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DIE FURCHE 04.05.2023

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DIE FURCHE · 18 8 International 4. Mai 2023 Einer Vereinigung Zyperns stehen vor allem die Interessen Ankaras im Weg, sagt Niyazi Kızılyürek, türkisch-zypriotischer Abgeordneter im Europaparlament. Ein Gespräch über die anachronistische Übermacht der UN und die selbstgewählte Ohnmacht der EU. „Erdoğan ist überall“ Das Gespräch führten Giacomo Sini und Dario Antonelli • Nikosia In Europa liegt die einzige noch geteilte Hauptstadt der Welt: Nikosia auf Zypern. Seit 1974 ist der Norden vom Süden der Insel politisch abgespalten. Welche Auswirkungen die Wahl in der Türkei auf die Situation haben könnte und warum der Willen zum Wandel nur langsam wächst, erklärt EU-Parlamentarier Niyazi Kızılyürek. DIE FURCHE: Die „Republik Zypern“ versus die „Türkische Republik Nordzypern“, die international nur von der Türkei anerkannt wird – seit 1974 ist die Insel geteilt, dementsprechend auch die Bevölkerung gespalten. Was hat sich diesbezüglich getan, ist man aufeinander zugegangen? Niyazi Kızılyürek: Vor allem interkommunale oder bikommunale Aktivitäten auf zivilgesellschaftlicher Ebene haben zugenommen. Hier ragen Künstlerinnen und Künstler heraus. Mitnichten werden solche Engagements aktiv seitens der Regierung unterstützt. Als Mitglied des Europäischen Parlaments schlage ich aber einen anderen Kurs ein, etwa indem ich integrative Gruppen aus Zypern ins EU-Parlament einlade. So hatte ich bereits Jugendverbände oder im Zuge des Weltfrauentages Frauenorganisationen, die sich für ein gemeinschaftliches Zusammenleben einsetzen, zu Gast. Demnächst ist der Besuch einer Kunstvereinigung geplant. DIE FURCHE: Welche Rolle spielt die Teilung der Insel, die sogenannte Grüne Linie, im Alltag der Zyprioten? Kızılyürek: Die Grüne Linie wird seit 1974 durchgehend von der UN-Friedensmission bewacht. Erstmals wurde 2003 einer dieser Kontrollpunkte geöffnet. Mittlerweile existieren einige Grenzübergänge, die zunehmend in Anspruch genommen werden. Etwa fahren viele griechische Zyprioten zum Einkaufen in den nördlichen Teil der Insel. Umgekehrt setzen viele türkische Zyprioten regelmäßig in den Süden über. Aber natürlich bleibt die Grüne Linie auch eine Spannungslinie, Meinungsverschiedenheiten brechen sich Bahn. Wenn diese zu eskalieren drohen, kümmert sich die UN darum. DIE FURCHE: Im vergangenen Februar wurde Zyperns früherer Außenminister Nikos Chris to dou li des – unabhängiger Bewerber, unterstützt von zen tristischen und Mitte- rechts- Parteien – zum neuen Präsidenten gewählt. Seinen Wahlkampf bestritt er mit dem Schlüsselwort „Einheit“. Gewählt wurde nur im Südteil der Insel, nicht im türkisch-zyprischen Norden. Ist Chris todoulides ein Hoffnungsträger? Kızılyürek: Was sind die Fakten? Erstens: Zyperns Ex-Außenminister kandidierte als Unabhängiger. Ursprünglich war er in der rechtsgerichteten Partei DISY (Democratic Rally, Anm. d. Red.) beheimatet, hatte aber mit ihr gebrochen. Das wiederum führte dazu, dass ihn verschiedene andere Parteien unterstützen. DISY wurde indes zu einer Art Splitterbewegung. Auch ist es das erste Mal, dass einige DISY-Mitglieder den Kandidaten von AKEL (Kommunistische Partei Zyperns, Anm. d. Red.) unterstützen. Zweitens: Erstmals sind nicht die beiden großen Parteien - also DISY und AKEL – in der Regierung vertreten. Wenn Sie so wollen, schafft das eine Art Aufbruchstimmung. Drittens: Erstmals in der Geschichte der Konservativen steht eine Frau an der Spitze: Annita Demetriou. Und auch die Kommunisten versuchen sich neu zu erfinden. Diese Veränderungen könnten Zypern prägen. Viertens: Die Tatsache, dass Präsident Christodoulides nun auch von den kleinen Parteien unterstützt wird, mitunter