DIE FURCHE · 40 10 Religion/International 3. Oktober 2024 Das Gespräch führte Till Schönwälder Markus Bugnyár ist seit zwanzig Jahren Rektor des Österreichischen Hospizes zur Heiligen Familie in der Altstadt von Jerusalem. Der katholische Priester und gebürtige Wiener bekommt die Ereignisse im Nahen Osten regelmäßig aus nächster Nähe mit. Am Abend des iranischen Raketenangriffs auf Israel am 1. Oktober teilte er etwa ein selbst aufgenommenes Video vom Dach des Pilgerhospizes, das den Einsatz der israelischen Raketenabwehr zeigt. Anlässlich der Präsentation seines neuen Buchs „Irdisches Jerusalem. Über Heiliges und Schwieriges“ war Bugnyár zuvor einige Tage in Wien. Im FURCHE-Interview sprach der 49-Jährige über die Situation in Israel ein Jahr nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober , die Situation der Christen im Heiligen Land und darüber, was ihm Hoffnung macht. Heimat für Pilger Seit 1863 ist die Via Dolorosa in der Jerusalemer Altstadt Heimat des Österreichischen Pilger-Hospizes. DIE FURCHE: Beginnen wir mit der aktuellen Lage: Israels Militär hat Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah getötet. Am 1. Oktober hat der Iran Israel bombadiert. Stehen wir vor einem flächendeckenden Krieg in der Region? Markus Bugnyár: Ich habe vor Kurzem noch gesagt: Ich glaube nicht, dass es zu einer Eskalation kommen wird. Die Frage ist: Was verstehe ich unter einer Eskalation? Also für mich fehlen da einige Player in dieser Gleichung, denn bislang hat Israel gegen die Hamas im Gazastreifen gekämpft und jetzt gegen die Hisbollah als deren Verbündete. Jetzt wissen wir alle, dass die Hisbollah so etwas wie eine Parallelstruktur im Libanon aufgebaut hat und dort als Staat im Staat agiert. Die Israelis sprechen ja aktuell (zum Redaktionsschluss am 2.10., Anmerkung der Redaktion) von einem zeitlich und örtlich begrenzten Einsatz. Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass das hält. Nach dem massiven Angriff des Iran muss man wohl davon ausgehen, dass Israel antworten wird. Ich rechne mit punktgenauen Angriffen auf militärische Einrichtungen, vielleicht auch Ölraffinerien. DIE FURCHE: Vor einem Jahr hat die Terrororganisation Hamas bei ihrem Angriff auf Israel mehr als tausend Menschen getötet und tausende Geiseln genommen. Wie haben Sie die Zeit seit dem 7. Oktober 2023 in Jerusalem erlebt? Bugnyár: Die Hamas versteht sich natürlich als politische und militärische Macht im Gazastreifen, als souverän und autonom. Es ist Krieg, definitiv. Es kommt schweres militärisches Gerät zum Einsatz, es gibt viele Verwundete, es gibt sehr viele Tote auf beiden Seiten. Das Kriegsgeschehen in Jerusalem hat uns in den ersten drei, vier, fünf Wochen wirklich betroffen. Wir haben sehr oft Raketenalarm in Jerusalem gehabt, deutlich öfter, als ich es in den vergangenen Jahren erlebt habe. Ich gebe ehrlich zu, wenn Sie das fünf-, sechsmal am Tag erleben, dann tut das etwas mit der Wahrnehmung, mit der Psyche, das wirkt sich natürlich aus. Foto: Paul Wuthe / Kathpress Lesen Sie ein Interview mit der Judaistin und Historikerin Martha Keil über „alten und neuen Judenhass“ (2.6.2024) auf furche.at. Nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 ist Jerusalem ein Schmelztiegel mit ständiger Eskalationsgefahr – aktuell ist das Vertrauen zwischen Palästinensern und Israelis auf dem Tiefpunkt. „Die Nerven liegen blank“ DIE FURCHE: Mittlerweile macht es den Anschein, dass es eigentlich nur noch schwarz oder weiß, komplett polarisierte Positionen gebe. Sehen Sie eine Möglichkeit, da wieder rauszukommen? Bugnyár: Das hängt von der Perspektive ab. Ich erlebe, dass viele Menschen ihre Meinung zu dem Thema gefasst haben. Die einen haben sich eindeutig pro Israel, die anderen eindeutig pro Palästinenser positioniert. Und es ist sehr schwierig, mit Argumenten gegen das eine oder