DIE FURCHE · 27 12 Gesellschaft 4. Juli 2024 Das Gespräch führte Magdalena Schwarz Die Einzige sein, damit ist Viktoria Schnaderbeck vertraut. Im steirischen Kirchberg an der Raab war sie beim Fußballspielen das einzige Mädchen, beim englischen Traditionsclub FC Arsenal die einzige Österreicherin, und 2019 – zumindest bis ihr Stunden später eine Kollegin folgte – die einzige geoutete Profifußballerin des Landes. Von wem sie sich ihren Mut abgeschaut hat und warum sie sich für Gleichberechtigung und Toleranz im Sport einsetzt, erzählt sie im FURCHE-Interview. Führungsqualitäten Neun Jahre war Viktoria Schnaderbeck Kapitänin der österreichischen Nationalelf. Auch abseits des Spielfelds, etwa wenn es um LGBTQI+- Rechte geht, übernimmt sie gerne Verantwortung. DIE FURCHE: Sie analysieren dieser Tage im Fernsehen die Spiele der Europameisterschaft der Männer. Wer wird im Finale stehen? Viktoria Schnaderbeck: Ich tippe auf Frankreich und Deutschland. Aber meine Daumen waren natürlich bis zuletzt für die Österreicher gedrückt. DIE FURCHE: Von 17. bis 20. Juli steht ein weiteres besonderes Sportevent in Wien an, die EuroGames, Europas größtes LGBTQI+-Sportturnier. Was würden Sie sich für das Jahr 2050 wünschen: Die besten und größten EuroGames aller Zeiten, oder eine Gesellschaft, die so tolerant ist, dass wir solche Veranstaltungen gar nicht mehr brauchen? Schnaderbeck: Natürlich wäre es mir lieber, wenn Gleichberechtigung ganz selbstverständlich wäre. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Die EuroGames und die Pride sind wichtig, um Bewusstsein zu schaffen. DIE FURCHE: Was können solche Events bewirken? Schnaderbeck: Bei Themen wie Diversität, besonders wenn es um LGBTQI+-Rechte geht, ist Sichtbarkeit enorm wichtig. Medien berichten über die EuroGames, die Stadt Wien ist involviert. Veränderung passiert, wenn viele einen Teil dazu beitragen. Wenn ich die Möglichkeit habe, tue ich das gerne. Sie möchten mehr erfahren? Lesen Sie auch „Fußball: Ein Feld, ein Ball - und 22 Frauen“ (26.7.23) von Rayana Debzieva auf furche.at. Die ehemalige Fußballspielerin Viktoria Schnaderbeck über ihre Vorbilder Billie Jean King und Angela Merkel, die Macht des Geldes, die Europameisterschaften und den Sinn der queeren EuroGames. „Sie wollen nicht zu politisch werden“ DIE FURCHE: Sie zeigen generell viel Eigeninitiative. Mit 16 Jahren haben Sie sich selbst ein Probetraining bei Bayern München organisiert, und Sie waren auch die erste österreichische Profifußballerin, die sich als homosexuell geoutet hat. Gibt es in Ihrem Leben ein Vorbild für Ihren Mut? Schnaderbeck: Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist mir bewusst geworden, dass es Athletinnen und Athleten gibt, die über den Sport hinaus Verantwortung übernehmen. Eine davon ist die amerikanische Fußballerin Megan Rapinoe, die sich für LGBTQ+- Rechte und Equal Pay eingesetzt hat, bis hin zu einem Rechtsstreit. Ohne Billie Jean King gäbe es auch keine Tennis-Turniere wie heute. Es gibt auch Vorreiterinnen in der Politik. Als ich in Deutschland war, haben mich die Strahlkraft und Ruhe von Angela Merkel beeindruckt. Eleanor Roosevelt war ebenfalls eine frühe Feministin. DIE FURCHE: Haben Sie die Coming- Outs anderer Sportlerinnen inspiriert, oder hat Ihnen der Gegenwind, den sie teilweise erleben, eher Angst gemacht? Schnaderbeck: Mich haben diese Menschen motiviert, auch etwas zu bewegen. Mir ist schon bewusst, dass man durch ein Coming-Out Angriffsfläche bietet, und es viele unangenehme Gegenstimmen bis hin zu Hass gibt. Gerade deshalb habe ich so großen Respekt vor Frauen wie Megan Rapinoe oder Billie Jean King. Sie hätten den einfachen Weg gehen können, aber haben aus Idealismus gehandelt. Letztendlich muss aber jeder Mensch seinen eigenen Weg finden. Ich wollte