DIE FURCHE · 2718 Wissen3. Juli 2025Von Klaus StiefelEs war ein aufsehenerregenderFund EndeJuni: Zwölf Kilometervor der Küste Montenegroshat ein Fischereinen Weißen Hai aus den Tiefender Adria gezogen. „Obwohloft das Gegenteil angenommenwird, gelangt die Art auf natürlicheWeise in die Adria und ist imgesamten Mittelmeerraum beheimatet“,vermeldete das Institutfür Meeresbiologie der UniversitätMontenegro, wo die Bilder desTieres jetzt untersucht werden.„Die Population der Weißen Haieist jedoch deutlich geringer alsfrüher.“ Steigende Meerestemperaturenund Überfischung zwingendie Tiere allerdings, neueJagdgebiete zu erschließen; diesesind oft näher an den Küsten. Besondersum Spanien oder in derAdria, wo die Fischbestände zurückgehen,suchen die Haie nachalternativen Nahrungsquellen.Fressen ohne GefressenwerdenFür viele Menschen ist der WeißeHai hochgradig angstbesetzt –auch aufgrund von Filmen, dieden Mythos eines blutrünstigenFisches vermitteln. Tatsächlichgibt es wohl nur wenige Tiere, diehier so verteufelt wurden wie derWeiße Hai. Den Anfang machte1975 der Thriller „Der weißeHai“ von Steven Spielberg, woder Raubfisch nichts anderes imSchilde führt, als tapfere Amerikanerzu terrorisieren. Ein riesengroßerFisch mit spitzen Zähneneignet sich hervorragend dazu,Kinotickets zu verkaufen oderdie Einschaltquoten im Fernsehenzu erhöhen. Das hat sich auchin den letzten 50 Jahren nicht geändert.In der Realität sind tödlicheUnfälle mit Haien jedoch sehrselten: „Es ist wahrscheinlicher,im Lotto zu gewinnen, als von einemHai angegriffen zu werden“,heißt es im „Florida Museum ofNatural History“. Zumindest vonNaturfotografen und Ökologenwerden die Tiere sehr geschätzt:Denn wie in vielen anderen Ökosystemensind die Spitzenräuber –Raubtiere, über denen in der Nahrungsketteniemand mehr steht(am Land z. B. Wölfe oder Bären) –von ganz besonderer Bedeutung.DIE FURCHE EMPFIEHLTKlimakrise,KrisenklimaIm Linzer Ars Electronica Centerwird heuer der Grundrechtstag rundum Fragen der Klimakrise stattfinden;die Anmeldung wurde nun eröffnet.Das Spektrum der Vortragendenist breit und interdisziplinär.Grundrechtstag 2025Wie wandeln wir Demokratie, Gesellschaftund Recht? Linz, 25. und 26.9., Anm. überE-mail: anmeldung@vwgh.gv.atFoto: iStock/RamonCarreteroVor 50 Jahren kam Steven Spielbergs Horrorfilm „Der weiße Hai“ins Kino und verbreitete den Mythos eines blutrünstigen Unterwassermonsters.Doch Angriffe auf Menschen passieren sehr selten. StattAngst vor Haien sollte man viel eher Angst vor Meeren ohne Haie haben.Die bedrohtenSpitzenräuberWie wesentlich die PräsenzWeißer Haie als Spitzenräuberist, das hat die Entwicklung inder südafrikanischen „False Bay“vor Kapstadt gezeigt. Es handeltsich um eine richtige Bucht; derName rührt daher, dass eines derKaps an deren Eingang leicht mitdem nahegelegenen Kap der GutenHoffnung verwechselt werdenkann. In dieser Bucht gab es immereine Population Weißer Haie,die auch Tauchtouristen angelockthat. Man konnte dort aus einemUnterwasserkäfig heraus dieTiere beobachten. Viele der Fotosvon aus dem Meer springendenWeißen Haien sind in „False Bay“entstanden. Die Fische wuchtensich aus dem Wasser, um Parasitenabzustreifen oder, was bei sogroßen Tieren mit