DIE FURCHE · 18 14 Diskurs 4. Mai 2023 ERKLÄR MIR DEINE WELT Bilde ich mir die Barrieren in der Hochkultur ein? Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. „ Warum lacht man im Wiener Konzerthaus über eine angedeutete Vergewaltigung? Zerstört die Wokeness die Hochkultur – und wird sie deshalb angefeindet? “ Schön, dass Sie wütend sind. Das wäre ich auch gerne, aber ich erlaube es mir nicht. Das zu ändern, gehört zu meinen Jahresvorsätzen. Ebenso, mir Zeit für Kultur sowie Freundinnen und Freunde zu nehmen. Deshalb habe ich mich sehr über die Einladung einer Freundin ins Wiener Konzerthaus gefreut. Ich warf mir meinen blauen Blazer über und schlüpfte in meine frisch geputzten Schuhe. Im Eingangsbereich empfingen mich schick gekleidete Menschen mit Weingläsern. Ihr aufgeregtes Getratsche wurde von Blasmusik untermalt. Und genau jetzt oute ich mich. Denn um ehrlich zu sein, konnte ich dem Klang nach nicht zuordnen, um welche Instrumente es sich handelte. Sollte ich besser nicht davon erzählen? Ich arbeite doch für einen Kultursender. Doch, ich bin heute mutig und traue mich, darüber zu sprechen, denn ich weiß, ich bin gut, so wie ich bin, auch wenn ich manche Dinge nicht in die Wiege gelegt bekommen habe. So sehr ich den Abend in Gesellschaft sowie die fünf Stunden Smartphone-Detox genossen habe, so brodelte in mir doch ein Gefühl, das mich seit meiner Ankunft in Wien vor über zehn Jahren verfolgt. Das Gefühl, hier nicht dazuzugehören. Kulturelle Codes erkennen, um nicht aufzufallen Und mit „hier“ meine ich die Gesellschaft der Kulturbourgeoisie. Diese Menschen umgibt eine Aura, die ihnen automatisch eine Existenzberechtigung gibt. Eine Aura, die ich lange Zeit an mir vermisste. Auch an diesem Abend versuchte ich, die kulturellen Codes zu erkennen, um nicht aufzufallen. Sobald aber in den Sälen die Lichter gedimmt wurden und die Streicher(innen) zu spielen begannen, entspannte ich. Zumindest bis zur Nachbesprechung in der nächsten Pause. Dazu fehlten mir die Vokabel. Vielleicht war es Wut, durch die ich am Höhepunkt des Abends meine Stimme wiederfand. Im Großen Saal lasen drei Schauspieler(innen) einen Text von Schnitzler vor. Darin missbraucht ein junger Mann ein Stubenmädchen. Das Publikum lacht. Mir fällt die Kinnlade runter. Ich blicke zu meiner Freundin, wir starren uns ein paar Sekunden ungläubig an. Selbst der Gedanke an diese Situation widert mich an. Warum entscheidet man sich nach #MeToo, nach den Aufdeckungen der sexuellen Übergriffe an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien für diesen Text? Inszeniert ihn als Höhepunkt des Abends? Und warum um Gottes Willen lacht man über eine angedeutete Vergewaltigung? Nicht nur das Stubenmädchen, welches Geschlechter- und Klassendiskriminierung versinnbildlicht, amüsierte viele Gäste, auch rassistische Vergleiche sorgten für Belustigung. Ja, mir ist klar, der Text illustriert die Gesellschaft um 1900. Dennoch frage ich mich: Warum ist das lustig? Und warum nutzt man nicht die Gelegenheit, einen gesellschaftskritischen Text einer Schriftstellerin der Wiener Moderne zu präsentieren? Zum Beispiel „Die Krone der Schöpfung“ von Rosa Mayreder oder etwas von Berta Zuckerkandl? Sehen Sie, schon eine kurze Recherche im Internet bringt neue Ideen. Lieber Herr Gaisbauer, Sie haben mir erzählt, dass Sie Ihren Enkelinnen die Liebe zur Kunst und Kultur vermittelten. Bilde ich mir die Barrieren