DIE FURCHE · 2710 Diskurs3. Juli 2025FUNDSTÜCKEDas Kochbuchmeiner MutterHubert GaisbauerFoto: Hubert GaisbauerEigentlich ist das Kochbuch meiner Mutterkein wirkliches Fundstück. Es lag ja immerbei ihren Büchern in der kleinen Sitztruhebeim Küchentisch, gemeinsam mit dem„Reimmichl-Kalender“ des jeweiligen Jahres undder „Biblischen Geschichte für katholische Volksschulen“,erschienen 1907, also im Geburtsjahrmeiner Mutter.Ihr handgeschriebenes Kochbuch habe ichbeim Ausräumen ihrer Wohnung – ganz egoistisch– für mich reserviert, als die mir wichtigsteReliquie. Wenn Mutter darin blätterte, um einRezept zu suchen, wendete sie die Seiten an derrechten unteren Ecke mit dem Daumen und demZeigefinger. Daher sind dieseEcken so abgegriffen undein wenig fettig imprägniertund schauen aus wie ein altesDokument, das unter einerVitrine vor dem Zerfallgeschützt gehört. So ähnlichsind Ecken und Ränder desKochbuchs meiner Mutter.Linzertorte und Sauschädel„ Und wahrscheinlichspreche ich im Herzeneinen geheimen Segen,wenn ich jetzt einesihrer Rezepte suche. “Und wahrscheinlich spreche ich im Herzeneinen geheimen Segen, wenn ich jetzt eines ihrerRezepte suche, in denen sich Bäuerlichkeitund Bürgerlichkeit geschmacklich so wunderbarvereint hatten.Das Kochbuch meiner Mutter war auch ihr Allround-Notiz-,Adress- und Vormerkbuch. Damitist es die Mutter vieler Fundstücke geworden.Wenn nämlich für eine nötige Notiz kein Zettelzur Hand war, hat meine Mutter einfach dort hineingeschrieben,wo innen oder außen irgendwoPlatz zwischen den Rezepten war.Manchmal wurde auch an den Rand der MühlviertlerNachrichten gekritzelt, dann abgerissenund dem Kochbuch einverleibt. Oder auf dieEinladung des ÖVP-Seniorenbundes „zum Sauschädelessen“, die der Briefträger gerade dagelassenhatte. Oder es findet sich – ins Kochbuchgelegt – eine Postkarte mit dem Rezept der „echtenLinzertorte“, geschrieben und abgeschicktvon einer gewissen Frau „Inschpektor Maier“ ausSchärding. Frankiert war die Karte mit einerDreißig-Groschen-Briefmarke, auf der eine fescheSalzburgerin in der Tracht aus dem Pongauabgebildet war.Über 30 Motive solcher Trachtenfrauen hat esin dieser Briefmarkenserie gegeben. Ich habe siealle geliebt, die jungen Frauen mit den typischenAttributen einer österreichischen Region. Steiermarkmit der Zither, Wachau mit Goldhaube undGebetbuch, Wienerwald mitReisigbündel und Burgenlandmit einer Getreidegarbe.Ihre figürliche Gestaltungwar „das formentreue Umschließendes Oberkörpersund das freie Umfließen desUnterleibes und der Beine“,wie es in dem sich recht offiziellgebenden Internetauftrittder „Wissenssammlungdes AUSTRIA-FORUMS“ heißt, „der Oberkörperwird dabei stärker, naturferner, umhüllt, dafürseine Mitte betont“. Ja, auch ein Hauch von Erotikwar zu spüren, damals, für mich. Mein erstes Heimat-,ja Nationalbewusstsein hatte viel mit diesenBriefmarken ab dem Jahre 1947 zu tun. Ichhatte ja auch noch Marken mit dem Porträt einesMannes mit kühnem Blick, dem Rechtsscheitelund dem Zweifingerbart unter der Nase gekannt.Dann, nach dem Krieg, waren die jungen Briefmarkenfrauenwirklich eine Verheißung für einzukunftsreiches, freies Land.Der Autor ist Publizist und Ö1-Mitbegründer.In seiner Kolumne schreibt er über das (Wieder-)Finden kleiner Dinge und großer Worte.KOMMENTAREin Antidot zu Trump, das die US-Demokraten nicht wollenEigentlich sollten bei den US-Demokraten Jubelstürme ausbrechen.Vergangene Woche fanden in New York die Vorwahlenfür das Bürgermeisteramt statt. In diesen küreneingetragene Wähler den demokratischen Spitzenkandidatenfür November 2025. Dabei triumphierte überraschend der NewcomerZohran Mamdani, der jene Wählergruppen mobilisierenkonnte, die seine Partei oft an Donald Trump verloren hatte: jungeMenschen und Minderheiten. Mit 43,5 Prozent der Stimmenübertraf er seinen Hauptkontrahenten, Andrew Cuomo, um achtProzentpunkte.In seiner Kampagne thematisierte der 33-jährige Mamdanivor allem die steigenden Lebenshaltungskosten. Der selbsternannte„demokratische Sozialist“will einen Mindestlohn von 30 Dollarpro Stunde einführen, die Mieteneinfrieren und Busse sowie Kinderbetreuungkostenlos machen. Finanzierenmöchte er diese Maßnahmenmithilfe einer Steuererhöhung vonzwei Prozentpunkten für jene NewYorker, die mindestens eine MillionDollar verdienen.