DIE FURCHE · 31 6 Politik 3. August 2023 DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Wie anfangen? Nr. 33 • 17. August 2023 Nach Sommer und Urlaub kommt der Herbst, die Zeit des Neu-Aufbruchs. Was ist nötig, damit ein Anfang gelingt – von Schule und Beruf über den Start in einem neuen Land bis zur gesellschaftlichen Transformation? Politik lernen Nr. 35 • 31. August 2023 Seit Max Webers Vortrag „Politik als Beruf“ wird das Politikhandwerk mit dem Bohren harter Bretter beschrieben. Wie Politik-Lernen heute funktionieren kann, zeigt eine Spurensuche beim Europäischen Forum Alpbach. Der Westen Nr. 37 • 14. September 2023 Er ist nicht nur eine Himmelsrichtung, sondern steht für eine – angeschlagene – Weltmacht: der Westen. Wo beginnt und endet er? Was ist darunter zu verstehen? Beginn einer Reihe – gefolgt vom Süden, Osten und Norden. Die große Synode Nr. 39 • 28. September 2023 Das Arbeitspapier (Instrumentum laboris) zur römischen Weltsynode von 4. bis 29. Oktober hat Hoffnung auf mehr Gemeinsamkeit und Teilhabe in der katholischen Kirche geweckt. Wird sie erfüllt werden können? Slowenien Nr. 41 • 12. Oktober 2023 Von 18. bis 22. Oktober präsentiert sich das wenig bekannte südliche Nachbarland als Ehrengast auf der alljährlichen Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Anlass blicken wir nach Slowenien: Was tut sich dort politisch? Und was literarisch? Idealismus Nr. 34 • 24. August 2023 Idealismus scheint im abgeklärten, postfaktischen Zeitalter fehl am Platz. Und wenn man für seine Ideale eintritt, wie die Klimakleber, dann beruht das auf wissenschaftlichen Fakten. Warum Überzeugung dennoch essenziell ist. Klasse Job? Nr. 36 • 7. September 2023 Die Schule ist der Grundstein für das weitere Leben. Was muss geschehen, damit Schüler(innen) für die Arbeitswelt gerüstet werden? Und wie wird dabei auch der Lehrberuf tatsächlich zum „Klasse Job“? Wird alles gut? Nr. 38 • 21. September 2023 Das 26. Philosophicum Lech widmet sich der Dialektik der Hoffnung – und fragt, ob Immanuel Kants berühmte Frage „Was dürfen wir hoffen?“ nicht längst umformuliert werden müsste: „Dürfen wir überhaupt noch hoffen?“ Nur ein Mädchen? Nr. 40 • 5. Oktober 2023 Heranwachsende Frauen müssen einerseits viele gesellschaftliche Erwartungen erfüllen, andererseits sind sie in Teilen der Welt immer noch von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Zum Weltmädchentag am 11. Oktober. Der Süden Nr. 42 • 19. Oktober 2023 Nach dem Westen nimmt DIE FURCHE mit dem Süden die nächste Himmelsrichtung in den Blick: ein politischgeografisch-historischer Fokus – vom Globalen Süden über die Südhemisphäre bis hin zum Südpol. FORTSETZUNG VON SEITE 5 DIE FURCHE: Diese Fragen sind wohl kaum national lösbar. Was kann Österreich tun? Starlinger: Es stimmt mit Sicherheit, dass internationale Krisen internationale Lösungen erfordern. Man hat das bereits in der Pandemie und auch in der Energiekrise gesehen. Es ist bereits durch die EU in unseren Köpfen, dass Handelswege nicht an Ländergrenzen enden. Jetzt muss es vermehrt in unser Bewusstsein kommen, dass auch sicherheitspolitische Akzente nicht auf nationale Grenzen beschränkt sein können. Für Österreich geht es jetzt als neutraler Staat darum, sich als verlässlicher Partner innerhalb der EU zu profilieren. Das gelingt mit Bekenntnissen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, dem Sky- Shield-Beitritt und zum anderen durch eine Erhöhung des Militärbudgets – das sind die Akzente, die Österreich hier setzen kann. „ Selenskyj spricht aus der Position eines Staatsmanns, der seit über einem Jahr mit seinem Land und seiner Bevölkerung im Krieg ist. “ DIE FURCHE: Kommen wir wieder zur NATO. Lange hat