DIE FURCHE · 27 18 Literatur 4. Juli 2024 Kelag-Preis an Tamara Štajner: die Laudatio FORTSETZUNG VON SEITE 17 Von Brigitte Schwens-Harrant tet, ist aber hoffentlich endgültig überwunden. Literatur und Literaturkritik sind keine Gegner, wie Kastberger in seiner Rede richtig hervorhob, sie sollten sich im Idealfall ergänzen. Dazu gehört auch, sprachliche und formale Schwachstellen benennen zu können, die über subjektive Geschmacksurteile hinausgehen. Dies fiel einigen in der Jury dieses Jahr schwer. Was das Abstimmungsprozedere angeht, wäre eine Rückkehr zum alten Modus, bei dem Entscheidungen live begründet wurden und der mehr Transparenz bot, wünschenswert. Ausgetwittert Schade ist, dass Elon Musks Übernahme von Twitter die lebhaften Diskussionen, die sich wie ein virtuelles Public Viewing gestaltet und Literatur als kollektiven Prozess erfahrbar gemacht hatten, nahezu zum Erliegen gebracht hat. In den letzten Jahren war es zur Tradition geworden, den Bachmannpreis auf Twitter zu begleiten, jährlich traf man dort auf andere Literaturbegeisterte, sogar die Wissenschaft widmete sich den soziologischen Spezifika, die sich unter dem Hashtag „tddl“ bündelten. Dieses Jahr war dort kaum etwas Interessantes zu lesen. Die meisten sind abgewandert und verteilen sich auf andere Plattformen. Eine Bachmannpreis-Community, wie sie sich auf Twitter gebildet hat, kam nirgendwo zustande. Jetzt schaut jeder für sich allein. Alle Texte, Lesungen, Diskussionen und Preisverleihungen der Tage der deutschsprachigen Literatur finden sich zum Nachlesen bzw. Nachsehen auf bachmannpreis.orf.at FEDERSPIEL Fernseh-Ungerechtigkeit Es war letztes Jahr schon ein Trauerspiel (zum Schaden einer der Favoritinnen), dieses Jahr hielten ORF und 3sat eisern an der Schnapsidee fest: Die neue Prozedur der Bachmannpreis-Verleihung setzte einer beachtlichen literarischen Leistungsschau und einer Reihe von substanzreichen Jurydiskussionen ein unwürdiges Ende. Früher wurde reihum in offener Abstimmung votiert, beginnend mit dem Bachmannpreis, bis hinunter zum jeweils kleinsten. Die Jury einigte sich zuvor auf eine Shortlist, die die in der Debatte erfolgreichsten Texte abbildete. Jedes Jurymitglied musste bei der ersten Nennung seine Wahl mit einem Satz begründen. Bei Stimmengleichheit kam es zur Stichwahl, war die erforderliche Mehrheit erreicht, brandete Applaus auf, noch ehe alle abgestimmt hatten. – Die Reform brachte die sinnvolle Regel, dass man zunächst nicht für den „eigenen“ Kandidaten stimmen darf. Aber dass nun am Beginn der Prozedur alle geheim ihre Punkte auf die vier ihrer Meinung nach preiswürdigsten Texte verteilen und dann, ebenso geheim, Stichwahlen vornehmen, bringt das Foto: APA / Roland Schlager Geschichten von Helden und Unrecht, die im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens entstanden sind, haben sich in die Familien eingeschrieben und lassen niemanden unbehelligt. Von Generation zu Generation werden Gewalt und Schmerz weitergereicht. Der Körper wird zum Symptom, durch das eine Geschichte von Verlust und Zersplitterung lesbar wird. Kein Ende in Sicht. Es geht immer weiter. Oder doch nicht? Wir hörten eine Rede an die Mutter, die diese gar nicht hört. Wir lesen den Versuch, Wege zwischen den Muttermalen zu finden, mit dem, was mitgegeben wurde, umzugehen, die Punkte zu verbinden. Wie ähnlich sind die Konstellationen für Mütter und Töchter? Und wer hört diese Rede, die dringend gehört werden sollte? Mit Wut und Zärtlichkeit, Wut und Sehnsucht, Wut und Liebe lässt Tamara Štajner in „Luft nach unten“ in unterschiedlichen Klangbildern, in