Fußball spielen und habe entschieden, mich zu outen, weil ich mich davor nicht zu hundert Prozent frei gefühlt habe. DIE FURCHE: Wie waren die Reaktionen? Schnaderbeck: Überraschend! Ich habe nicht erwartet, dass so viele positive Rückmeldungen kommen, auch international. Eigentlich ist das ein Wahnsinn, dass ein Coming-Out im Fußball noch so eine Sensation ist. DIE FURCHE: Bisher haben sich mehr Fußballerinnen geoutet als Fußballer. Gibt es im Frauenfußball weniger Homophobie? Schnaderbeck: Es gibt eine gewisse Grundanzahl an lesbischen Personen im Fußball. Das hilft, weil du das Gefühl hast, unter „ Durch ein Coming-Out bietet man Angriffsfläche. Aber ich wollte mich outen, um mich zu hundert Prozent frei zu fühlen. “ Gleichgesinnten zu sein. Der Männerfußball ist generell ein sehr homophobes Umfeld, das fängt schon bei der teilweise sehr primitiven Fankultur an, in der auch Rassismus verbreitet ist. DIE FURCHE: Was könnten Vereine, Verbände oder auch Fans gegen Intoleranz tun? Schnaderbeck: Ich bin überzeugt, dass Fans ins Stadion gehen, weil sie ihre Mannschaften lieben. Diese Bewunderung ist eine große Chance, weil Vereine viele Menschen erreichen können. Ich würde mir wünschen, dass auch Sportler und Sportlerinnen mehr Verantwortung übernehmen. Das ist alles andere als einfach. Man will sich schließlich auf den Sport konzentrieren und nicht zu politisch werden. Aber man kann trotzdem für gewisse Werte einstehen, ohne sich dabei einen Haxen auszureißen. Auch die Sponsoren haben Macht, weil sie entscheiden, welche Botschaften sie vermitteln und wer auf ihre Werbeplakate kommt. Foto: Ailura/Wikimedia Commons DIE FURCHE: Auch Sie sind auf Werbeplakaten und in Spots zu sehen. Mit der medialen Aufmerksamkeit für den Frauenfußball steigt natürlich das Interesse der Werbepartner. Wie groß ist der wirtschaftliche Unterschied zwischen Frauen- und Männerfußball heute? Schnaderbeck: Der Frauenfußball ist in vielen Bereichen immer noch ein Verlustgeschäft, das ist kein Geheimnis. Wie bei jedem Start-up muss man zuerst investieren, um später Gewinne zu machen. Die Transfersummen im Männerfußball werden immer extremer. Wir müssen nicht an ihre Gehälter herankommen, das wäre utopisch. Zum Glück werden die Gehälter für Frauen zumindest in den Top-Ligen besser. Trotzdem ist die Situation in Österreich schlechter als in England oder Deutschland. Genauso wichtig wie die Gehälter sind übrigens gleiche Bedingungen. Selbst bei den Platzverhältnissen sind wir noch weit weg von Gleichberechtigung.
DIE FURCHE · 27 4. Juli 2024 Gesellschaft 13 Bedingungslos ist die Fan-Liebe nicht: Vor allem Sportler und Sportlerinnen aus Minderheiten müssen sich beweisen. Auch Ralf Rangnicks klare Ansage gegen Rassismus macht das nicht wett. „Hier ist niemand schwul“ DIE FURCHE: Oft sind es ja die Details, an denen man die Ungleichbehandlung merkt. In jedem zweiten Artikel über Sie steht, dass Sie die Cousine des Fußballers Sebastian Prödl sind. Umgekehrt ist das nicht das Fall. Ärgert Sie das? Schnaderbeck: Nein, das nervt mich ehrlich nicht, weil ich daran gewöhnt bin. Der Basti ist ein super Mensch, und viele kennen ihn. Generell bin ich aber kein Fan davon, Menschen als „Tochter von“ oder „Onkel von“ zu bezeichnen. Klar, wir sind eine Fußball-Familie, aber „Cousine von Sebastian Prödl“ ist nicht mein Titel. „ Generell bin ich kein Fan davon, Menschen als ,Tocher von‘ oder ,Sohn von‘ zu bezeichnen. Wir sind eine Fußball- Familie, aber ,Cousine von Sebastian Prödl‘ ist nicht mein Titel. “ DIE FURCHE: Mit der Kommerzialisierung kommt oft auch der Druck, einer möglichst breiten Zielgruppe zu gefallen. Hilft oder schadet das Geld im Sport der Toleranz? Schnaderbeck: Im Fußball wird viel Geld generiert. Ich frage mich, warum es keine Verpflichtung gibt, einen