der türkische Machthaber den Beitritt Schwedens zum Bündnis blockiert. Droht der NATO das Schicksal, das die EU bereits gut kennt, nämlich als Spielball von Autokraten missbraucht zu werden? Starlinger: In der NATO herrscht nun einmal das Einstimmigkeitsprinzip. Sie ist ein demokratisches Bündnis und spielt auch nach demokratischen Regeln. Es KLARTEXT ist, wie Sie sagen, wie in der EU. Demokratische Organisationen müssen aufgrund ihrer Wertesysteme auch schwierige Situationen mit Mitgliedsstaaten meistern können, und der letztendliche Beitritt Schwedens zur NATO zeigt, dass dies auch gelingt. DIE FURCHE: Der Warschauer Pakt wurde einst aufgelöst, nachdem die Sowjetunion als Staat kollabiert war. Im nächsten Jahr stehen US-Präsidentschaftswahlen an. Mehrere Politikwissenschafter befürchten eine autokratische Verschiebung des wichtigsten NATO-Mitglieds, sollte Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen. Würde die NATO eine neuerliche Präsidentschaft von Trump überleben? Starlinger: Diese Befürchtungen wurden bereits in der ersten Amtszeit von Trump kundgetan. Die NATO ist aber nun stärker denn je, und sie war 2020 stärker, als sie 2016 war. Die NATO wird auch zukünftig in der Lage sein, mit US-Präsidenten zu kooperieren, davon bin ich überzeugt. DIE FURCHE: Sollte die Ukraine den Krieg gegen Russland militärisch gewinnen, ist ihre Zukunft in der NATO. Gibt es Szenarien, wie man arbeitet, sollte Russland den Krieg gewinnen? Starlinger: Nein, das Ziel ist es, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie den Krieg gewinnen kann. Das ist die Priorität des ganzen Westens, und darauf ist alles ausgerichtet. Eine Alternative dazu würde ja bedeuten, dass wir das Recht des Stärkeren auch bei klarem internationalem Rechtsbruch anerkennen. DIE FURCHE: Zurück zu Österreich: Der „Economist“ sah Österreich zuletzt als zweit-Russland-freundlichstes Land innerhalb der EU. Das Klima und die Kühe Der ukrainische Präsident Selenskyj meinte zudem auch gegenüber dem „Falter“, dass Österreichs Regierung mehr tun könne. Die Zahlen zeigen, dass Österreich zumindest im humanitären Bereich viel leistet. Kommen diese Leistungen zu kurz, wenn man keine Waffen liefern kann? Starlinger: Ich halte beide Aussagen für zugespitzt. Man muss wissen, dass Präsident Selenskyj aus der Position eines Staatsmanns spricht, der seit über einem Jahr mit seinem Land und seiner Bevölkerung im Krieg ist. Er war beispielsweise auch nicht mit den Ergebnissen des NATO-Gipfels zufrieden. Die Economist-Studie halte ich zudem für sehr übertrieben. Ja, Österreich bezieht noch Gas aus Russland, ja, einige Unternehmen sind noch in Russland tätig – Österreich unterstützt aber die Kriegshandlungen von Russland nicht. Im Gegenteil, es unterstützt die Ukraine. Das sieht man an der humanitären Hilfe, die man in die Ukraine schickt, aber auch an den Zahlen der Flüchtlinge, die Österreich aus der Ukraine aufnimmt. Das darf in all der Diskussion über Panzer, Waffen und Raketen nicht vergessen werden. DIE FURCHE: Wird Österreich im Jahr 2050 Teil der NATO sein? Starlinger: Nein, solange sich bis dahin nichts massiv am identitätsstiftenden Charakter der Neutralität ändert, wird Österreich nicht beitreten. Viel wichtiger ist ohnehin die Frage, wo sich das neutrale Österreich im Rahmen seiner derzeitigen Möglichkeiten positioniert. Es geht darum, sich als verlässlicher und berechenbarer Partner innerhalb der EU zu festigen. Das gelingt nur durch gemeinsame Initiativen wie Sky Shield, dafür werde ich in meiner Funktion eintreten. Von Julia Mourão Permoser *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR. Waldbrände in Griechenland, schwere Unwetter in Italien, Temperaturen