„ Ob man seiner Agenda zustimmtoder nicht: Zohran Mamdani istes gelungen, Onlineklicks intatsächliche Wahlbeteiligungumzumünzen. “Mit viralen Videos auf TikTok und Instagram zum WahlerfolgDoch trotz der ermutigenden Wahlergebnisse ist das demokratischeEstablishment alles andere als amüsiert. Denn Mamdani entspringtdem linken, kapitalismuskritischen Flügel rund um US-Senator Bernie Sanders und die Kongressabgeordnete AlexandraOcasio-Cortez. Ihre sozialistische Allianz ist vielen bürgerlichenDemokraten ein Dorn im Auge. Auch dass Mamdani – wie die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese – die israelischenKampfhandlungen in Gaza als „Genozid“ beschreibt, kommt beider Partei nicht gut an. So unterstützten viele Parteifunktionäreund Großspender, wie etwa der frühere US-Präsident Bill Clinton,stattdessen Ex-Gouverneur Andrew Cuomo. Dieser war 2021 nachmehreren Vorwürfen der sexuellen Belästigung zurückgetreten.Die Verfahren wurden aufgrund mangelnder Beweise eingestellt,Cuomo bestreitet die Anschuldigungen.Cuomos millionenschwere Werbespots gegen Mamdani warenim TV omnipräsent. Dieser versuchte wiederum, in den sozialenMedien Aufmerksamkeit zu generieren. Mit unterhaltsamen Videosbegeisterte der telegene Anzugträger unzählige junge Wähler.Auch jene, die sich davor noch niepolitisch beteiligt hatten. Seine Strategie:wirklich zuhören. In vielen Videosspricht er mit Menschen in New YorksStraßen. Sie erzählen, dass sie sichtrotz harter Arbeit kaum Mieten undLebensmittel leisten können. Das wolleMamdani ändern, wie er in einemInterview nach seinem Wahlsieg erklärte.Indem er Leute aus dem Alltagzu Wort kommen lasse, vermittle Mamdani besonders effizient seineBotschaften, analysiert der New York Times-Journalist Ezra Klein.(Davon könnte sich auch die heimische Politik inspirieren lassen.Die neue Grünen-Chefin Leonore Gewessler sagte gegenüber demORF, dass Schluss sein müsse mit „Wir haben eh schon das besteKonzept“ und ihre Partei den Menschen mehr zuhören müsse.)Eigentlich sollte Mamdani als Spitzenkandidat der Demokratenim linksliberalen New York das Bürgermeisteramt sicher sein.Doch diesmal ist alles anders. Sowohl Cuomoals auch der amtierende demokratischeBürgermeister Eric Adams werden alsUnabhängige antreten. Auch an der WallStreet hat der junge Sozialist Feinde. ErsteMilliardäre und Unternehmer haben bereitsgedroht, die Stadt zu verlassen, sollteVon MagdalenaSchwarzer Bürgermeister werden. Der Hedgefonds-Manager Bill Ackmanhat angekündigt, dass er gemeinsam mit der Finanzindustriehunderte Millionen Dollar in eine Kampagne gegen Mamdani investierenwird. Die Situation erinnert an die Vorwahlen der US-Demokraten im Jahr 2016. Damals baute Bernie Sanders eine großeBewegung um sich auf, die mehr soziale und ökonomischeGerechtigkeit forderte und gegen den Exzess des Kapitalismuseintrat. Schlussendlich wurde aber Hillary Clinton Spitzenkandidatin.Doch zwei Trump-Präsidentschaften und die Wahlverlusteder vergangenen Jahre bewegen zumindest einige Demokraten,wie etwa Barack Obamas Chefstrategen David Axelrod,zum Umdenken. Dieser sagte in einem Interview, dass MamdanisStrategie durchaus landesweit erfolgreich sein könnte. Mancheim linken Flügel hoffen gar, dass Ocasio-Cortez 2026 für die Demokratenins Präsidentschaftsrennen gehen könnte.Ob man seiner Agenda zustimmt oder nicht: Fest steht, dasses Mamdani gelungen ist, Onlineklicks in tatsächliche Wahlbeteiligungumzumünzen. Nicht umsonst schwingt in Trumps Beleidigungen– er hat Mamdani als „kommunistischen Verrückten“bezeichnet – möglicherweise Neid mit. Schließlich verstehtes der digital versierte Jungpolitiker, Aufmerksamkeit zu generieren.Und das ist eine Fähigkeit, die die US-Demokraten dringendbrauchen.Medieninhaber, Herausgeberund Verlag:Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KGHainburger Straße 33, 1030 Wienwww.furche.atGeschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner,Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-FlecklChefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-FlecklHead of Digital: Mag. Johannes MantlRedaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. AstridGöttche, Viktoria Kapp BA, Dipl.