie schnell er zwischen den beiden Energieniveaus hin und her springt, ermöglicht es, ihn zur Zeitmessung zu nutzen. Eine Uhr zählt ein Ticken, bis eine bestimmte Zeiteinheit vergangen ist. Eine moderne Armbanduhr etwa zählt das elektrische Ticken eines Quarzkristalls einige Tausend Mal pro Sekunde. Eine Atomuhr hingegen zählt das Ticken von Elektronen zwischen zwei Energieniveaus in der Atomhülle mehrere Milliarden Mal pro Sekunde – und ist damit viel genauer. Nukleare Einsichten „Die Frequenzerhöhung bei einer auf Thorium basierenden Atomkernuhr ist schön, aber nicht dramatisch – vielleicht ein Faktor von zwei oder drei gegenüber bisherigen Atomuhren. Wesentlich wichtiger ist die gesteigerte Robustheit und größere Sensitivität um mehrere Größenordnungen“, meint Schumm. Atomuhren werden in GPS- Satelliten eingesetzt: Je genauer sie gehen, desto exakter ist die Positionsbestimmung. Ebenso sind sie zur exakten Synchronisation digitaler Datenübertragung wichtig, damit weltumspannende Computernetzwerke nicht aus „ Die Erkenntnisse sind etwa für GPS- Satelliten relevant: Je genauer sie gehen, desto exakter ist die Positionsbestimmung. “ „Treibt Thorium die Atom- Armbanduhr?“ Wie Thorsten Schumm 2010 seine wegweisende Forschung aufbaute, auf furche.at. dem Takt geraten. In all diesen Bereichen könnte eine Thorium-Atomkernuhr Anwendung finden. Was den Physiker jedoch noch viel mehr interessiert: Wie man mit Thorium ganz neue Möglichkeiten bekommt, um in das Innere von Atomkernen zu sehen. Interaktionen von Licht mit Elektronen basieren nur auf der elektromagnetischen Wechselwirkung – neben der Gravitation und den sogenannten schwachen und starken Kernkräften eine der vier grundlegenden Kräfte der Natur. „Das Besondere ist, dass die Interaktionen zwischen Licht und dem Atomkern nicht nur auf der elektromagnetischen Wechselwirkung basieren, sondern auch auf der starken und schwachen Kernkraft“, zeigt sich Schumm begeistert, der jetzt sogar als Anwärter für den Physiknobelpreis gehandelt wird. Mit einer präzisen Thorium-Atomkernuhr könnten Forschende messen, ob die Naturkonstanten, auf denen die drei Grundkräfte im Atomkern beruhen, sich über die Zeit oder an verschiedenen Orten leicht ändern. Das könnte tatsächlich helfen, die großen Rätsel der Physik zu entschlüsseln. Tulln Egon Schieles radikale Nacktheit Tullns berühmtester Sohn ist ausgerechnet am Bahnhof „Tulln an der Donau“ geboren. Es war aber durchaus kein prekäres, sondern ein großbürgerliches Leben, denn sämtliche Züge, Geleise und selbstverständlich auch die Angestellten tanzten sprichwörtlich nach der Pfeife des Vaters Adolf Schiele, dem Bahnhofsvorsteher. Somit waren Züge und Geleise die ersten Zeichnungen Schieles. Wer sich also in Tulln an der Donau auf die Spuren des Ausnahmekünstlers machen will, der reist am besten stilecht mit der Bahn an und besucht gleich in der Station die Geburtswohnung Egon Schieles, wo Sound-Duschen Geschichten aus seiner Kindheit erzählen und einen Eindruck über seine Lebensverhältnisse vermitteln. Weiter geht es auf dem Egon Schiele Weg mit insgesamt 13 Stationen, wie etwa dem Friedhof mit dem Familiengrab, zum Stadtmuseum Tulln mit Virtulleum, Römermuseum und der Dokumentation zum kaiserlichen Frauenstift. Die kostenlose Virtulleum- App begleitet dabei durch die Geschichte der Stadt. Der Donauradweg bietet die zweite perfekte Anreisemöglichkeit, um zum Egon Schiele Museum zu kommen, das direkt an der Donau liegt. Das ehemalige Bezirksgefängnis beschäftigt sich mit dem Frühwerk und der Biografie des Künstlers. In der Schatzkammer sind diesmal elf Grafiken aus den Jahren 1910 bis 1912 aus einer Privatsammlung ausgestellt, die bis dato selten bis nie zu sehen waren. Unter dem Titel „Egon Schiele. Nackt!“ repräsentieren sie eine ganz ssenzielle Schaffensphase Schieles. Nach einer Vorstellung von Egon Schieles Familie und engsten Angehörigen durch animierte Portraits geht es rauf in das Obergeschoß, wo im so genannten „Forscher:innengang“ Wissenschaftler:innen und Sammler:innen zu Wort kommen. Die Sonderausstellung „Erwin Osen. Egon Schieles Künstlerfreund“ stellt schließlich Foto Wilke An der TU Wien wurden für die Experimente gezielt Kristalle entwickelt, in denen eine große Anzahl von Thorium-Atomen eingebaut ist (Bild: Thorsten Schumm). Mädchenakt gegen farbiges Tuch (1911) jene Persönlichkeit vor, die Egon Schiele maßgeblich zur Aktmalerei motiviert hat. An fünf audiovisuellen Lebensstationen sind die Originalstimmen seiner Schwestern Melanie und Gerti und seiner Schwägerin Adele Harms zu hören. Diese einzigartigen Aufnahmen stammen von der der texanischen Schiele-Forscherin Alessandra Comini. Die Saison im Egon Schiele Museum läuft heuer bis 13. Oktober. Über den Sommer aber auch im Herbst und zum Beispiel bei der ORF Langen Nacht der Museen bietet das Egon Schiele Museum ein Vermittlungsprogramm für Kunstinteressierte und Kreative. Am Dienstag, den 10. September 2024 um 18:00 Uhr ist Manuel Rubey zu Gast und diskutiert mit Kurator Christian Bauer passend zur aktuellen Schau über das Jungsein als Schaffenshöhepunkt. < Alle Infos: www.tulln.at/schiele Entgeltliche Einschaltung Foto: Privatbesitz
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