DIE FURCHE · 14 10 Religion 4. April 2024 Von Hanna Begic Unsere Autorin begeht als junge, liberale Muslima noch bis 9. April den muslimischen Fastenmonat. Hier erzählt sie, wie insbesondere das Bittgebet Du’a diese Zeit prägt. Mein Ramadan Die Wasseroberfläche der Donau, dahinter die Abenddämmerung: In Sekundenschnelle zieht dieses Bild an mir vorbei. Ich sitze in der U-Bahn über die Wiener Donaustadtbrücke, als am 11. März dieses Jahres der Ramadan beginnt. Denn er beginnt stets mit dem Sonnenuntergang. Meine Vorbereitungen für den Fastenmonat sind diesmal leider zu kurz gekommen. Keine Listen, welche Suren noch gelernt werden müssen, keine im Vorhinein ausgemachten Pläne, mit wem ich mein Fasten breche, keine besonderen Ziele in puncto persönliche, seelische und mentale Entwicklung. Auch kein neu angelegter Planner, kein Ramadan-Kalender, keine Eintragungen in der Notes-App. Und GLAUBENSFRAGE Ostern und der Islam Ich vermute, dass nicht nur viele Muslime, sondern auch viele Christen sowie Angehörige anderer Religionen mit Ostern an erster Stelle den Osterhasen und Ostereier assoziieren. Auch bei meinen Studierenden der Islamischen Theologie stelle ich immer wieder fest, dass kaum jemand etwas über den christlichen Hintergrund von Ostern weiß. Einige gehen sogar davon aus, dass Ostern nichts mit Religion zu tun hat. Natürlich spielt dabei der Glaube fast aller Muslime, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde und es deshalb keinen Anlass für seine Auferstehung gebe, eine entscheidende Rolle. Aber woher kommt dieser muslimische Glaube? Muslime berufen sich auf den einzigen koranischen Vers, der das Thema Kreuzigung Jesu anspricht. In Sure 4, Vers 157 heißt es, dass Juden in Medina Mohammed sagten, ihre Vorfahren hätten Jesus getötet, „sie haben ihn aber weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen so“. Aus diesem Vers können wir nur ableiten, dass es nicht die Juden waren, die Jesus gekreuzigt haben. Tatsächlich waren es die Römer. Bedürfnisse stillen „Angesichts so vieler globaler Baustellen ist es schwierig, in sich zu kehren und mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen ins Reine zu kommen“, schreibt Begic. was ist mit den guten Taten? Noch habe ich mich nicht in der Excel-Tabelle der Vinzi- Rast (einer Wiener Obdachloseneinrichtung, Anm. d. Red.) eingetragen. Ich bin müde, meine Augenlider sind schwer. Wie gelähmt sitze ich in den roten Sitzen des U- Bahn-Waggons und lasse die Zeit seit dem letzten Ramadan Revue passieren. Was hat sich im letzten Jahr geändert? Wen habe ich verloren und wer ist neu in mein Leben gestolpert? Was waren die Höhen und die Tiefen? Wie habe ich mich zu meiner Umwelt verhalten? Habe ich Spuren hinterlassen? Und wenn ja, wurden dabei Brücken geschlagen oder eher niedergebrannt? Jedes Jahr aufs Neue gibt es eine bestimmte Facette des Islam, in die ich während des Ramadan tiefer eintauchen möchte. Meine letzten Themenschwerpunkte waren Astronomie, Futurismus, Von Mouhanad Khorchide Aber ob Jesus gekreuzigt wurde oder nicht, ist eine Leerstelle im Koran, die unkommentiert bleibt. Ich gehe einen Schritt weiter und meine: Es lebten viele Christen in der Nähe Mohammeds, wäre es ihm wichtig gewesen, hätte er ihren Glauben an die Kreuzigung Jesu deutlich und mehrfach im Koran kritisiert. Das tat er aber nicht. Offensichtlich hatten weder Mohammed noch der Koran ein Problem damit. Dass die Kreuzigung Jesu als ein Hauptunterschied zwischen Islam und Christentum dargestellt wird, scheint einer späteren apologetischen Entwicklung geschuldet zu sein, in der sich Muslime, womöglich aus politischen Gründen, von einigen christlichen Gemeinschaften ab- und ausgrenzen wollten. Dies sollte uns heute nachdenklich machen, ob nicht Muslime entspannt gemeinsam mit Christen Ostern feiern sollten. Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster. Feminismus im Islam, die verschiedenen muslimischen Rechtsschulen und mystische Strömungen. Dieses Jahr dominieren aber Welt- und Herzschmerz meine Gedanken. Ich muss dies und das noch erledigen, diese Mail noch abschicken, diesem Menschen noch eine Nachricht schreiben. Wie soll sich das alles ausgehen? Wie kann ich die vielen To-Do’s abarbeiten? Wieso funktioniert so manches in meinem Leben nicht? Vom Reifen durch die Du’a Ich tippe noch schnell meine Du’a-Liste fertig und bitte meine Freunde und Freundinnen, mich ihrerseits in ihre Du’as hineinzunehmen. Im Islam ist Du’a eine Form des Bitt- oder Dankgebets, das Muslime äußern, um mit Allah zu kommunizieren. Es ist ein zutiefst persönlicher und spiritueller Akt, bei dem Einzelpersonen ihre Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen und ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Eine Du’a kann verschiedene Formen annehmen, darunter das Rezitieren spezifischer Gebete aus dem Koran oder den Hadithen (Aussprüche des Propheten Mohammed) sowie spontane Gebete, die in eigenen Worten gesprochen werden. Das Bittgebet ist ein integraler Bestandteil des Gottesdienstes im Islam und kann zu jeder Zeit und an jedem Ort durchgeführt werden, sei es einzeln oder in der Gemeinschaft. „ Trotz oder gerade wegen dieser von ,Self-Care‘ geprägten Welt habe ich es verlernt, mich zu fragen, wer ich wirklich bin und wo mein Platz im Leben ist. “ Foto: Canva Die Textnachrichten an die Menschen auf meiner Du’a-Liste beende ich mit den Worten: „... Mein Herz ist schwer. Möge uns dieser Ramadan heilen.“ Bald schon erhalte ich Antwort: Es ist eine sechsminütige Sprachricht von Arwa, meiner Freundin und mittlerweile engsten Vertrauten. Der internationale Buchclub „Because We‘ve Read“, lanciert von der amerikanisch-iranischen Schriftstellerin Hoda Katebi, hat unsere Wege zusammengeführt. So oft es heutzutage geht, besuche ich sie in ihrer eigenen Buchhandlung. „Du hast zwar nicht danach gefragt, aber ich möchte dir diese Naseeha (Rat) mitgeben: Wenn Allah einen Menschen aus deinem Leben nimmt, dann hat es immer einen Grund. Wir werden eines Besseren belehrt.“ Trennung war ein wiederkehrendes Thema für mich im letzten Jahr, das weiß Arwa. Und sie weiß auch, dass die Gründe unterschiedlich und häufig außerhalb meines Einflussbereiches waren. „Du musst komplettes Tawakkul haben“, sagt Arwa. Tawakkul, Vertrauen – dieser Begriff begleitet mich während der nächsten Tage. Wie kann ich aber Vertrauen in eine Zukunft haben, die vermeintlich zum Scheitern verurteilt ist? Dieser Globus und all seine Bewohnerinnen und Bewohner (über)leben von Krise zur Krise. Angesichts so vieler weltweiter Baustellen ist es schwierig, in sich zu kehren und mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Du’as ins Reine zu kommen. Kann ich darauf vertrauen, dass meine Du’as in Erfüllung gehen? Ich zücke mein Telefon und höre mir die Sprachnachricht nochmals an. „Du musst genau wissen, was du willst, du musst spezifisch mit deinen Wünschen und Bedürfnissen sein und daran glauben, dass sie erhört werden.“ Oft weiß ich aber nicht, was ich genau möchte oder was mir guttut. Ich höre Schlagworte wie „Grenzen ziehen“, „Bedürfnisse stillen“ und „sich selbst priorisieren“ aus allen Ecken und Enden. Doch trotz oder wegen dieser von Self-Care geprägten Welt habe ich es verlernt, mich zu fragen, wer ich wirklich bin, was ich wirklich will und wo mein Platz im Leben ist. In sein Inneres eintauchen Die Du’a dient Musliminnen und Muslimen als Katalysator für eine solche Selbstreflexion und Selbstbeobachtung. Wenn man sich auf die Du’a einlässt, wird man ermutigt, sich seinen Verletzlichkeiten, Mängeln und