komplexemVerhalten ebenfalls möglich ist,um einfach nur zu spielen.Seit dem Jahr 2000 wurdenWeiße Haie von Meeresbiologenvon Booten aus systematisch gezählt.Auch stationäre Unterwasser-Videokameraswurden eingesetzt.Ab 2015 wurden immerweniger Tiere gesichtet und ab2018 dann fast keine mehr. Warumwar das der Fall?Schwertwale (Orcas) haben ineinigen Fällen den Weißen Haienden Platz als Spitzenräuber streitiggemacht. Obwohl das in „False Bay“noch nicht dokumentiert wurde,kann es sein, dass manche derHaie aus der Bucht rausschwammenund dann gefressen wurden.Ein weiterer Grund: Obwohl WeißeHaie in Südafrika unter Schutzstehen, werden immer noch vieleTiere getötet. Das „KwaZulu-NatalSharks Board’s Lethal Shark ControlProgram“ tötet Haie mit Hakenund Netzen. Ökologisch gesehenist das so sinnlos wie Versuche,die afrikanische Savanne löwenfreizu halten. Dieses Vorgehenwurde hier anscheinend nur durchAngst motiviert. Weiters ist unklar,ob diese Maßnahmen das Schwimmenan den Stränden überhauptsicherer machen. Seit 2020 gab esin Südafrika vier Todesfälle, diewahrscheinlich von Weißen Haienverursacht wurden. Zum Vergleich:Im selben Land wurden alleinim Jahr 2024 durchschnittlich72 Menschen pro Tag (!) ermordet.„ Die Robbenvermehrung nach dem Verschwindender Weißen Haie hatte weitere Folgen: Die Makrelen,von denen sich die Robben ernähren, wurdendeutlich dezimiert. “Die Fortpflanzungsbiologie derWeißen Haie macht solche Verlustebesonders schlimm: Die Haiewerden erst ab circa zwölf Jahren(Weibchen) bzw. neun Jahren(Männchen) geschlechtsreif,und die Weibchen bringen durchschnittlichzehn bis 14 Junge aufdie Welt, die bei der Geburt dannbereits bis zu eineinhalb Meterlang sind. So eine spät einsetzende,langsame Fortpflanzung istfür große und langlebige Raubtieretypisch. Eine Folge davonist freilich, dass der Verlust eineseinzelnen geschlechtsreifenWeibchens der Population überviele Jahre schadet.Willkommen im AnthropozänFür das Ökosystem der „FalseBay“ hatte der Zusammenbruchder Hai-Population signifikanteKonsequenzen: Primär vermehrtensich dadurch deren ehemaligeBeutetiere. Besonders vonden Robben gab es nach dem Verschwindender Weißen Haie fünfmalmehr Tiere. Diese Robbenvermehrunghatte dann weitereFolgen: Die Makrelen, von denensich die Robben ernähren, nahmenum 22 Prozent ab. Der Verlustder Weißen Haie führte alsozu einer ganzen Kaskade anVeränderungen im Ökosystem.Auch die Siebenkiemer-Haie, dieebenfalls auf der Speisekarte derStarkgefährdetDer Weiße Hai lebtauch im Mittelmeer:Das zeigtezuletzt ein aufsehenerregenderFischfang vorder Küste Montenegros.DieWeißen Haie desMittelmeers geltenheute jedoch als„stark gefährdet“.Der weltweit größteRaubfisch wirdbis zu sechsMeter lang.Siehe dazuauch den Artikel„Anthropozän:Plastik stattSchalen“ vom16. Juni 2021von KlausStiefel, auffurche.at.Weißen Haie standen, konntensich vermehren. Hier gab es ebensoFolgewirkungen in den unterenSchichten des Ökosystems:Kleine Haiarten wie die PyjamaundGlatthaie, die wiederum vonden Siebenkiemer-Haien gefressenwerden, wurden deutlich dezimiert.Die „False Bay“ zeigt somitexemplarisch, wie sich Effekte ineinem Ökosystem fortpflanzen.Die Einsichten stammen aus eineraktuellen Studie des MeeresökologenNeil Hammerschlag undseiner Kollegen. Diese Studie hatnoch gar nicht untersucht, wasweiter weg von den Weißen Haienin der kausalen Kette passiert:Welche Folgen hat deren Ausbleibenfür die Beutetiere der Makrelen,Pyjama- und Glatthaie?Anzunehmen ist wohl, dass dieAuswirkungen des Verlusts vonSpitzenraubtieren noch weiterreichen. Ist die „False Bay“ (fast)ohne Weiße Haie nun ein Unterwasser-Brachland?Nein, sichernicht. Ist das Ökosystem jetztin einem neuen natürlichen Zustand?Auch das nicht. Es ist massivvom Menschen verändert –willkommen im Anthropozän.Der Autor ist Biologe,populärwissenschaftlicherAutor und Naturfotograf. Er lebtzurzeit auf den Philippinen.
DIE FURCHE · 273. Juli 2025Wissen19Die bisherigen Angebote zur Prävention von Darmkrebs werden nur von einer Minderheit wahrgenommen. Die klinische Forschung suchtdaher nach Alternativen. Nun sind auch einfache Bluttests zur Früherkennung verfügbar. Was ist davon zu halten?Neues Fenster in den DarmVon Martin TaussVorsorge ist wichtig, aber nicht immerbeliebt. In der medizinischenFachsprache: Die Compliance istoft gering. Für viele Menschen etwabraucht es ein bisschen Überwindung,um eine Koloskopie im Terminkalenderzu fixieren. Die invasive Untersuchung erforderteine gründliche Darmreinigung durch Abführmittelund wird in der Regel unter einerkurzfristigen Vollnarkose durchgeführt. „Heuerist es so dicht, nächstes Jahr habe ich mehrRuhe dafür“, so ein verlockender Gedanke, derzum Aufschieben motiviert.Weniger abschreckend sind Stuhltests: Mittelseines Immuntests (FIT) wurde die Treffsicherheitmittlerweile verbessert, weshalb dieStadt Wien auf ein Früherkennungsprogrammmit FIT setzt. Doch alle Arten von Stuhltestskönnen nur Blutungen nachweisen – nicht aberWucherungen, bei denen noch kein Blut abgesondertwird. „Die Koloskopie bleibt der Goldstandardder Darmkrebsvorsorge und Früherkennung.Nur sie ermöglicht es, Krebsvorstufenrechtzeitig zu erkennen“, sagt der Internist ArnulfFerlitsch im Gespräch mit der FURCHE.„Solche Polypen können bei der Untersuchungggf. auch gleich entfernt werden. Nur so kannverhindert werden, dass sich Darmkrebs überhauptentwickelt“, erläutert der Primarius amKrankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien,zugleich Leiter der Arbeitsgruppe Qualitätssicherungin der heimischen Fachgesellschaftfür Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH).Insgesamt nehmen weniger als 20 Prozentder Österreicher und Österreicherinnen ein Angebotzur Darmkrebsprävention in Anspruch;häufige Hürden sind Angst und Scham. Wie sichdas Spektrum der Maßnahmen sinnvoll erweiternlässt, ist daher eine leitende Fragestellungin der klinischen Forschung. In der Entwicklungvon Bluttests konntennun Fortschritteerzielt werden. Die Hoffnungder Experten: EineBlutabnahme in einer Ordinationwird viel eherakzeptiert als eine Koloskopie.Und im Vergleichzu Stuhlproben könntenBlutproben leichter gesammelt,verwahrt undstandardisiert transportiertwerden.Erfahrung gibt es hierbereits mit dem Bluttest ColonAiQ des heimischenUnternehmens Trignostics: Er ermöglichtdie erste Blutuntersuchung, die fünf Krebsmarkerin einem Test kombiniert. Auf vier Genen,die mit Darmkrebs in Verbindung stehen,werden