unterschiedlichen Tempi und Tönen teilhaben am Ausgraben von Wurzeln und an der dringlichen Suche nach einer „Konstellation fürs Leben“ und zeigt diese – wie ihre Vorgängerin Ingeborg Bachmann – als eine Sache auch der Sprache und als keineswegs private Angelegenheit. Tamara Štajners Text „Luft nach unten“ können Sie hier nachlesen: https://bachmannpreis.orf.at/stories/3257411 100 JAHRE PEN-CLUB Späte Verlustbilanz Von Hellmut Butterweck Wer im Buch „Wie sehr sie uns fehlen - PEN-Autor*innen in der NS-Zeit“ blättert und liest, fühlt sich aus unserer Zeit gefallen, aber in keiner anderen gelandet. Er fliegt hin und her zwischen heute und 1938, hin und her zwischen den Jahrzehnten, in denen die von Robert Streibel ausgewählten Texte emigrierter oder ermordeter österreichischer PEN-Autoren entstanden und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Verfahren um seine Spannung und macht es undurchsichtig. Der Bachmann-Wettbewerb, einzigartig transparent durch die offene Jurydiskussion, bringt sich so um sein Alleinstellungsmerkmal: Man erfährt nicht mehr, wer für wen stimmt und warum. Taktisches Abstimmungsverhalten wird so nicht unterbunden, sondern begünstigt (siehe 2023), und die angeblich fernsehgerechtere Dramaturgie, die auf den Bachmannpreis als Höhepunkt zusteuert, funktioniert nicht. Die Regie, die an der Corona-Ästhetik der Zoom-Kacheln zu hängen scheint, füllt die Leerläufe mit Interviews über die Lieblingsfarben der Moderatoren, der Notar, selbst vom Ablauf überfordert, stammelt und redet von „sich matchenden“ Kontrahenten. Und die Autorinnen und Autoren, die leer ausgehen, werden nun mit keinem Wort mehr gewürdigt. Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin. Von Daniela Strigl die Österreicher häppchen- und zufallsweise von einer Welt erfuhren, von der die Jüngeren nichts mehr mitbekommen hatten. Das Buch erschien anlässlich eines Gedenktages, der fast übergangen worden wäre: hundert Jahre PEN-Club in Österreich. Im Fokus steht der Verlust, der Österreich zugefügt wurde. Nicht nur die Vertreibung des Geistes wirkt sich bis heute negativ auf unser Geistesund Ungeistesleben aus, noch nachhaltiger wirkt weiter, dass er 1945 nicht zurückgeholt und dass seine Rückkehr starken Kräften in diesem Land höchst unwillkommen war und hintertrieben wurde. Robert Streibel beschwört mit seiner Auswahl der Textbeispiele von 65 Autorinnen und Autoren, mit Kurzbiografien und locker eingestreuten Zeitungszitaten die verlorene Atmosphäre der Zwischenkriegszeit, die hier auch deshalb auf fast gespenstische Weise lebendig wird, weil nicht nur die Geistesriesen zu Wort kommen, sondern weil die ganze Qualitätsskala repräsentiert ist, die das literarische Leben einer Epoche ausmacht. „ Schicksale, eng verwoben mit dem eines Landes. So facettenreich und lebendig wird die Zeitgeschichte der österreichischen Literatur selten dargeboten. “ Ins Grab nachgespuckt Es läuft einem kalt über den Rücken, wenn man liest, was eine Nazizeitung dem PEN-Autor Rudolf Olden ins nasse Grab nachspuckte: Er war „ein berüchtigter Schreibknecht der jüdisch-freimaurerisch-marxistischen Epoche und hat in Wien und in Berlin mit seiner Feder alles begeifert und bekleckst, was deutsch war.