DIE FURCHE · 31 10 Gesellschaft 3. August 2023 Wie die Spezialisierung auf Intensivpflege aussehen soll, ist bundesweit nicht einheitlich geregelt. Der Berufsverband fordert standardisierte Curricula. In der Pflegereform spielt das kaum eine Rolle. Im rasanten Wandel FORTSETZUNG VON SEITE 9 geln. Die mangelnde Wertschätzung ist etwas, das mich immer wieder an meine Grenzen bringt. Ich weiß, dass ich gute Arbeit leiste, meine Kolleginnen und Kollegen tun dies ebenso – aber in der Gesellschaft nimmt man es häufig nicht so wahr. Blick in die Zukunft Was geschehen müsse, dass auch in Zukunft die hohe Qualität der Patientenbetreuung gesichert sei? Zuallererst müssten die Rahmenbedingungen stimmen. Man müsse über ausreichende Ressourcen und genügend Zeit verfügen, um sich bestmöglich um die Patienten und Patientinnen kümmern zu können. Der dramatische Fachkräftemangel im Pflegebereich sei auf ihrer Station zum Glück noch kaum ein Thema; dennoch sei es unumgänglich, den Pflegeberufen auch von anderen Disziplinen im Krankenhaus jene Anerkennung zu geben, die ihnen gebühre. „Gerade auf Intensivstationen ist es ein Agieren auf Augenhöhe“, sagt Sünbold. „Wir arbeiten mit den Ärzten und Therapeuten sehr eng im Team zusammen, jeder muss sich auf seine Kollegen zu hundert Prozent verlassen können. Die beste Operationstechnik hilft nichts, wenn ich kein Pflegepersonal habe, das den Patienten danach kompetent betreut.“ Dass die Ausbildung für Gesundheits- und Krankenpflege jetzt als Bachelorstudium gestaltet sei (siehe rechts), könne ein guter Ansatz sein, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, sagt Sünbold am Ende unseres Gespräch. „Diese Professionalität, die in unserem Beruf so wichtig ist, müssen wir im gesellschaftlichen Bewusstsein verankern.“ Die Autorin ist freie Journalistin – und hat u. a. 26 Jahre lang für die Wiener Zeitung gearbeitet. Von Victoria Schwendenwein Österreichs Intensivstationen genießen einen guten Ruf. In den Fokus gerückt sind sie nicht zuletzt während der Pandemie. „Corona hat uns an unsere Grenzen gebracht“, sagt Dominic Traxler, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Intensiv- und Anästhesiepflege (ÖGKV). Dennoch übernahmen Österreichs Krankenhäuser Covid-Patient(inn)en aus anderen europäischen Ländern, als dort die Kapazitäten erschöpft waren. Abgesehen davon wurde die Betreuung durch Gesundheits- und Krankenpfleger(innen) mit entsprechender Sonderausbildung in den vergangenen Jahren in Österreich kaum thematisiert. Im Jahr 2017 sorgte eine Studie von Grazer Wissenschaftern für Aufsehen. Sie stellten eine leicht erhöhte Mortalitätsrate auf Intensivstationen fest, wenn Patient(inn)en am Wochenende aufgenommen wurden. Zurückgeführt wurde dies darauf, dass zu diesem Zeitpunkt allgemein weniger Personal im Dienst stehe. Dagegen argumentiert wurde, dass am Wochenende keine elektiven (also geplanten) Leistungen stattfinden, die eine postoperative und damit intensive Pflege erfordern, und daher vorwiegend akute Fälle auf die Intensivstation gelangen. Wettbewerbsfähige Ausbildung Gegenwärtig ist es im öffentlichen Diskurs ruhig um die Intensivpflege. Dennoch: Auch hier gibt es chronische Personalnot, bestätigt Traxler. So sei es etwa wichtig, die Nachtgutstunden und Zeitausgleichstunden, die anfallen, reduzieren zu können. „Wenn unsere Intensivstation laut Plan vollbesetzt wäre, würden wir zwei Planstellen insgesamt mehr benötigen, um diese regelmäßig abbauen zu können“, erklärt Traxler. Dringender als das sieht der Vertreter des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands aber eine wettbewerbsfähige Ausbildung, damit die Berufssparte zukunftsfit bleibt. Die Akademisierung des Berufes ist für ihn bereits ein wichtiger Schritt gewesen, um den komplexen Anforderungen gerecht zu werden. Jetzt bräuchte es auch einheitliche Curricula, damit Menschen in ganz Österreich unter denselben Voraussetzungen den Weg in die Intensivpflege einschlagen können. In der Pflegereform spielt dieser Umstand kaum eine Rolle, obwohl die Regierung die Pflegeausbildung attraktiver machen möchte. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen durch ein eigenes „Zweckzuschussgesetz“ alle, die den Pflegeberuf ergreifen möchten, mindestens 600 Euro pro Monat erhalten. Für Umsteiger(innen) sowie für Wiedereinsteiger(innen) wird ein Pflegestipendium vorgesehen. Zudem soll eine Pflegelehre als Modellversuch starten. Traxler betrachtet Letzteres kritisch. Mit der Intensivpflege an sich habe das wenig zu tun. Um im gehobenen Pflegedienst auf einer Intensivstation arbeiten zu können, müssen Interessierte eine Sonderausbildung absolvieren. Für ebendiese Ausbildung fehlen in Österreich derzeit aber standardisierte Lehrpläne. Die Wurzel dafür liegt bereits in der Grundausbildung, die im Sekundarbereich sowie im tertiären Bereich absolviert werden kann. Inhalt und Umfang variieren allerdings je nach Ausbildungseinrichtung. In Bezug auf die Spezialisierung ist abgesehen von einem Mindestmaß, das in der Gesundheits- und Krankenpflege-Spezialaufgaben Verordnung geregelt ist, nicht festgehalten, welche Kompetenzen eine Pflegeperson nach absolvierter Spezialisierung tatsächlich erworben haben muss. Den Grund dafür sieht der Berufsverband in einem Positionspapier auch darin, dass die Verordnung aus dem Jahr 2005 nicht mehr zeitgemäß ist. Abgesehen davon spricht sich Traxler für verpflichtende Simulationen im Rahmen von Fortbildungen aus – und er plädiert allgemein für eine Akademisierung der Intensiv pflege. Die Bedeutung der Sonderausbildung dürfe nicht unter den Tisch fallen. Nur so könne man auch langfristig im internationalen Vergleich mithalten. In Deutschland hat die „Gesellschaft für Fachkrankenpflege“ 2019 ganz ähnliche Forderungen publiziert. In fünf Thesen wurde öffentlichkeitswirksam festgestellt, wie die Qualität der Intensivpflege nachhaltig gesichert werden könne. Konkret hieß es: Intensivpflege erfordert eine spezifische Qualifikation; spezifische Ressourcen, Rahmenbedingungen und Qualität; regelmäßiges Training, eigenständige Handlungsfelder sowie Interprofessionalität und Zusammenleben. Schwammige Gesetzeslage „ Vieles von dem, was wir in der täglichen Arbeit machen, befindet sich derzeit noch in einem Graubereich. “ Dominic Traxler, Vorsitzender ÖGKV-BAG für Intensiv- und Anästhesiepflege Diese Forderungen beruhen auch auf einem veränderten Pflegeverständnis, denn der Tätigkeitsbereich für das Fachpersonal hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Die medizinisch-technischen Fortschritte und die Zunahme von Patient(inn)en aufgrund der demografischen Entwicklungen beeinflussen die Arbeitsweise. Das trifft auch für die Intensivpflege in Österreich zu. Unter anderem bräuchte es hierzulande ein Gesetz, das die Tätigkeiten von Intensivpfleger(inne)n genau beschreibt, erklärt Dominic Traxler, der selbst auf einer Intensivstation tätig ist. Er verweist auf aktuell schwammige Gesetzestexte: „Vieles von dem, was wir in der täglichen Arbeit machen, befindet sich derzeit in einem Graubereich.“ Im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz ist zu lesen: „Die Intensivpflege umfasst die Beobachtung, Betreuung, Überwachung und Pflege von Schwerstkranken sowie die Mitwirkung bei Anästhesie und Nierenersatztherapie.“ In weiterer Folge werden neun Punkte genannt, die zu den Tätigkeitsbereichen zählen. Auch hier ist meist von Mitwirkung zu lesen. Konkrete Ausführungen gibt es kaum. Bevor man sich allerdings weiteren Notwendigkeiten widme, müsse die Frage nach einer standardisierten Ausbildung geklärt werden, meint man beim Berufsverband. Die akademische Ausbildung in diesem Bereich stecke zwar noch in den Kinderschuhen, es müsse aber langfristig auch im tertiären Bereich Qualifikationsmöglichkeiten für den jeweiligen Spezialbereich geben. So soll die Qualität der Pflege in Zukunft auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse erhalten werden. Das würde nicht zuletzt der internationale Standard verlangen. Jetzt 4 Wochen gratis lesen! Im Mittelpunkt der diesjährigen Salzburger