Wünschen zu stellen. Dieser Prozess der Selbsterkenntnis soll persönliches Reifen sowie spirituelle Entwicklung fördern und dadurch zu einem tieferen Verständnis von sich selber führen. Selbstbeobachtung und Du’a sind insofern eng miteinander verbundene Aspekte spirituellen Wachstums. Die Du’a hat die Macht, Einstellungen und Perspektiven zu verändern. Durch Dankbarkeit und Wertschätzung in der Du’a entwickeln Gläubige ein Gefühl der Zufriedenheit und Achtsamkeit und konzentrieren sich auf die Segnungen des Lebens. Umgekehrt vermittelt die Du’a ein Gefühl der Demut, der Verantwortung und des Vertrauens auf Allahs Barmherzigkeit und Weisheit. Zuerst ziellos und konfus, habe ich zu Beginn des Ramadan also doch noch ein wenig Ruhe und Seelenfrieden gefunden. Als in der U-Bahn die Haltestellenansage ertönt und ich aussteigen muss, nehme ich rasch mein Smartphone zur Hand und tippe „Ramadan-Ziele“ hinein. Bis 9. April habe ich noch Zeit, sie zu erfüllen. Foto: Alberta Sinani Die 25-Jährige Hanna Begic studiert Sprachwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freie Journalistin.
DIE FURCHE · 14 4. April 2024 Chancen 11 Was macht ein Unternehmen erfolgreich? Viele Studien sagen: die Chefinnen und Chefs. Sie müssen positiv in die Zukunft weisen. Gelingt das nicht, machen sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen rasch aus dem Staub. Die Arbeit von morgen Von Manuela Tomic Das Büro ist mit dicken Ledersesseln ausgestattet, auf dem Vollholztisch stehen Whiskey-Gläser, daneben Zigarren und ein schwerer, gläserner Aschenbecher. In den Sesseln sitzen Männer mittleren Alters, die über ihre Ehefrauen reden und ganz nebenbei wichtige Entscheidungen über die Zukunft ihres Unternehmens treffen. Diese Szenen, wie sie aus der Netflix- Serie „Mad Men“ bekannt sind, gehören längst der Vergangenheit an. Und doch scheint die Zuseher an dem Leben des Creative Directors Don Draper und seiner Karriere bei der New Yorker Werbeagentur Sterling Cooper etwas zu faszinieren: die gute alte Welt der 1960er-Jahre, der Wirtschaftsaufschwung da wie dort und geregelte Verhältnisse. Was Unternehmen hingegen heute vorfinden, ist eine sich ständig wandelnde Welt, mit neuen Krisenherden, komplexen Produktionswegen und dem großen Konkurrenzdruck aus China. Ist mit so unsicheren Aussichten der Erfolg noch garantiert? Die Coachin Baha Meier-Arian sagt „Ja“. „Das oberste Gebot dafür ist die Agilität“, erklärt sie. Heute werde die Arbeit in Projektgruppen organisiert. Nicht der Chef oder die Chefin allein entscheidet, sondern die Kompetenzen werden an die Mitarbeitenden abgegeben. So fühlen sich diese verantwortlich für das gemeinsame Ziel. Die wichtigste Aufgabe von Arbeitskräften lautet heute: positive Perspektiven schaffen. „Das klingt einfacher, als es ist“, sagt die Coachin. Soziale Kompetenz Stichwort Mitarbeiter: Diese wollen sich heutzutage vor allem kontinuierlich weiterbilden und stets neue Qualifikationen erlernen. Geld sei längst nicht die einzige Motivation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, erklärte auch Matthias Sutter, Professor für Volkswirtschaftslehre in Innsbruck und Köln, beim 40. Vorarlberger Wirtschaftsforum vergangenen November. Wer gute Fachkräfte bekommen und sie auch halten möchte, müsse fair im Umgang mit ihnen sein, empfahl Sutter. Die sozialen Normen und Umgangsformen in einem Unternehmen, die soziale Kompetenz der Führungskräfte seien heute maßgeblich für die Verweildauer in einem Unternehmen und für die Produktivität. Das sogenannte Jobhopping, also das häufige Wechseln des Arbeitsplatzes, stellt Führungskräfte vor eine weitere Herausforderung. Eine Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young aus dem Jahr 2023 offenbarte, dass in Deutschland 63 Prozent der befragten Personen an einem Jobwechsel interessiert sind. Doch gerade die kürzere Verweildauer sehen Chefinnen und Chefs mittlerweile als Chance, wie eine Umfrage des Hernstein Management Reports zeigt. 