-Soz. (Univ.)Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc,Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder,Dr. Martin Tauss, Astrid Wenz-Theriault MAArtdirector/Layout: Rainer MesserklingerAboservice: +43 1 512 52 61-52aboservice@furche.atJahresabo (inkl. Digital): € 298,–Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. 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DIE FURCHE · 273. Juli 2025Diskurs11Mit seinen lange geplanten Luftschlägen hat Israel die Militärmacht des Iran gelähmt. Doch dieBedrohung bleibt – auch Jahrzehnte nach dem Sechstagekrieg. Erinnerungen eines Beobachters.Die Spirale desNahost-IrrsinnsIn keiner Weltgegend dreht sich die Spiraleder Ereignisse rascher – und ähnlichirrational. Die Berichte von gesternsind heute längst überholt, die Medienkommentarevon gestern sind heuteMakulatur und morgen bereits vergessen.Das lässt sich auch an meinem persönlichenErfahrungshorizont illustrieren: Im Sommer1968 bereiste ich erstmals, damals noch alsGymnasiast, Israel. Durch die offenen, scheibenlosenFenster der uralten Autobusse wehteder nächtliche Duft endloser blühender Orangenhaine.Der Reiseleiter schwelgte in überheblicherEuphorie: Es war genau ein Jahrnach dem inzwischen legendären Sechstagekrieg;neue Territorien waren erobert, manhielt sich für unbesiegbar. Die bereits in denneu besetzten Gebieten schlummernden Problemewurden ignoriert oder zumindest heruntergespielt.Damals waren die arabischen Staatennoch die Feinde Nummer eins, die tödlicheBedrohung für Israel. Doch inzwischen fliegtEmirates nach Tel Aviv, während fast alle anderenAirlines ihre Flüge annulliert haben,Ägypten pflegt mit dem Ex-Feind Israel engeGeheimdienstkontakte, Jordanien fängt Drohnenaus Iran ab, bevor sie Israel erreichen, unddie „Normalisierung“ mit Saudi-Arabien istnur noch eine Frage der Zeit. Die Palästinensersind für die Araber bestenfalls ein Lippenbekenntnis,aber die technologisch-strategischeZusammenarbeit mit Israel floriert – dergemeinsame Feind ist Iran, sind muslimischeFanatiker, sind die Hamas-Terroristen, welchedie reiche Ölstaaten destabilisieren könnten.Alarmsirenen – ohne PanikZeitsprung: 1984 war Israel mit Sitz Jerusalemmein erster NZZ-Korrespondentenposten.Die Intifada, der Palästinenseraufstand, warnoch in weiter Ferne. Das Thema damals warder von Israel okkupierte Südlibanon mit seinenfeindlich gesinnten Amal-Schiitenmilizen.Zeitsprung zurück: Erst kürzlich war ichin Israel – und schaffte gerade noch den letztenFlug heimwärts, bevor wegen des losbrechendenIrankriegs der Luftraum gesperrt wurde.Ich stand in der Abflughalle, als plötzlich dieAlarmsirenen schrillten. Alles erfolgte routiniertund unaufgeregt: Der Alarm galt einmalFoto: Privatmehr einer von den Huthi im fernen Jemen abgefeuertenRakete, die auf den Ben-Gurion-Flughafen abzielte. Unser Schutzraum war einefensterlose Küche mit Eisentür, Personalund Fluggäste mit Rollkoffern eng zusammengedrängt– aber keinerlei Panik.Bei meinem Augenschein in Tel Aviv erschiender Gazakrieg, der sich doch nur 50 Kilometerweiter südlich abspielte, wie ein Geschehen aufeinem fernen Planeten. Die Straßencafés vollvon jungen Leuten, die auf ihren Laptops arbeitetenund Kaffee tranken. Die Strände erfülltvon Badenden. Doch auf jeder Parkbank undauf dem Dizengoff-Square im Herzen der StadtDIESSEITSVON GUTUND BÖSEVon CharlesRitterband„ Der jüdische Staat istnun Hegemonialmacht.Doch die Gefahr eines‚Nuclear Holocaust‘ istkeineswegs gebannt.“die verblichenen Fotos der Verschleppten, derbrutal an jenem 7. Oktober Hingemetzelten undGefolterten. Und überall, selbst auf dem Kontrollturmauf dem Flughafen, die gelbe Schleifeund der Slogan: Bringt sie heim! Denn immernoch befinden sich 50 Geiseln, die meisten vonihnen wohl nur noch als Leichen oder Lebendtote,in den Händen der mörderischen Hamas,in den unterirdischen Tunnels, die insgesamtlänger sind als die Londoner U-Bahn.Dieser Horror stand in krassem Gegensatzzu dem oberflächlich Lebensfreude zelebrierendenTel Aviv. