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DIE FURCHE 03.08.2024

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DIE FURCHE · 31 20 Film 3. August 2023 ANIMATIONSFILM Fanny Ardant darf in Carine Tardieus „Im Herzen jung“ als 70-Jährige, die sich in einen glücklich verheirateten 45-jährigen Arzt verliebt, wieder eine große Rolle spielen. Und sie brilliert. Liebe kennt kein Alter Actionabenteuer im skizzenhaften Stil: das neueste Werk rund um die „Teenage Mutant Ninja Turtles“. Pizzaliebende Schildkrötenhelden Denkt man an die „Teenage Mutant Ninja Turtles“ und ist in den 90ern aufgewachsen, hat man sicher sofort die Titelmelodie der Serie in den Ohren. Was eigentlich als brutales US-Independent-Comic rund um kampferprobte, radioaktiv mutierte Schildkröten begann, ist seit der kinderfreundlichen Zeichentrickadaption längst zum riesigen Vermarktungsphänomen geworden – Filme, Serien, Musik und Spielzeug inklusive. „Teen age Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ heißt der jüngste Eintrag im Franchise, bei dem sich Nostalgiker der RTL-Ausstrahlungen von anno dazumal genauso wohlfühlen dürften wie ahnungslose Neuankömmlinge. Erzählt wird die Entstehungsgeschichte unserer vier pizzaliebenden Schildkrötenhelden, die von ihrem Ratten-Ersatzpapa in den Abwasserkanälen New Yorks aufgezogen werden. Als der Schurke Superfly (eine mutierte Fliege) versucht, die Menschheit auszurotten, wagen sich die Ninja Turtles aus ihrem Versteck, um ihm gemeinsam mit der engagierten Highschoolerin April O’Neil Einhalt zu gebieten. Die Regisseure Jeff Rowe und Kyler Spears haben sich für einen skizzenhaften Animationsstil entschieden, der die Ursprünge im Comic betont, andererseits auf den Spuren der „Spider verse“-Filme wandelt. Obwohl die Coming-of-Age-Story besser herausgearbeitet hätte werden können, ist man am Ende satt und zufrieden. Ungefähr so wie nach einem guten Stück Pizza. (Philip Waldner) Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem USA 2023. Regie: Jeff Rowe, Kyler Spears Constantin. 99 Min. Von Walter Gasperi Anfang der 1980er Jahre machte François Truffaut Fanny Ardant zum Star. Nach dem Tod ihres Mentors und Partners 1984 spielte sie unter der Regie großer Regisseure wie Alain Resnais, Ettore Scola, Paolo Sorrentino und brillierte auch in François Ozons „Acht Frauen“. Nachdem man diese Grande Dame des französischen Films in den letzten Jahren nur selten auf der Leinwand sah, bietet Carine Tardieu ihr nun wieder eine große Rolle. „ Wie behutsam Tardieu das Spannungsfeld von Begehren und Zögern inszeniert, das unterscheidet ‚Im Herzen jung‘ dann doch von den meisten Liebesfilmen. “ Wo Liebe hinfällt Melvil Poupaud begegnet Fanny Ardant in Carine Tardieus „Im Herzen jung.“ Nur kurz begegnen sich der junge Onkologe Pierre (Melvil Poupaud) und die ältere Architektin Shauna (Fanny Ardant), als diese ihre todkranke Freundin im Krankenhaus besucht. Spürbar wird aber sofort die gegenseitige Sympathie, die über ärztliche Fürsorge hinausgeht. Mit einem Schnitt überspringt Tardieu nach dieser Exposition 15 Jahre und lässt den nun 45-jährigen Pierre und die inzwischen 70-jährige Frau einander während eines Kongresses in Irland wiederbegegnen. Wieder sind es Blicke und Gesten, in denen die stille Übereinstimmung und Vertrautheit sofort greifbar werden, gleichzeitig sind aber auch die Zurückhaltung und Unsicherheit unübersehbar. Schon diese ersten Momente berühren, weil die Gefühle durch Tardieus feinfühligen Blick und das Spiel von Fanny Ardant und Melvil Poupaud echt und wahrhaftig wirken. Man spürt im Spiel Ardants, dass ihre Shauna nie daran gedacht hat, sich nochmals zu verlieben, zufrieden ist mit ihrem Singleleben, bis dann in ihren Blicken doch ganz sanft eine Sehnsucht und ein Begehren aufflackern. Doch wieder scheinen sie sich aus den Augen zu verlieren: Er geht zurück nach Lyon, sie pendelt zwischen Irland und Paris. Doch obwohl er glücklich verheiratet ist und einen achtjährigen Sohn und eine 18-jährige Tochter hat, geht ihm diese Frau nicht mehr aus dem Kopf. Vorhersehbar ist, dass sich eine Liebesbeziehung entwickeln wird. Doch wie behutsam Tardieu dieses Spannungsfeld von Begehren und Zögern inszeniert, wie zart sie auf das Paar blickt, wenn die Kamera bei den ersten Küssen ganz nah dran ist, das unterscheidet „Im Herzen jung“ dann doch von den meisten Liebesfilmen. Carpe diem! Tardieu setzt nicht auf große emotionale Momente, sondern erzählt