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DIE FURCHE 04.05.2023

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DIE FURCHE · 18 12 Bildung 4. Mai 2023 Fehlende Mehrheit Bei gewichtigen Entscheidungen darf die ÖH mitreden. Ob sie die Mehrheit der Studierenden vertritt, liegt auch daran, wie viele bei der ÖH-Wahl letztlich ihre Stimme abgeben. Von Philipp Axmann Drei Tage lang haben rund 350.000 Studierende in Österreich die Chance, ihre Vertretung in der Hochschülerschaft zu wählen. Schon jetzt ist davon ausgehen, dass nur ein Bruchteil von ihnen ihr Wahlrecht ausüben wird. 2021 gaben bundesweit weniger als 16 Prozent der Studierenden ihre Stimme ab, in den Jahren vor Covid lag die Wahlbeteiligung bei etwa 25 Prozent. Woran liegt das? „Für die allermeisten ist das Studium an der Universität nur eine kurze Phase ihrer Biografie“, sagt Oliver Vitouch, Rektor der Universität Klagenfurt und Vizepräsident der Universitätenkonferenz – und ortet darin einen Grund, warum viele ihre demokratischen Rechte hier weniger hoch hängen als bei anderen Wahlen. Andererseits kann sich der Rektor auch ein positives Motiv vorstellen: Für viele Studierende sei wohl „im Wesentlichen eh alles in Ordnung an der Uni“. Die große Gruppe der Protestwähler fiele somit weg. Dazu kommt eine nicht ganz aussagekräftige Statistik: Vitouch rechnet vor, dass die Wahlbeteiligung um einiges höher wäre, ginge man rein von aktiv Studierenden aus. Diskussion über Allgemeinpolitik Über die Wahlbeteiligung bei ÖH-Wahlen schrieb Heiner Boberski am 30.4.1981 in „Gaudeamos igitur?“, zu lesen auf furche.at. Die Hochschülerschaft wird von 9. bis 11. Mai zur Wahlurne gebeten. Zwischen Servicearbeit und Aktivismus stellt sich die Frage: Wie viel Politik verträgt die Uni? Eine Annäherung. Das wiegt die Stimme der Studierenden Sarah Rossmann studiert an der Uni Graz Deutsch und Englisch im Lehramt – und ist dort die erste ÖH-Vorsitzende. Für ihre Fraktion, die Grünen und Alternativen Studierenden (GRAS), tritt sie dieses Jahr als Bundesspitzenkandidatin an. Die niedrige Wahlbeteiligung führt sie auf zu wenig Sichtbarkeit der ÖH auf dem Campus zurück. Da stimmt auch Stefan Zeiringer zu. „Wir brauchen noch mehr Kulturveranstaltungen und Feiern und müssen unsere soziale Unterstützung besser bekannt machen“, sagt der Student der Betriebswirtschaftslehre und Spitzenkandidat der als ÖVP-nah geltenden Aktionsgemeinschaft (AG) an der Uni Graz. Er vermutet noch einen Faktor für die niedrige Beteiligung: „Zu viel Allgemeinpolitik.“ Gemeint sind Aktivismus und tagespolitische Äußerungen von ÖH-Vertretern. So verloste etwa die Bundesvertretung unlängst Superkleber zum „Klima-Kleben“ auf Instagram. Zeiringers Problem damit ist nicht der Aktivismus an sich, sondern „dass private Interessen mit der Verantwortung in der ÖH vermischt werden“. Beim Thema Klimawandel könne sich die ÖH etwa für klimaneutrale Hochschulen einsetzen. Für Sarah Rossmann gehört dagegen Allgemeinpolitik genauso zur Uni, denn: „Die Studierenden sind ja nicht von der restlichen Gesellschaft abgetrennt.“ Als drittgrößte Körperschaft in Österreich vertrete die ÖH ihre Mitglieder nicht nur in Studienfragen. Parmida Dianat, Ethnologie-Studentin und Listenzweite der kommunistischen Liste KSV-KJÖ an der Uni Graz, geht noch weiter: „Servicearbeit und Allgemeinpolitik kann man nicht trennen, das ist ein Thema und gehört zusammen.