65 Prozent der Führungskräfte sind der Meinung, dass Unternehmen davon profitieren, wenn Mitarbeitende Erfahrungen aus verschiedenen Berufen und Unternehmen mitbringen. „Neue Sichtweisen, interessante Kontakte, erlernte Arbeits- oder Prozessabläufe von vorherigen Tätigkeiten können wertvoll sein“, konkretisiert Michaela Kreitmayer, die Leiterin des Hernstein Instituts für Management und Leadership, die Ergebnisse. Doch Unternehmen müssen für diese Flexibilität erst den richtigen „Nährboden“ bieten. „Manch altgediente Chefs lässt das ratlos zurück“, sagt Baha Meier-Arian. Sie Neue Anreize Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehe es häufig nicht um Boni, erklären Experten, sondern um Weiterbildung und Perspektiven. „ Wer gute Fachkräfte bekommen und sie auch halten möchte, muss fair im Umgang mit ihnen sein. “ fragen sich: Welche Anleitung ist überhaupt sinnvoll, wenn Mitarbeiter eigenverantwortlich agieren sollen? Worüber können Mitarbeiter dazu ermuntert werden, die neue Unsicherheit als eine Chance zu begreifen? Und wie lässt es sich vermeiden, dass Beschäftigte vor Panik paralysiert werden? Die „klaffende Lücke auf dem Arbeitsmarkt“, entstehend durch die Pensionierung der Boomer-Generation und könne durch gelebte Diversität verkleinert werden, erklärte Annahita Esmailzadeh beim Vorarlberger Wirtschaftsforum. Die Managerin bei Microsoft, Autorin und LinkedIn-Influencerin sieht die Zeit reif für die Überwindung von Vorurteilen. Schubladendenken verhindere Vielfalt in einem Unternehmen, schaffe Minderheiten und verursache Diskriminierung im Arbeitsleben. Meilensteine feiern Was haben erfolgreiche Entscheider nun gemeinsam? Sie zeichnen einen klaren Weg vor, wo es hingehen soll, und nutzen Gelegenheiten zum Feiern erreichter Meilensteine, erklärt Meier-Arian. Außerdem nehmen sie sich selbst nicht vom Veränderungsprozess aus, sondern gehen als positives Rollenvorbild voran. Auch die Aufnahme von Kritik oder Verbesserungsvorschlägen schaffe Vertrauen. Sobald Menschen erkennen, dass sie wirklich etwas ändern können, packen sie mit an, sagt die Expertin. Gerade der „Generation Z“ wird nachgesagt, dass sie auf der Suche nach einem Arbeitsprojekt ist, das Herzensanliegen bedient und die Welt zum Positiven verändert. In die gleiche Kerbe schlägt der Autor und Coach Frederic Laloux in seinem 2014 erschienenen Buch „Reinventing Organizations“. Der Vordenker der „New Work“-Debatte sieht die erfolgreichen Unternehmen des 21. Jahrhunderts als eine Art lebendigen Organismus, der sich stets wandelt und seinen Beschäftigten mehr als nur Bezahlung bietet. Nach seinen Vorstellungen ist es vielmehr ein gemeinsam geschmiedetes Projekt, das dem Leben einen Sinn gibt und das diejenigen zusammenschweißt, die an ihm arbeiten, erklärt Meier- Arian. Es dürfe nicht nur auf ein Produkt abgezielt werden. Im Zentrum müsse vor allem eines stehen: Das Gute, das man mit dem Produkt auf den Weg bringt. ET04_04_DieFurche_AdW_275x100ssp_newspaper26v4 Kopie.pdf 1 08.02.24 18:20 C M Y CM MY CY CMY K EIN FRÜHLINGS- SPAZIERGANG FÜR DIE SEELE Die Münze „AUF DEM WEG“ Diese Münze fängt das Glück ein, unterwegs zu sein; die Freude, nach der kalten Jahreszeit die erwachende Natur zu bewandern und den Frühling mit allen Sinnen wahrzunehmen. „Auf dem Weg“ erzählt von der Seelennahrung, die wir Schritt für Schritt aufsaugen und erinnert uns an die Schönheit unserer Landschaften. Sie ist Motivation, sich auf den Weg zu machen. Mehr auf muenzeoesterreich.at MÜNZE ÖSTERREICH – ANLEGEN. SAMMELN. SCHENKEN.
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