zurückhaltend und leuchtet differenziert die komplexe Situation und die Bedenken besonders Shaunas aus. Nicht isoliert steht dieses Paar dabei da, sondern ist in soziale Gefüge eingebettet. Den kritischen Blicken der Umwelt auf diese Altersgrenzen überschreitende Beziehung erteilt die Regisseurin dabei, ohne zu dozieren, eine Absage und plädiert entschieden für die Gefühle und die reine Liebe. Gleichzeitig erinnert sie aber auch sowohl mit Pierres Beruf als Onkologe als auch mit dem Gegenpol von Pierres Skateboard fahrendem Sohn und der zunehmenden Gebrechlichkeit Shaunas an die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit des Lebens. Und trotzdem oder gerade deshalb stellt Pierre Shaunas „Ich werde sterben“ das Auskosten jedes Augenblicks gegenüber, wenn er ihr antwortet: „Aber im Moment atmen wir beide die gleiche Luft. Also wollen wir das Beste daraus machen.“ Im Herzen jung (Les jeunes amants) F/B 2021. Regie: Carine Tardieu. Mit Fanny Ardant, Melvil Poupaud, Cécile de France, Florence Loiret Caille, Sharif Andoura, Sarah Henochsberg, Martin Laurent. Alamode. 112 Min. FAMILIENDRAMA Die Lasten der Vergangenheit Von Walter Gasperi Mit Vollgas rast die junge Chrissie (Anna Maria Mühe) bei einer Stuntshow mit ihrem Wagen über eine Rampe – in der nächsten Einstellung sitzt sie im Rollstuhl und hat schon eine Reha hinter sich. Mit einer französischen Kollegin ist sie in ihr in der deutschen Provinz gelegenes Heimatdorf unterwegs. Im Blick auf Felder und Häuser spürt man einerseits ihre Unsicherheit und ihre Ablehnung gegen diese erzwungene Rückkehr, andererseits verankert Karsten Dahlem die Handlung dadurch auch schon in diesem ländlichen Milieu. Frostig ist das Wiedersehen Chrissies mit ihrem Vater (Michael Wittenborn), den sie rund sieben Jahre lang nicht mehr gesehen hat. Angeschlagen wirkt auch dieser ehemalige Polizist mit seinem Dreitagebart. Verstärkt wird die bedrückende Stimmung zudem noch durch das heruntergekommene Einfamilienhaus. So schnell wie möglich will Chrissie weg, doch da sie als Stuntfrau über Jahre hinweg fast nie versichert war, ist sie auf die finanzielle Unterstützung des Vaters angewiesen. Dieser ist zwar bereit, ihr den Bausparvertrag zu überschreiben, doch dazu ist auch die Unterschrift der Mutter nötig, über deren Verbleib man lange nichts erfährt. Zerbrochenes Familienglück Mehr sollte man über die Handlung nicht verraten, denn Karsten Dahlems Langfilmdebüt lebt entscheidend vom sukzessiven Aufdecken der Vorgeschichte. In bruchstückhaften Rückblenden gewinnt man nämlich langsam einerseits Einblick in eine glückliche Jugend mit Freunden und liebevoller Familie, andererseits aber auch in ein traumatisches Ereignis, nach dem nichts mehr war wie vorher. Sukzessive weitet sich so das Bild, und sichtbar werden nicht nur Schuldgefühle, nie verarbeitete Trauer und verdrängter Schmerz, sondern auch Lügen, die das Weiterleben belasten. Im unaufgeregtruhigen Erzählrhythmus lässt Dahlem seinen starken Schauspieler(inne)n viel Raum, ihre Verzweiflung und ihre Zerrissenheit zu vermitteln. Leise Momente wechseln da immer wieder mit heftigen Konfrontationen, in denen Vater und Tochter ihre Wut hinausschreien. Großartig harmonieren Anna Maria Mühe und Michael Wittenborn in den Hauptrollen. Sie machen die Bruchlinien in ih- Anna Maria Mühe und Michael Wittenborn in Karsten Dahlems Film „Die Geschichte einer Familie“. rem Leben und ihrer Beziehung bewegend erfahrbar und vermitteln eindrücklich, wie schwierig es ist, sich der Wahrheit zu stellen und wieder aufeinander zuzugehen. In der kunstvollen Konstruktion wird auch plastisch entfaltet, wie eine Familie durch ein einziges Ereignis zerbrechen kann. Etwas abrupt mögen zwar teilweise Stimmungsschwankungen erfolgen, wenn unmittelbar nach Momenten der Annäherung wieder heftige Konflikte durchbrechen, doch insgesamt bleibt dieses vom empathischen Blick auf die innerlich schwer lädierten Protagonist(inn)en durchzogene Debüt haften. Das liegt auch daran, dass Dahlem nicht nur von der schweren Last eines traumatischen Ereignisses erzählt, sondern auch zeigt, dass ein befreites Leben nur durch eine offene Auseinandersetzung mit diesem Trauma möglich ist, und damit am Ende auch Hoffnung macht. Die Geschichte einer Familie D 2022. Regie: Karsten Dahlem Mit Anna Maria Mühe, Michael Wittenborn, Anton Spieker, Walid Al-Atiyat. Polyfilm. 83 Min.

DIE FURCHE 2024

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