DIE FURCHE · 14 4 Das Thema der Woche Das Filmland vermessen 4. April 2024 Von Alexandra Zawia Film ist mehr als Projektion Es gibt ihn immer noch, den „analogen“ Film – auch wenn in der Branche längst „digital“ Alltag geworden ist. Eine neue Leitung für ein Filmfestival bedeutet natürlich Veränderungen. Schienen werden umbenannt, Veranstaltungsorte gewechselt, der eine oder andere Schwerpunkt versetzt. Doch trotz mancher Anpassungen bleibt die Essenz dieser Filmschau erhalten. Die Diagonale, als metaphorische Linie, welche Eckpunkte von Filmen miteinander verbindet, „ohne selbst eine Kante zu sein“, steht für eine umfassende Jahresschau des österreichischen Filmschaffens, die möglichst alle Genres zeigen möchte und dabei versucht, mittels Spezialprogrammen und Veranstaltungen die gezeigten Filme in Bezug sowohl zur Filmgeschichte als auch aktuellen Diskursen zu setzen. Auch das „Kernstück“, der Wettbewerb der Diagonale, ist von diesem „umfassenden“ Prinzip bestimmt. Als Werkschau des österreichischen Films konzipiert, wollten die Initiatoren von Beginn an durchaus auch verstärkt dem innovativen Film eine größere Sichtbarkeit geben – ein Vorhaben, das das neue Leitungsduo Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh ebenfalls wieder konzentrierter verfolgen möchten. Keine „Morakonale“ Von den ersten „Österreichischen Filmtagen“ in Velden 1977 entwickelte sich über Stationen in Kapfenberg, Wels und Salzburg schließlich die Diagonale, die im Jahr 1998 samt dem eigens gegründeten Trägerverein „Forum österreichischer Film“ erstmals und damals unter der Leitung von Christine Dollhofer und Constantin Wulff in Graz präsentiert wurde. Ab dann regelmäßig veranstaltet, wurden im Rahmen des Festivals in Graz jährlich etwa hundert Filme in verschiedenen Programmsektionen gezeigt und das Festival stetig um Spezialschienen und Rahmenprogramme erweitert. Im Jahr 2000 zeigte die Diagonale die Sonderreihe „Die Kunst der Stunde ist Widerstand“ und im Katalog forderten zahlreiche Filmschaffende den Rücktritt der damals neuen schwarz-blauen Regierung: Die Diagonale wurde zur Plattform für den Protest der österreichischen Filmschaffenden. Das setzte sich in den folgenden Jahr fort und hatte zur Folge, dass die Planung der Diagonale 2004 zum Eklat führte: Der zuständige Kunststaatssekretär Franz Morak entließ Dollhofer (Wulff hatte seinen Vertrag nicht verlängert) und ersetzte das Team nach eigenem Gutdünken. Da dieses bei nahezu allen Filmschaffenden auf Widerspruch stieß, sah es zunächst danach aus, dass es zwei Veranstaltungen gleichen Namens geben könnte: Die „offizielle“ Diagonale von Morak und eine „inoffizielle“ Veranstaltung, die von den Medienschaffenden „ Wichtig bleibt die Diagonale als Möglichkeit für den Sozialraum Kino, als Ort des Austauschs zwischen aktuellen, historischen, filmpolitischen Positionen. “ Einen Blick in die Diagonale- Vergangenheit bietet „Österreichs Film lebt“ von Manuel Rei - nartz am 16.12. 1993, nachzulesen auf furche.at. Diagonale einst und jetzt: Was 1977 als „Österreichische Filmtage“ begann, ist heute ein nicht mehr wegzudenkender Fixpunkt und Begegnungsort im heimischen Filmschaffen. Werkschau mit Geschichte selbst auf die Beine gestellt wurde. Schließlich verzichtete Morak auf seine Veranstaltung. Der Trägerverein restrukturierte sich und durch die Bereitschaft vieler Beteiligter, konnte die Diagonale 2004 trotz Zeitdrucks in der gewohnten Form stattfinden. Die Ereignisse rund um die sogenannte „Morakonale“ haben die persönlichen und politischen Klüfte einer kleinen Filmlandschaft subsumiert, die immer wesentliches Element dieses speziellen Filmfestivals bleiben werden. Auch Slanar und Kamalzadeh sehen sich in ihrer neuen Funktion in Fragen um gesellschaftliche und politische Diskurse gefordert (vgl. das Interview Seite 3). Wesentliche Impulse zur Ausrichtung der Diagonale gab ab Juni 2008 zudem Barbara Pichler als Festivalleiterin. Sie baute es mit Foto: © Diagonale / Paul Pibernig einer strafferen Programmierung und verstärktem Fokus auf internationale Branchenvernetzung als öffentliche Diskussionsplattform für das österreichische Kino im europäischen Kontext weiter aus. Von Juni 2015 bis Ende Mai 2022 stand die Diagonale unter der Leitung von Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber. Sie führten das mittlerweile renommierte und auch bei größerem, durchaus auch jüngerem Publikum beliebte Festival mit viel Esprit, legten Schwerpunkte auf verstärkte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Sparten und dem Zusammentreffen der Filmbranche in Graz. Sie bewältigten auch die Herausforderungen der Covid-19-Pandemie mit Absagen (Diagonale '20 aka „Die Unvollendete“), Verschiebungen (Diagonale '21) und notwendigen Sicherheitskonzepten. Phantomlabel „österreichischer“ Film? Seit Juni 2023 wird die Diagonale nun (bis vorerst 2027) von Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh geleitet. Das Wettbewerbsprogramm wird weiterhin aus der Jahresproduktion des österreichischen Films bestehen, aber man wolle das Festival durch Spezialprogramme „international erweitern“ um den Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem Ausland zu forcieren. Der Gedanke dahinter: Das Label „österreichischer“ Film zu hinterfragen und es als Teil eines europäischen Raumes mit ähnlichen Perspektiven zu begreifen – und auch dem Umstand gestiegener Koproduktionen Rechnung zu tragen. Dafür hat man die neue Programmschiene „Position“ geschaffen und holt dazu dieses Jahr den deutschen Regisseur Christoph Hochhäusler, der für das Leitungs-Duo „eine spannende Position zwischen Autoren- und Genrefilm hat, und für den Dialog um den deutschsprachigen Film wichtig ist“. Bedeutend bleibt die Diagonale als Möglichkeit für den Sozialraum Kino, als Ort des Austauschs zwischen aktuellen, historischen, filmpolitischen Positionen und als Plattform für Diskussionen. Zum Streit ist es da oft nicht mehr weit. Aber nach Italien auch nicht. Nächste Woche im Fokus: Kaum eine Beziehung kommt ohne Verletzungen aus. Versöhnung kann dabei helfen, einen Neustart zu wagen. Aber wie ist das möglich angesichts zunehmender Polarisierung und immer extremerer Meinungen? Ein FURCHE- Schwerpunkt zur Kunst des Verzeihens. Filmfieber im Feuilleton Jetzt 4 Wochen gratis lesen! Entdecken Sie dieses Wochenende die Vielfalt des österreichischen Films bei der DIAGONALE in Graz und ab nächster Woche im Feuilleton der FURCHE. So einfach geht‘s: Bestellen Sie ein kostenloses Testabo und lesen Sie regelmäßige Updates, sowie alle Beiträge online seit 1945 zu Film, Literatur, Geschichte, Ausstellungen sowie Theater, Architektur und Kunst. online im Navigator seit 1945 online im Navigator seit 1945 Gratis bestellen unter furche.at/abo/gratis +43 1 512 52 61 -52 aboservice@furche.at
DIE FURCHE · 14 4. April 2024 Politik/International 5 75 Jahre ist der Nordatlantikvertrag und das sich darauf gründende Militärbündnis alt. Österreichs NATO-Botschafter über diese „engste Partnerschaft“, Trittbrettfahrerei und den Atomwaffen-Dissens. „Die NATO wartet auf Österreichs Sicherheitsstrategie“ DIE FURCHE: Welche Übereinstimmung in der österreichischen Sicherheitspolitik wünschen Sie sich mit Ihrem Blickwinkel aus dem NATO- Hauptquartier? Meindl: Ich würde mir wünschen, dass wir unsere sicherheitspolitischen Optionen seriös diskutieren. Dass wir definieren, was wir brauchen und was uns wichtig ist und dann anschließend intensiv an einer Konsenssuche arbeiten. Sicherheitspolitik muss über der Parteipolitik stehen. Das ist in vielen Staaten schon gelungen. Das