DIE FURCHE · 40 22 Wissen 3. Oktober 2024 Von Adrian Lobe Die Bewohner an der kalifornischen Küste schliefen noch, als am 22. Mai 2024 um vier Uhr morgens Ortszeit an der „Vandenberg Space Force Base“ in dichtem Nebel eine geheime Mission startete: Die Schwerlastrakete Falcon-9 des Weltraumunternehmens SpaceX beförderte einen Satelliten des US- Geheimdienstes ins All. Der US- Luftwaffenstützpunkt, gut vier Autostunden vom Silicon Valley entfernt, ist militärisches Sperrgebiet, doch Schaulustige konnten den Start im Livestream im Internet verfolgen: „Three, two, one, zero“. Der Booster zündet, es knallt und zischt, Rauch steigt auf, dann schießt die Rakete in den Nachthimmel über dem Pazifik, wo sie als glimmender Feuerschweif zu erkennen war. Nachdem sich die obere Raketenstufe vom unteren Teil, dem Booster, getrennt hatte, landete der Rumpf sicher auf einem Schiff im Pazifik. Doch nach der Landung endete der Livestream – auf Anordnung des Nationalen Aufklärungsamts (NRO) zeigte SpaceX keine weiteren Bilder. Denn die Fracht war „top geheim“. Der US-Militärgeheimdienst will im Rahmen der Mission „NROL-146“ in den nächsten Jahren hunderte Spionagesatelliten ins All schießen. Die Himmelskörper, die in der niedrigen Umlaufbahn in einer Höhe von 200 bis 2000 Kilometer um die Erde krei- Siehe dazu auch „Der Ukraine- Krieg als Satellite War: Aufklärung im All“ (13.10.2022) von Manuela Tomic, auf furche.at. Früher hatten nur Geheimdienste eine scharfe Sicht auf den Planeten. Doch heute schicken auch private Unternehmen Satelliten ins All. Mithilfe spezieller Radartechnik und Bildgebung entstehen hochauflösende Aufnahmen, vor denen sich niemand mehr verstecken kann. „Big Brother“ aus dem Weltraum sen, sollen hochauflösende Bilder an die Erde funken. Die Behörde hat dazu einen milliardenschweren Auftrag an SpaceX und den US-Rüstungskonzern Northrop Grumman vergeben. Die Satelliten, die mit speziellen Sensoren und Radartechnologie ausgestattet sind, sollen in der nachrichtendienstlichen Arbeit Drohnen und Aufklärungsflugzeuge ersetzen, deren Einsatz in Kriegsgebieten aufgrund von Flugabwehrgeräten als riskant gilt. Der Weltraum ist nicht erst heute ein Ort der Überwachung. Schon im Kalten Krieg schossen Amerikaner und Sowjets Satelliten ins Weltall, um feindliche Truppenbewegungen wie etwa die Verlegung von Nuklearsprengköpfen zu verfolgen. Die Technik war damals beschränkt. Die US- Spionage satelliten der Reihe Keyhole-9, auch „Big Bird“ genannt, die zwischen 1971 und 1986 in der Erdumlaufbahn kreisten, hatten zwar für damalige Verhältnis- „ Die scharfgestellten Kameras im Orbit könnten noch viel mehr sehen als bloß kaputte Hausdächer oder Schlaglöcher in Straßen, sondern auch Menschen. “ se eine recht hohe Auflösung von 60 Zentimetern pro Pixel – doch die nachrichtendienstliche Auswertung war extrem aufwendig: Die Bilder mussten auf knapp 96 Kilometer Filmrollen gepresst werden, die mit Raumschiffen zur Erde zu transportieren waren. Im Zeitalter der Digitalisierung werden die Bilder jetzt in Echtzeit an die Bodenstation gefunkt. Satelliten sind so etwas wie das Röntgengerät der Welt: Man kann sehen, wo Regenwälder abgeholzt werden, wo Ernten ausfallen, wo sich Container an Häfen stapeln und folglich die Konjunktur anzieht, wo Truppen zusammengezogen oder neue Raketenbasen errichtet werden, auch wo neue Flüchtlingsbewegungen entstehen. Die Welt erfuhr vom Super- GAU in Tschernobyl 1986 erst, als Satellitenbilder der NASA das Ausmaß der Katastrophe zeigten, weil Moskau eine Nachrichtensperre verhängt hatte. Mithilfe von Satellitenaufnahmen war es sogar möglich, 2021 den kolumbianischen Drogenboss Dairo Antonio Úsuga alias „Otoniel“ aufzuspüren, der sich im dichten Regenwald der kolumbianischen Provinz Antioquia versteckt hielt. Früher hatten nur Geheimdienste eine so scharfe Sicht auf den Planeten, doch seitdem das US-Militär das Navigationssatellitensystem GPS 1993 zur zivilen Nutzung freigegeben hat, hat sich ein Markt privater Satellitenbetreiber entwickelt, die hochauflösende Bilder aus dem All an verschiedenste Kunden liefern: Geheimdienste, Wetterdienste, Tech-Konzerne. Die Fotos der NASA sind heute frei Das Kreuz mit dem Kreuz wird leichter mit gesicherten Informationen. Um sich eine eigene Meinung bilden und Entscheidungen treffen zu können, braucht man unabhängige Informationen sowie Hintergrundwissen. Qualitätsjournalismus schafft mit fundierter Recherche die Basis für eine wirklich freie Wahl. dubistwasduliest.at DU BIST, WAS DU LIEST.