fünf spezifische Regionen des Erbguts(DNA) auf abnormale Veränderungen untersucht.Das Laborergebnis lässt Rückschlüsseauf ein eventuell hohes Risiko für bestehendenDarmkrebs zu. Bei positivem Testergebnis wirddaher kurzfristig eine weitere Diagnostik einschließlichDarmspiegelung empfohlen. „Solltedas Ergebnis ‚hohes Risiko‘ lauten, steigt auchdie Bereitschaft zur Koloskopie“, weiß der WienerAllgemeinmediziner und Trignostics-GründerGünther Malek.Für Facharzt Ferlitsch kommen sowohl Stuhlalsauch Bluttest „relativ spät“, da sie keine Vorstufen,sondern nur einevorhandene Erkrankung„ Jährlich erhalten inÖsterreich knapp 5000Personen die DiagnoseDarmkrebs, rund 2600versterben daran. In denletzten Jahren sindverstärkt auch jüngereMenschen betroffen. “nachweisen: „Der Schadenist dann mitunterschon angerichtet.“ Inder Früherkennung hatder Bluttest eine signifikanthöhere Treffsicherheitals der FIT-Stuhltest;im Preisvergleichist Letzterer allerdingsnoch deutlich günstiger.FIT-Tests werden bereitsvon der Krankenkasseübernommen; bezüglich Bluttest sind seit KurzemGespräche mit der Sozialversicherung imLaufen. „Solche Bluttests werden künftig vor allembei Krebsarten wie dem Pankreas-Karzinomeine wichtige Rolle spielen, wo die Früherkennungsehr schwierig ist“, sagt PrimariusFerlitsch. „Im Bereich Darmkrebs ist der Stellenwertder Bluttests noch offen. Aber wennes finanziell passt, ist es gut möglich, dass siein das Standardprogramm einer Blutuntersuchungaufgenommen werden.“Die Bedeutung der Vorsorge wird durch aktuelleDaten belegt: Jährlich erhalten in Österreichknapp 5000 Personen diese Krebsdiagnose,rund 2600 versterben daran. Zuletztsind verstärkt auch jüngere Menschen betroffen.Als Grund für diese (noch nicht ganz geklärte)Entwicklung gilt vor allem ein ungesunderLebensstil: zu wenig Bewegung, moderneEssgewohnheiten sowie Rauchen und Alkohol.Das hat dazu geführt, dass Expertengremienheute vielerorts über eine Absenkung der Altersgrenzefür die Koloskopie-Empfehlungendiskutieren. In Österreich wird die Darmspiegelungfür die allgemeine Bevölkerung nunschon ab dem 45. Lebensjahr empfohlen.Gutartige Vorstufen, bösartige TumoreWerden die Tumore frühzeitig diagnostiziert,liegt die Heilungsrate bei über 90 Prozent. In einemspäten Stadium hingegen sinkt die Überlebensrateauf circa 15 Prozent. Das Problem dabei:Typische Warnsymptome wie zum BeispielBauchschmerzen, Blähungen, Blut im Stuhloder Blutarmut treten erst spät im Krankheitsverlaufauf. Dass aus gutartigen Vorstufen (denPolypen) im Laufe der Zeit ein bösartiger Tumorentsteht, ist ein Prozess, der fünf bis zehn Jahredauern kann. Daher ist das Fenster der Vorsorgeund Früherkennung enorm wichtig.SommeraktionOb Strand, Berg oder Balkon – der Sommer lädt ein zum Lesenund Innehalten, fernab der großen Schlagzeilen. DIE FURCHEist die passende Begleiterin: Im FURCHE-Navigator warten alleArtikel seit 1945 auf ihre Entdeckung – eine Reise durch Zeit,Themen und Perspektiven.Jetzt50% RabattNUR FÜR KURZE ZEIT:3 Monate DIE FURCHEum nur 45 Euro statt 90 Euro !Handventilatorzu jederBestellunggratis dazu!Jetzt bestellen:furche.at/abo/sommer+43 1 512 52 61-52aboservice@furche.at
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