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DIE FURCHE 03.10.2024

DIE

DIE FURCHE · 40 18 Musik 3. Oktober 2024 Mit einem heftig umstrittenen „Don Carlo“ und einem unkonventionellen Monteverdi-Abend haben nun auch die Staatsoper und die Kammeroper ihre ersten Premieren absolviert. Dieser Saisonbeginn ließ niemanden kalt Von Walter Dobner FEDERSPIEL Synonyme Doppelbödig In der Neuinszenierung von „Don Carlo“ ist Kirill Serebrennikov für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich. Kleider sieht er als Metapher, sich dahinter zu verstecken. Mit Asmik Grigorian als Elisabetta. Auch diesmal gab’s am Ende Applaus für die Musik und kräftige Buh-Rufe für die Regie. Gewiss, Kirill Serebrennikovs bereits im Vorfeld heftig diskutierte Staatsopern- Inszenierung muss man keineswegs goutieren, man kann sie auch als Dekonstruktion geißeln. Aber hätten die Reaktionen nach diesem „Don Carlo“ im Haus am Ring – gespielt wird die vierteilige Mailänder Fassung – nicht besser umgekehrt sein müssen? Denn die musikalische Seite blieb vielfach unter den Erwartungen, die man an ein erstes Haus stellen muss. Oder geht’s beim Musiktheater mittlerweile nur um avanciertes Regietheater – was immer man darunter verstehen will –, und ist die Musik längst zur Nebenrolle verdammt? Gibt es tatsächlich keinen höhensichereren, weniger schmierenden Don Carlo als Joshua Guerrero, keinen profunderen Rodrigo als Étienne Dupuis? Roberto Tagliavini erwies sich als rollendendeckender, wenngleich etwas blasser Philipp II. Bei Dmitry Ulyanovs farblosem Großinquisitor durfte man ebenso wenig an frühere, nicht immer nur prominente Besetzungen denken, wie bei Eve-Maud Hubeaux’ Eboli. Und so hochkarätig sich Asmik Grigorian den Herausforderungen der Elisabetta stellte, dabei alle übrigen Comprimarii mühelos übertraf, ihre Stärken liegen in anderen Aufgaben. Ein Synonym-Lexikon gehört in jeden Haushalt. Schließlich will man sich nicht zu oft wiederholen. Am besten kann man die zwanghafte Suche nach Synonymen bei Fußballkommentatoren studieren. Da wird der Ball dann das Leder. Oder die Stange wird plötzlich der Pfosten. Und in Österreich heißt es neuerdings: Aber er trifft nur Aluminium. Ich stelle mir gerne vor, wie Sportreporter in ihren Kabinen sitzen und ganze Listen vor sich haben, wie der Schiedsrichter noch bezeichnet werden kann. Oder das Publikum. Oder ein Foul. Oder was auch immer. Aber es geht auch anders. Ich bin gerade mit wenig Gepäck auf Lesereise in Tirol und habe daher nur einen schmalen Band mit Erzählungen von Samuel Beckett dabei. Hartnäckig wiederholt er immer dasselbe Wort, wie auch Thomas Bernhard, vom dem ich immer mehr glaube, dass Beckett sein großes Vorbild war. Im Grund ist das zwanghafte Verwenden von Synonymen lächerlich. Schon als Schüler habe ich Synonyme in Literaturinterpretationen eingebaut, wo dann Hamlet plötzlich der zögerliche Däne wird und es über „Warten auf Godot“ heißt: Aber die im Titel genannte Figur will nicht und nicht aufkreuzen. Es kam vom Lehrer rot unterwellt zurück, und ich bekam nur ein Gut. Um ein Gedicht von Ernst Jandl zu interpretieren, musste ich als Schüler den Anfang des Johannesevangeliums lesen. Ich weiß nicht, wie das Gedicht heißt, denn ich reise gerade, ohne die Gesamtausgabe von Jandls Werken dabei zu haben. Es beginnt jedenfalls mit him hanflang. Auf jeden Fall kann man bei Johannes lernen, dass man keine Synonyme braucht. Dort heißt es wortstark: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. Der Autor ist Schriftsteller. Von Daniel Wisser Foto: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiová Im Orchestergraben steigerte sich diese Premiere, mit Musikdirektor Philippe Jordan am Pult des klangvoll modellierenden Orchesters, im Laufe des Abends. Am Ende des dritten Aktes brachten lautstarke Proteste