weit jenseits der 40 Grad in Spanien: Die Folgen des Klimawandels sind mittlerweile auch in Europa deutlich zu spüren. Der Umgang damit spaltet sowohl die österreichische Gesellschaft als auch die Regierungskoalition – Stichwort „Klimakleber“. Zugleich kommt auf Österreichs Regierung auf europäischer Ebene eine überraschend wichtige Rolle zu: Seit über 30 Jahren verhandelt die EU ein Handelsabkommen mit dem lateinamerikanischen Binnenmarkt – Mercosur (Mercado Común del Sur). Nun drängt die Kommission auf eine Neuverhandlung. Das Abkommen soll den Export europäischer Waren, aber auch den Import von Fleisch, Soja und anderen Landwirtschaftsprodukten aus Südamerika vereinfachen. Österreich ist freilich jenes Land, das die Unterzeichnung des Abkommens 2019 blockierte. Damals wurde auf europäischer Ebene ein Kompromiss erreicht, der allerdings von den nationalen Parlamenten genehmigt werden musste. Infolge des Ibiza-Skandals war in Österreich eine interimistische Regierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein im Amt. Im Parlament herrschte das freie Spiel der Kräfte, man verabschiedete ein Gesetz, das es der Regierung verbot, dem Mercosur-Abkommen zuzustimmen. Österreich wurde zum Vetoland – und die Einigung Geschichte. Unter Schwarz-Grün wurde dieses Veto noch verstärkt. Es entstand ein Zusammenschluss aus Interessen zum Schutz der heimischen Bauern und der Umwelt gegen drohende Wirtschaftsliberalisierung. In Zeiten hoher Inflation eine schwierige Position; dennoch scheint sie zu halten. Gleichzeitig wäre jetzt, wo es zu einer Neuordnung der Welt kommt (Krieg in der Ukraine, Aufstieg Chinas, Kalter Krieg 2.0), ein wichtiger Zeitpunkt, um Lateinamerika näher an Europa zu binden. Dabei müssen Klima- und Tierschutz natürlich berücksichtigt werden – aber bitte nicht als Vorwand für nationalen Klientelismus. Die Autorin ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien.
DIE FURCHE · 31 3. August 2023 International 7 „Präfaschistoid“ sei das „Normalitäts“-Gerede, warnte Werner Kogler. Gegen die „Identitären“ protestierten wiederum „Antifaschisten“. Doch was meint „Faschismus“? Ein kommentierende Analyse nach Umberto Eco. Die mystische Erhöhung Von Herbert Hopfgartner Der Begriff „Faschismus“ leitet sich vom italienischen fascio (Bund) ab, wobei eine Spur zum Rutenbündel führt, das in der Antike (oft mit Beil abgebildet) als Machtsymbol der römischen Konsuln, Prätoren (Richter) und Diktatoren diente. Amtsdiener, sogenannte Liktoren, trugen es als Zeichen der Herrschaft vor den Regenten her. Im 19. Jahrhundert fungierte das Wort als Erkennungs zeichen der italienischen Nationalbewegung sowie diverser sozialistischer Arbeiter organisationen. Erst Mussolini gab den Fasci di combattimento, dem „Kampfbund“, eine unmissverständliche, aggressiv-nationale Bedeutung. In der aktuellen parteipolitischen Auseinandersetzung wird der Gegner – eigentlich ein Mitbewerber und potenzieller Partner – mit entsprechenden Eigenschaften bedacht. Schnell fällt man das Urteil, wonach ein Sager oder eine Ankündigung des Konkurrenten „faschistoid“ oder „präfaschistisch“ sei. Nur – wie erkennt man wirklich eine faschistische Tendenz eines Politikers oder einer Partei? Der Feind: Gleichzeitig stark und schwach Umberto Eco (1932–2016), Schriftsteller, Philosoph und Kulturtheoretiker, verfasste 1995 den Essay „Urfaschismus“ („Il fascismo eterno“), in dem er 14 allgemeine Eigenschaften einer faschistischen Ideologie beschreibt. Eco – er erlebte als Kind noch das Regime Mussolinis – stellt fest, dass die Kennzeichen in der Realität notwendigerweise nicht kollektiv und gleichzeitig auftreten; nichtsdestotrotz würden wenige Merkmale genügen, damit der