gewissen Prozentsatz der Einnahmen in gesellschaftspolitische Initiativen zu investieren, zum Beispiel für Menschen mit Behinderung im Sport. Genau. Natürlich wird Geld alleine eine Gesellschaft nicht verändern. Letztendlich geht es um Werte, Taten und gute Vorbilder. DIE FURCHE: Spätestens mit Ihrem Coming-Out sind Sie für viele zum Vorbild geworden. Welche Rückmeldung ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Schnaderbeck: Sehr bald nach meinem Coming-Out haben mir viele geschrieben, dass ich ihnen Mut gemacht habe. Ich habe eine Plattform, und ich möchte sie nutzen, um das Leben für andere leichter zu machen. DIE FURCHE: Und jetzt geht’s für Sie zum Public Viewing? Schnaderbeck: Ja, und ich bin schon gespannt aufs nächste Spiel. EUROGAMES 2024: Wo die Minderheit Mehrheit ist Von Magdalena Schwarz die Geschichte unserer beiden Länder Österreich und Deutschland sollte „Gerade uns Lehre genug sein“, sagte ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick kürzlich im ZIB 2-Interview. Er rief dazu auf, besonders auf dem „rechten Auge“ wachsam zu sein. Mit dieser klaren Positionierung gegen Rechtsextremismus ist Österreichs Lieblingsdeutscher hierzulande eine Ausnahme. Viele wollen nicht „zu politisch“ sein, sagt Ex-Fußballprofi Viktoria Schnaderbeck. Dabei wären klare Haltungen auf dem, sowie abseits des Spielfelds gefragt. Noch im Februar sorgte SK Rapid Wien mit homophoben Gesängen für einen Eklat. Wie tolerant ist Österreichs Sportwelt im Europavergleich? Die Frage pauschal zu beantworten sei schwer, sagt Maria Schinko, Ko-Präsidentin der EuroGames Vienna 2024. Aber: „Im Europavergleich liegt Österreich wohl im guten Mittelfeld.“ Laut Nikola Staritz, Antidiskriminierungsexpertin bei Fairplay, reichen die Vorfälle von verbaler Aggression bis hin zu Ausgrenzung: „Zum Beispiel kann eine Mutter aus Afghanistan ihren Sohn nicht im lokalen Sportverein anmelden, da der angeblich voll ist. Für andere Kinder findet sich später aber durchaus ein Platz. Zuschauer werden auch immer wieder Zeugen rassistischer Äußerungen, sogar seitens des Trainerpersonals.“ Ein Best-of der Ausreden: „Ich verwende dieses Wort nicht als Schimpfwort. Ich habe es Von 17. bis 20. Juli finden die EuroGames Vienna statt. Mit 31 Sportarten – von Klassikern wie Fußball und Basketball bis zu Wuzzeln, Minigolf oder Roller Derby – handelt es sich um Europas größtes Multisport-Event für LGBTIQ+-Personen sowie alle anderen Sportbegeisterten. Es sind also auch Familien, Interessierte und Allies herzlich willkommen, teilzunehmen oder bei einem der Turniere zuzuschauen. Erwartet werden etwa 4000 Teilnehmende aus rund 50 Nationen. Das kulturelle und soziale Rahmenprogramm bietet etwa Queer Cinema Nights und Drag Shows, aber auch eine Konferenz zum Thema „Out in Sport: Wie Sport verbindet und nicht spaltet“. Unterstützt wird das Event von Sportgrößen wie Viktoria Schnaderbeck, Oliver Egger oder Simone Feichtinger. (ms) Foto: Isabelle Reihofer nicht böse gemeint. Hier ist niemand schwul, also kann niemand beleidigt sein!“ Für den nicht geouteten Teamkollegen, der hört wie ein Pass als „schwul“ bezeichnet wird, sei aber völlig egal, ob der Sprecher queer-feindlich ist oder gedankenlos, erklärt Staritz. Weltweit sind nicht einmal ein Dutzend aktive männliche Profi-Fußballer geoutet. Auch der deutsche Mittelfeldspieler Thomas Hitzlsperger sprach erst ein Jahr nach seinem Karriereende öffentlich über seine Sexualität. Seither engagiert er sich vielfältig, unter anderem bei den EuroGames. Dabei hat der Sport durchaus Potenzial, Barrieren abzubauen. Auf dem Fußballfeld des Hobbyvereins spielt die Zahnärztin „ Stellen wir uns einmal vor, das Eigentor im EM-Match zwischen Österreich und Frankreich hätte nicht Maximilian Wöber, sondern Kevin Danso geschossen. “ Nikola Staritz Ko-Präsidentin Maria Schinko organisiert die EuroGames Vienna 2024 mit. Foto: fairplay Bei den EuroGames messen sich Sportlerinnen und Sportler in über 30 Disziplinen. Die ehemalige Handball- und Fußballspielerin Nikola Staritz ist heute für Fairplay tätig. Foto: EuroGames Bern 2023 den Ball der Postbotin zu. „Sport bringt verschiedenste Menschen zusammen, aber er birgt und fördert auch Mechanismen wie Diskriminierung und Intoleranz“, sagt Staritz. Die Nationalteams spiegeln die Diversität der Gesellschaft wider, doch die Zugehörigkeit von Athletinnen und Athleten aus Minderheiten ist oft bedingt. „Stellen wir uns einmal vor, das Eigentor im EM-Match zwischen Österreich und Frankreich hätte nicht Maximilian Wöber geschossen, sondern Kevin Danso“, sagt Staritz. Manche müssten sich ihre Teilhabe durch herausragende Leistungen verdienen – und würden diese bei Fehlern ebenso rasch verlieren. Für Athletinnen und Athleten, die sich für Toleranz im Sport engagieren, können außerordentliche Erfolge einen gewissen Schutz bieten. Das Risiko ist dennoch enorm. Die US-amerikanische Tennisspielerin Billie Jean King war die erste Profisportlerin, die 1981 – gegen ihren Willen – als homosexuell geoutet wurde. Spätestens da wurde sie zur kompromisslosen Kämpferin für Gleichberechtigung. Einer ihrer vielen Triumphe: Nach ihrer Boykottandrohung erhielt die Siegerin eines Grand-Slam- Turniers der US Open erstmals das gleiche Preisgeld wie die Herren. 1973 gründete King mit Kolleginnen die noch heute bestehende Women’s-Tennis-Association-Tour (WTA). Was in der Rückschau oft vergessen wird: Durch ihr unfreiwilliges Outing verlor King sämtliche Sponsoren. Eine weitere Vorreiterin ist die USamerikanische Ex-Fußballspielerin Megan Rapinoe, die sich 2012 outete. Neben ihren beeindruckenden sportlichen Erfolgen – 2019 wurde sie zur „Weltfußballerin des Jahres“ gekürt – zeichnet sie sich vor allem durch ihr zivilgesellschaftliches und politisches Engagement aus. 2016 unterstützte sie den Antirassismus- Protest schwarzer Athletinnen und Athleten, indem sie sich wie diese weigerte, die Nationalhymne zu singen. Noch bei der Weltmeisterschaft 2019 blieben ihre Lippen geschlossen. Vor allem in den sozialen Medien erlebt Rapinoe regelmäßig Hass. Der Kapitän der französischen Nationalelf, Kylian Mbappé, bewies Mut, als er vor der französischen Parlamentswahl Stellung gegen rechte Ideologien bezog. Protest ja, aber bitte nicht so schrill Ausschließend, extravagant, unnötig: Veranstaltungen wie die EuroGames, die explizit Minderheiten ansprechen, werden kritisiert. Dabei sei das Turnier für alle offen. „Kommt her, und schaut euch an, wie schön ein inklusiver Sportraum sein kann“, ruft Ko-Präsidentin Schinko auf. Durch die Eventorganisation passiere außerdem Bewusstseinsbildung. Schon der Austausch mit Vereinen und Verbänden ermögliche Aufklärung. Symbole wie Flaggen und Gesänge sind wirksam und schaffen Gemeinschaft. Wer das nicht glaubt, der kann sich bei einem Besuch im Fußballstadion davon überzeugen. Darüber hinaus braucht es aber systemische Veränderung. Das sei der ÖFB etwa den Frauen schuldig, so Staritz. Immerhin war der Frauenfußball in Deutschland und Österreich bis in die 1970er verhindert bis explizit verboten. „Bisher wird laut gelobt, aber wenig investiert,“ erklärt sie. Hoffnung gibt es aber. Eine Lektion, die Jugendliche laut Staritz in Fairplay-Workshops zu Diskriminierung lernen: Es geht nicht darum, nie Fehler zu machen, sondern darum, wie man danach mit ihnen umgeht. Lesen Sie schon FURCHE-Newsletter? Ihre ausgewählten Lieblingsthemen ab sofort täglich in Ihrer Mailbox. Jetzt anmelden: furche.at/newsletter Jetzt neu: tägliche Ressort- Newsletter Journalismus mit Sinn.
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