andere anzureden. Das tue ich auch nicht, das würde keinen Sinn machen. Die Themen sind hoch emotionalisiert mittlerweile. Es werden Stellvertreterkriege in Familien und Freundeskreisen geführt, zum Teil deutlich heftiger in Österreich als vor Ort im Heiligen Land. Ich habe in den letzten Monaten kaum irgendeinen Israeli getroffen, der ein gutes Wort über die Regierung übriggehabt hätte, trotzdem finden die allermeisten die Militärschläge gut, weil man sich davon Sicherheit verspricht. DIE FURCHE: Wie ist es mit den tausenden Opfern auf beiden Seiten, die es seit dem Beginn des Konflikts gab? Bugnyár: Natürlich erreichen uns jeden Tag grauenhafte Nachrichten und Bilder aus dem Gazastreifen und vom Schicksal der Zivilbevölkerung. Das ist alles nicht mehr nüchtern zu sehen. Jeder hat seine Meinung dazu und ist kaum bereit, das zu ändern. Vor Ort ist das Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern im Grunde genommen seit dem Massaker vom 7. Oktober komplett weg. Also ich sehe nicht, dass sich Palästinenser und Israelis im Moment, schon gar nicht, solange der Krieg andauert, gemeinsam an einen Verhandlungstisch setzen würden. „ Es werden Stellvertreterkriege in Familien und Freundeskreisen geführt, zum Teil viel heftiger in Österreich als im Nahen Osten. “ Da braucht es offensichtlich einen Dritten im Bunde, der dieses Gespräch moderiert. Da sehe ich in erster Linie die Vereinten Nationen, das wird aber allein nicht reichen. Das hat auch etwas mit dem Orient und der arabischen Perspektive auf das Geschehen zu tun. Ich glaube, es braucht gleichzeitig auch Vertreter der Arabischen Liga, die sich ja zum Teil mit einzelnen Ländern schon in diese Vermittlungsgespräche zur Geiselfreilassung einbringen. In den letzten Jahren hat man vielleicht versucht, die Region zu stabilisieren, ohne das direkte Gespräch mit den Palästinensern zu suchen. Das kann nicht funktionieren. DIE FURCHE: Am Anfang haben Sie viel in sozialen Medien kommentiert und waren in Radio- und Fernsehsendungen zu Gast, das wurde dann weniger. Warum? Bugnyár: Ich habe mich in den ersten Monaten deutlich mehr als jemals zuvor in der Öffentlichkeit auch zu politischen Dingen geäußert, aus einem sehr einfachen Grund: Ich dachte immer in den letzten zwanzig Jahren, ich weiß, was der Nahostkonflikt ist, wie er sich anfühlt. Diese Spirale von Gewalt und Gegengewalt ist uns vertraut. Man hat ungefähr gewusst, was kann da passieren, was bedeutet das, wie äußert sich das. Das hat sich mit dem 7. Oktober massiv verändert. Auch meine palästinensischen Bekannten und Freunde sehen das durchaus so, dass die Hamas mit dieser Aktion ihrer eigenen Sache keinen Gefallen getan hat. Dass der Bogen überspannt wurde, dass man hier ein Maß an Brutalität an den Tag gelegt hat, das sich nicht einfach mehr so in den Nahostkonflikt einordnen lässt. 1300 Tote, Massakrierte, Gefolterte, Ermordete, Vergewaltigte an einem einzigen Tag. Das erinnert an die Ausmaße des Holocausts, und zwar jeden und besonders auch in Israel. Viele Menschen in Israel sehen sich hier tatsächlich in ihrer Existenzgrundlage hinterfragt im Blick auf den Staat als solchen. Das ist schon massiv. Das war im bisherigen Nahostkonflikt so nicht geschehen. Bei Palästinensern wie auch bei Israelis war sehr schnell klar: Hier sind die Karten neu gemischt geworden, und hier werden möglicherweise Mechanismen zutage treten, die alles in der Zukunft bestimmen werden. Es gab auch bei mir ein Entsetzen, ein Erschrecken über das Geschehene, und ich dachte mir, man kann zu solchen Dingen nicht schweigen. Es gibt diesen sehr wahren Satz „Wer schweigt, stimmt zu“, und niemand hat das Recht, in Zeiten moralischer Krisen zu schweigen. Schon gar nicht als Kirche, hier muss man Stellung beziehen. Deswegen habe ich das auch ge-
