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DIE FURCHE 04.01.2024

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DIE FURCHE · 1 10 Religion 4. Jänner 2024 Mensch und Tier Der Schöpfungsbericht im biblischen Buch Genesis (Gen 1,1–2,4a) ist nicht anthropozentrisch: Der Mensch wird wie die Landtiere am vorletzten Tag der Schöpfung erschaffen. Bild: Rainer Messerklinger / DALL·E / Prompt: HD Photo of a lone human figure engulfed by various animals like penguins, tigers, horses, Dolphins Ostriches octopus Elephants dogs cats. Von Michael Rosenberger Vor einigen Wochen kam in einem Lehrgang zur Tierethik die Frage auf, ob der Wolf in Mitteleuropa und namentlich in Österreich ein Existenzrecht habe. Natürlich wurde es sehr schnell sehr emotional – bei Vertreterinnen und Vertretern pro und contra. Ich stellte dann denen, die eine Existenz des Wolfs in Mitteleuropa generell ablehnten, die Frage, ob sie sich wenigstens einmal in die Position des Wolfs hineinversetzt hätten. Das Gespräch verstummte. Das hatten sie noch nie getan. Mit diesem Beispiel will ich keinen zusätzlichen Beitrag zur Wolfsdebatte eröffnen. Und ich will auch nicht im Geringsten behaupten, dass diejenigen, die sich einmal in den Wolf hineinversetzt haben, generell gegen dessen Abschuss sein müssten. Mir geht es nur darum, aufzuzeigen, wie tief wir in Europa noch immer im Anthropozentrismus gefangen sind, jenem Paradigma, das vor 2500 Jahren in Griechenland geboren wurde und seitdem die abendländische Philosophie und Theologie dominiert hat. Anthropozentrismus, das meint: Die ganze Welt und alle nichtmenschlichen Lebewesen sind ausschließlich um des Menschen willen geschaffen, sie haben keinen Wert für sich. Der Mensch darf sie für seine Zwecke nutzen, denn letztlich haben sie den moralischen Status von Dingen. Sich in die Position des Wolfs hineinzuversetzen ist nach dieser Überzeugung überflüssig und sinnlos. Wie der Mensch zum Mittelpunkt wurde Lesen Sie zum Thema auch „Haben Bäume Rechte (und Pflichten)?“ von Christoph Müller, am 9. Juni 2021, auf furche.at. Das Christentum und seine Theologie wie die abendländische Philosophie sind bis heute von Anthropozentrismus dominiert. Im Gegensatz zum Alten Testament, der jüdischen Bibel. Krone der Schöpfung? „ Abendländischer Anthropozentrismus gilt als einer der wichtigsten Treiber der Umweltzerstörung und Tierausbeutung. “ Seit der Mediävist Lynn White 1967 in der renommierten Fachzeitschrift Science einen Artikel über „die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“ veröffentlich hat, gilt der abendländische Anthro pozentrismus als einer der wichtigsten Treiber der Umweltzerstörung und Tierausbeutung. Und mindestens für das Mittelalter weist White überzeugend nach, dass das Christentum sich diesen An thropozentrismus zu eigen gemacht und ihn weiterverbreitet hat. Ist also, wie Carl Amery und Eugen Drewermann aus Whites Artikel folgerten, das Christentum der Hauptschuldige für die gegenwärtige Ökokrise? Und wie könnte eine Alternative zum Anthropozentrismus aussehen, die womöglich sogar besser zu den Glaubensüberzeugungen des Christentums passt? Wer diese Fragen beantworten will, muss zunächst einmal festhalten, dass die Bibel kaum anthropozentristisches Gedankengut aufweist. In der ersten Schöpfungserzählung (Gen 1) werden die Lebensräume, also Wasser, Luft und Land, um aller Lebewesen willen geschaffen. Diese werden am fünften und sechsten Tag in die Lebensräume hineingesetzt und aufgefordert, sie ebenso miteinander zu teilen wie die Nahrungsmittelressourcen. Fleischverzehr ist in dieser idealen Schöpfungssituation nicht vorgesehen – allein die grünen Pflanzen dienen zur Nahrung. In den Schöpfungsbund mit Noach werden die Tiere als Bundespartner so klar mit einbezogen, dass