DIE FURCHE · 40 6 Politik 3. Oktober 2024 Trotz historischer Verluste muss die Sozialdemokratie nun die Weichen für eine Dreierkoalition stellen, sagt der Politikwissenschafter Anton Pelinka im FURCHE-Interview. Gescheitert Die Kanzlerschaft hat Andreas Babler deutlich verfehlt. In bevorstehenden Koalitionsverhandlungen ist die SPÖ aber in keiner schlechten Position. Das Gespräch führte Wolfgang Machreich Mit 21,1 Prozent der Stimmen kam die SPÖ nicht einmal in die Nähe des oft beschworenen Dreikampfs um den ersten Platz. Auch wenn die Ablöse von Parteichef Andreas Babler derzeit offiziell nicht zur Debatte steht, ist seine Zukunft an der Spitze der Partei alles andere als sicher, so Politikwissenschafter Anton Pelinka. Foto: APA / Roland Schlager Bereits mit der Kür des Nachfolgers von P. Rendi-Wagner verpasste die SPÖ eine Chance, so Pelinka (31.3.2023) auf furche.at. DIE FURCHE: Herr Professor Pelinka, Ihre vor ein paar Jahren verfasste politische Autobiografie haben Sie, bezogen auf Österreichs Umbruchzeiten, „Nach der Windstille“ genannt – in welche politische Wetterlage sind wir nach dieser Nationalratswahl geraten? Anton Pelinka: Na ja, wir wissen noch nicht ganz, ob es bei einem normalen Schlechtwetter bleibt oder noch schlimmer wird. Ich würde eher zu Letzterem neigen, nicht ohne gleichzeitig überzeugt zu sein: Die demokratische Republik muss das aushalten können. Daher habe ich bereits früher einmal das Wort von der „Italianisierung“ Österreichs verwendet. Damit geht Ratlosigkeit einher und Unübersichtlichkeit, aber es bedeutet nicht das Ende der demokratischen Republik. KLARTEXT Der Kampf ums Land Die Ergebnisse der Nationalratswahlen zeigen bemerkenswerte Aspekte. Auffällig ist etwa, dass die drei Parteien, die einen liberaleren Kurs in der Migrationspolitik vertreten (SPÖ, Grüne, Neos), in urbanen Gebieten überproportional erfolgreich waren. Im Gegensatz dazu schnitten die Parteien mit einem restriktiveren Ansatz (FPÖ, ÖVP) vor allem im ländlichen Raum besser ab. Das ist insofern interessant, als die meisten Migranten in Städten leben. Die härtere Haltung gegenüber Migration – mit bedeutsamen Ausnahmen wie Wien Favoriten und Floridsdorf – wird vor allem von jenen unterstützt, die nicht direkt von Zuwanderung betroffen sind. Gleichzeitig zeigt sich, dass die urbane Wohnbevölkerung in den Wahlergebnissen unterrepräsentiert ist. Weil in den Städten die meisten Migranten leben, gibt es hier auch den höchsten Anteil nichtwahlberechtigter Personen. Fast jeder fünfte in Österreich lebende Mensch ist nicht wahlberechtigt – Tendenz steigend. In manchen Bezirken Wiens sind es sogar über 40 Prozent. Das liegt „Nach Höflichkeits- Phase wird Babler zurücktreten“ DIE FURCHE: Heißt das, die demokratische Republik Österreich muss auch eine FPÖ unter Herbert Kickl in der Regierung aushalten können? Pelinka: Ja, auch das muss sie aushalten. Schauen Sie, wenn die FPÖ rational handelt, davon kann man zwar nicht zwingend ausgehen, aber formulieren wir einmal diese Hypothese: Dann muss sie versuchen, mit der ÖVP eine Koalition unter einem Kanzler Kickl zu schließen. Das heißt, sie muss der ÖVP Angebote machen, zu denen die ÖVP schwer Nein sagen kann. Dieses erste Szenario, also eine FPÖ-ÖVP-Regierung unter einem Kanzler Kickl, würde jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit bedeuten, dass Karl Nehammer abtreten muss. Denn er hat sich zu sehr gegen Kickl festgelegt. Von Julia Mourão Permoser nicht nur am Zuzug, sondern auch am strengen Einbürgerungsrecht. Von den 19,7 Prozent ausländischen Staatsbürgern in Österreich sind neun Prozent hier geboren oder leben seit über zehn Jahren im Land. Das trägt zur Unterrepräsentation liberaler Kräfte im Parlament bei, was