“ Stefan Zeiringer will sich auf Ersteres konzentrieren. Als Herzstück der ÖH sieht er die Vertretung und Beratung der Studierenden an der Uni, als einzige Politik der ÖH die Bildungspolitik. Dass die Studierenden sowieso genug Probleme haben, mit denen sich die ÖH befassen kann, weiß er etwa aus seiner Arbeit als Sozialreferent an der Uni Graz. Zu Coronazeiten erlebte er dort eine doppelte Auslastung, weil viele nicht mehr arbeiten konnten. „Ein Großteil der Studierenden lebt ja ohnehin an oder unter der Armutsgrenze“, sagt Zeiringer. Die „sehr alte Debatte“ über die Politik der ÖH beruht laut Oliver Vitouch auf der Auslegung des Hochschülerschaftsgesetzes (HSG), wo es in Paragraf 4 heißt: „Der ÖH obliegt die Vertretung der allgemeinen und studien- Foto: iSrock / Tom Fowlks „ Dass die Unis als politischer Ort für Gesellschafts- und Zukunftsdebatten genutzt werden, ist eine ihrer wesentlichen Aufgaben. Der pathosgeladene Auftrag dazu findet sich in der ‚Schöpfungserzählung der Universität‘. “ bezogenen Interessen ihrer Mitglieder.“ Unter Schwarz-Blau I gab es eine von der FPÖ getriebene Debatte, ob man dieses allgemeinpolitische Mandat nicht einschränken solle, erinnert sich der Rektor. Laut ihm gibt es politische Themen, die die ÖH etwas angehen – weit über studienbezogene Interessen hinaus. Er spricht die Zukunftsängste Studierender von Miete, Energie und Teuerung bis zur Klima katastrophe an. Eine breite Auslegung des ÖH-Vertretungsanspruchs könne er nachvollziehen. Die genannten Themen würden den Kern der Interessen Studierender treffen. Es muss aber nicht gleich der Klimawandel sein: Viele politische Themen liegen zwischen Service und Allgemein politik. Vitouch verweist etwa auf Stipendiensysteme oder studentisches Wohnen: „Es ist ein recht klarer politischer Auftrag an die ÖH, so etwas mitzuverhandeln.“ Verschobene Machtbalance Allerdings hat sich seit dem Universitätsgesetz 2002 (UG02) die Machtbalance an den Unis verschoben, wie Thomas König erklärt. Er erforscht am Institut für Höhere Studien in Wien die Schnittstellen von Wissenschaft und Politik und sagt: „Die Studierenden sind nicht mehr so stark in universitären Gremien vertreten.“ Ab den 1970er Jahren gab es die sogenannte Gruppenuniversität: Professoren, Mittelbau und Studierende hatten jeweils ein Drittel der Stimmen. Seit dem UG02 sitzen die Professoren in den meisten Gremien mit einer einfachen Mehrheit, ähnlich dem angloamerikanischen Modell. Dahinter steckt auch eine gesellschaftspolitische Entwicklung: „Früher wurden die Studierenden mehr als organischer Teil der Universität gesehen, heute werden sie als Kunden verstanden, die Wünsche äußern dürfen“, sagt König – der aber betont, dass das UG02 an der ÖH selbst nichts verändert habe. Zu Zeiten der Drittelparität wurden die wesentlichen Entscheidungen im Ministerium getroffen. Für die Studierenden gab es damals zwar „viel mehr Mitbestimmung, aber viel weniger mitzubestimmen“, gibt Oliver Vitouch zu bedenken. Im Uni-Senat, wie es ihn seit 2002 gibt, entfallen je nach Größe vier von 18 oder sechs von 26 Sitzen auf die ÖH-Vertretung. Dort können Studierende heute bei gewichtigen Entscheidungen wie beispielsweise der Widmung von Professuren oder Neueinrichtungen von Studien mitwirken. Etwas, das laut Vitouch in den Uni-Gesetzen vor 2002 „nicht einmal ansatzweise“ möglich war. Insgesamt sei die ÖH als Vertretung nicht wegzudenken. Der