der Bibeltext (Gen 9) es vier Mal wiederholt – damit es auch der Letzte kapiert. Und in den fünf Büchern der Tora finden sich zahlreiche Gebote, die dem Schutz und Wohl der Tiere dienen. Im Großen und Ganzen wird man also sagen dürfen, dass das Alte Testament nicht anthropozentristisch denkt, sondern biozentristisch: Die Schöpfung ist um der Lebewesen da, sie alle haben in den Augen Gottes einen einzigartigen Wert, eine unverlierbare Würde. So hat es auch Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ von 2015 festgehalten. Wenn die Bibel aber im Unterschied zur griechischen Philosophie nicht anthropozentristisch denkt, wie konnte der Anthropozentrismus dann in die christliche Theologie gelangen? Die Antwort muss an dieser Stelle kurz ausfallen und mag vereinfachend wirken. Dennoch: Über einen Zeitraum von etwa sechs Jahrhunderten sickert der griechische Anthropozentrismus in die christliche Theologie ein. Dann aber ist er dort so fest verwurzelt, dass man ihn nicht mehr als Fremdkörper erkennt, sondern als ein „Quasi-Dogma“ behandelt, das noch im gegenwärtigen Katechismus der katholischen Kirche seinen festen Platz hat (KKK 2415–2418). Was mit Alexander dem Großen begann ... Der Prozess des Einsickerns beginnt bereits vorchristlich. Seit Alexander der Große um 330 v. Chr. sein Weltreich errichtet hat, verbreitet sich der sogenannte Hellenismus. Das meint, dass die griechische Kultur im gesamten Reich Alexanders und teilweise noch weit darüber hinaus Schritt für Schritt zur Leitkultur wird. Ohne dass es der Herrscher angeordnet oder erzwungen hätte, wird das griechische Denken zum Standard der damaligen Zivilisation. Das betrifft auch das Griechisch sprechende Judentum in der Diaspora und ganz besonders die jüdische Gemeinde von Alexandria in Ägypten. Diese übersetzt das hebräische Alte Testament ins Griechische. Doch sie übersetzt nicht einfach, sondern interpretiert dabei auch. Und so kommt es, dass im griechischen Alten Testament, der Septuaginta, nicht wenige Stellen anthropozentristisch ausgelegt werden, die nie so gedacht waren. Die ganz späten Texte des christlichen Alten Testaments sind sogar in Griechisch verfasst worden, etwa das Buch der Weisheit, das nur wenige Jahrzehnte vor Christi Geburt in der jüdischen Gemeinde von Alexandria entstanden ist und das wir als einziges alttestamentliches Buch qualifizieren können, das konsequent anthropozentristisch denkt. In ihm werden die Tiere auch das einzige Mal in der Bibel mit dem für die griechische Philosophie typischen Begriff bezeichnet: Aloga, die Vernunft losen (Weish 11,15-16). Ein furchtbares Urteil mit fatalen Konsequenzen für die so Bezeichneten.

DIE FURCHE · 1 4. Jänner 2024 Religion 11 Während Jesus mehrfach von der liebenden Fürsorge Gottes für die nichtmenschlichen Geschöpfe spricht und sich damit in der biblischen Tradition bewegt, ist es der hellenistische Jude Paulus, der die damalige Populärphilosophie, die Stoa, übernimmt – und mit ihr deren Anthropozentrismus. Die alttestamentlichen Tierschutzgebote muss er daher metaphorisch deuten. Das Gebot der Tora „du sollst dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen“ (Dtn 25,4) überträgt Paulus auf den Menschen: „Liegt denn Gott etwas an den Ochsen? Spricht er nicht allenthalben unseretwegen? Ja, unseretwegen wurde geschrieben: Der Pflüger wie der Drescher sollen ihre Arbeit in der Erwartung tun, ihren Teil zu erhalten.