die Vorstellung an den Rand des Abbruchs. Kurzentschlossen nahm der Dirigent das weiße Stecktuch aus seinem Frack, steckt es auf seinen Dirigentenstab und hielt diesen für alle sichtbar hoch. Das sorgte für den gewünschten Überraschungseffekt, bald entspannte Lacher, schon konnte alles seinen weiteren Lauf nehmen. „ Wie die Rezeptionsgeschichte dieses neuen ‚Don Carlo‘ verlaufen wird? Gesprächsstoff liefert er jedenfalls mehr als genug. “ Zu diesem Zeitpunkt aber hatte der Großteil des Publikums sein vernichtendes Urteil über die Inszenierung schon längst gefällt. Mit der Idee des nicht erst seit seinem Wiener „Parsifal“ umstrittenen Regisseurs Kirill Serebrennikov, in einer Art Kostümrevue aufzuzeigen, dass das in „Don Carlo“ vor historischem Hintergrund beleuchtete Thema Freiheit bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat, konnten wohl die wenigsten etwas anfangen. Vor allem an Serebrennikovs ästhetischem Zugang schieden sich die Geister. Er lässt das Geschehen in einem Kostümatelier mit wissenschaftlichem Anspruch ablaufen, wendet das höfische Ambiente ins Heute mit bewussten Hinweisen auf so manch aktuelle Protestaktionen. Die Bühne – auch für sie wie die Kostüme zeichnet der Regisseur verantwortlich – präsentiert sich als kahle Industriearchitektur mit allerlei technischem Gerät und schmucklosen Spinden für die Angestellten. Neben den meist in heutigen Outfits auftretenden Protagonisten bevölkern Statisten in rekonstruierten historischen Kostümen die Bühne: Kleider als Metapher, um sich dahinter zu verstecken. Allerdings hätte man diesen Ansatz noch verdichten, mit einer deutlicheren, vor allem auf Rampentheater verzichtenden Personenführung verknüpfen müssen. Aber auch Peter Konwitschnys 2004 erstmals im Haus am Ring gezeigte „Don Carlos“-Inszenierung wurde erst einmal abgelehnt, blieb lange umstritten, bis sie sich schließlich durchgesetzt hat. Im Gegensatz zu Serebrennikov deutete er dieses Sujet aber weniger radikal, aus heutiger Sicht mit geradezu pointiertem Augenzwinkern. Wie die Rezeptionsgeschichte dieses neuen „Don Carlo“ verlaufen wird? Gesprächsstoff liefert er jedenfalls mehr als genug. Nicht zuletzt im Hinblick auf den szenischen Weg des Hauses am Ring, mindestens ebenso auf seine gegenwärtige sängerische Verfassung. Monteverdi-Madrigal Ein kurzes Stück, dennoch dauert die Aufführung in der Wiener Kammeroper knapp eineinhalb Stunden: Denn Olivier Fredj (er führte auch Regie) und David Bergmüller (er leitete von der Laute aus das qualitätvolle Proxima- D-Kammerensemble) haben um Monteverdis „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ – es hat den tödlich ausgehenden Kampf zwischen Tancredi und Clorinda aus Torquato Tassos „La Gerusalemme liberata“ zur Vorlage – eine sich um Krieg und Liebe drehende Geschichte gebaut. Sechs ideal aufeinander eingestimmte Vokalisten agieren als Ensemble vor dem schwarzen Vorhang oder produzieren sich vor einem einen Wald suggerierenden Hintergrund auch als Schauspieler. Schließlich soll der in dem Monteverdi-Madrigal geschilderte Zweikampf auch plastisch vor Augen geführt werden, zudem ausführlich. Das wird dadurch möglich, weil sich dieses knappe „Il combattimento“ den ganzen Abend, verschränkt mit anderen Monteverdis, durchzieht. Für die Regie ist dieses Stück Anlass, generell über die Irrungen und den Pluralismus unserer Gesellschaft zu räsonieren. Das geschieht durch beispielhaft auf die Bühne projizierte Gegensatzpaare. Allerdings, den ohnedies gequält wirkenden Hinweis auf aktuelle kriegerische Ereignisse hätte man sich am Ende sparen können. Die Strahlkraft und gedankliche Weite von Monteverdis Musik hätten diese Produktion allein getragen. Es geht auch ohne belehrenden Zeigefinger. Don Carlo Wiener Staatsoper: 3., 6., 9.10. Combattimenti Kammeroper Wien: 4., 6., 8., 11.10.