sollte bei uns auch möglich sein. Unsere Hausaufgaben sind, für Sicherheit und Verteidigung entsprechende Mittel aufzustellen und unseren sicherheitspolitischen Interessen gemäße internationale Partnerschaften und Kooperationen einzugehen. Ich sehe keine Alternative dazu, inklusive einer Aufwertung und besseren Finanzierung des Bundesheers. Das Gespräch führte Wolfgang Machreich Das Interview mit Botschafter Jürgen Meindl findet im Manfred Wörner-Gebäude des NATO- Hauptquartiers in Brüssel statt. Nach dem NATO-Beitritt von Finnland und Schweden müssen die wenigen neutralen Staaten ihre Rolle im Bündnis noch genauer definieren, sagt er. DIE FURCHE: Herr Botschafter, die NATO hat seit ihrer Gründung Hochs und Tiefs erlebt, heute hat sie mehr Mitglieder denn je. Was macht sie so langlebig und attraktiv? Jürgen Meindl: Die NATO ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte. Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs hat man sich darauf besonnen, dass so etwas in Europa nicht mehr passieren darf. Europa muss nach innen wie außen verteidigt werden. Dass die Initiative dafür von Amerika ausging, ist lobenswert. Zentral für die Langlebigkeit und den Erfolg der NATO ist natürlich auch, dass sie ein Zusammenschluss demokratischer Staaten ist. DIE FURCHE: Für die lange Friedensperiode nach 1945 in Europa hat die EU 2012 den Friedensnobelpreis erhalten. Wird die Rolle der NATO für Frieden in Europa unterschätzt? Meindl: Die NATO ist als militärischer, verteidigungspolitischer Arm des gemeinsamen Europas ein wichtiger Teil der europäischen Einigung. Nicht zufällig ist die EU-Hauptstadt Brüssel seit 1967 auch NATO-Hauptstadt. Das zeigt die europäische Dimension der NATO. Nicht zu Unrecht wird die NATO immer wieder die „Armee der Europäischen Union“ genannt. 23 der 27 EU-Staaten sind NATO-Mitglieder und nach dem Beitritt von Finnland und Schweden zur NATO sind mehr als 95 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union unter dem NATO-Schirm. Jürgen Meindl, Ständiger Vertreter Österreichs bei der NATO in Brüssel. DIE FURCHE: Und der Rest? Meindl: Österreich, Irland, Malta, aber auch die nicht der EU angehörende Schweiz gehören zu den engsten Partnern, die mit diesem Verteidigungsbündnis kooperieren. DIE FURCHE: Was bedeutet „engste Partner“? Meindl: Das zeigt sich vor allem daran, dass wir truppenstellender Partner bei Missionen und Operationen der NATO sind. Wir beteiligen uns insbesondere an der KFOR-Mission im Kosovo. Wir haben aber auch unsere Teilnahme an einer NATO-Mission im Irak eingemeldet und die NATO- Missionen in Afghanistan mit Soldatinnen und Soldaten unterstützt. DIE FURCHE: Hat sich mit dem NATO- Beitritt von Finnland und Schweden die Rolle der Neutralen in der EU verändert? Meindl: Durch den Wegfall von Finnland und Schweden, die sehr starke Partner auf Seiten der neutralen EU-Staaten waren, hat sich die Situation natürlich verändert. Das muss man zugestehen. Wir werden in Zukunft noch genauer definieren müssen, wie die Kooperation der verbliebenen Neutralen Europas, nämlich Österreich, Schweiz, Irland und Malta, mit der NATO ausschauen soll. Diese Staatengruppe wird im NATO- Jargon „Western European Partners“ genannt. In zwei von drei Kernaufgaben der NATO sind wir gut eingebunden. Das ist zum einen die Krisenprävention und -bewältigung, zum anderen die kooperative Sicherheit. Wo wir nicht kooperieren, sind die Bereiche Abschreckung und Verteidigung. „Österreichs Einsätze à la carte“ vom 2. April 2009 beschreibt die österreichischen Beiträge für das NATO- Programm „Partnerschaft für den Frieden“; nachzulesen unter furche.at. Lagebesprechung im Kosovo; in Bildmitte der damalige stv. KFOR-Kommandant Johann Luif (Interim-Verteidigungsminister 2019). DIE FURCHE: Österreich profitiert sicherheitspolitisch vom NATO-Schirm für Europa. Sind wir „Trittbrettfahrer“, wie nicht wenige meinen? Meindl: Österreich hat sich seit den 1960er Jahren mit über 100.000 Soldatinnen und Soldaten an internationalen Einsätzen der UNO, OSZE, EU und NATO beteiligt. Seit Mitte der 1990er sind wir Teil der NATO-Partnerschaft für den Frieden . Im Kosovo haben wir zeitweilig 700 Soldatinnen und Soldaten gestellt und waren viele Jahre lang der größte Nicht- NATO-Truppensteller. Zu Jahresanfang zählte unser Kontingent dort rund 280 Kräfte. Die jährlichen Kosten allein für unseren KFOR-Einsatz betragen 31 Millionen Euro. Da kann man nicht von Trittbrettfahrer sprechen. Das wird auch in der NATO nicht so gesehen. Wir sind ein geschätzter Partner. DIE FURCHE: Österreich und andere Neutrale sitzen bei der NATO also nicht an einer Art Katzentisch? Meindl: Wir sind nicht immer dabei, das ist klar, weil wir nicht Mitglied sind. Aber unsere Rolle hier wird völlig akzeptiert. Die NATO weiß, dass ein möglicher Beitritt bei uns kein Thema ist – und drängt uns nicht. Manche Länder wollen in die NATO, andere nicht, bei den einen geht es schneller, bei anderen langsamer, andere streben keinen Beitritt an. Schweden war 200 Jahre lang neutral bzw. allianzfrei. Innerhalb kürzester Zeit hat sich ihre Position komplett gedreht. Das war ein historischer Schritt, für den es eine sehr große Übereinstimmung in der schwedischen Politik und Bevölkerung gab. „ Zentral für Langlebigkeit und Erfolg der NATO ist auch, dass sie ein Zusammenschluss demokratischer Staaten ist. “ Fotos: Wolfgamg Machreich DIE FURCHE: Die von der Regierung angekündigte neue Sicherheitsstrategie verzögert sich; dem Vernehmen nach steckt sie in der Koalitions- Pipeline. Meindl: Wir warten mit Spannung darauf. Und auch die NATO wartet darauf, weil sie natürlich sehr großes Interesse an der österreichischen Position hat. DIE FURCHE: „Die Presse“ berichtete vorab, dass es laut neuer Sicherheitsstrategie mehr Kooperation zwischen Österreich und der NATO geben soll. Wo wäre aus Ihrer Sicht ein Mehr an Zusammenarbeit möglich oder notwendig? Meindl: Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist in vielen Bereichen eine intensivere Zusammenarbeit vorstellbar. Ich denke zum Beispiel an gemeinsame Übungen zur Cyber-Resilienz, um gegen Hacker-Angriffe auf virtuelle Netzwerke gewappnet zu sein. DIE FURCHE: Die nuklearen Drohungen aus dem Kreml haben eine Diskussion über ein eigenes EU-Atomwaffenarsenal ausgelöst. Wie sehen Sie die Rolle der NATO dabei? Meindl: Die NATO definiert sich selbst als ein Bündnis mit Nuklearwaffen, wir kämpfen für atomwaffenfreie Zonen. Da gibt es also einen Dissens zwischen Österreich und der NATO. So ist es. DIE FURCHE: Fakt ist auch, dass die NATO auf der Suche nach einer Nachfolgerin, einem Nachfolger für Generalsekretär Jens Stoltenberg ist. Wie bewerten Sie seine Amtsführung? Meindl: Da tue ich mir nicht schwer. Jens Stoltenberg war ein Glücksfall, weil er ein paar Dinge verbindet, die man für diese Position braucht. Er ist ein sehr seriöser, sehr ruhiger und sehr ausgleichender Generalsekretär. Er kann mit allen gut. Stoltenberg konnte in einer sehr fordernden Zeit dieses Bündnis, das ja auch intern vor großen Herausforderungen stand, Stichwort Donald Trump, zusammenhalten. Das war eine beträchtliche Leistung, er hinterlässt große Fußstapfen... DIE FURCHE: ...die zu füllen für den/ die Nachfolger/in nicht einfach wird. Was wünschen Sie der NATO zum 75. Geburtstag? Meindl: Ich wünsche ihr, dass wir diese Zeit, die sicherheitspolitisch wahrscheinlich die schwierigste und herausforderndste seit 1945 ist, gemeinsam gut überstehen. LESEN SIE AUF DER NÄCHSTEN SEITE EINEN WEITEREN BEITRAG ZUM NATO-JUBILÄUM
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