DIE FURCHE · 40 3. Oktober 2024 Religion/International 11 tan, und ich stehe nach wie vor dazu, und ich bin von meiner Meinung nicht abgerückt. Ich habe nur nach drei, vier Monaten gemerkt, dass es nichts bringt. Ich kann meine Position argumentieren, mich positionieren, aber es bringt niemandem etwas, und es hilft auch niemandem, wenn ich das jeden Tag aufs Neue wiederhole. DIE FURCHE: Sie leben seit zwanzig Jahren in Jerusalem als Christ, als katholischer Priester und leiten das Österreichische Pilger-Hospiz. Darüber haben Sie ein Buch geschrieben. Worum geht es darin konkret? Bugnyár: In dem Buch geht es zum einen um mein Arbeitsleben als Rektor im Hospiz, aber natürlich ganz stark auch um die heiligen Stätten. Ohne diese gäbe es das Gästehaus nicht. Foto: Till Schönwälder Seit 2004 ist Markus Bugnyár Rektor des Österreichischen Pilger-Hospizes in Jerusalem. Wir haben da eine spezifische Aufgabe mittendrin in der Altstadt Jerusalems, das heißt, mittendrin in vielen Problemfeldern, in vielen Minenfeldern, die man alle nehmen, aber die man auch umschiffen kann, aus denen man lernen kann. Also ich verstehe Jerusalem schon auch als Lernort. Nicht nur im Blick auf die Menschen des Heiligen Landes, sondern auch im Blick auf uns. DIE FURCHE: Wie sehen Sie die Rolle der Christen in Israel und in Jerusalem? Bugnyár: Christen sind in einer absoluten Minderheit und geraten in der aktuellen Situation natürlich sehr schnell zwischen die Fronten. Das ist einfach so. Wir spielen numerisch keine Rolle. Also sind wir unter der Wahrnehmungsschwelle von Israelis und Palästinensern, und trotzdem wissen beide, Israelis und Palästinenser, dass es uns gibt. Ein arabischer, palästinensischer Christ ist für seine muslimischen Mitbürger primär mal Christ und damit ein Einfallstor für westliche, sprich dekadente, Werte. Das sieht nicht jeder mit Begeisterung. Und aus israelischer Perspektive ist ein palästinensischer Christ primär mal Palästinenser und damit ein Sicherheitsrisiko. Es öffnet allerdings auch Chancen, wo Christen sich als Mediatoren positionieren können. Und da kommen wir ins Spiel, jetzt nicht nur das Österreichische Hospiz, sondern wir ausländische Christen, die dort leben. Wir dienen dazu, die christliche Stimme zu verstärken. Wir repräsentieren verschiedene Länder, wir haben ein Netzwerk an Kontakten, sicherlich auch soziale Möglichkeiten, wo wir finanziell helfen können. Wir schaffen internationale Aufmerksamkeit für die lokale christliche Bevölkerung vor Ort, und das ist unsere primäre Aufgabe. DIE FURCHE: Der lateinische Patriarch in Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, ruft immer wieder zum Frieden auf. Wie sehen Sie seine Rolle? Bugnyár: Kardinal Pizzaballa macht seine Aufgabe sehr gut und ist im Land sehr präsent. Natürlich hätten die palästinensischen Christen lieber einen Palästinenser als ihren Bischof gesehen als eben einen Italiener, nachdem wir zweimal hintereinander einen palästinensischen Erzbischof hatten. Das verstehe ich schon, aber gerade in Zeiten von solchen gewalttätigen Auseinandersetzungen kann es durchaus auch ein Vorteil sein, wenn an der Spitze jemand steht, der nicht von vornherein bei seinen Gesprächspartnern einer Konfliktpartei zugeordnet wird. Das verschafft ihm eine gewisse Neutralität. „ Ich verstehe Jerusalem als Lernort. Nicht nur im Blick auf die Menschen des Heiligen Landes, sondern auch im Blick auf uns. “ DIE FURCHE: Wie sehen Sie die Rolle von Papst Franziskus in dem Konflikt? Er ist auch dafür kritisiert worden, dass er sich vermeintlich zu stark auf die Seite der Palästinenser gestellt hätte. Bugnyár: Es gibt diese Statements und Friedensaufrufe, das ist auch seine Aufgabe, regelmäßig und nicht nur bei uns im Heiligen Land, sondern auch in der Ukraine und anderen Weltgegenden zum Frieden aufzurufen. Ich habe manchmal das Gefühl, solche Statements werden eher von europäischen, christlichen