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DIE FURCHE 04.05.2023

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DIE FURCHE · 18 24 Musik 4. Mai 2023 Das MusikTheater an der Wien prunkte mit der österreichischen Erstaufführung von Mieczysław Weinbergs „Der Idiot“. Eine grandiose Produktion. Ein Höhenflug, wie er selten gelingt Von Walter Dobner Mit der szenischen Uraufführung der Oper „Die Passagierin“ bei den Bregenzer Festspielen 2010 hat es begonnen. Plötzlich war der Name des vom damaligen Bregenzer Festspielintendanten David Pountney wiederentdeckten Mieczysław Weinberg (1919‒1996) so in aller Munde, als hätte man ihn und sein umfangreiches wie tiefsinniges Schaffen immer schon gekannt. Man erinnerte sich nun auch, dass der weltberühmte Geiger Gidon Kremer wiederholt Werke dieses nicht nur von Dmitri Schostakowitsch hochgeschätzten Komponisten auf seine Programme gesetzt hatte. Mittlerweile findet sich diese Stationen des Lebens Ein Zug als Metapher für die innere und äußere Reise: Dmitry Cheblykov (Rogoschin), Ekaterina Sannikova (Nastassja), Bernadette Kizik (Adelaida), Dmitry Golovnin (Fürst Myschkin). Weinberg-Renaissance in mehreren exemplarischen Einspielungen dokumentiert. Beträchtliche Lücken gibt es nach wie vor. Und es wird noch einige Zeit dauern, bis sie wenigstens halbwegs geschlossen sind, denn Weinbergs Œuvre ist breit gefächert und umfasst über 150 Opus-Zahlen. Dabei könnten es noch mehr sein, hätten ihn die gesundheitlichen Probleme, mit denen er in den letzten Lebensjahren zu kämpfen hatte und die ihn an das Bett fesselten, nicht in seinem Schaffen gehemmt. „ Regisseur Vasily Barkhatov versteht das zuweilen parallel verlaufende Geschehen meist klar zu erzählen. “ Glück war im Leben des 1919 in Warschau geborenen Komponisten ohnedies nur spärlich gesät. Wäre alles nach Plan verlaufen, hätte dieser Hochbegabte eine glänzende Karriere als Pianist gemacht. Anstatt am renommierten Curtis Institute in Philadelphia die Studien fortzusetzen, zwang ihn der Angriff der Deutschen, aus Polen zu flüchten. Minsk ist seine erste Station. Als Hitler die Sowjetunion angreift, muss er auch von hier weg. Nach einem Intermezzo in Taschkent zieht es ihn nach Moskau. Weinberg kann sich vor allem mit Filmmusik durchschlagen, wird wegen seiner jüdischen Herkunft aber Opfer von Stalins brutalen Repressalien. Die Folgen der Haft werden ihn bis zuletzt begleiten. Foto: Monika Rittershaus Nach Stalins Ableben wird er rehabilitiert. Musiker vom Rang eines Dawid Oistrach, Emil Gilels und Mstislaw Rostropowitsch, aber auch der bedeutende Dirigent Kirill Kondrashin setzen sich für ihn und sein Werk ein. Er erhält den Ehrentitel „Gefeierter Künstler der Russischen Republik“. Dennoch bleibt er bis zum Schluss als bürgerlicher Künstler polnisch-jüdischer Provenienz gebrandmarkt. Er wehrt sich nicht dagegen, tut nichts, um das über ihn kolportierte falsche Bild zurechtzurücken, bleibt stets bescheiden im Hintergrund. Perfekt in jeder Hinsicht Der Nachwelt ist es vorbehalten, Mieczysław Weinberg neu und wiederzuentdecken ‒ wie zuletzt am MusikTheater an der Wien. 1989 vollendete er seine letzte Oper: „Der Idiot“. 1991, fünf Jahre vor dem Tod des Komponisten, erklang sie erstmals in einer Kammerversion an der Moskauer Kammeroper. 2013 wurde dieser Vierakter nach Dostojewskis gleichnamigem Roman am Opernhaus in Mannheim vollständig uraufgeführt; unter Thomas Sanderling, der den Komponisten noch persönlich kennenlernen durfte und dem Weinbergs Witwe den Klavierauszug dieser Oper schenkte. Der demnächst 78-jährige Dirigent stand auch am Pult der österreichischen Erstaufführung dieser tief berührenden Parabel über Untergang und Scheitern, lotete an der Spitze des brillant aufspielenden ORF Radio-Symphonieorchester Wien die expressive Kraft von Weinbergs vielschichtig leuchtender, expressiv-dramatischer Partitur mit nie erlahmender Intensität aus; begleitet von einer Inszenierung, wie sie in den Requisiten nicht sparsamer, in ihrer Diktion nicht treffender sein könnte. Regisseur Vasily Barkhatov versteht das zuweilen parallel verlaufende Geschehen meist klar zu erzählen. Meisterhaft dechiffriert er die verworrenen Seelenlandschaften der einzelnen Figuren. Grandios das Bühnenbild von Christian Schmidt: im Wesentlichen ein sich wiederholt drehender Eisenbahnwagon mit Einblicken in seinen Innenraum – eine prägnante Metapher für das in diesem Sujet wiederholt angesprochene Motiv des Reisens, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn. Dmitry Golovnin (Fürst Myschkin), Ekaterina Sannikova (Nastassja), Ieva Prudnikovaitė (Aglaja) und Dmitry Cheblykov (Rogoschin) führten das gesanglich wie spielerisch perfekte, selbstredend in Russisch singende, mit prächtigen Stimmen ausgestattete exzellente Ensemble an. Der Idiot MusikTheater an der Wien MQ, 5., 7.5. Kreativität auf Knopfdruck Im neuen FURCHE-Feature teilen Künstlerinnen und Künstler sowie erfahrene Coaches ihre Tipps und Tricks zum Thema Kreativität. Außerdem lassen wir uns von inspirierenden Menschen beflügeln und fragen: Wie kreativ müssen Politiker(innen) sein? DER CHANCEN PODCAST furche.at/chancen

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