DIE FURCHE · 40 3. Oktober 2024 Wissen 23 im Internet zugänglich, auf Google Earth kann jeder in Wohnviertel hi nein zoomen und schauen, ob der Nachbar einen Pool hat. In diesen optischen Grenzbereich, der aufgrund strenger staatlicher Regulierung (siehe Infokasten unten) lange den Geheimdiensten vorbehalten war, dringen nun auch private Unternehmen vor. So tüftelt das US-Start-up Albedo Space an einer neuen Generation von Satelliten, die gestochen scharfe Aufnahmen mit einer Auflösung von zehn Zentimetern pro Bildpunkt von der Erde machen sollen. Die Firma, die u. a. von Bill Gates finanziert und von ehemaligen CIA-Agenten beraten wird, will nächstes Jahr eine Flotte von Überwachungssatelliten in die niedrige Erdumlaufbahn schießen. Durch die Wolken schauen Die hochauflösenden Satellitendaten könnten etwa Versicherungen helfen, Unwetterschäden zu begutachten. Die scharfgestellten Kameras aus dem All, fürchten Datenschützer, könnten aber noch viel mehr sehen als bloß kaputte Hausdächer oder Schlaglöcher in Straßen, sondern auch Menschen. Bürgerrechtsorganisationen sind alarmiert: „Das ist eine gigantische Kamera am Himmel, die jede Regierung zu jeder Zeit ohne unser Wissen nutzen kann“, wetterte die Aktivistin Jennifer Lynch in der New York Times. Der Astrophysiker Jonathan McDowell schlug in dieselbe Kerbe: Die Welt käme der „Big- Brother“-Dystopie einen Schritt näher. Zwar gehen Experten davon aus, dass man auf den Satellitenfotos nicht einzelne Gesichter identifizieren und auf Personen schließen kann. Es sei aber möglich, Sonnenanbeter in Badekleidung von Personen mit anderer Bekleidung zu unterscheiden. SATELLITENTECHNIK Foto: iStock/greenbutterfly Wie mit Röntgenblick Abgeholzte Regenwälder, ausgefallene Ernten oder Militärbewegungen: Die Satelliten bringen es ans Licht. Die Überwachung aus dem Weltall hat noch einmal eine andere Dimension als auf der Erde: Gegen die unerwünschten Blicke des Nachbarn kann man einen Sichtschutz errichten, man kann auch sein Handy bzw. die Das Geheimnis der Auflösung Ortungsfunktion ausschalten, um nicht auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden. Doch vor einem Satelliten kann sich niemand verstecken. Hightech-Satelliten können mithilfe von spezieller Radartechnik und Bildgebung sogar bei Regen oder Nebel gestochen scharfe Fotos schießen – und quasi durch die Wolken schauen. Und die Technik entwickelt sich weiter. China hat im vergangenen Jahr einen Satelliten (Yaogan-41) in den Orbit geschossen, der mit einer Auflösung von zweieinhalb Metern Objekte von der Größe eines Autos im gesamten Indopazifik verfolgen kann. Das ist so scharf, als könnte man eine Haarsträhne aus 800 Meter Höhe erkennen. Im Gegensatz zu den meisten niedrigfliegenden, schnellumlaufenden Satelliten, die einen Flecken der Erde nur für wenige Minuten erfassen können, handelt es sich um einen geostationären Satelliten, der dieselbe Winkelgeschwindigkeit wie die Erde hat – und damit eine konstante Sicht auf die Hälfte der Erdoberfläche. Offiziell soll der Satellit zur Wettervorhersage und Katastrophenprävention eingesetzt werden. Experten gehen aber davon aus, dass der Satellit auch für nachrichtendienstliche Zwecke genutzt wird. Wer in Asien mit dem Auto unterwegs ist, muss also wohl damit rechnen, dass er auf dem Schirm chinesischer Geheimdienste ist. Die USA erlauben kommerziellen Satellitenbetreibern nur eine Auflösung von 25 Zentimetern pro Bildpunkt: Zu groß ist die Sorge, dass Militärgeheimnisse an ausländische Regierungen verkauft werden könnten. Auch für Israel galt lange eine Einschränkung für die Verbreitung hochauflösender Satellitenfotos, weshalb die Bilder aus dem Gazastreifen meist unscharf waren. Über Details hüllen sich die Geheimdienste in Schweigen. Der frühere US-Präsident Donald Trump twitterte 2019 ein Foto eines iranischen Weltraumbahnhofs, das die Auflösung verriet: zehn Zentimeter pro Pixel. Experten gehen davon aus, dass US-Spionagesatelliten mit speziellen optischen Sensoren sogar Aufnahmen mit einer Auflösung von fünf bis sieben Zentimeter machen können. Damit könnte man z. B. auch Schatten auf Gehwegen erkennen. (Adrian Lobe) In der Wiener Innenstadt soll bis 2027 Österreichs