Migrationsthemen betrifft. Interessant ist auch, dass die Strategie der ÖVP, den harten Migrationskurs der FPÖ zu übernehmen, nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Im Gegenteil: Noch nie hat die ÖVP so viele Wähler an die FPÖ verloren. Während früher der „Kampf um Wien“ das zentrale Duell für die FPÖ war, scheint es nun der „Kampf ums Land“ zu sein. Welche Ängste bewegen die ländliche Bevölkerung, und wa rum eignet sich Migration hier so gut als Projektionsfläche? Das sollten sich alle fragen, die künftig mitregieren wollen. Die Autorin ist Professorin für Migration und Integration an der Donau-Universität Krems. DIE FURCHE: Und wie lautet Ihr zweites Szenario? Pelinka: Die zweite, heute schon etwas wahrscheinlichere Möglichkeit ist eine Dreiparteienallianz gegen Kickl. Der Charme dieser Version für die ÖVP ist, dass die SPÖ und die Neos oder die Grünen Nehammer anbieten, dass er Kanzler bleibt. Für eine solche Dreiparteienkoalition müsste sich die SPÖ jetzt allerdings flexibel zeigen und dieses Angebot ausdrücklich und öffentlich an Nehammer herantragen, damit die in der ÖVP vorhandenen Anti-Kickl- Kräfte schwer Nein sagen können. DIE FURCHE: Wie realistisch ist es, dass die SPÖ jetzt vorprescht und für eine Koalition mit zwei wirtschaftsliberalen Parteien wie ÖVP und Neos wirbt? Noch dazu mit einer Parteispitze, die sich explizit dem linken Flügel zurechnet und sich im Wahlkampf besonders für Vermögensteuern starkgemacht hat … Pelinka: Es ist ganz einfach: Diese Position muss die SPÖ aufgeben! Es zeigt sich doch deutlich, dass es in der österreichischen Gesellschaft offenbar keine Mehrheit für Vermögens- oder Erbschaftssteuern gibt. Das muss der Herr Babler akzeptieren. Und die SPÖ muss feststellen, dass sie diese Wahl nicht gewonnen hat. Das heißt ja nicht unbedingt, dass sie verloren hat. Denn sie kann im Spiel um einen Platz in der Regierung bleiben und damit Kickl verhindern. Die SPÖ muss sich entscheiden: Kickl verhindern oder dem Traumgebilde, derzeit ist es ein Traumgebilde, Vermögensund Erbschaftssteuer nachlaufen. DIE FURCHE: Nach dem Dreikampf um die SPÖ-Parteispitze im Vorjahr haben Sie in der FURCHE einen Gastkommentar mit Titel und Stoßrichtung „Die vergebene Chance der SPÖ“ geschrieben – fühlen Sie sich vom bescheidenen Wahlergebnis für die SPÖ be stätigt? Pelinka: Ja, ich sehe mich bestätigt. Ein Parteichef und Spitzenkandidat Babler, der angetreten ist, um die Sozialdemokratie aus einem Tief in lichte Höhen zu führen, und es dann nicht einmal schafft, das Ergebnis seiner Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner zu erreichen. Das sagt eigentlich schon alles und ist eindeutig. DIE FURCHE: Der frühere Wiener Bürgermeister Michael Häupl hat einmal die einfache Regel aufgestellt, dass ein Parteivorsitzender dann erfolgreich ist, wenn er Wahlen gewinnt. Rechnen Sie nach diesem Wahlausgang mit einer neuerlichen Führungsdebatte in der SPÖ? Pelinka: Meine Prognose ist, dass nach gegenwärtigem Ermessen Andreas Babler nach einer Höflichkeits-und-Anstandsphase von ein paar Wochen zurücktreten wird. DIE FURCHE: Die Zeit nach der Wahl bis zur Angelobung einer neuen Regierung wird die „Stun- „ In der Gesellschaft gibt es offenbar keine Mehrheit für Vermögenssteuern. Das muss Herr Babler akzeptieren. “
DIE FURCHE · 40 3. Oktober 2024 Politik 7 de des Bundespräsidenten“ genannt – wie kann Alexander Van der Bellen diese nützen? Pelinka: Alexander Van der Bellen ist der Regierungsbildner, einerseits hat er die große Chance, Einfluss auf die Regierungsbildung zu nehmen, andererseits ist auch seine Macht begrenzt. Wobei es falsch ist, wenn man in der österreichischen Öffentlichkeit und den Medien jetzt den Gewinner der relativen Mehrheit bei der Nationalratswahl als Wahlsieger bezeichnet. Der einzige echte Wahlsieger, den wir in Österreich haben, ist Alexander Van der Bellen, der persönlich in sein Amt gewählt wurde. Die FPÖ als Wahlsieger zu bezeichnen, ist eine sprachliche Schlamperei. Die beiden Faktoren, die einen Wahlsieger bestimmen, sind erstens der direkt gewählte Bundespräsident und zweitens die absolute Mehrheit im Nationalrat. Diese hat die FPÖ aber nicht gewonnen. Die absolute Mehrheit im Nationalrat ist nicht bei der FPÖ, ob sie woanders liegt, das müssten jetzt die Parteien beweisen, die gesagt haben, dass sie die FPÖ im Kanzleramt verhindern. ZUSÄTZLICH AUF FURCHE.AT „Die FPÖ könnte ein Opfer ihres Erfolgs werden“ Das Gespräch führte Wolfgang Machreich Die rechtspopulistische FPÖ wurde die stimmenstärkste Partei – was ihr aber nichts nutzen dürfte. Die ÖVP hatte bereits vorab einer Koalition eine Absage erteilt. Nun gilt es, Konventionen über Bord zu werfen, sagt der Salzburger Politikwissenschafter Eric Miklin. Auch bei der Wahl des Ersten Nationalratspräsidenten sieht er diese nicht als zwingend. DIE FURCHE: Die ÖVP sieht nach ihrer ersten Sitzung nach den Wahlen die FPÖ als stimmenstärkste Partei am Zug, als Erste den Sondierungsauftrag für eine nächste Regierung zu bekommen. Wie interpretieren Sie diesen Wink an den Bundespräsidenten, bei den bisherigen politischen Usancen zu bleiben? Eric Miklin: Die ÖVP ist in der komfortablen Position. Sie will den Ball an den Bundespräsidenten weiterspielen. Ihr wäre es recht, wenn dieser der FPÖ den Vortritt ließe. Damit würde das Narrativ nicht weiter verstärkt werden, dass man die Freiheitlichen übergehe. Das Kalkül der ÖVP: Kickl und Co sollen den Sondierungsauftrag bekommen – und dann zusehen, was sie erreichen. Das ist ein Versuch, den FPÖ-Vorwurf von der „Einheitspartei“, zu der alle anderen Parteien gehören, zu entkräften. Doch diese Erzählung wird der FPÖ ohnehin nutzen, sollte es zu einer Dreierkoalition ohne sie kommen. DIE FURCHE: Das Argument der ÖVP lautet, man soll die „demokratischen Usancen“ in Österreich wie gehabt weiterführen, sowohl beim Sondierungsauftrag als auch bei der Bestellung des Ersten Nationalratspräsidenten. Miklin: Eine Forderung, die nirgendwo geschrieben steht. Es besteht kein Zwang, sich an Traditionen zu halten. Lesen Sie das gesamte Interview mit Politikwissenschafter Eric Miklin unter dem Titel „Die FPÖ könnte ein Opfer ihres Erfolgs werden“ auf furche.at. „ Der einzige echte Wahlsieger, den wir in Österreich haben, ist Alexander Van der Bellen, der persönlich in sein Amt gewählt wurde. “ DIE FURCHE: Die ÖVP hat dem Herrn Bundespräsidenten am Dienstag ausgerichtet, dass er den politischen Usancen folgend den Ball für einen Sondierungsauftrag zunächst bei der FPÖ auflegen soll. Müssen wir uns nicht zuletzt auch wegen der anstehenden Landtagswahlen in Vorarlberg und der Steiermark auf langwierige Konsultationen und Sondierungen und Verhandlungen bis zu einer Regierungsbildung einstellen? Pelinka: In der ÖVP gibt es starke Stimmen, die eine Koalition mit der Freiheitlichen Partei befürworten. Aber die Parteispitze und insbesondere Karl Nehammer haben sich so gegen einen Kanzler Kickl festgelegt, dass sie ohne schweren Gesichtsverlust davon nicht mehr loskommen. Das heißt, ein Kanzler Kickl bedeutet eine neue Führung in der ÖVP. Und das will sich die ÖVP jetzt noch nicht antun. Ob diese Position auch noch in drei, vier Wochen oder mehreren Monaten unverändert ist, wird man sehen. Die Regierungsbildung ist sicher kein Kurzstreckenlauf, sie kann auch ein Marathon werden. Anton Pelinka (82) gilt als profunder Kenner der Sozialdemokratie. Foto:picturedesk.com / Starpix
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