von jenen, die seine suggerierte föderale Lösung weniger unterstützen, dürfte einen Wendepunkt einleiten. DIE FURCHE: Der Inselstaat Zypern ist mehr als viele andere Staaten direkt mit den Krisen im europäischen Raum und im Mittelmeer konfrontiert. Was bedeutet das für das Land? Kızılyürek: Stichwort Mittelmeer: Es gibt auf seiner östlichen Seite eine Spannung, bei der es um Erdgas geht. Zypern versucht, dieses Erdgas zu fördern, doch die Türkei stemmt sich dagegen. Das bedeutet: Auch wenn sich die Beziehung zwischen den türkischen Zyprioten und den griechischen Zyprioten peu à peu verbessert, heißt das nicht, dass sich die Regierungen in Ankara und jene in Nikosia angenähert haben. Aber wie gesagt, vielleicht schaffen neue Personalien hier wie dort einen Weg der Zusammenarbeit. Foto: left.eu DIE FURCHE: Stichwort Personalien. Recep Tayyip Erdoğan befindet sich mitten im Wahlkampf. Eine Wiederwahl ist alles andere als gesichert. Wie weit reicht Erdoğans Einflussbereich eigentlich, wenn es um die Zypernfrage geht? „ Im östlichen Mittelmeer will die Regierung Erdgas fördern. Doch die Türkei stemmt sich vehement dagegen. Das führt zu erneuten oder noch mehr Spannungen zwischen den Staaten. “ Kızılyürek: Die Türkei – und damit auch Erdoğan – hat sich offen und direkt in die türkisch-zypriotischen Angelegenheiten eingemischt. Insbesondere in der jüngsten Vergangenheit. Hier denke ich etwa an die Präsidentschaftswahlen von Nordzypern. Damals bestimmte Erdoğan den Wahlkampf, sprach sich offen für Ersin Tatar und gegen Mustafa Akıncı aus. Warum? Weil sich Akıncı für eine föderale Lösung, einen gemeinsamen Staat mit den griechischen Zyprioten, eingesetzt hat. Tatar wiederum hält an der Zweistaatlichkeit fest. Die türkische Regierung hat sich massiv für den Sieg der „Tataren“ eingesetzt, sich eingemischt, wo es ging. Und das dauert immer noch an. Erdoğan ist überall. Ich habe diese Einmischung in Brüssel mehrmals thematisiert. In der EU sollte man ein echtes Interesse daran haben, dass sich die Türkei aus der zypriotischen Innenpolitik heraushält. DIE FURCHE: Welche Rolle spielt Zypern in puncto Migration bzw. Fluchtrouten? Kızılyürek: Zypern ist seit jeher ein Anziehungspunkt für Auswanderer, insbesondere für jene, die nach einem besseren Leben suchen. Die Trennlinie auf der Insel kann nicht wirklich kontrolliert werden, da es sich um keine offizielle Grenze handelt. Die Folge: Die Migration ist enorm gestiegen – und mit ihr der Rassismus. Nicht wenige Zyprioten projizieren ihren Ärger auf die EU, die es bis heute nicht geschafft hat, eine ordentliche Asyl- und Einwanderungspolitik aufzubauen, auf die Ankommenden. Lesen Sie hierzu die Reportage „Zypern: In der Zwischenwelt“ (6.11.2019) von Martin Tschiderer, auf furche.at. Nikosia/Lefkoşa Republik Zypern Foto: imago / agefotostock DIE FURCHE: Abgesehen von den anfangs erwähnten interkommunalen Beziehungen – inwiefern kann von politischen Wiedervereinigungstendenzen gesprochen werden? Kızılyürek: Aktuell haben wir nicht einmal Verhandlungen, alles ist eingefroren. Die türkische Seite präferiert die Zweistaatenlösungen, der neue zypriotische Präsident will eine aktivere Beteiligung der EU am gesamten Prozess. In Zypern lässt sich kein Wille zur Wiedervereinigung identifizieren. Zypern steht hauptsächlich unter der Schirmherrschaft der UNO. Die Aufnahme von Verhandlungen ist in weite Ferne gerückt. DIE FURCHE: Wenn der Präsident auf die EU setzt – nimmt Brüssel diesen Ball auf? Kızılyürek: Nikos Christodoulidis kam nach Brüssel, um die Kommission, das Parlament und den Rat zu konsultieren. Bei seinem Besuch forderte er eine dynamischere Beteiligung der EU ein. Diese zögert seither auffällig. Es scheint, als wolle sie ausschließlich die Initiativen der UN unterstützen. GESPALTENER INSELSTAAT UN-Pufferzone Souveräne Basisgebiete Akrotiri und Dhekelia Türkische Republik Nordzypern Mittelmeer Blick gen Norden Die griechische Seite Nikosias ist mittels „Pufferzonen“ von der türkischen abgeriegelt. Die jeweils andere Seite darf von den Bewohnern jedoch an sieben Übergangspunkten besucht werden. Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: Wikipedia)