“ (1 Kor 9,9-10) Aus dem tierethischen Gebot macht Paulus ein sozialethisches, das die arbeitenden Menschen schützt. Hellenistische Kultur nicht hinterfragt GLAUBENSFRAGE „ Während Jesus mehrfach von der liebenden Fürsorge Gottes für die nichtmenschlichen Geschöpfe spricht, übernimmt Paulus die Stoa und deren Anthropozentrismus. “ Der so eingeschlagene Weg wird von den frühen Theologen der Kirche unbeirrt fortgesetzt. Sie lesen die Bibel mit der Brille des griechischen Anthropozentrismus, und was dann in wörtlicher Auslegung nicht ins Konzept passt, wird metaphorisiert. Dabei sind viele der Kirchenväter enorm tierfreundlich – wie etwa Basilius der Große oder Augustinus. Es ist faszinierend zu lesen, wie liebevoll sie über Tiere sprechen. Aber wenn es um die harten Eckdaten der dogmatischen Lehre geht, stellt niemand von ihnen den Anthropozentrismus oder die Aloga-These infrage. Die hellenistische Kultur ist für sie unhinterfragbar. Und das heißt eben auch: Christus ist nicht Fleisch (Geschöpf), sondern Mensch geworden, denn nur der vernunftbegabte Mensch kann den göttlichen Logos in sich aufnehmen. Das ewige Leben ist nur für die Menschen bereitet, denn die Tiere haben danach in Ermangelung der Vernunft gar kein Verlangen, man nimmt ihnen nichts weg, wenn sie nicht in den Himmel kommen. Und auch das sei vermerkt: Die christliche Abwertung des Leibes und der Gefühle hängt eng mit der Abwertung der Tiere zusammen. Denn die Gefühle sind das „Tier in uns“, das von der Vernunft „beherrscht“ werden muss, und der Leib ist das, was wir nicht mit Gott und den Engeln, sondern mit den Tieren gemeinsam haben. Er ist etwas Niedriges, was wir im Himmel hinter uns lassen. Sie ahnen: Der Weg zu einer nichtanthropozentristischen Theologie ist weit. Viele Bereiche der christlichen Dogmatik müssen in ihren Grundfesten verändert werden, weil der Anthropozentrismus in sie alle verwoben ist. Das gilt auch für die weit intensiver diskutierte Frage einer neuen Sexualmoral. Mir scheint der gegenwärtige Fehler zu sein, dass deren Verwobenheit in die meisten dogmatischen Traktate noch viel zu wenig gesehen wird – und der hartnäckige Widerstand der Konservativen unverständlich scheint. „ Die christliche Abwertung des Leibes und der Gefühle hängt eng mit der Abwertung der Tiere zusammen: Die Gefühle sind das ‚Tier in uns‘ ... “ Trotz dieser Schwierigkeiten ist die Wende möglich. Gemäß der Schöpfungserzählung ist der Mensch nicht die Krone der Schöpfung, denn er wird wie die Landtiere am vorletzten Tag erschaffen. Krone der Schöpfung ist der Sabbat. Und der gilt auch für die Tiere. Wie die Menschen sollen sie an diesem Tag „zu Atem kommen“ (Ex 23,12) und sich ihres Lebens freuen. Denn vor Gott sind alle Geschöpfe einzigartig und wertvoll. Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz. Entschädigung – ohne Murren Von Hildegund Keul Das Bistum Augsburg äußerte kürzlich Bedenken bezüglich der lebenslangen Folgeschäden in einem Missbrauchsfall, in dem die „Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen“ dem Betroffenen eine Entschädigung von 150.000 Euro zugesprochen hatte. Ein Argument des Bistums: Da der Betroffene eine eigene Familie sowie beruflichen Erfolg habe, könne es ihm nicht so schlecht ergangen sein. Das Argument negiert die bleibend erhöhte Vulnerabilität von Überlebenden. Deren Lebensverhältnisse können auch dann, wenn sie nach außen stabil erscheinen, sehr fragil sein. Beispielsweise kann Suizidalität überraschend wieder ausbrechen, obwohl sie schon überwunden schien. Besonders perfide ist am Argument des Bistums, dass die Leistung eines Betroffenen, aus seiner erhöhten Vulnerabilität heraus trotzdem Resilienz zu entwickeln, gegen ihn verwendet wird. Auf Kosten von Überlebenden wird zu pekuniären Gunsten der Kirche gehandelt. Vielleicht liegt hier der Irrtum vor, dass hohe Vulnerabilität und hohe Resilienz sich wechselseitig ausschließen. Aber in der Kirche müsste man es im Blick auf die eigenen Traditionen besser wissen. War die grauenerregende Kreuzigung Jesu gar nicht so schlimm, weil Jesus Auferstehung erfahren hat? Oder im Blick auf Weihnachten: Auf ihrer Flucht nach Ägypten waren Maria und Josef extrem verwundbar – und zugleich resilient, indem sie der Gewaltsamkeit eines autoritär agierenden Königs widerstanden. Die Argumentation des Bistums hat etwas Verletzendes. Sie wird weder der Vulnerabilität noch der Resilienz von Überlebenden gerecht. Opferorientierung sieht anders aus. Die Bistümer – und das gilt nicht nur für Augsburg – sollten sich an die Ergebnisse unabhängiger Kommissionen halten und anstehende Entschädigungen ohne Murren leisten. Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg. DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Mythos Lenin Nr. 3 • 18. Jänner Wladimir Lenin war theoretischer Marxist und der weltweit erste kommunistische Regierungschef, er gilt als Begründer der Sowjetunion – sein Wirken prägt Russland bis heute. Nun jährt sich sein Tod zum 100. Mal. Justiz im Vormarsch Nr. 5 • 1. Februar Staatsanwaltliche Ermittlungen und Anklagen dominieren die Innenpolitik. Und weltweit werden Prozesse für Minderheitenrechte und Klimaschutz oder gegen Kriegsverbrecher geführt. Gehen wir in ein Zeitalter des Rechts? Generation Tiktok Nr. 7 • 15. Februar Nicht nur viele Eltern und Lehrkräfte, auch Verlage und die Politik stehen den Mediengewohnheiten junger Menschen anno 2024 ratlos gegenüber. Was braucht und wie erreicht man die „Generation Tiktok“? Zukunft der Zeitung Nr. 9 • 29. Februar Seit Jahrzehnten wird die gedruckte Zeitung totgesagt. Und ebenso wird das bestritten. Sicher ist, dass Digitalisierung und Internet die Medienwelt radikal verändert haben. Was bedeutet dies fürs klassische Medium Zeitung? Was wir essen werden Nr. 11 • 14. März Der Zukunft der Ernährung widmet sich das diesjährige Symposion Dürnstein. Die nationale und globale Ernährungssicherheit steht ebenso im Fokus wie die Folgen der Lebensmittelindustrie für die Biodiversität. Gott – (k)eine Frage Nr. 13 • 28. März In säkularen Gesellschaften spielt Religion eine immer geringere Rolle. Was bedeutet das für die Gottesfrage? Hat sich der Glaube an ein übergeordnetes und übernatürliches Wesen erübrigt? Oder kommt er wieder – und ganz neu? *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Was ist der Mensch? Nr. 4 • 25. Jänner Nicht nur Künstliche Intelligenz und Transhumanismus, auch die „Genschere“ CRISPR oder seit jeher umstrittene Themen wie Eizellspende oder Leihmutterschaft werfen bioethische Grundsatzfragen auf. Aus vollem Hals Nr. 6 • 8. Februar Lachen ist ansteckend, heißt es, und es ist gesund. Es kann gegen Schmerzen helfen und verbessert die Gehirnfunktion. Doch aus vollem Hals zu lachen, gehört nicht immer zum guten Ton. Über die Kulturgeschichte der Freude. Falsche Erinnerung Nr. 8 • 22. Februar Das Gedächtnis ist ein Wunderwerk: Erlebnisse, die Jahre oder sogar Jahrzehnte zurückliegen, können oftmals immer noch abgerufen werden. Doch manchmal – etwa nach Trauma – kann die Erinnerung auch trügen. Ein Tag für Frauen Nr. 10 • 7. März Entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Forderung nach einem Wahlrecht für Frauen, bat in den 1970ern eine UN- Resolution, einen Tag des Jahres zum „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ zu erklären. Waldland Österreich Nr. 12 • 21. März Zum internationalen Tag der Wälder richten wir den Blick auf das Waldland Österreich: Fast die Hälfte des Staatsgebietes ist bewaldet, doch das „grüne Herz“ gerät zusehends in Klima-, Energie-, Bau- und Freizeitstress. Diagonale Nr. 14 • 4. April Österreichs Filmbranche versammelt sich in Graz zur großen Werk- und Leistungsschau. Wie hat sich das Filmland Österreichs im letzten Jahr entwickelt? Und was wird anders unter der neuen Diagonale-Intendanz? ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR.

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