Hochschulwochen steht das spannende Thema „Reduktion - Warum wir mehr Weniger brauchen”. Wie bewusster Verzicht zu einer nachhaltigeren Gesellschaft führen kann, lesen Sie in unserem neuen Dossier auf www.furche.at/dossier Sichern Sie sich Ihr Gratisabo und tauchen Sie ein! Jetzt bestellen: furche.at/abo/gratis absoservice@furche.at +43 1 512 52 61 -52 GLAUBENSFRAGE Tage der Störung Haifa, 18. Juli: Jom Ha-Schibusch, Tag der „Störung“. Hunderte Menschen demonstrieren gegen Netanjahus geplante Justizreform, die der Regierung willkürliche Handlungsfreiheit geben soll. Der Verkehr liegt lahm. Der Busfahrer meint gelassen: „Da geht’s nicht weiter. Ihr könnt entweder sitzen blieben oder demonstrieren gehen.“ Tel Aviv, 22. Juli: Großdemonstration auf dem Platz der Demokratie. Ein Menschenmeer, das beinahe seekrank macht. Eine Welle von Abertausenden wälzt sich den Kaplan Boulevard entlang. Überall israelische Fahnen, dazwischen palästinensische Flaggen, Regenbogenfahnen, Banner des Widerstands. Die Kundgebung beginnt mit der Hatikvah, dann Ansprachen gefolgt von Trommelschlägen, Hupen und dem Refrain „De-mo-kratia“. Ein in palästinensische Farben gehüllter Israeli sagt: „Israel lieben heißt, Kritik üben.“ Jemand hält ein Schild hoch: „1933“. Tel Aviv, 23. Juli: Gegendemonstration auf dem Platz der Demokratie. Eine Menschenmasse strömt aus allen Richtungen her. Männer, Frauen, Kinder. Israelische Von Asher D. Biemann Fahnen. Es sind national-orthodoxe Siedlerfamilien. Sie tragen Banner im Namen der „Reform“. Jemand hält ein Schild hoch: „Wir sind das auserwählte Volk.“ Jerusalem, 24. Juli: Tausende haben eine „Wallfahrt“ in die Hauptstadt gemacht, zu Fuß bei glühender Hitze, und Zelte vor der Knesset aufgebaut. Sie sind gekommen, um die Verabschiedung der „Reform“ zu verhindern. „Wenn ihr so regiert“, ruft jemand auf die Knesset zu, „dann werdet ihr kein Volk mehr haben.“ Am Nachmittag stimmen die Abgeordneten für die Abschaffung der sogenannten Angemessenheitsklausel. Die „Reform“ ist gelungen. Das Höchste Gericht wird die Regierung künftig nicht mehr auf angemessenes Regieren prüfen dürfen. Nicht 1933, aber ernst. Denn nun ist die Macht frei vom Maßhalten der Justiz und der Vernunft. Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.
Entgeltliche Einschaltung SPEZIAL 11 Von 23. bis 25. Juli 2023 fanden die Disputationes zum Thema „Lux aeterna – Ewigkeit.Jenseits.Licht“ in der SalzburgKulisse im Haus für Mozart statt. Intellektuelle Konzertbegleitung Die Disputationes, das wissenschaftlich-philosophische Kolloquium im Rahmen der Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele, haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 2012 zu einem fixen Bestandteil der Salzburger Festspielsaison entwickelt. Von Beginn an war das Publikumsinteresse groß und das Bedürfnis des Festspielpublikums nach einer intellektuellen Konzertbegleitung auf interkultureller und interreligiöser Ebene deutlich zu spüren. Von 23. bis 25. Juli 2023 fanden die Disputationes zum Thema „Lux aeterna – Ewigkeit.Jenseits.Licht“ in der Salzburg- Kulisse im Haus für Mozart statt. Der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, würdigte diesen „Raum der Reflexion“ über existenzielle Fragen in seiner Begrüßung. Erzbischof Franz Lackner widmete seine Grußworte der Ewigkeit, bevor der Begriff aus theologischer, medizinischer und literarischer Sicht auf dem Podium diskutiert wurde. Am zweiten Tag wurde der Frage der Jenseitsvorstellungen nachgegangen, am dritten Tag zum Thema Licht verknüpfte man in bewährter Weise naturwissenschaftliche, spirituelle und künstlerische Zugänge. Weltreligionen und philosophische Fragen Während der letzten elf Jahre sprachen bereits über hundert hochkarätige Vertreter der großen Weltreligionen und Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft über die Wirkung von Kultur und Religion auf den Menschen; über spirituelle Momente in der Kunst; über Gemeinsames und Trennendes in Musik und Mystik verschiedener Glaubensrichtungen sowie über die