DIE FURCHE · 40 3. Oktober 2024 Literatur 19 GANZ DICHT VON SEMIER INSAYIF Männer, die auf Schachbretter starren Von Christine Ehardt is lost“. Melancholische Liedzeilen, die bei dieser Premiere am „Europe Wahlabend und angesichts der Stimmenzuwächse für antieuropäische Parteien im gesamten EU-Raum noch einmal mehr aufhorchen lassen. Sie durchziehen eine gelungene Dramatisierung von Stefan Zweigs Weltklassiker „Schachnovelle“ am Burgtheater, die von Nils Strunk im Alleingang gestemmt wird. Mit Tempo und Schwung Dabei ist das bekannteste Werk des Kosmopoliten und lange Jahre von der Hoffnung auf Einigkeit in Europa erfüllten Humanisten Zweig in der von Strunk und Lukas Schrenk inszenierten Theaterfassung alles andere als schwermütig. Im Gegenteil: Tempo, Schwung und eine große Freude am (Schach-)Spiel prägen diesen zweistündigen Abend, der nicht nur mit Standing Ovations, sondern auch mit drei Zugaben endet. Der Allroundkünstler Strunk macht aus der Erzählung über eine mysteriöse Atlantikschifffahrt schachaffiner Exilanten Ende der 1930er Jahre eine musikalisch-assoziative Reise für einen Mann, ein Piano, eine dreiköpfige Band (Jörg Mikula, Martin Ptak, Hans Wagner) sowie eine Handvoll Requisiten. 1942, nur einen Tag vor seinem Suizid, hatte Zweig das Manuskript, das während seiner Zeit im brasilianischen Exil entstand, zur Post gebracht, erst 1959 wurde es auch in Deutschland verlegt. Strunk spaltet wie in der Vorlage die Handlung in Szenen auf dem Schiff und Rückblenden ins nationalsozialistische Wien auf, wobei er sich mehr für Ersteres und hier vor allem für die zwiespältige Figur des Schachmeisters Mirko Czentovic interessiert. „ Nils Strunk macht aus der Erzählung über eine Atlantikschifffahrt schachaffiner Exilanten Ende der 1930er Jahre eine musikalischassoziative Reise. “ Dessen Kindheitserzählungen nehmen im Stück einen ebenso großen Teil ein wie der bestürzende Bericht des geflüchteten Dr. B. über die Isolationshaft im Gestapo-Hauptquartier, die er durch unablässige Schachgedankenspiele zu überleben versuchte. In dieser Passage zeigen sich die einzigen Schwächen dieser Bühnenversion, die weit besser die unterhaltenden als die beklemmenden Seiten der Originalvorlage herauszuarbeiten vermag. Auch die auf Stellwänden affichierten düsteren Zeichnungen Herbert Nauderers werden atmosphärisch durch die Vielzahl an Zitaten aus Musikgenres des vergangenen Jahrhunderts von Klassik und Jazz bis hin zu Samba, Tango und Pop konterkariert. Highlights der Inszenierung sind die Schachspielszenen, hier kann Strunk sein ganzes Talent unter Beweis stellen. Einmal wird das chess game zur Jazz-Session umfunktioniert, dann als Duell zwischen Melodien in Dur und Moll arrangiert, ein andermal als hochkomische Slapstickeinlage gezeigt, in der Strunk gleich sechs Personen auf einmal mimt, und das auch noch im Zeitraffertempo. Literaturdramatisierungen, obwohl vielfach in den Spielplänen zu finden, konnten in den letzten Jahren auf den Wiener Bühnen nur selten reüssieren. Mit dieser Soloperformance machte das Haus am Ring aus dem beständigen Literaturhit einen über weite Strecken überzeugenden Theaterhit, der das Publikum mitzureißen versteht. Schachnovelle Burgtheater, 7., 9., 17., 27.10., 4., 26.11. Foto: © Tommy Hetzel Vergegenwärtigung des Augenblicks & Geometrie eines Blickes TAGE“, so der Titel des aktuellen Gedichtbandes von Lydia Steinbacher. 