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DIE FURCHE 04.05.2023

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DIE FURCHE · 18 22 Wissen 4. Mai 2023 Bitte zu Tisch! Das erste Fleischlaibchen vom ausgestorbenen Mammut wurde im Amsterdamer Wissenschaftsmuseum NEMO vorgestellt. Das Produkt stammt aus einem Experiment der australischen Kunstfleischfirma VOW. Das Mammut-Erbgut wurde aus tauendem Permafrost gewonnen und mit DNA-Fragmenten des afrikanischen Elefanten ergänzt, des engsten lebenden Verwandten des Mammuts. Von Tobias Müller Es war nicht weniger als eine Weltneuheit, die da unlängst im Amsterdamer Wissenschaftsmuseum NEMO präsentiert wurde: der „Mammoth Meat Ball“, also ein Fleischbällchen vom Mammut, das immerhin seit rund 4000 Jahren ausgestorben ist. Glänzend in unterschiedlichen Brauntönen, drapiert auf einer Steinplatte, lag sie da auf einem weißen Tischtuch – vom Format an einen Basketball erinnernd, Besteck daneben. Ganz so, als könne man jeden Moment hineinbeißen. „Ein provokantes neues Ernährungskonzept“, hieß es in der Ankündigung des In-vitro-Fleisch-Unternehmens VOW aus Sydney, das das Museum in Amsterdam ersucht hatte, seine Erfindung dort vorzustellen. VOW-Wissenschaftsdirektor James Ryall erklärt das Grundprinzip: „Wir ma- DIE FURCHE EMPFIEHLT Die Probleme des „Phono sapiens“ PSYCHOTHERAPIE IM GESPRÄCH „Kaum eine Innovation hat unser Leben so nachhaltig verändert wie das Smartphone“, so Oliver Scheibenbogen, Psychologiedozent an der Sigmund-Freud-Privatuniv. (SFU) Wien und Autor des Buches „Phono sapiens“. Im Vortrag erörtert er die Auswirkungen eines exzessiven Smartphone gebrauchs auf die Psyche und das Sozialleben. Vom Homo Sapiens zum Phono Sapiens Vortrag & Diskussion mit Oliver Scheibenbogen Österreichische Gesellschaft vom Goldenen Kreuze, Kärntner Straße 26, 1010 Wien 10. Mai, 18 Uhr (Anm.: gesellschaft@oeggk.at) Mammutbällchen und T-Rex-Steak: Mittels Gentechnik zaubern Wissenschafter ausgestorbene Tierarten auf den Teller. Ist das ein Beitrag zum Fleischkonsum der Zukunft? Speisen wie die Feuersteins Früchte der Schallforschung FESTVERANSTALTUNG Robert Höldrich, Professor für Akustik und Audiotechnik an der Kunstuniversität Graz, ist Festredner bei der Feier „50 Jahre Schallforschung an der ÖAW“. Im Vortrag regt er an, das Hören im Kontext einer akustischen Ökologie zu verstehen. Auch DIE FURCHE wird sich im Fokus am 29. Juni den Facetten des Hörens in einer zunehmend visuell geprägten Kultur widmen. Horizonte des Hörens Österreichische Akademie der Wissenschaften Theatersaal, Sonnenfelsgasse 19, 1010 Wien 9. Mai, 17.30 Uhr (Anm. erbeten) chen echtes Fleisch, indem wir echte Tierzellen verwenden – aber getrennt vom Tier selbst, in großen Bioreaktoren.“ Die Wissenschafter injizierten dazu das Protein Myoglobin aus dem Mammut-Erbgut in eine Schaf zelle, wobei sie Lücken mit genetischem Material des nächsten lebenden Verwandten des Mammuts füllten: des afri ka nischen Elefanten. So züchteten sie Schafzellen, die das Mammutprotein Myoglobin produzieren – und zwar über 100- mal mehr als Schafmyoglobin. „ ‚Der Klimawandel ist umkehrbar: Lasst uns unseren Weg aus der Auslöschung herausessen!‘, heißt es im Promotionsfilm der Laborfleischfirma VOW. “ Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die wachsende Menschheit ernährt werden kann, ohne den Planeten vollends zu zerstören. In 20 Jahren, rechnet Ryall vor, zählt die Erde zehn Milliarden Menschen statt wie heute acht. Wie also bekommt man um 25 Prozent mehr hochwertige tierische Proteine, ohne die herkömmliche Viehwirtschaft weiter zu intensivieren? „Zuchtfleisch bietet einen Ausweg“, so Ryall enthusiastisch. Doch wäre es nicht die beste Option, ganz auf Fleisch zu verzichten? „Absolut! Das würde eine ganze Reihe Probleme lösen.