“ Olden war am 18. September 1940 als Passagier eines torpedierten britischen Passagierschiffes auf dem Weg nach Kanada mit seiner Frau und 246 anderen untergegangen. Und es wird einem noch kälter beim Gedanken, wie weit der heute in den asozialen Medien üblich gewordene Ton selbst den der Nazis in den Schatten stellt. Ich habe mir übrigens die Stelle im Oktoberheft 1940 des „Österreichischen Beobachters“ auch angesehen. Sieben Seiten weiter vorne lässt uns der Luftwaffengefreite Josef Rieder, gewesener „Schriftleiter“ des „Völkischen Beobachters“ in Wien, an der Erkenntnis teilhaben, die ihn in einem deutschen Bomber über dem brennenden London überkam: dass „der Krieg etwas furchtbar Großes“ ist, „unser Krieg aber auch etwas ganz Heiliges“ und welch unverdiente „Gnade eines höheren Geschicks“ es bedeute, „ganz, ganz vorne“ dabei sein zu dürfen. Eine Seite weiter in Streibels Buch schildert Hertha Pauli in ihren 1970 erschienenen Erinnerungen „Der Riss der Zeit geht durch mein Herz“ wie sie am 11. März 1938 im Café Herrenhof saß. Wie sie dem deutschen Dichter Walter Mehring erklärte, er müsse jetzt rasch fort. Wie der Kellner plötzlich rief: „Herr Dr. Seyß- Inquart, bitte Berlin am Apparat!“, wie sich ein Herr am Nebentisch erhob, zum Telefon ging, seine Rechnung beglich und davoneilte und wie der besorgt ihm nachblickende Ober meinte: „Sehr nervös, der Herr Doktor, dem schmeckt heut net amal sei’ Apfelstrudel.“ Hertha Pauli hatte damals gerade einen Roman über Bertha von Suttner veröffentlicht und die Nazis hatten während einer Rundfunklesung aus dem Buch Stinkbomben ins Studio geworfen. Schicksale, eng verwoben mit dem eines Landes. Da wird selbst die leicht hingeschriebene Librettozeile Leopold Jacobsons aus dem „Walzertraum“ von Oscar Straus zur ironischen Pointe: „Ein Schwiegersohn aus Österreich, der färbt die Haare schneller bleich!“ So facettenreich und lebendig wird die Zeitgeschichte der österreichischen Literatur selten dargeboten. Wie sehr sie uns fehlen PEN-Autor*innen in der NS-Zeit Von Robert Streibel Korrektur 2024 286 S., geb., € 19,80
DIE FURCHE · 27 4. Juli 2024 Literatur 19 Matthias Nawrat hat zwischen 2013 und 2022 viele Reisen ins postkommunistische Europa unternommen. Er beobachtet, hört zu, will nicht urteilen, sondern erfahren, und reflektiert im Lichte dieser Erlebnisse stets auch das eigene Tun als Schriftsteller. Versuch, Verhältnisse zu begreifen Von Andreas Wirthensohn Matthias Nawrat fährt 2018 auf Einladung einer deutschen Organisation für ein paar Tage nach Tjumen. Diese westlichste Stadt Sibiriens liegt jenseits des Urals, knapp 1700 Kilometer von Moskau entfernt. Zusammen mit seinen Gastgebern besucht der Schriftsteller aus Deutschland Kirchen und Museen, und im Lesesaal des Goethe-Instituts werden, natürlich, Fotos vor Bücherregalen gemacht. Heikle politische Themen wie die Annexion der Krim werden elegant umschifft, doch am letzten Abend gerät der Gast dann doch noch gehörig ins Schwitzen. Er soll vor 80 Leuten aus seinem Polenroman „Die vielen Tode unseres Opas Jurek“ vorlesen. Als er eine der Organisatorinnen fragt, ob sie die Auszüge, die er gleich vortragen werde, gut finde, erwidert sie, sie habe nur darauf geachtet, ob darin etwas Schlechtes über Russland gesagt wird. Sie wolle ja nicht, dass er Probleme bekomme. Das macht Nawrat nur umso nervöser: Was kann, was soll er vorlesen, wie soll er sich in der anschließenden Diskussion verhalten? Ist er der arrogante Westeuropäer, wenn er auf einstige sowjetische Verbrechen in Polen hinweist? Oder soll er sich ärgern über die Weigerung der Russen, sich kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen? Doch am Ende geht alles gut. „Nach der Lesung kommen viele Leute zu mir und bedanken sich für meinen Vortrag. Wir sind wieder Freunde, ich finde alle wieder sympathisch. Aber die Kluft bleibt. Ich bin ein Fremder, der aufpassen muss, was er sagt. Ich komme von außerhalb, wo anders gedacht, Russland mit zu wenig Respekt behandelt wird.