Medien bewer- Dazu ein Gespräch mit der Historikerin Karma Ben- Johanan zum christlichjüdischen Dialog (9.7.2024) auf furche.at. tet. Ob die jetzt wirklich so sehr von israelischen und palästinensischen Medien wahrgenommen werden, das wage ich zu bezweifeln. Ich kann mich an diese Geschichte erinnern, wo der Heilige Vater Angehörige von Geiseln empfangen hat und danach eine palästinensische Delegation. Da ist dann aufgerechnet worden, wie viele Minuten die eine Gruppe bekommen hat und wie viele die andere. Daran merkt man: Die Nerven liegen blank. Da will jede Seite zu ihrem Recht kommen, und es wird genau darauf geschaut, ob der Heilige Stuhl ausgewogen in seinen Statements ist. Aber die Bewertung liegt in der Frage der Perspektive. Für manche ist es zu viel, was Franziskus tut, für manche ist es bei weitem zu wenig. Wünschenswert ist immer, die richtige Balance zu finden. DIE FURCHE: Wie geht es dem Pilger-Hospiz aktuell, können überhaupt Gäste kommen? Bugnyár: Es ist natürlich schwierig Viele Fluglinien – auch die Austrian Airlines – fliegen Israel derzeit nicht an. Bei denen, die fliegen, ist es schwierig und meist sehr teuer, überhaupt einen Platz zu bekommen. Es kommen tatsächlich trotzdem Gäste, und wir haben auch immer wieder Übernachtungen. Wir sehen, dass die Zahl der Besucher bei uns im Kaffeehaus sogar steigt. Da kommen nicht nur internationale Gäste, die bei verschiedenen Vertretungen arbeiten, sondern auch Israelis und Palästinenser. Das ist erstaunlich, denn es passiert normalerweise nicht oft, dass man während des Krieges aufeinandertrifft und wenn man einander sieht, nicht gleich fluchtartig die Kulisse verlässt. Da habe ich manchmal das Gefühl, auch wenn sie nicht miteinander sprechen und es natürlich nicht um den großen Frieden geht, gibt es zumindest die Bereitschaft, sich gemeinsam in denselben Gastgarten zu setzen. Das ist in diesen Zeiten schon viel, und für uns ist das uns auch eine Motivation, eben nicht zu schließen. Irdisches Jerusalem Über Heiliges und Schwieriges Von Markus St. Bugnyár Be&Be 2024 128 S., geb., € 24,90 Danzig Belfast NORDOST-POLEN „Entdeckungen in Warschau, den Masuren und Danzig“ Mit der „Classic Lady“ auf den masurischen Seen AUF EINEN BLICK l Masuren auf dem Wasser und an Land l Geschichte des Deutschen Ritterordens l Wunderbare Landschaften und großartige Zeugnisse der wechselvollen Geschichte Polens Reiseverlauf: Warschau – Masurische Seenplatte – Nikolaiken – Kruttinnen – Johannisburger Heide – Stocherkahnfahrt – russisch-orthodoxes Philipponenkloster – Zondern – Sensburg – Willkassen – Lötzen – Feste Boyen – „Wolfsschanze“ – „Heiligelinde“ – Rössel – Heilsberg – Frauenburg – Danzig – Seebad Zoppot – Kloster Oliva – Marienburg – Pelplin Reisedatum: 26.04. - 04.05.2025 Preis pro Person ab € 2.290,–* (in Zweibettkabine/-zimmer) Reiseleitung: Mag. Anna Keblowska * Frühbucherpreise gültig bis 08.12.2024 Reiseleitung und Betreuung für beide Reisen Mag. Anna Keblowska IRLAND – NORDIRLAND „Städtereise Belfast – Dublin“ AUF EINEN BLICK l Zentral gelegene Stadthotels und nur ein Wechsel l Höhepunkte in Süd- und Nordirland l Whiskey und Bier als Ausdruck irischer Lebensfreude Reiseverlauf: Belfast – Dunluce Castle – Giant‘s Causeway – „Carrick-A-Reed“ – Larne – Hillsborough Castle and Gardens – Downpatrick – Monasterboice – Dublin – Wicklow – Powerscourt Estate – Powerscourt Destillerie – Glendalough Reisedatum: 19.05. - 25.05.2025 Preis pro Person ab € 2.690,– (im Doppelzimmer) Reiseleitung: Mag. Anna Keblowska Ihr direkter Draht: Birgit Kühnen Tel. 02243/35377-16 katalog@biblische-reisen.at Jetzt gratis Jahreskatalog 2025 anfordern! Biblische Reisen GmbH • Stiftsplatz 8 • 3400 Klosterneuburg • Tel. 0 22 43/3 53 77-0 • E-Mail: info@biblische-reisen.at • www.biblische-reisen.at
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