ein? Haben Sie einen Vorschlag, wie ich damit umgehen kann? Zerstört die Wokeness die Hochkultur – und wird sie deshalb angefeindet? Nicht nur jetzt, schon 1995 wurde vor dem Zusammenbruch des Pflegesystems gewarnt. Eine Reminiszenz. Wer pflegt uns, wenn wir alt sind? Von Heiner Boberski In FURCHE Nr. 26 29. Juni 1995 Der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) warnte zuletzt wegen Personalmangels vor einem Pflegekollaps. Zwar wird der Zugang von Personal aus Drittstaaten zur Rot-Weiß-Rot-Card erleichtert, doch laut Hilfswerk sei Österreich wegen komplizierter Behördenwege – v. a. bei der Nostrifizierung von Ausbildungen – wenig attraktiv. Ähnliches hat FURCHE-Chefredakteur Heiner Boberski bereits 1995 bemängelt. Pflegekräfte sind rar geworden, und nun melden private Pflegeeinrichtungen, insbesondere die Caritas, daß bald Pflegebetten leer bleiben müssen. Grund: Personalmangel. Halbwegs qualifiziertes inländisches Personal ist kaum zu bekommen, ausländische Arbeitskräfte, auch solche mit entsprechender Ausbildung, erhalten meist keine Arbeitsbewilligung. Caritas-Präsident Helmut Schüller übt an dieser Haltung der Arbeitsämter heftige Kritik: „Hier wird Politik auf dem Buckel der Aufbaugeneration gemacht. Das sind genau die Leute, die wir in den Portisch-Filmen sehen dürfen, die damals Österreich aufgebaut haben – die liegen jetzt in den Pflegebetten.“ Und diese Menschen erhalten nun unter Umständen gar kein Pflegebett oder werden zwangsläufig schlechter als bisher betreut, weil das Personal, wenn überhaupt, nur mit Überstunden-Streß den Vollbetrieb aufrechterhalten kann. Christine Gruber, in der Caritas im Raum Wien mit der Bereichsleitung für stationäre Altenbetreuung betraut, hat Erfahrungen mit elf Häusern [...], in denen etwa 500 Mitarbeiter für über 1000 Bewohner [...] da sind. [...] Im Pflegebereich habe die Wiener Caritas derzeit 16 unbesetzte Dienstposten zu verzeichnen, sagt Gruber: „Momentan laufen sechs Anträge um Arbeitsbewilligung für Ausländer, davon wurden vier abgelehnt, und wir haben dagegen berufen.“ Als Begründung für die Ablehnungen werde angegeben, die Quote sei erschöpft oder die Qualifikation der Leute reiche nicht aus. Es kommt auch vor, daß Arbeitskräfte, unlängst eine philippinische Pflegehelferin, in Wien abgelehnt werden, obwohl in einem anderen Bundesland schon eine Arbeitsbewilligung vorlag. Im Teufelskreis gefangen Nur genau definierte Mangelberufe [...] werden nicht in die Neun-Prozent-Quote für ausländische Arbeitskräfte einbezogen, der „Pflegehelfer“ wird nicht anerkannt. Und obwohl etliche ausländische Flüchtlinge, die eigens eingeführte und ab 1. Jänner 1996 obligate „Pflegehelfer“-Ausbildung [...] mit Erfolg absolviert haben, erhalten sie keine Arbeitserlaubnis. Diplomierte Krankenpfleger geraten mitunter in einen Teufelskreis: Die Arbeitsbewilligung hängt vom „Nostrifizieren“ ihres Diploms ab, die Nostrifikation aber davon, daß der oder die Betreffende schon einen Arbeitsplatz hat. [...] Auch die Caritas wird [...] Stationen schließen müssen, wenn ihre nächsten zehn Anträge nicht genehmigt werden. Foto: Gürer Aufgrund der demographischen Entwicklung [...] ist abzusehen, daß sich das Problem von Jahr zu Jahr verschärfen wird. [...] Für Caritas-Chef Helmut Schüller eine sehr bedenkliche Entwicklung: „Hier bahnt sich etwas an, was ich vor Jahren schon vorausgesagt habe: Langsam bilden sich jene Gruppen heraus, auf deren Buckel man leichter Politik machen kann, zunächst eine ganze Reihe von Ausländern, jetzt die pflegebedürftigen alten Leute.