“ Und in ihm keimt eine noch viel grundlegendere Erkenntnis: „Ich bin an eine Grenze gestoßen, an der man gezwungen ist, sich zu fragen, ob es einen ideologiefreien Blick auf die Wirklichkeit jemals geben kann – oder ob die Menschheit vielleicht wirklich auf ewig dazu verdammt ist, durch unterschiedliche Geschichts- und Gegenwartsnarrative in feindliche Lager getrennt zu bleiben.“ Matthias Nawrat ist viel unterwegs im Osten Europas: Ob in Warschau oder Skopje, in Temeswar oder Ljubljana, in Minsk oder Nowosibirsk – stets ist er dort als Vertreter der jüngeren deutschen Literatur eingeladen, zu lesen und zu diskutieren. Und zugleich reist er, der 1979 im polnischen Opole geboren wurde, als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Bamberg kam und 2012 mit dem Roman „Wir zwei allein“ debütierte, als jemand, dem diese Welten Osteuropas qua Herkunft durchaus vertraut sind und dem vom Literaturbetrieb deshalb auch gerne das Etikett „Migrationsliteratur“ angeheftet wird. Erfreulicherweise verwahrt sich Nawrat gegen solcherlei Zuschreibungen. Für ihn soll sich Literatur mit der Welt und den Problemen der Menschen befassen und nicht mit schriftstellerischen Identitätsfragen. Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur „ Als er 2019 auf Einladung des Goethe-Instituts in Minsk weilt, ist er überrascht vom Optimismus, den die jungen Menschen ausstrahlen, von ihrer Zuversicht, dass sich die Welt verändern lässt. “ Matthias Nawrat wurde 1979 im polnischen Opole geboren und siedelte 1989 mit seiner Familie nach Bamberg um. 2012 erhielt er in Klagenfurt den Kelag-Preis. Erfahren und reflektieren Diesem Prinzip folgt er auch bei seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen von den verschiedensten Reisen, die er zwischen 2013 und 2022 ins postkommunistische Europa unternommen hat. Er beobachtet, hört zu, will nicht urteilen, sondern erfahren, und reflektiert im Lichte dieser Erlebnisse stets auch das eigene Tun als Schriftsteller. Die politischen Verhältnisse in Russland, aber auch in Polen unter der (inzwischen abgewählten) PiS-Regierung oder in Viktor Orbáns Ungarn machen ihm zu schaffen, doch daraus erwächst keine wohlfeile Kritik des selbstgewissen Westeuropäers, sondern der Versuch, die besonderen Verhältnisse zu begreifen (ohne sie damit zu entschuldigen). Als er 2019 auf Einladung des Goethe-Instituts in Minsk weilt, ist er überrascht vom Optimismus, den die jungen Menschen in seinem Workshop ausstrahlen, von ihrem Glauben daran, dass jeder Mensch irgendwie sein kreatives Potenzial nutzen kann, von ihrer Zuversicht, dass sich die Welt verändern lässt. Und findet nicht nur hier Trost in Begegnungen, wie sie überall in Europa stattfinden könnten: „Es ist Herbst, wie in ganz Europa, ein besonders leuchtender Herbst dieses Jahr. In einer Unterführung unter dem Unabhängigkeitsprospekt singt ein junger Mann zur Gitarre. Überall auf der Welt, denke ich, gibt es diese traurigen, sensiblen jungen Männer, die nur ein paar Akkorde spielen können, aber dafür um so leidvoller singen, ganz egal, ob ihnen jemand eine Münze in die Gitarrentasche legt oder nicht. Eine Dame mit Einkaufstasche geht an ihm vorbei. Er singt auf Englisch, sie sagt etwas Nettes zu ihm auf Russisch, lässt eine Münze in die Gitarrentasche fallen.