“ Aber obwohl etwa Foto: imago / Cover-Images in der EU der Fleischkonsum zurückgeht, sei dies eine theoretische Frage: „Es wird einfach nicht passieren. Stattdessen brauchen wir andere, bessere Produkte, die Menschen dazu bringen, ihre Essgewohnheiten zu ändern.“ Unwillkürlich fällt einem der VOW-Promotionsfilm ein, in dem es heißt: „Der Klimawandel ist umkehrbar, wenn die ganze Menschheit zusammenarbeitet. Lasst uns unseren Weg aus der Auslöschung herausessen!“ Die Rhetorik zeigt: An diesem Projekt sind nicht nur brillante Wissenschafter beteiligt, sondern auch PR-Profis. Einer davon, der Niederländer Bas Korsten, Kreativdirektor beim Agenturnetzwerk Wunderman Thompson, hatte vor drei Jahren die Idee für das Mammutfleischlaibchen. „Es geht hier um die Definition von Kreativität: zwei Dinge zu kombinieren, die an sich nicht verbunden sind, nämlich Zuchtfleisch und genetic rescue.“ Letzteres bezeichnet die genetische Einflussnahme auf eine bedrohte Population, um sie vor dem Aussterben zu retten. Jagdromantik oder „Frankenstein-Fleisch“ Es hätten auch Dodo-Nuggets oder ein T-Rex-Steak sein können, so Korsten, doch vom Mammut sei mehr genetische Information vorhanden. Ziel sei eine Diskussion über Klimawandel, Nachhaltigkeit und In-vitro-Fleisch. Wie dieses schmecken würde, wie nahrhaft es wäre, weiß er nicht. Vor einer Zulassung bräuchte es zahlreiche Tests, nicht zuletzt wegen des unbekannten Allergierisikos. Dass es in absehbarer Zeit Mammutfleisch im Supermarkt zu kaufen gibt, hält Korsten denn auch nicht für realistisch. Ohnehin ist Zuchtfleisch bislang nur in Singapur erhältlich, die USA und Australien wollen bald nachziehen. Die Debatte anstoßen und in mehr Ländern Regulierung und Marktzugang erreichen, darum geht es den Kreativen von Wunderman Thompson. Wie sieht man diese Entwicklung bei der NGO ProVeg, die in 40 Ländern aktiv ist und den globalen Tierkonsum bis 2040 halbieren will? Pablo Moleman, Mitbegründer des niederländischen Zweigs, hat „gemischte Gefühle“ beim Mammutfleischbällchen. „Das stellt Zuchtfleisch als eine Art Jahrmarktattraktion dar. Manche, die auf Natürlichkeit Wert legen oder Angst vor technologischem Fortschritt haben, stößt das ab. Es ist gerade wichtig, dass Leute wissen, dass dies kein ‚Frankenstein-Fleisch‘ ist. Andererseits spricht die Idee von Urzeit, Jagen und Mammut vielleicht gerade Männer an, die Fleisch als Teil ihrer Identität sehen.“ Dass Männer auf dem Weg zu nachhaltiger Nahrungsproduktion die größere Hürde sind, steht für Moleman außer Frage: „Frauen sind aufgeschlossener für pflanzliche Alternativen zu Fleisch.“ Solche, etwa Hülsenfrüchte, sind laut ProVeg noch immer die perfekte Lösung; doch nicht alle Bevölkerungsgruppen würden davon auch angesprochen. „Angesichts der Dringlichkeit gibt es nicht nur die eine Lösung. Da hat In-vitro-Fleisch viel Potenzial.“ Wie groß dieses ist, beschränkt sich zurzeit noch auf „theoretische Annahmen“, so eine Studie des deutschen Bundesumweltamtes. Demnach ist In-vitro-Fleisch herkömmlichem Fleisch beim Wasser- und Landverbrauch überlegen, schneidet in puncto Energieverbrauch aber schlechter ab. Laut Pablo Moleman macht indes die zunehmende Verfügbarkeit alternativer Energiequellen Zuchtfleisch attraktiver. Sein Fazit: „Pflanzliche Ernährung ist noch immer nachhaltiger, aber der entsprechende Unterschied zwischen Zuchtfleisch und herkömmlichem Fleisch ist riesig.“

DIE FURCHE · 18 4. Mai 2023 Wissen 23 Kulturgut und Zellgift: Die Forschung zeigt, dass Alkohol eine der gefährlichsten Drogen ist. Eine „Dialogwoche“ will heuer wieder rund um die zentrale Frage aufklären: Wie viel ist zu viel? Punktgenau verzichten Selbstcheck Die Website der „Dialogwoche Alkohol“ (siehe Artikel unten) bietet u. a. einen Selbstcheck zur Einschätzung des eigenen Trinkverhaltens. Wer seinen Alkoholkonsum reduzieren will, kann sich über das anonyme Onlineprogramm alkcoach.at Unterstützung holen. Illu: Rainer Messerklinger Foto: iStock/LightFieldStudios Von Manuela Tomic Altes Geld MOZAIK Von Martin Tauss Nein-Sagen ist oft schwer: Das gilt auch, wenn einem in geselliger Runde ein gutes Gläschen angeboten wird. Läuft doch ein Nein auf Verweigerung und Abgrenzung hinaus. Das Problem dabei: Weder will man andere vor den Kopf stoßen noch selbst als Spielverderber dastehen. „In unserer Kultur wird das Nein meist zur Gratwanderung: Wer abstinent bleibt, muss sich oft rechtfertigen“, sagt Lisa Brunner, Leiterin der Wiener Fachstelle für Suchtprävention und Obfrau der bundesweiten ARGE Suchtvorbeugung. Alkoholkonsum werde als soziale Norm angesehen, von der man nicht abweichen möchte, um keine negativen sozialen oder emotionalen Konsequenzen zu erfahren. „Umgekehrt kommt man immer wieder selbst in die Situation des Gastgebers. Dann sollte man auch attraktive Alternativen zum Alkohol anbieten.“ Genuss und Risiko „Eigentlich geht es niemanden etwas an, warum Sie keinen Alkohol trinken möchten“, heißt es auf der Website der „Dialogwoche Alkohol“, wo auch gleich Tipps zur Konsumverweigerung mitgeliefert werden. „Reden Sie Klartext! Sie brauchen sich nicht entschuldigen oder rechtfertigen. Es gibt immer einen Grund, keinen Alkohol zu trinken – Ihre Gesundheit zum Beispiel.“ Sich in Ablehnung zu üben, ist ein Schritt in Richtung selbstbestimmtes Leben, das man schon Kindern nahebringen sollte: „Je besser Ihr Kind darauf vorbereitet ist, desto leichter kann es entscheiden: Mit wem will ich überhaupt meine Freizeit verbringen?“ Abstinenz zu unterstützen, ist eines der Ziele der „Dialogwoche“, die nächste Woche mit Veranstaltungen in ganz Österreich ein verantwortungsvolles Trinkverhalten fördern soll – „eine wichtige Maßnahme gegen die gesellschaftliche Normalisierung von Alkoholkonsum und den damit einhergehenden Gesundheits risiken“, wie Minister Johannes Rauch (Grüne) betont. Alkohol ist ein soziales Schmiermittel mit vielfältigen Wirkungen – aktivierend und euphorisierend, aber auch beruhigend, enthemmend, angstlösend und schmerzlindernd. Biologisch handelt es sich um ein Suchtmittel und Zellgift. Mehr als 200 Krankheiten werden durch diese Substanz mitverursacht. Zudem zählt sie weltweit zu den fünf wichtigsten Risikofaktoren für vorzeitige Todesfälle und Beeinträchtigungen. Brauchen wir heute, angesichts neuer Erkenntnisse über die schädlichen Effekte, eine andere Alkoholkultur? „ ‚Wir lassen junge Menschen meist allein damit, ihre Erfahrungen mit einer Substanz zu machen, vor der man schon Respekt haben sollte.‘ “ Lisa Brunner, Obfrau ARGE Suchtvorbeugung „Es fehlt eine Einführung der Jugendlichen in diese Kultur“, bemerkt Lisa Brunner. „Wir lassen junge Menschen meist allein damit, ihre Erfahrungen mit einer Substanz zu machen, vor der man schon Respekt haben sollte. Die ersten Rauscherfahrungen werden kaum reflektiert: Was kommt auf einen zu, wenn man zu trinken beginnt? Das beginnt bei guten Ratschlägen wie ‚Bitte trinkt langsam!‘ oder ‚Passt aufeinander auf, ihr fahrt zum ersten Mal auf ein Musikfestival!‘. Vor allem die Eltern und der Freundeskreis sind da gefordert.