DIE FURCHE · 14 24 Ausstellung 4. April 2024 Von Walter Dobner Bei Gedenkjahren wird meist schon vor dem eigentlichen Anlass ausführlich gefeiert. Anton Bruckner bildet da keine Ausnahme. Zwar werden es erst am 4. September 200 Jahre, dass der Komponist im oberösterreichischen Ansfelden geboren wurde. Doch bereits Ende letzten Jahres kamen die jüngsten Gesamteinspielungen seiner Symphonien auf den Markt, die eine vom Gewandhausorchester Leipzig unter Andris Nelson, die andere von den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann. Sie legen damit ihre erste integrale Einspielung der Bruckner-Symphonien unter einem Dirigenten vor. Zusätzlich zu den neun Symphonien und der „Nullten“ haben sie noch die Studien-Symphonie aufgenommen. Das bisher größte Unterfangen zu diesem Gedenkjahr aber ist die von der Österreichischen Nationalbibliothek ausgerichtete Bruckner-Ausstellung. „Der fromme Revolutionär“ prangt als Titel über dieser Exposition mit nicht weniger als 130 Exponaten. Konzipiert, anschaulich und klug zusammengestellt wurde sie von den beiden jahrzehntelang in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek wirkenden ausgewiesenen Bruckner- Experten Thomas Leibnitz und Andrea Harrandt. Dass der überwiegende Anteil der Ausstellungsstücke aus eigenen Beständen stammt, liegt auf der Hand, Bruckner hat die Autografe seiner wichtigsten Werke der Wiener Hofbibliothek überlassen. Seit dem wurde die weltgrößte Bruckner- Sammlung noch erweitert. Von Oberösterreich nach Wien: Anton Bruckner (1824–1896) in seiner Wohnung in der Heßgasse, Wien. Fotografie: Ludwig Grillich. Eine Ausstellung im Prunksaal der Nationalbibliothek und eine neue Biografie würdigen Anton Bruckner anlässlich seines 200. Geburtstags exemplarisch. Musikant Gottes, Neurotiker, Revolutionär? Zukunftweisendes Genie An Hand sorgfältig ausgewählter, stets auf das Wesentliche abzielender Dokumente wird Bruckners Weg von seiner Jugend in Oberösterreich, seinem berühmten Lehrer Simon Sechter, von dem sich schon Schubert hat unterweisen lassen, seiner Tätigkeit als Linzer Domorganist, seinen ihn stetig fordernden späteren Wiener Lebensumständen bis hin zu seiner Tätigkeit als Mitglied der Hofkapelle, international gefeierter Orgelvirtuose und Universitätslehrer anschaulich nachgezeichnet. Begleitet von zahlreichen Autografen seiner Werke, darunter der Symphonien, der d-Moll-Messe, dem berühmten Perger-Orgelpräludium, aber auch zahlreichen Abbildungen, Erinnerungsstücken und durchaus bekannten Otto- Böhler-Schattenbildern. Breiter Raum ist Bruckners mit meist fragwürdigen Bearbeitungen seiner Symphonien aufwartendem Schülerkreis gewidmet, der Wagner-Verehrung des Komponisten, seinem schwierigen Verhältnis zu Brahms und der ihn mehrfach tief kränkenden Wiener Kritik. Ob ihr Urteil, vor „ Es wird auf Bruckners tiefe Religiosität oder seine bis heute in der Literatur gern polemischgenüsslich abgehandelten Schwierigkeiten mit Frauen eingegangen. “ allem des einseitig-gestrengen Eduard Hanslick, auch so untergriffig ausgefallen wäre, wenn sich Bruckner eloquent dagegen hätte wehren können? So hatte man in ihm ein Opfer gefunden, das man leidlich ausnutzte. Ebenso wird auf Bruckners tiefe Religiosität oder seine bis heute in der Literatur gern polemisch-genüsslich abgehandelten Schwierigkeiten mit Frauen eingegangen, deren wichtigste auf einem Blatt ausgestellt sind. Vor allem aber wird dokumentiert, wie sehr sich das Bruckner-Bild im Laufe der Foto: Österreichische Nationalbibliothek Jahrzehnte gewandelt hat. Um es plastisch auszudrücken: Der lange Weg vom als naiv apostrophierten „Musikanten Gottes“ bis – wie es diese Schau unmissverständlich zum Ausdruck bringt – zum „frommen Revolutionär“. Nicht fehlen darf bei einer so fundierten, weitgespannten Betrachtung des zukunftweisenden Genies Anton Bruckner der Hinweis auf jenes kritische Psychogramm, in dem Ende der 1970er Jahre der damalige „Seelenarzt der Nation“, Erwin Ringel, den Komponisten als Neurotiker dechiffriert