27 · 4. Juli 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– „Sie wollen nicht zu politisch werden“ Ex-Fußballprofi Viktoria Schnaderbeck über Gleichberechtigung, die Macht des Geldes und ihr Vorbild Angela Merkel. · Seite 12-13 Othmar Karas im Interview: „Die Mitte hat versagt“ Der scheidende Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments sowie ÖVP-Dissident über den rechten Höhenflug, die Migrationsfrage, den Renaturierungs-Zwist und „mangelnde Ehrlichkeit“. · Seiten 6–7 Israelische Expertin: „Zerrütteter Dialog“ Karma Ben-Johanan schrieb Papst Franziskus nach den Ereignissen des 7. Oktobers einen Offenen Brief und erhielt Antwort. · Seite 10 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Foto Karas: Mirjam Reither Nicht nur beim Reisen, auch beim Wählen stoßen Menschen ohne Pass an Grenzen. Was Staatsbürgerschaft bedeutet – und warum wir einen „Sommer der Demokratie“ brauchen. Der Staat und wir Foto: iStock / Felix Geringswald Foto: APA/Gerd Eggenberger Traumata und Gurkerl-Fans Am 30. Juni wurde Tijan Sila mit dem Bachmannpreis 2024 ausgezeichnet. Vorausgegangen waren drei Tage intensive Diskussionen vor laufender Kamera. Die 48. Tage der deutsch sprachigen Literatur zeigten vielfältige Texte und eine eingespielte Jury. Seiten 17–18 Die große Erkenntnis aus dem französischen Wahlergebnis ist nicht das Erstarken des Rassemblement National (RN) – es ist die Verantwortungslosigkeit von Emmanuel Macron. Sonnenkönig-Allüren AUS DEM INHALT Gewissenskämpfe In Polen herrscht eine Debatte darüber, ob die Ukrainer im Land zurück in ihre Heimat geschickt werden – weil sie dort in der Armee gebraucht werden. Seite 8 Von Brigitte Quint „V erantwortung wird man am besten dadurch los, dass man sie von anderen erwartet.“ Es war Ludwig XIV., der „Sonnenkönig“, der diesen Satz vor rund 300 Jahren bei einem Staatsbankett fallen ließ. Worte, die sich der aktuelle französische Präsident zuletzt in Erinnerung hätte rufen können. Nicht, weil er als Anhänger des Absolutismus gilt. Doch gewisse Parallelen zu Louis le grand sind durchaus vorhanden. Etwa Emmanuel Macrons Affinität zur prunkvollen Symbolpolitik; oder aber sein monarchistisches Gehabe, mit dem er die Franzosen regelmäßig vor den Kopf stößt. Das aktuellste Beispiel ist freilich seine hoffärtige Entscheidung, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Eine Aktion, die in die Kategorie Attitudes d’un Roi Soleil (Allüren eines Sonnenkönigs) fällt. Seit Macrons Amtsantritt 2017 wird ihm von französischen Medien dieser Habitus zugeschrieben. Seine Masche wurde zunächst thematisiert und durchaus auch goutiert, später kritisiert. Mittlerweile löst sie bei sehr vielen nur noch Wut aus. Etwa, wenn er seine Rolle als présidence jupitérienne („jupitergleiche Präsidentschaft“) beschreibt. Das Auflebenlas- „ Die einstige Galionsfigur der EU stolperte über ihre Abgehobenheit und übersteigerte Selbstliebe. “ sen einer Uralt-Tradition verstörte auch so einige: So bittet er regelmäßig beide Kammern des Parlaments zur gemeinsamen Sitzung ins Schloss von Versailles. Macron und seine Bewegung bedienen sich auf die Art des historischen Rahmens, um die oft wenig schillernde Gegenwart mit der glanzvollen Vergangenheit zu verbinden. Es ist also kein Wunder, dass der Macronismus auch für die Kunst der Inszenierung – und die Abgehobenheit von dessen Namensgeber – steht. Macron wird nachgesagt, im besten Fall mit den Menschen auf Distanz zu gehen und sie im schlechtesten Fall mit seiner Arroganz zu verprellen. Trostpflaster mit Ablaufdatum Über Arbeiter, die streikten, weil ihr Arbeitgeber Konkurs angemeldet hatte, sagte er: „Statt Chaos anzurichten, sollten sie lieber zusehen, dass sie Arbeit finden.“ Als ihn ein Schüler am Rande einer Gedenkfeier mit „Wie geht’s, Manu?“ begrüßte, bekam dieser eine kalte präsidiale Dusche ab: „Du nennst mich Herr Präsident der Republik, einverstanden?“ Für Unmut sorgte zudem Macrons Sager zu einem Bahnhof als Eventlocation: Dies sei ein Ort, „wo man Menschen begegnet, die Erfolg haben, und Menschen, die gar nichts sind“. Es ist dieser Hochmut, gepaart mit einer übersteigerten Selbstliebe, über die der einstige europäische Hoffnungsträger nun gestolpert ist (vgl. Seiten 6/7). Er stürzte mit seiner tollkühnen Entscheidung sein Land ohne Not ins Chaos und läuft Gefahr, seine Landsleute an die Rechtspopulisten auszuliefern. Selbstreflexion? Fehlanzeige! Er sei nicht schuld am Erstarken der politischen Ränder, die Französinnen und Franzosen, die sie wählen würden, trügen die Verantwortung, kommentierte Macron den Status quo. Die große Erkenntnis aus dem französischen Wahlergebnis ist nicht das Erstarken des Rassemblement National (RN) – es ist die Verantwortungslosigkeit des Präsidenten. Volkssouveränität bedeutet nicht, den Souverän mit dem Zuschanzen von Verantwortung zu überrumpeln. Vielmehr ist ein redliches Staatsoberhaupt gefordert, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen. Macron hat sich mit seiner eigenmächtigen Hauruck-Aktion als demokratische Galionsfigur disqualifiziert. Die Hoffnung bleibt bestehen, dass ein Zusammenschluss der anderen Parteien einen rechtsextremen Premier (Jordan Bardella, RN) noch zu verhindern wissen. Doch das wäre ein Trostpflaster mit Ablaufdatum. Schon 2027 könnte Marine Le Pen als Präsidentin in den Élysée-Palast einziehen. „Man tut niemals etwas Großes, wenn man nicht mehr und besser als alle anderen darüber nachgedacht hat.“ Wieder ein Zitat von Ludwig XIV. Macron fiele keine Zacke aus der Krone, wenn er dies künftig beherzigte. brigitte.quint@furche.at Bidens Albtraum Hat der erste katholische US-Präsident seit Kennedy nach dem ersten TV-Duell mit Kontrahent Donald Trump bereits alle Wiederwahlchancen verspielt? Seite 9 Schoß des Anstoßes Die Skulptur einer gebärenden Maria hat für Aufregung gesorgt. Nun wurde sie geköpft. Dabei füllt sie eine künstlerische Leerstelle und ist theologisch am Punkt. Seite 16 Was für eine Zugfahrt! „Ida, Chris und Emil im Zug“, das neue Bilderbuch von Sarah Michaela Orlovský und Michael Roher, wird nicht nur Kindern das Reisen äußerst kurzweilig machen. Seite 19 Voller Zittern, Bangen und Hoffen Selma Jahić überlebte den Völkermord in Srebrenica. Ehrenamtlich ordnet sie nun die Vergangenheit ihrer Heimat – um solche Gräuel in Zukunft zu verhindern. Seite 24 @diefurche @diefurche furche.at @diefurche Die Furche Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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