Faschismus „gerinnen kann“. Erstens: Unter der Maxime „Kult der Tradition“ huldigt man einer längst vergangenen Epoche, in der alles besser gewesen zu sein scheint. Diese „Gewissheit“ wird mystifiziert und als Narrativ mittels Mythen, Riten und Symbolen weitergetragen. Zweitens: Gerade konsequent erscheint demzufolge der Akt einer „Ablehnung der Moderne“: Rationale und liberale Denkstrukturen werden als „verderbt“ oder zerstörerisch gebrandmarkt. Gegen moderne Kunst, aber auch gegen die Erkenntnisse der Wissenschaften richten sich sogar Unverständnis und offene Verachtung (Elitenund Intellektuellenhass). Mussolini und Hitler Eine Aufnahme der historischen Begegnung von Benito Mussolini und Adolf Hitler vom 18. Juni 1940 in München. Drittens: „Der Kult der Handlung um der Handlung willen“ (…) gibt vor, dass diverse Aktivitäten (Rituale, Bräuche …) an sich einen Wert darstellen und ohne geistige Reflexion organisiert und ausgeführt werden sollen oder müssen. Viertens: „Uneinigkeit ist Verrat“: Ein kritischer Diskurs über Parteiinhalte wird abgelehnt – vielleicht auch aus Angst, dass eine Analyse etwaige Widersprüche in der „hauseigenen“ Ideologie, die in Form einer synkretischen Weltanschauung aufgebaut ist, aufdecken würde. Fünftens: Eine diffuse „Angst vor Differenz“ zeigt sich in der Ablehnung anderer Kulturen, Religionen und fremder Denkformen. Die eigene Lebensart wird als die einzig richtige beziehungsweise den anderen in jeder Hinsicht überlegen dargestellt. Sechstens: Mit dem „Appell an eine frustrierte Mittelschicht“ versucht man, neue Sympathisanten zu gewinnen. Man gibt vor, zu wissen, wer schuld an deren Situation ist (vgl. Punkt sieben) und hetzt gegen die vermeintlich Verantwortlichen. Gleichzeitig verspricht man den treuen Anhängern (oft Männern aus kleinbürger lichen Milieus) eine bessere Zukunft. Die Parteigänger ihrerseits finden ihre Identität ausschließlich in der Zugehörigkeit zur populistischen Bewegung, wobei sie sich gerne als (Mit-)Erschaffer einer nationalen Erneuerung sehen. Siebtens: Eine „Besessenheit von einer Verschwörung“ kann auch als Angst vor einer feindlichen Bedrohung gedeutet werden. Politische Gegner, eine „konspirative Elite“, gewisse Kreise im In- und Ausland, internationale Institutionen würden einen Umsturz respektive die „Weltherrschaft“ planen. Als einzige Partei wisse man von den geheimen und dunklen Absichten und könne die hinterlistige Entwicklung stoppen. Achtens: Faschistische Parteien erklären ihre Feinde als „gleichzeitig zu stark und zu schwach“. Diese etwas irritierende Feststellung Ecos lässt sich rasch aufklären: Zum einen wird die Macht verborgener Kräfte hochgespielt, zum anderen kritisiert man am Gegner eine Dekadenz bzw. Degeneration, die es zu bekämpfen gilt. Neuntens: „Pazifismus ist Handel mit dem Feind“, denn das „Leben ist permanenter Krieg“. Diese hohle Argumentation baut sowohl auf einer Gewaltbereitschaft als auch auf einem Feindbild auf, um vor den Problemen im Land (Krisen aller Art, Kritik der Opposition, des Auslandes …) abzulenken. Der Fokus auf den äußeren Feind soll die Bürger vereinen und auf einen bestimmten Blickwinkel (Kampf um das angebliche „Wahre, Schöne und Gute“ der eigenen Kultur) begrenzen. Zehntens: „Verachtung für die Schwachen“: Ein chauvinistischer, nationaler Volks elitismus klassifiziert das Eigene als die Norm und das Gesetzmäßige. Außenstehende seien schon allein deshalb, weil sie anders denken oder aussehen, unterlegen beziehungsweise zurückgeblieben. Elftens: „Jeder wird erzogen, ein Held zu werden.