hat. Das provozierte damals einen Sturm der Entrüstung jener Anhänger, die Bruckner unkritisch gegenüberstanden. Die hätte man sich ersparen können, wenn man sich mit Ringels Analyse differenziert auseinandergesetzt hätte. Damals schien die Zeit dafür noch nicht reif. Begleitet wird die Ausstellung von einem die Auswahl der Exponate noch vertiefenden, reich bebilderten Katalog. Dessen Beiträge bieten zugleich einen Überblick über den internationalen Stand der gegenwärtigen Bruckner-Forschung. In Bruckners oberösterreichischen Heimat war man ebenfalls nicht untätig. Unter Führung des renommierten Kunsthistorikers Alfred Weidinger und des wissenschaftlichen Leiters des in Linz angesiedelten Anton Bruckner Instituts, Klaus Petermayr, haben sich gleichfalls Bruckner-kundige Autoren für eine im Verlag Anton Pustet erschienene Bruckner-Biografie zusammengefunden. Mannigfach wird auch in dieser Publikation den musikalischen wie persönlichen Facetten Bruckners nachgespürt. Orte, die mit ihm in Verbindung stehen, finden sich ebenso aufgelistet, wie ein detailliertes Werkverzeichnis. Und wie steht es mit dem immer wieder aufgewärmten Gerücht von Bruckners Vaterschaft? Auch dazu kann man hier nachlesen. Aber über den Bereich der Vermutung kommt man nicht hinaus. Um dieses Thema abschließend abhandeln zu können, müsste man Bruckners unter der Orgel von Stift St. Florian bestatteten Leichnam exhumieren. Das wäre längst geschehen, gäbe es dafür einen Grund. Anton Bruckner Der fromme Revolutionär Österreichische Nationalbibliothek Prunksaal Bis 26. Jänner 2025 Di–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr Juni bis September zusätzlich Mo 10–18 Uhr Katalog, hg. von Thomas Leibnitz und Andrea Harrandt, Residenz Verlag Anton Bruckner Eine Biografie Hg. von Alfred Weidinger und Klaus Petermayr Verlag Anton Pustet 2023 352 S., geb., € 30,– IN KÜRZE LITERATUR ■ Maryse Condé (1934-2024) Den Nobelpreis für Literatur hat sie nicht erhalten, obwohl sie seit Jahren als Anwärterin dafür galt. Aber 2018 verlieh man ihr die Alternative dazu, den „Literaturpreis der Neuen Akademie“. Geboren in Pointe-à-Pitre, Guadeloupe, studierte sie in Paris an der Sorbonne Vergleichende Literaturwissenschaft. In Romanen, Erzählungen, Essays, Kinderbüchern und Theaterstücken – u.a. „Ich, Tituba, die schwarze Hexe von Salem“ (1986), „Segu. Mauern aus Lehm“ (1988), „Victoire. Ein Frauenleben im kolonialen Guadeloupe“ (2011) – thematisierte sie die Verwüstungen durch Rassismus und Kolonialismus. In der Nacht zum Dienstag ist sie in Südfrankreich verstorben. LITERATUR ■ Anton-Wildgans-Preis für Freudenthaler Der „Literaturpreis der Österreichischen Industrie – Anton Wildgans“ wird auf Vorschlag einer unabhängigen Jury einer Schriftstellerin oder einem Schriftsteller der jüngeren oder mittleren Generation mit österreichischer Staatsbürgerschaft verliehen, „dessen oder deren Werk von hervorragender Relevanz für die literarische und gesellschaftliche Konstellation unserer Zeit ist“. Heuer wird damit die 1984 in Salzburg geborene Autorin Laura Freudenthaler ausgezeichnet. 2020 las sie auf Einladung von Brigitte Schwens-Harrant beim Ingeborg- Bachmann-Wettbewerb und erhielt für ihren Text „Der heißeste Sommer“ den 3sat-Preis. MEDIEN ■ Kein Junktim mit Zitierverbot mehr Die ÖVP geht von der Verknüpfung des von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler mit Verve betriebenen Zitierverbots im nicht-öffentlichen Ermittlungsverfahren mit der Reparatur des „Medienprivilegs“ ab. Letzteres muss nach einem VfGH-Erkenntnis bis 1. Juli überarbeitet werden, weil Medienunternehmen nicht prinzipiell von den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes (DSG) ausgenommen werden dürfen, da dies gegen das Grundrecht auf Datenschutz verstoße, so das Höchstgericht. Medienunternehmen befürchten, dass ohne neue Regelung die journalistische Arbeit durch eine Flut von Anfragen nach dem DSG verunmöglicht werden könnte.
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