größtes Zentrum für Wissenschafts vermittlung entstehen – ein wichtiges Signal angesichts grassierender Wissenschaftsskepsis. Aula der Begegnung Von Martin Tauss Ist Astrologie harmlos? Oder trägt sie zur „Verdummung durch Esoterik“ bei? Das kritisierte Sigrid Pilz, ORF-Stiftungsrätin der Grünen, anlässlich des neuen ORF-Formats „Blick in die Sterne – Die Astro Show“. Auf der Plattform X (ehemals Twitter) verwies sie auf ein Schreiben, das sie an den ORF-Generaldirektor geschickt habe: „Ich möchte mich als Stiftungsrätin ausdrücklich darüber beschweren, dass der ORF mit einer Astroshow unwissenschaftliche Schwurbelei verbreitet und damit die Wissenschaftsskepsis in der Bevölkerung befördert. Ich ersuche Sie dringend, dieses und vergleichbare bereits bestehende Angebote aus dem Programm zu nehmen.“ Auch der Wissenschaftsautor und -blogger Florian Freistetter, ein Mitglied der „Science-Busters“, übte im Standard heftige Kritik an der neuen ORF-Show: „Einen so eindeutig unwissenschaftlichen Aberglauben wie die Astrologie völlig unkritisch als etwas zu präsentieren, mit dem man Erkenntnisse über den Charakter des Menschen oder ihre Zukunft erhalten kann, ist nicht nur kein adäquates Format, sondern aktive Behinderung von Wissensvermittlung.“ Wunden aus der Coronazeit Was früher kaum jemanden hinter den Ofen hervorgeholt hätte, ist heute eine hitzige Debatte, ja ein Politikum. Denn das gesellschaftliche Klima hat sich geändert: Wissenschaftlichen Konsens ernst zu nehmen, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Fake News konkurrieren mit Fakten. In den Blasen der sozialen Medien haben sich Parallelwirklichkeiten heraus gebildet. Und es gibt Akteure, die aus der Wissenschaftsskepsis Profit schlagen – z. B. rechtspopulistische Parteien, die etwa die Wunden aus der Coronazeit für ihre Zwecke instrumentalisieren. So hatte die FPÖ im Wahlkampf den deutschen Mikrobiologen Sucharit Bhakdi eingeladen, der den Nutzen von Impfungen generell in Zweifel zieht. Bei der Nationalratswahl kam die FPÖ auf rund 29 Prozent. Ist das auch der Anteil jener, die zumindest in Bereichen der Medizin „alternative Ansichten“ pflegen? Oder ist Wissenschaftsfeindlichkeit hier nur ein nebensächlicher Aspekt im Vergleich zu anderen Wahlmotiven (also letztlich Gleichgültigkeit)? Wissenschaftsvermittlung wird jedenfalls zur drängenden Aufgabe. Ein Beitrag dazu ist das neue „Science Communication Center“, das ab 2027 in der Aula der Wissenschaften in Wien – anstelle eines zunächst kolportierten Gottfried-Helnwein-Museums – den Vollbetrieb aufnehmen soll. Auf 4500 Quadratmetern ist das bundesweit größte Zentrum für Wissenschaftskommunikation geplant. Das Gebäude, in dem u. a. die „Science Talks“ des Wissenschaftsministeriums abgehalten wurden, wird von der Akademie der Wissenschaften, der Uni Wien und TU Wien übernommen. Mit der Konzeption wurde der Informatiker Christopher Lindinger vom Salzburger Mozarteum beauftragt. Ein „Ort der Begegnung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“ soll laut Minister Martin Polaschek (ÖVP) entstehen, mit Ausstellungen, Themenwochen, Workshops oder Mitmach-Laboren. „Wir sind in Österreich mit starker Wissenschaftsfeindlichkeit konfrontiert; umso wichtiger ist es, hier Abhilfe zu schaffen“, betonte auch die grüne Wissenschaftssprecherin Eva Blimlinger. PHILOSOPHISCHES FORUM DIE AUFGEREGTE GESELLSCHAFT WO BLEIBT DIE VERNUNFT? DI 8. OKT 22:45 Emotionen bestimmen den öffentlichen Diskurs, Ängste werden geschürt, Feindbilder aufgerichtet – wogegen die Stimmen der Vernunft oft leise bleiben. Verlocken die Heilsversprechen von Populisten, weil sie die Ohnmacht gegenüber Krisen betäuben? Haben neue Abhängigkeiten von fragwürdigen Autoritäten und digitalen Verführern die einst gepriesene Autonomie des Individuums verdrängt? Aufklärung sei die Befreiung des Menschen „aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“, schrieb der Philosoph Immanuel Kant, der vor 300 Jahren geboren wurde. Was ist davon geblieben? Ein Philosophisches Forum mit Gastgeber Konrad Paul Liessmann, moderiert von Barbara Stöckl religion.ORF.at Furche24_KW40.indd 1 25.09.24 09:25
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE