DIE FURCHE · 40 24 3. Oktober 2024 Foto: APA / AFP / Mohammed Al-Shaikh Kontakte zu Bin Laden Khashoggi erlangte frühe Aufmerksamkeit als Begleiter von Osama bin Laden. Er interviewte den späteren Anführer von Al-Qaida mehrfach in Afghanistan und im Sudan. Später wandte er sich von ihm ab. Von Manuela Tomic Von Manuela Tomic MOZAIK Zehnfingermärchen An einer schweren, schwarzen Schreibmaschine lernte ich in der Hauptschule Maschinenschreiben. Unsere Lehrerin, eine weißhaarige Frau mit großen Zähnen, schüttete in der ersten Stunde lose Schreibmaschinentasten auf den Tisch. Das Alphabet, in seine Einzelteile zerlegt. In der zweiten Stunde öffnete sie einen großen Kasten und hievte die Maschinen, die sie wie einen Schatz hütete, auf unsere Tische. Im Marsch mussten wir stundenlang Zeichenfolgen aufs Papier klopfen: xyz xyz xyz … iv iv iv … Im Buchstabenrausch hämmerte ich schneller als die anderen und geriet aus dem Takt. Anstatt zu schimpfen, klebte mir die Lehrerin dutzende goldene Sternsticker in mein Heft. „Du wirst einmal eine fleißige Sekretärin“, sagte sie und tätschelte mein Köpfchen. Wenn ich heute als Journalistin Interviews führe und in Echtzeit auf meinem Laptop mitschreibe, spüre ich manchmal ihr Tätscheln, fühle, wie meine Kinderfinger tief in den Tastenschacht geraten. Sekretärin bin ich keine geworden, aber Frau Holle mit den großen Zähnen wäre stolz. Ich klopfe in die Tasten, bis meine Augen brennen. Es schneit Buchstaben. Auf den Goldregen warte ich immer noch. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Illu: RM Es ist ein Stoff wie aus einem Film: Am 2. Oktober 2018 betritt Jamal Khashoggi in schwarzem Sakko und grauer Jeans das saudi-arabische Konsulat in Istanbul, um Dokumente für seine geplante Hochzeit abzuholen, die schon am nächsten Tag stattfinden sollte. Kurz vorher äußerte sich Khashoggi bei Freunden skeptisch über seinen Termin in der Botschaft. Er dürfte sich wohl bewusst gewesen sein, dass es für jemanden wie ihn nicht ganz ungefährlich ist, das Konsulat zu betreten. Jamal Khashoggi ist zu dieser Zeit der wohl kritischste Journalist Saudi-Arabiens. Jahrelang berichtete er über das saudische Königshaus, pflegte Beziehungen zu saudischen Eliten, Islamisten und Demokraten gleichermaßen. Khashoggi stammt selbst aus einer prominenten saudischen Familie. Sein Großvater war Arzt und behandelte den König, während sein Onkel als bekannter Waffenhändler in Erscheinung trat. Die Bedrohung für Khashoggi nahm ab 2015 zu, als Mohammed bin Salman zum Kronprinzen und mächtigsten Mann des Königreichs aufstieg. Mohammed bin Salman zentralisierte die Macht und ließ keinen Widerspruch zu, was die politische Landschaft in Saudi-Arabien stark veränderte. Jegliche Kritiker sollten aus dem Weg geräumt werden. So auch Khashoggi. Aus Angst vor Verfolgung floh der Journalist ins Exil in die USA, wo er vor allem für die Washington Post schrieb. Dort kritisierte er regelmäßig die Politik von Kronprinz Mohammed, einschließlich der verheerenden Militärintervention im Jemen und der Blockade gegen Katar. Trotz gelegentlicher Lobeshymnen auf die innenpolitischen Reformen des Kronprinzen beklagte Khashoggi das Fehlen öffentlicher Debatten und die Festnahme oder das Verschwindenlassen von Kritikern. Begleiter von Bin Laden „ Jahrelang berichtete Jamal Khashoggi über das saudische Königshaus, pflegte Beziehungen zu saudischen Eliten, Islamisten und Demokraten gleichermaßen. “ „Ich habe meine Heimat, meine Familie und meinen Arbeitsplatz verlassen und erhebe meine Stimme. Alles andere wäre Verrat an denjenigen, die im Gefängnis schmachten. Ich kann sprechen, wenn so viele es nicht können“, so äußerte sich Khashoggi über seine Arbeit aus dem Exil. Als er am 2. Oktober 2018 die saudische Botschaft in Istanbul betritt, ist ihm nicht klar, welche Konsequenzen das haben wird. Denn die Kameraaufnahmen vor dem Eingang der saudischen Botschaft sind die letzten des Journalisten. Danach verschwindet Khashoggi spurlos, und sein Fall löst internationale Bestürzung