“ 3800 AUSGABEN DIGITALISIERT VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) 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DIE FURCHE · 18 4. Mai 2023 Diskurs 15 Diesen Freitag findet die standardisierte Reifeprüfung im Fach Deutsch statt. Wie das darin verwirklichte didaktische Beckmessertum jede Kreativität torpediert. Ein Gastkommentar. Sixtus Beckmessers Deutschmatura Sowohl in der Wiener Staatsoper als auch im Linzer Musiktheater steht derzeit Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Programm. Ein Besuch ist nicht nur Opernfreund(inn)en zu empfehlen, sondern auch dem Freundeskreis „kompetenzorientierter Didaktik“. Am Beispiel des Meistersingers Sixtus Beckmesser können sie sehen und hören, wie es um die Kunst stünde, würden Pedanten wie Beckmesser die Richtung vorgeben. Wagners Oper ist eine treffende Satire auf jene unangenehme Sektion der Kunstkritik, die sich im Besitz eines verbindlichen Regelsystems für die „Herstellung“ von Musik und Literatur wähnt. Ein wirklich gutes Lied hat zwar auch „handwerkliche“ Implikationen, es ist aber mehr als ein Werkstück. Harmonielehre, Metrik, Metaphorik – das alles kann man lernen; dichten und komponieren nur zum Teil. Schön und gut, wird man nun einwenden, aber was hat das mit „kompetenzorientierter Didaktik“ im Allgemeinen und mit der standardisierten Reifeprüfung aus Deutsch im Speziellen zu tun? Leider ziemlich viel – zumindest dann, wenn man auch einen Schüleraufsatz als sprachlich-kreative Hervorbringung achtet. Allein die Richtlinien, nach denen die Aufgaben für die Reifeprüfung erstellt werden müssen, sind Beckmesserei, ein pedantischer Regelkanon, der die Sache einerseits unnötig verkompliziert, andererseits ein Korsett schnürt, das Schreibprozesse so sehr reglementiert, dass intellektuelle Dürftigkeit und formale Uniformität die Folge sind. Verkrampfte Formulierungen So sieht sie nämlich aus, die Bastelanleitung, nach der die Schreibaufgaben für die Reifeprüfung aus Deutsch (und daher auch für Schularbeiten in der Sekundarstufe II) zusammengeleimt werden müssen: Erstens wähle man aus einem Kanon von sieben Textsorten eine aus. Damit bewegen wir uns noch im akzeptablen Bereich. Die Meinungsrede, der Kommentar, die Textinterpretation etc. sind geeignete Textsorten. Zweitens suche man einen Text, der sich als Ausgangsmaterial für die Schreibaufgabe eignet. Auch das ist sinnvoll. Foto: W. Fischerlehner Bis hierher wäre die Sache auf einem guten Weg, aber plötzlich trampelt Sixtus Beckmesser auf die Bühne und sagt: Drittens formuliere man exakt drei Einzelanweisungen für den Schreibprozess und bediene sich dabei eines Kanons von Operatoren (das sind Verben, die Handlungsanweisungen geben, zum Beispiel fasse zusammen, erläutere, stelle dar). Die kanonisierten Operatoren sind drei Kategorien zugeordnet (Reproduktion, Reorganisation und Reflexion). Alle drei Kategorien müssen in der Aufgabenstellung berücksichtigt werden, und jede der drei Teilanweisungen darf nur einen Operator enthalten. Verboten ist es, schlichte DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Christian Schacherreiter „ Qualität braucht Originalität. Standardisierte Werkstücke können wir neidlos der Künstlichen Intelligenz überlassen. “ Fragen zum Text zu stellen, auch