Auffassung, dass Universität und Politik zwei völlig getrennte Gefilde sind, kann man nur sein, „wenn man eine ganz schlechte Meinung von Politik hat“, meint der Vizepräsident der Universitätenkonferenz. Auf die Idee einer völligen Trennung „wäre im antiken Griechenland oder Rom niemand gekommen“, sagt er – und verweist auch auf die USA, wo Präsidentschaftskandidaten bis heute Reden an öffentlichen Universitäten halten. Dass so manche Debatte über drittes Geschlecht oder Gendersternchen von außen als abstrus angesehen wird, kann er „gut nachvollziehen“, aber die Universität sei da vielleicht „einfach ihrer Zeit voraus“. Parteipolitisch vereinnahmt dürften die Diskussionen freilich nicht werden. Dass Universitäten als politischer Ort für Gesellschafts- und Zukunftsdebatten genutzt werden, sei eine ihrer wesentlichen Aufgaben. Der geradezu pathosgeladene Auftrag dazu findet sich in der „Schöpfungserzählung der Universität“ im ersten Paragrafen des UG02: Die Universitäten sind demnach „verantwortlich, zur Lösung der Probleme des Menschen sowie zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beizutragen“.

DIE FURCHE · 18 4. Mai 2023 Gesellschaft 13 In einem ebenso persönlichen wie erhellenden Briefwechsel tauschen sich Christian Lagger und Clemens Sedmak darüber aus, was „Leadership ohne Blabla“ bedeutet. Wie gut führen? Foto: Matt Cashore Notre Dame Foto: Stephan Friesinger Von Doris Helmberger Es gibt schwierige Situationen. Und es gibt scheinbar aussichtslose. Jene, die Ernest Shackleton zu meistern hatte, gehört eher in die zweite Kategorie. Der britische Polarforscher war 1914 zur „Imperial Trans-Antarctic“-Expedition aufgebrochen. Akribisch hatte er sich vorbereitet und penibel seine Crew ausgewählt. Doch leider setzte sich das Expeditionsschiff, die „Endurance“, am 18. Jänner 1915 im Packeis des Weddellmeers fest, des größten der rund 14 Randmeere des Südlichen Ozeans am antarktischen Kontinent. Shack le ton befahl, das Schiff als Winterstation vorzubereiten, und hoffte auf den Frühling. Allerdings drückte das Eis so sehr auf das Schiff, dass Wasser einzudringen begann. Also gab man das Schiff auf, das schließlich am 21. November versank. Monatelang hielt sich die Crew danach auf einer Eisscholle. Als diese zerbrach, befahl Shackleton seiner Mannschaft, sich in drei Rettungsboote zu retten. Man landete schließlich auf der Elefanteninsel in der Antarktis – nach knapp 500 Tagen endlich wieder fester Boden unter den Füßen. Doch weil die Insel keinen Lebensraum bot, begann Shackleton am 24. April 1916 mit fünf Begleitern – darunter der Schiffstischler, der offen und gern seine Autorität infrage gestellt hatte – auf dem stärksten Rettungsboot eine lebensgefährliche Reise zur Walstation von South Georgia, um Hilfe zu holen. Vorräte für vier Wochen hatte man geladen, würde man das Ziel nicht in dieser Zeit erreichen, wäre die Mission gescheitert. Doch tatsächlich landeten sie am unbewohnten Südufer von South Georgia – und erreichten nach 36 lebensgefährlichen Stunden am 20. Mai 2016 die Walstation. Am 30. August wurden schließlich jene 22 Männer, die auf der Elefanteninsel ausgeharrt hatten, gerettet. Die abenteuerliche Geschichte von Ernest Shackleton und seinem Team ist eine von vielen, anhand derer Clemens Sedmak und Christian Lagger in ihrem Buch „Leadership ohne Blabla“ die Kunst des Führens von Gruppen und Organisationen illustrieren. Flexible Zielanpassung gehört ebenso zu den Erfolgsgeheimnissen von Shackleton wie die Einstellung „Der Mensch zuerst“ und: „Die Institution ist für den Menschen da, „ ,Ich habe zweifellos durch das Scheitern gelernt‘, schreibt Clemens Sedmak. ,Wer auf die Nase gefallen ist, kann sie nicht mehr so hoch tragen.