aus. Khashoggi erlangte frühe Aufmerksamkeit als Begleiter von Osama bin Laden. Er interviewte den späteren Anführer von Al- Qaida mehrfach in Afghanistan und im Sudan. Trotz seiner konservativen Haltung und seiner kritischen Sicht auf den Westen distanzierte sich Khashoggi von Bin Laden, als dieser radikaler wurde. Er wandte sich liberaleren Ideen zu und kritisierte die strikte Auslegung des Islam durch Salafisten, was zu Konflikten mit dem religiösen Establishment führte. Vor sechs Jahren verschwand der Journalist Jamal Khashoggi in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul spurlos. Prozesse, internationale Bestürzung und Anschuldigungen waren die Folge. Hat sein Tod das Land verändert? „Ich erhebe meine Stimme“ Khashoggis Beziehung zum saudischen Königshaus war komplex. Zeitweise diente er als Berater des einflussreichen Prinzen Turki al-Faisal, der lange als Botschafter in Washington und Leiter der Geheimdienste fungierte. Khashoggi arbeitete auch als Berater und inoffizieller Sprecher des Königshauses. In seiner Karriere war er für viele Medien tätig und leitete zweimal die Zeitung Al-Watan. Doch aufgrund seiner kritischen Berichterstattung musste er zweimal gehen. Nach offiziellen Angaben aus der Türkei und den USA wartete in der Botschaft ein 15-köpfiges Kommando, ermordete ihn und ließ seine Leiche verschwinden. Sowohl ein Sonder gesandter der UNO als auch der US-Geheimdienst CIA kamen zu dem Schluss, dass Kronprinz Mohammed bin Salman direkt in Kha shoggis Ermordung verwickelt war. Aus Riad wurde dies vehement zurückgewiesen, der Fall brachte aber den De-facto-Herrscher international massiv unter Druck. Riad gab 2018 nach wochenlangen Dementis schließlich zu, dass Khashoggi „bei einem missglückten Einsatz zu seiner Festnahme“ getötet worden sei. In einem Prozess in Saudi- Arabien wurden fünf Todesurteile verhängt, die später in Haftstrafen umgewandelt wurden. Ein Grund für die Abmilderung dürfte ein Statement von Khashoggis Söhnen gewesen sein. Während des Prozesses im Jahr 2020 äußerte sich Salah Khashoggi auf Twitter wie folgt: „Wenn ein Mensch verzeiht und sich versöhnt, erhält er seinen Lohn von Allah. Darum verkünden wir, die Söhne des Märtyrers Jamal Khashoggi, dass wir diejenigen, die unseren Vater getötet haben, begnadigen.“ Khashoggis türkische Verlobte Hatice Cengiz und Menschenrechtler reagierten mit scharfer Kritik, weil sie befürchteten, dass die wahren Schuldigen straffrei ausgehen. Die Erklärung Salah Khashoggis wurde kurz vor dem Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan veröffentlicht. Traditionell werden zu diesem Anlass in vielen muslimischen Ländern Amnestien verkündet. „Für mein Land sprechen“ Der Mord an Khashoggi war nur ein erstes brutales Zeichen in Richtung der Verschärfung der Meinungsfreiheit in Saudi- Arabien. Bis Jänner 2024 dokumentierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International 69 Fälle, in denen Menschen in Saudi-Arabien „wegen der Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung“ strafrechtlich verfolgt wurden. Unter ihnen seien 32 Personen gewesen, die wegen ihrer „friedlichen Meinungsäußerung in den sozialen Medien“ verfolgt wurden. Die tatsächliche Zahl derartiger Strafverfolgungen ist laut Amnesty allerdings vermutlich wesentlich höher. Kronprinz Mohammed bin Salman dürfte zufrieden sein. Nachdem er im Zusammenhang mit Khashoggis Mord international geächtet wurde, sind Treffen westlicher Politikerinnen und Politiker mit ihm wieder salonfähig. Kein Wunder: Saudi-Arabien verfügt als wichtigstes Öl-Export-Land über Macht. Das wissen auch westliche Regierungschefs. Der Mord an Khashoggi bleibt, sechs Jahre danach, nicht mehr als ein symbolischer Aufschrei, während die Pressefreiheit in Saudi-Arabien dahinschwindet. Khashoggi äußerte kurz vor seinem Tod jedenfalls einen Wunsch, der ihm nicht erfüllt wurde: „Ich bin 60 Jahre alt und möchte das Leben genießen und frei sein, für mein Land zu sprechen.“
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