“ Ein selbstbestimmter Umgang mit Alkohol würde bedeuten, das Suchtrisiko zu minimieren und sich an einer freudvollen Genusskultur zu orientieren. Diese dreht sich um eine zentrale Frage: Wie viel ist zu viel? Die aktuelle Definition für „risikoarmen Konsum“ besagt, dass Frauen nicht mehr als 0,4 Liter (ca. ein kleines) Bier oder 0,2 Liter (ca. ein Viertel) Wein zu sich nehmen sollten; bei Männern sind es 0,6 Liter (ca. ein großes) Bier und 0,3 Liter (ca. ein Viertel) Wein. Der Unterschied rührt daher, dass Frauen im Schnitt weniger Körperwasser haben, wodurch die Alkoholkonzentration bei gleicher Menge höher ist. Außerdem sollte man auf mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche achten. „Fast jeder kennt jemanden im sozialen Umfeld, der einen nicht gesunden Umgang mit Alkohol pflegt. Hier braucht es eine Gesprächskultur“, fordert die Präventionsexpertin. „Leider gilt Alkoholkonsum oft als rein individuelle Angelegenheit – ein bisschen wie ein Scheidungsdeal, den man nicht kommentieren darf. Hinter dem Tabu entsteht aber viel Leiden. Man sollte jedenfalls signalisieren, dass das Problem wahrgenommen wird.“ Initiativen wie die „Dialogwoche“ sollen dazu beitragen, dass man alle Aspekte des Alkoholkonsums ansprechen darf – auch die positiven. Es gehe nicht darum, das Trinken zu verteufeln, sondern dessen Verhaltensmuster bewusst zu machen. „Also um Fragen wie ‚Warum trinke ich überhaupt?‘ oder ‚Kann ich die Sache gut steuern?‘. Jeder Substanzkonsum erfüllt schließlich einen subjektiven Zweck“, so die Fachstellenleiterin. Neue Handlungsoptionen Problematisch wird es, wenn der Alkohol zur einzigen Strategie wird, um sich zu belohnen oder Sorgen vorübergehend zu beseitigen. Wer seine Probleme mit Alkohol „lösen“ will, ist stark gefährdet, in eine Sucht abzugleiten. Dann wäre es wichtig, neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. In manchen Situationen und Lebenslagen sollte freilich ganz auf Alkohol verzichtet werden – die Wissenschaft spricht von „Punktnüchternheit“. Dazu zählen der Straßenverkehr, der Arbeitsplatz oder eine Schwangerschaft. „Nicht umsonst hat der Alkohol einen so hohen kulturellen Stellenwert“, sagt Lisa Brunner. „Es gibt viel Potenzial, ihn zu genießen.“ Doch es braucht noch viel gesellschaftliche Arbeit, einen kultivierten Konsum einzugewöhnen. Österreichische Dialogwoche Alkohol 8. bis 14. Mai 2023; Präsenz- und Online-Events unter www.dialogwoche-alkohol.at Feierabends setzte sich Großvater Ivo an seinen Küchentisch und schlichtete jugoslawische Dinar. Erschöpft von der Arbeit im Gasthaus blickte er in die Gesichter auf den bunten Scheinen. Die sozialistischen Bäuerinnen und Arbeiter blickten müde zurück und lächelten puppenhaft. Großvater holte einen Schraubenzieher und ein großes altes Radio. Er zerlegte das Gerät, um dicke Geldbündel darin zu verstauen. Doch in den 80er Jahren passten die Scheine nicht mehr hinein. Die Inflation machte sie wertlos. Nun schlichtete Großvater jeden Abend 5000er-Noten mit dem Porträt von Josip Broz Tito und packte sie in Plastiksäcke. Einmal legte Oma die Dinar mit Tito aus Versehen ins Klo. Sie hatte sie mit den Bündeln aus Toilettenpapier verwechselt. Vielleicht ahnte Oma schon, dass alles bald ein Ende haben würde. Mit der Zeit kamen immer öfter Gastarbeiter, die im Ausland Geld verdienten, in Opas Wirtshaus. Sie brachten ihm D-Mark und kauften ihm die Dinar ab. Die Komponistin Clara Schumann auf dem 100-Mark-Schein löste Tito ab. Nach unserer Ankunft kauften wir mit Schumann Schillinge. So bekam ich meinen ersten 20-Schilling-Schein in die Hand. Ein Mann mit wilden Locken starrte mich an. Ein Arbeiter? Ein Bauer? Jedenfalls bemühte er sich nicht einmal zu lächeln. Ich steckte den Schein in meine Sumsi-Büchse, zu den D-Mark, den kroatischen Kuna, entwerteten Dinar und österreichischen Groschen. Ich schüttelte die Büchse. Sie raschelte. Tito, Schumann und Daffinger summen aus Großvaters Radio. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Möchten Sie mozaik abonnieren und das neueste Stück digital lesen? furche.at/newsletter

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