wenn das zielführend wäre. – Alles klar? Die Folgen solch einer Bastelanleitung sind verkrampfte Formulierungen und inhaltliche Reduktionen. Die geistige Eigenleistung wird ebenso beschnitten wie ihr gestalterischer Freiraum. Das Ergebnis sind biedere, einander ähnliche Texte. Damit aber noch nicht genug der Vorgaben! Die Schreibaufgabe soll auch in eine lebensnahe Schreibsituation eingebettet werden. Das mag bei Meinungsrede oder Kommentar bisweilen passend sein. Als generelle Verpflichtung taugt es aber nicht. Es soll Maturant(inn)en er- laubt sein, über diese Welt schreibend nachzudenken, ohne sich einem kommunikativen Verwertungszusammenhang zu unterwerfen. Und wenn wir schon von „Lebensnähe“ reden: Niemand geht im wirklichen Leben so vor, wie die Kandidat(inn)en bei einer schriftlichen Reifeprüfung vorgehen müssen. Weder Journalistin noch Essayistin noch politischer Redenschreiber formulieren, bevor sie ans Werk gehen, unter Verwendung eines Operatorenkanons für sich selbst drei Schreibaufgaben, die sie dann Schritt für Schritt folgsam abarbeiten. Wiedergeburt der Regelpoetik Diese einerseits aufgeblasene, andererseits kümmerliche Schreibdidaktik ist die Wiedergeburt der Regelpoetik in zeitgeistigem Kleid. Dahinter steht jenes philisterhafte Verständnis von Schreiben, gegen das schon Lessing und der junge Goethe polemisiert haben. Auch Kleists Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ ist in diesem Zusammenhang ein heißer Lektüretipp. Das didaktische Beckmessertum, das sich in der standardisierten Deutschmatura selbstverwirklicht, zeigt seine Wirkungen auch im Beurteilungsraster für die Korrektur. Jede Maturaarbeit muss nach ungefähr 30 (in Worten: dreißig!) Einzelkriterien beurteilt werden. Meint man wirklich, dass man durch diese Erbsenzählerei zu einem optimalen, „gerechten“ Urteil über Texte kommt? Eine sachdienliche und schülerorientierte Schreibdidaktik soll zwar solide „handwerkliche“ Fertigkeiten vermitteln, nicht zuletzt logisches Argumentieren und normgerechte Grammatik, sie soll aber auch individuelle Freiräume ermöglichen, für Gedankenreichtum und gestalterische Originalität. Gerade in der originellen Abweichung von der Regel kann die besondere Qualität eines Textes bestehen. Für solche Texte wird man auch in Zukunft menschliche Verfasser(innen) brauchen. Standardisierte Werkstücke können wir neidlos der Künstlichen Intelligenz überlassen. Der Autor ist Germanist und Literaturkritiker, er war bis 2016 Direktor des Peuerbach- Gymnasiums in Linz-Urfahr. QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Glanz und Gegenwehr Ich komme gerade aus einem Drogeriemarkt. Der deutsche Gründer der Kette soll ein Tunichtgut sein. In Bezug auf seine Personalpolitik. Aber darum geht jetzt nicht. Noch nicht. Eine Filiale dieses Drogeriemarktes steht jedenfalls auch in meiner bayerischen Heimatstadt. Seit ich denken und mich sehnen kann. Die Parfüm -und Kosmetikabteilung war für mich ein Ort der Offenbarung. Vornehmlich der Verkäuferinnen wegen. Sie hatten in meinen Kinderaugen den Olymp des Lebens erreicht. Ihr formvollendeter Lidstrich, die tadellose Biegung ihrer Wimpern, ihre schimmernden Haare, das Band, das diese zusammenhielt, die makellos manikürten Fingernägel und natürlich ihre Nähe zu allem, was ich begehrte: Tiegelchen mit parfümierter Handcreme, pastellrosa Lipgloss, Miniaturparfümflakons, Glitzernagellack, Kosmetiktäschchen mit Blumenmuster, pompös verpackte Duftsäckchen. Für mich war klar: Wenn ich erwachsen bin, will ich eine von ihnen werden. Fast vierzig Jahre später ist mir immer noch schlecht. Ich habe zwanzig Minuten in diesem Drogeriemarkt zugebracht, weil ich ein Mittel gesucht habe, das die Grasflecken aus den Hosen meines Sohnes wegätzt. Die Geruchskulisse war unerträglich. Ich könnte schwören, dass selbst die Verpackung des Antigrasmittels diese unerträglichen synthetischen Riechstoffe ausdünstet. Mich stimmt das melancholisch. Was ist aus meinem Sehnsuchtsort geworden? Wo sind diese feenhaften Frauen geblieben, die ich stundenlang hätte anschmachten können? Warum ist das Feuer in meinem Herzen erloschen? Und ich schäme mich. Weil ich ob meiner Entzauberung froh bin. Womit wieder dieser Tunichtgut auf den Plan tritt. Dass der Arbeitsplatz seiner Angestellten bis zum Himmel stinkt, scheint ihm einerlei zu sein. Der Gesetzgeber lässt ihn gewähren, hält das für zumutbar. Die Lobby der Feen ist unsichtbar. Ich sehne mich danach, dass wir als Gesellschaft an diesem Punkt achtsamer sind. Deshalb ist das Aufbegehren ein Teil meines Alltages. Ach ja: Ich habe nie behauptet, Glitzernagellack und Gloss abgeschworen zu haben. „Glanz und Gegenwehr“ lautet das Motto. PORTRÄTIERT Schikane, Lieblosigkeit, Privilegien Es gibt zwei Anekdoten aus der Kindheit von Charles Philip Arthur George Mountbatten-Windsor (geb. am 14. November 1948), die einen erahnen lassen, wie es um das Seelenleben des Königs des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland bestellt sein könnte: 1953/54 unternahmen Elisabeth II. und Prinz Philip eine sechs Monate andauernde Weltreise. Der damals sechsjährige Charles stand bei ihrer Rückkehr mit seinem Kindermädchen öffentlichkeitswirksam an der Gangway, um seine Eltern zu empfangen. Als er seine Mutter umarmen wollte, reichte diese ihm nur förmlich die Hand. Dass er damals die Queen als seine Mutter identifizieren konnte, war gleichwohl ein Fortschritt. In seinen ersten Lebensjahren hatte er so wenig Kontakt zu ihr, dass er einmal seine Nanny gefragt haben soll, wer denn diese Frau sei, von der im Buckingham Palace so viel Aufhebens gemacht werde. Ist das Schnee von gestern? Sigmund Freund (dieser hatte Charles Großmutter väterlicherseits, Alice von Battenberg, behandelt) würde das vehement verneinen. Vielmehr würde er darauf hinweisen, dass das Handeln des Monarchen immer im Zusammenhang mit dessen emotionsloser Erziehung gedacht werden müsse. In der Tat waren Schikane und Demütigung eher die Regel als die Ausnahme. Allen voran sein Vater wollte aus dem sensiblen Knaben einen „echten Mann“ machen. Gleichzeitig wuchs Charles mit dem Selbstverständnis auf, privilegiert, wohlhabend, ja der Auserwählte zu sein. Mit 74 Jahren nimmt er nun jene Rolle ein, auf die er sein ganzes Leben lang hingetrimmt worden ist: Am kommenden Samstag wird er zum Oberhaupt des 56 Staaten umfassenden Commonwealth of Nations sowie der anglikanische Staatskirche gekrönt. Länger als er kann man sich auf ein Amt kaum vorbereiten. Einzig die Anforderung, er möge so unpolitisch wie seine Mutter sein, dürfte eine Herausforderung werden. (bqu) Foto: APA / AFP / Adrian Dennis Die Krönung Charles’ III. ist vor allem auch ein Fest des Kommerzes. Wie auf dieser Keksdose sind Bilder von ihm auf Souvenirs aller Art gedruckt.
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