“ Solch wunderbare, beinahe beiläufige Beobachtungen sind leider viel zu selten in diesem Buch. Stattdessen referiert Nawrat allzu oft ausgiebig, was seine Gesprächspartner äußern, oder verliert sich in eher belanglos wirkenden Details. Aufs Ganze gesehen wirkt Matthias Nawrats Reisetagebuch so wie ein Verlegenheitswerk, das sich nicht so recht zu einer wirklichen literarischen Vermessung Osteuropas fügen will. Anders als das (semi-fiktionale) Vorgängerbuch über eine Reise nach Maine, das von einem Mutter-Sohn-Trip in die USA erzählt, ist es nicht dicht genug gewoben und zu heterogen geraten. Schade drum, hier wäre mehr drin gewesen. Über allem ein weiter Himmel Nachrichten aus Europa Von Matthias Nawrat Rowohlt 2024. 224 S., geb., € 25,70 LEKTORIX DES MONATS Was für eine Zugreise! Buchpreis von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur Ida, Chris und Emil im Zug Von Sarah Michaela Orlovský und Michael Roher Tyrolia 2024 26 S., geb., € 18,– ab 3 Jahren Von Juliane Zach Um 9.25 Uhr von Osaka nach Kyoto fahren oder doch lieber erst um 11.01 Uhr den Zug von Zombiegrotte nach Hexenkessel-Geisterburg nehmen? Die Monitoranzeige auf dem Vorsatz bietet interessante Reisemöglichkeiten – hätte man die Wahl, könnte man sich nur schwer entscheiden. Das Thema des neuen Bilderbuchs von Sarah Michaela Orlovský und Michael Roher zieht sich nicht nur inhaltlich vom Cover bis zum Buchkern, auch formal wurde das Buch mit seinen aufgeschlagen 14 mal 57 cm an den Handlungsraum angepasst. Zum Beginn der Geschichte, die vorwiegend auf der Bildebene erzählt wird, zeigt sich ein buntes Gewimmel an zu den Bahnsteigen strömenden Figuren. Schärft man den Blick, so erkennt man unter den mit gelben, rosa, roten, blauen und schwarzen Buntstiften gezeichneten Gestalten viele reale – noch lebende oder bereits verstorbene – Persönlichkeiten, aber auch fiktive aus Büchern oder Kinderserien. Während die Zielgruppe vermutlich zuerst Peppa Wutz oder das kleine Ich-binich entdeckt, die älteren Geschwister Harry Potter oder den Märzhasen erblicken, finden die Vorlesenden unter den vielen Reisenden auch Amy Winehouse oder Sigmund Freud. Blättert man weiter, wird der Blick erstmals auf drei unbekannte Fahrgäste gelenkt. Ida, Chris und Emil – die, wie es die Initialen ihrer Namen verraten, in einen ICE steigen – sind die Handlungstreibenden dieser unterhaltsamen Reiselektüre. Und noch bevor der Zug Fahrt aufgenommen hat, nützen sie die Gelegenheit ihrer vermutlich ersten Reise ohne elterlicher Aufsicht, um den ohnehin schon bunten Haufen an Reisegästen aufzumischen. Sie übernehmen das Bordtelefon und laden die Passagiere in erfundene Themenwaggons ein. Woraufhin sich Räuber Hotzenplotz und Kapitän Langstrumpf im Bordrestaurant beim Lesezirkel einfinden, oder die kleine Hexe auf ihrem Besen durch Waggon 22 fliegt, während unter ihr geturnt und getanzt wird. Im Waggon 24 versammeln sich alle schwarz gekleideten Passagiere – unter ihnen natürlich Darth Vader und Graf Illustration: Michael Roher / Tyrolia Dracula. Die dann aber gleich weiter in Waggon 25 zur bunten Kleidertauschbörse geladen werden. Wer sich beim Erkennen mancher Figuren schwer tut, wird in Waggon 26 bei dem Spiel „Pärchenfinden“ Hinweise an der Bordwand finden. (Weitere Informationen zu den Figuren und Zusatzmaterial bekommt man übrigens auch über einen QR-Code im Buch.) Warum das Zugpersonal bis zum Zielbahnhof nicht eingreift und den Spaß unterbindet? Der Schaffner ist anderweitig beschäftigt: Über alle Buchseiten hinweg jagt er quer durch den ganzen Zug bis zur Erschöpfung einem entflogenen Papagei hinterher. Am Ende überlassen die drei Kinder dem Zugchef wieder das Bordtelefon und es heißt: „Wir verabschieden uns von unseren Fahrgästen und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt und eine gute Weiterreise.“
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