92 Gedichte, die bis auf wenige Ausnahmen ohne Endreime und in freien Rhythmen notiert sind, „NEUE entwickeln eine Atmosphäre momenthafter Zeitlosigkeit. Wie eine Knospe entfalten sie gleichzeitig Zerbrechlichkeit und ungeheure Kraft. „unter dem Windspiel schlage ich mein Herz auf wie ein Zelt / auf einem Urnenfeld – es mahnt und raunt wo soll das enden?“ Schon in diesen Verszeilen wird etwas Zartes, Filigranes und gleichzeitig dramatisch Konfrontatives in den kontrastierenden Bildern und Motiven hörbar. Natur spielt eine wesentliche Rolle, sowohl als Hintergrund als auch als konkreter und symbolischer Ort. Im Gedicht „Wie aber schlafen?“ ist zu lesen: „Wie aber schlafen in Gewässernähe / in Waldbächen im Falllaub“. Der Schlaf taucht als Übergangsmotiv an mehreren Stellen auf. Gewässer und „im Fluss sein“ sind dabei verstärkende poetische Gewebe. Die Gedichte bieten mit öffnender Präzision gesetzte Einstiegsluken für Aufmerksame, um lesend an den Gedichten „mitzuschreiben“. Das Geheimnisvolle scheint stets schweigend präsent. Der melancholisch nachdenkliche Ton generiert eine produktiv existenzielle Unsicherheit, als befände man sich fortwährend auf dünnem Eis. Sowohl auf der akustischen als auch auf der bildhaften Ebene, mit einer variantenreichen poetischen Farbpalette gezeichnet, erzeugen die Gedichte der Dichterin und Künstlerin Erika Kronabitter eine konkrete wie auch abstrahierende Intensität. „Delfine vor Venedig“ lautet ihr neuer Gedichtband, und der Untertitel „Stadtbilder animiert reloaded“ weist auf zeitgenössisch beseelte und anregende Blicke auf die alte Stadt hin. Es sind 50 Gedichte in freien Versen, keine Endreime, jedoch häufige Alliterationen. Jedes dieser Gedichte passt genau auf eine Seite. Und so sind sie, wie ein Bild, wie Fotografien, auf einen Blick, als grafische Repräsentanz dichterischer Sprache wahrnehmbar. Im Gedicht „gedachte gerade“ werden die Geometrie einer Landschaft wie auch die Geometrie einer Anreise poetisch sichtbar gemacht: „schienenfallen | oder | das fallen des festlandes / ein brechen der bahnlinie | / links und rechts ein wegbrechen / der zug eine stabile | gedachte über dem wasser / gedachte gerade | konzept / kein einbrechen // aussteigen“. Die grundsätzlichen Fragen von Rezeptions- und Deutungsmechanismen werden dabei stets mitgedacht und angeregt. „wir besitzen | buchstaben / um verständlich zu machen / … das lachen das gurren / die verkettung von tönen | eine endlichkeit“. „ganz dicht“ stellt jeweils vor einem Dicht-Fest in der Alten Schmiede (nächstes: 17.10.2024) Lyrik vor. Neue Tage Gedichte von Lydia Steinbacher Septime 2024 120 S., geb., € 18,– Delfine vor Venedig Gedichte von Erika Kronabitter Edition Melos 2024 FrUhling POLITEAMA Aus Wien ROSSETTI DIE WIENER SYMPHONIKER IN TRIEST 10. – 13. APRIL 2025 TICKETS & INFOS WIENERSYMPHONIKER.AT

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