‘ “ nicht der Mensch für die Institution“. Zudem offenbarte sich Shackleton als „sorgende Führungspersönlichkeit“. Nur so konnte er die Expedition an ein glückliches Ende und sein Team ans Ziel führen. „Wahrnehmen, Zuhören, Entscheiden“: Das sind für Clemens Sedmak (ehemals als akademischer Shootingstar u. a. am King’s College London tätig und 2005 Gründer des Zentrums für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg) sowie Christian Lagger (ebendort seit 2021 Präsident sowie seit 2010 Geschäftsführer beim Ordensklinikum der Elisabethinen) die Haben verschiedene und doch oft ähnliche Perspektiven auf Führung: der Sozialtheologe Clemens Sedmak (links) und Christian Lagger, Theologe und seit 2019 Geschäftsführer beim Ordensklinikum der Elisabethinen. wesentlichen Aufgaben für Menschen mit Führungsverantwortung. Dass dies in der Praxis nicht so einfach ist und dass Scheitern – wie immer im Leben – auch zu einer Führungsaufgabe dazugehört, machen sie in ihrem einfühlsamen Briefwechsel anhand zahlreicher weiterer Geschichten und Beispiele klar. Wie auch anhand persönlicher eigener Erfahrungen, was dem Buch besondere Glaubwürdigkeit verleiht und es von platter Ratgeberlektüre deutlich abhebt. „Ich habe zweifellos durch das Scheitern gelernt“, schreibt etwa Clemens Sedmak. „Wer auf die Nase gefallen ist, kann sie nicht mehr so hoch tragen.“ Zudem stehen in diesem Buch nicht Managementtechniken, sondern innere Einstellungen und Haltungen im Fokus. Bis hin zur Erkenntnis, dass die Fähigkeit zur Selbstführung eine Grundbedingung für gute Führung ist. Sowohl Sedmak wie auch Lagger erzählen etwa von persönlicher Bereicherung durch ignatianische Exerzitien sowie allgemein durch Zeiten des Rückzugs und des Aushaltens von sich selbst. Neben Autonomie gehört diese Innerlichkeit wesentlich zu guter Selbstführung dazu. Ebenso notwendig sei – neben Zuhören, der Kunst der Gesprächsführung und einer reifen Streitkultur – folgender Grundsatz: „Nicht das Eigene suchen, aber das Eigene tun.“ Man lernt nie aus – im Leadership schon gar nicht. Leadership ohne Blabla Von Christian Lagger und Clemens Sedmak Molden 2023 208 S., geb., € 26,– DIE FURCHE UMFRAGE Wir bitten um Ihre Meinung! Sagen Sie uns, was Sie uns schon immer sagen wollten, und helfen Sie mit, DIE FURCHE weiterzuentwickeln – so wie es Ihnen gefällt. Am einfachsten digital. Die Seite erreichen Sie über unten angeführten Link oder QR-Code. Wenn Sie Papier lieber haben, füllen Sie gerne den beigelegten Fragebogen aus und werfen ihn im vorfrankierten Kuvert in den nächsten Postkasten. Wir freuen uns über jede Antwort, Zustimmung und Kritik. Als Dankeschön für Ihre wertvolle Zeit können Sie schöne Preise gewinnen. GEWINNEN SIE Zur Umfrage: 1 × 20 × 2 Nächte für 2 Personen im Hotel TUI BLUE in Schladming 5 × 1 Jahr exklusive Rabatte für Hotelbuchungen auf greenhabitat.at FURCHE Baumwolltasche + Buch: Romy spielt sich frei 10 × 1/2 Jahr exklusive Rabatte für Hotelbuchungen auf greenhabitat.at 30 × FURCHE Baumwolltasche furche.at/abo/umfrage

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