DIE FURCHE · 18 4. Mai 2023 Religion 9 Helmut Krätzl war die bischöfliche Stimme für die Konzilsbewegten. Einer, der das II. Vatikanum gerade im kirchlichen Gegenwind hochhielt. Und er war Wegbegleiter auch der FURCHE. Helmut Krätzl * 23. Oktober 1931 in Wien, 1954 Priesterweihe, 1956 Zeremoniär Kardinal Königs, ab 1962 Studien in Rom, 1964 Pfarrer in Laa/Thaya, 1969 Ordinariatskanzler, 1977 Weihbischof, 2008 emeritiert, † 2. Mai 2023. Von Otto Friedrich So bezeichnete sich Helmut Krätzl, der am 2. Mai „Konzilssohn“. in Wien 91-jährig verstorben ist, in einem FURCHE- Interview . Denn für einen Konzilsvater, wie die Bischöfe auf dem II. Vatikanum bezeichnet wurden, war er zu jung. Dennoch prägte ihn das kirchliche Großereignis sein Leben lang, wie er auch in seinen Büchern nicht müde wurde zu betonen. In der Person dieses auch in schwerer Zeit durch und durch loyalen Kirchenmannes bilden sich Hoffnung und Misere der nachkonziliaren Kirche ab wie in nur wenigen seiner Zeitgenossen. Krätzl war auch Weggefährte seines väterlichen Förderers Kardinal König, mit dem er die Konzilsbegeisterung teilte. Dabei war das Konzil nur einer der Berührungspunkte zwischen König und Krätzl, die Umstände hatten die beiden zumindest zeitweilig zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt: 1960 saß der junge Priester als Zeremoniär Königs mit im Unfallwagen, der auf der Fahrt zum Begräbnis des kroatischen Kardinals Stepinac in Zagreb bei Varaždin verunglückte – der Fahrer des Wagens war tot, Krätzl und König überlebten schwerstverletzt. Der Konzilsstenograf Nach seiner Genesung wurde Krätzl von König zum Kirchenrechtsstudium nach Rom geschickt, wo er beim II. Vatikanum (1962–65) als Konzilsstenograf Zeuge der Beratungen war. „Für mich war das Konzil das prägende Ereignis meines Priesterlebens. Ich war so beeindruckt von dem, was sich damals in der Kirche bewegt hat, dass ich mich heute verpflichtet fühle, es anderen weiterzugeben“, resümierte Krätzl seine Erfahrungen im FURCHE-Interview 2002. Zurück in Österreich wurde er Pfarrer in Laa an der Thaya und 1969/70 bei der Wiener Diözesansynode, welche das Konzil in die Ortskirche implementieren sollte, ein geachteter Moderator, der zwischen den Reformern und den Konservativen – die Polarisierungen damals glichen den heutigen mitunter aufs Haar – glaubhaft vermitteln konnte. Kardinal König hatte Krätzl zum Ordinariatskanzler gemacht, auf seinen Vorschlag hin ernannte ihn Papst Paul VI. 1977 zum Wiener Weihbischof, ab 1981 fungierte er in Wien als Generalvikar. Nach dem Rücktritt Kardinal Nachruf auf einen Freund Königs 1985 wählte das Wiener Domkapitel Krätzl zum Diözesanadministrator. Weithin wurde angenommen, der weltoffene und intellektuell wie seelsorglich auf der Höhe der Zeit stehende Bischof würde seinem Mentor auf den Wiener Erzbischofsstuhl folgen. Opfer effektiver Denunziation Allerdings war Krätzl in Rom unter anderem wegen seines Eintretens für wiederverheiratete Geschiedene, die offiziell ja vom Sakramentenempfang ausgeschlossen waren, schlecht angeschrieben; und gemeinsam mit stetigen und effektiven Denunziationen aus Österreichs konservativem Kirchenlager wurde 1986 der marienfromme Hans Hermann Groër Erzbischof von Wien. Im Verein mit anderen (erz)konservativen Bischofsernennungen und dem Missbrauchsskandal Groër, der 1995 offenbar wurde, stürzte diese Personalie Österreichs katholische Kirche in ihre bislang größte Krise. Helmut Krätzl musste mitansehen, wie der konziliare Aufbruch von oben hintertrieben wurde. Aber ab 1986 erlebte die kirchliche Welt einen neuen Helmut Krätzl, der nun keine hierarchische Macht mehr hatte, aber wort- und schriftgewaltig umso mehr für eine weltoffene Kirche im Geist des Konzils eintrat. Für viele, die ob der rückwärtsgewandten Spiritualität der Konservativen rund um Groër und insbesondere dem späteren St. Pöltener Bischof Kurt Krenn den Mut „ Ab 1986 war ein neuer Helmut Krätzl zu erleben, der wort- und schriftgewaltig für eine weltoffene Kirche eintrat. “ verloren, blieb Helmut Krätzl eine Stimme der Hoffnung. Und trotz der Desavouierung durch die Institution blieb Krätzl seiner Kirche gegenüber immer loyal. Dass er in seinen letzten zehn Lebensjahren mit Papst Franziskus erleben durfte, wie sich der römische Wind auch drehen kann, hat Helmut Krätzl mit Genugtuung erfüllt: „Papst Franziskus hat mir trotz meines vorgerückten Alters noch einmal neue Freude an der Kirche und am Wirken Gottes geschenkt“, schrieb er 2017 in seinem letzten Buch „Meine Kirche im Licht der Päpste“. Bereits 1998 war Helmut Krätzl mit seinem Erinnerungsbuch „Im Sprung gehemmt. Was mir nach dem Konzil noch alles fehlt“ ein kirchlicher Bestseller gelungen. Foto: kathbild.at / Franz Josef Rupprecht Lesen Sie das Interview mit Helmut Krätzl zu 40 Jahre II. Vatikanum am 17.10.2002 unter „Konzilssohn“ auf furche.at. In klaren Worten und gut lesbarer Sprache listete er darin auf, was das II. Vatikanum an bis dahin undenkbaren Fortschritten gebracht hatte – und was dabei nicht angegangen wurde. Alle heißen Eisen der Kirchenreform – Pflichtzölibat für Priester, Sexualmoral, Empfängnisverhütung, wiederverheiratete Geschiedene, Frauen und Amt, Bischofsernennungen – sind darin angesprochen. Obwohl Krätzl kirchenpolitisch ja längst kaltgestellt war, trug ihm diese liebevoll, aber unverblümt vorgetragene Kritik an der Kirchenentwicklung ein Verfahren bei der Glaubenskongregation ein. „Auf FURCHE-Linie“ Den publizistischen Erfolg ließ sich Krätzl dennoch nicht nehmen; er entdeckte seine späte Berufung zum kritischen Geist für seine Kirche. Dazu kommt, dass er – nicht in der ersten Reihe, aber dafür umso wirkungsvoller – den katholischen Weg auch auf schwierigem Terrain bereitete: in der Ökumene mit den christlichen Kirchen, in der (religiösen) Bildung, in der Auseinandersetzung mit Bibel und mit Theologie. Krätzls Spuren in diesen Bereichen sind ebenso unübersehbar wie seine Liebe zur Kirche – trotz allem. Das lässt sich an Titeln seiner Bücher ablesen: „Neue Freude an der Kirche“ (2001), „Eine Kirche, die Zukunft hat“ (2007), „Mein Leben für eine Kirche, die den Menschen dient“ (2011). DIE FURCHE verbindet mit Helmut Krätzl eine jahrzehntelange Freundschaft. Ostern 1978 findet sich auf der Titelseite unter „Wie oft muß Jesus noch gekreuzigt werden?“ der erste längere Beitrag aus der Feder des Bischofs. Zwischen 1988 und 1996 schrieb Krätzl vierzehntägliche Kolumnen. Während zeitgleich Kurt Krenn, der konservative Hardliner unter Österreichs Bischöfen, sich per Pseudonym „Christianus“ in der Kronen Zeitung als Kolumnist umtat, betätigte sich Helmut Krätzl in der FURCHE als zeitgenössischer Interpret kirchlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen. 2005 kehrte er für eine Konzilsserie als Kolumnenschreiber zur FURCHE zurück. „Auf FURCHE-Linie“: So war 2005 das Porträt Krätzls für die 60-Jahr-Jubiläums-Ausgabe dieser Zeitung übertitelt. Besser kann das Verhältnis des wachen Kirchengeistes zu dieser Zeitung nicht beschrieben werden. Mit Helmut Krätzl hat DIE FUR- CHE einen alten Freund verloren. Dankbar erinnern wir uns an ihn.

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