“ Das Heldische schwankt zwischen Triumph und Niederlage, Leben und Tod. Tragischerweise haben faschistische Führer schon häufiger ihre Todessehnsucht an das Volk delegiert und es in den Untergang geschickt. Zwölftens: Stichwort „Machismo“: Der ständige Kampf (beziehungsweise die Auseinandersetzung mit den Feinden) sowie die permanente Anstrengung, ein Held sein zu müssen, lassen ein undifferenziertes martialisches Männerbild entstehen, Foto: imago / Gemini Collection Lesen Sie hierzu den Text von Felix Gamillscheg unter dem Titel „Der Start des Faschismus“ (29.10.1992) im Navigator auf furche.at. „ Mit einem ‚Neusprech‘ kreiert man schließlich eine einfache Diktion, um das Rüstzeug für komplexes Denken und kritisches Diskutieren zu beschränken. “ das eine Differenziertheit oder Diversität (Empathie, Emanzipation, Intellektualität, Homosexualität) nicht zulässt. Dreizehntens: „Selektiver Populismus“: In der faschistischen Ideologie steht das Volk oder der vermeintliche Volkswille über dem Individuum und seinen Wünschen. Der Parteivorsitzende gibt vor, ausschließlich dem Volkswillen zu dienen, obwohl er selbst autokratische Züge trägt. Anderen demokratischen Institutionen (Parlament, Gerichte, Medien, NGOs …) sprechen die Faschisten die Fähigkeit ab, das Volk zu repräsentieren. Vierzehntens: Mit einem „Neusprech“ („Newspeak“, vgl. George Orwell) kreiert man schließlich eine einfache Diktion (mit banalen Slogans), um das Rüstzeug für komplexes Denken und kritisches Diskutieren zu beschränken. Die Freiheit des Verstandes und die mannigfaltigen Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache werden so bewusst unterdrückt. „Frische und Dynamik“ als neue Tugenden Faschistische Ideologien richten sich in der Regel gegen marxistische, liberale und konservative Weltanschauungen, also eigentlich gegen alle anderen Parteien, wobei ihre politische Stoßrichtung als demagogisch, militaristisch und antiaufklärerisch bezeichnet werden kann. Merkmale wie das maskuline Prinzip und eine gewisse Jugendlichkeit deuten weiters darauf hin, dass man als Kontrast zu den Gesinnungen einer „verkommenen Elite“ neue Tugenden wie „Frische, Dynamik und Tatendrang“ präsentieren will. In einschlägigen Kreisen diskutiert man gegenwärtig eingehend gewisse Demütigungen und eine Opferrolle der eigenen Gemeinschaft und zählt mit EU, NATO, UNO, WHO und den USA rasch einige Sündenböcke auf. Wiederholt werden triviale wie irrationale Lösungsansätze („Kulte der Einigkeit, Echtheit und Stärke“, „Kampf gegen das Fremde“) aufgewärmt, wobei man fortwährend die eigene Nation und vor allem „das Volk“ mystisch überhöht. In den Reden der Parteigrößen schwingt beständig sowohl ein Totalitätsanspruch an die Gesellschaft mit – als auch ein aggressiver Fanatismus. Der geneigten Leserin, dem Leser sei es nun überlassen, welche Parteien und Politiker er in seinem Blickfeld als faschistoid erkennen und entlarven würde. Gerade wer von der Demokratie als immer noch beste Regierungsform überzeugt ist, ist gut beraten, faschistische Einflüsse bzw. Einflüsterer genau und aufmerksam zu beobachten: Vorsicht und Wachsamkeit gegenüber den Eigen schaften, die Umberto Eco als Abbildungen des Urfaschismus skizziert hat, erscheinen heute auf jeden Fall angebracht. Der Autor ist Musikwissenschafter in Salzburg und betreut interdisziplinäre Crossover-Projekte. Im Vorhof der Krise Die Goldenen Zwanziger Jahre ließen eine Gesellschaft am Höhepunkt der Geldentwertung in Parallelwelten der Lust und des Drogenkonsums schlittern. Berlin wurde, wie der Schrift steller Stefan Zweig attestierte, zum „Babel der Welt“. Verschwörungstheoretiker und rechte Ideologen hatten Hochkonjunktur. Was also können wir aus der Geschichte heute, hundert Jahre später, lernen? DER CHANCEN PODCAST furche.at/chancen
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