großen Fragen der Menschheit nach Herkunft und Endlichkeit. Die jährliche Veranstaltungsreihe widmete sich bereits dem Judentum, dem Buddhismus, dem Islam, den indischen Philosophien sowie der Vielfalt der Ostkirchen. Seit der Intendanz von Markus Hinterhäuser wurden religionsübergreifend die Begriffe Transfiguration, Passion, Lacrimae, Pax, Sacrificium und Lux aeterna diskutiert. Das Kolloquium ist eingebettet in die Ouverture spirituelle, die das Thema vorgibt. Die während der Disputationes gehaltenen Referate werden in einer hochwertigen Schriftenreihe beim Wagner Verlag Linz herausgegeben. Traditionsreicher interdisziplinärer Diskurs Den Rahmen für die Disputationes bietet die Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele, die 2012 von Intendant Alexander Pereira in seinem ersten Festspielsommer ins Leben gerufen wurde, um der musikalischen und intellektuellen Auseinandersetzung mit interreligiösen und interkulturellen Themen eine Plattform zu bieten. Das Herbert-Batliner- Europainstitut konnte damals als Kooperationspartner gewonnen werden, um den geistlichen Konzerten diesen intellektuellen Überbau zu geben. Nach Schließung des Instituts gründete Erhard Busek 2018 gemeinsam mit Claudia Schmidt-Hahn den Verein Disputationes Salzburg. Persönlichkeiten aus Kirche, Kunst und Wissenschaft Wenn Konrad Paul Liessmann und Anton Zeilinger darüber nachdenken, wo der Ursprung des Lebens ist und was danach kommt, dann findet das im Rahmen der Disputationes statt. Wenn Kardinal Christoph Schönborn mit Rabbi Arthur Schneier diskutiert, Syriens Patriarch Gregorios III. Europa in die Pflicht nimmt und Franz Welser-Möst darüber berichtet, wie ihn Musik berührt, dann findet das im Rahmen der Disputationes statt. So mancher renommierte Religionsphilosoph, Künstler oder Wissenschafter war bereits mehrfach Gast – und jedes Mal Foto: Erika Mayer Foto: Franz Neumayr Das interessierte Publikum in der SalzburgKulisse. „ Ziel ist es, Vertreter der Religionen und Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft darüber sprechen zu lassen, welche Wirkung Kultur und Religion auf den Menschen haben. “ Disputationes- Geschäftsführerin Dr. Claudia Schmidt-Hahn. Foto: Erika Mayer Foto: Franz Neumayr über die fundierte Themenstellung, den intellektuellen Austausch und das kultivierte Ambiente erfreut. Nicht nur die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Bühne sind namhaft, auch im Publikum findet man – ganz privat – Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Religion, die sich gerne Denkanstöße holen und den Referenten im einmaligen Festspiel-Rahmen beim Denken zuhören. Organisation der Disputationes Seit 2016 ist Dietmar W. Winkler als Referent und Moderator Teil der Disputationes. Der Universitätsprofessor für Patristik und Kirchengeschichte an der Universität Salzburg berät das kreative Team rund um Festspielintendant Markus Hinterhäuser bei theologischen Fragen im Zuge der Themenfindung der Ouver ture spirituelle und hat 2023 – in der Nachfolge des verstorbenen Erhard Busek – die Leitung der Disputationes Salzburg übernommen. Seit Gründung der Disputationes im Jahr 2012 ist Claudia Schmidt-Hahn verantwortlich für das wissenschaftlich-philosophische Kolloquium im Rahmen der Ouverture spirituelle. Zunächst in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin des Herbert-Batliner-Europainstituts, fungiert die Juristin und Kulturmanagerin seit 2018 als Geschäftsführerin des Vereins Disputationes Salzburg. Die Disputationes finden in Kooperation mit den Salzburger Festspielen statt und werden von der Erzdiözese Salzburg und dem Land Salzburg unterstützt. Nähere Informationen: www.disputationes.at Der 2022 verstorbene Mitbegründer und Präsident Dr. Erhard Busek. Erzbischof Dr. Franz Lackner (links) und Präsident Univ.-Prof. MMag. Dr. Dietmar W. Winkler (Mitte) mit den Referenten des ersten Tages der Disputationes 2023: Assoz. Prof. Dr. Martin Dürnberger, Dr. Günther Loewit und Robert Schneider.
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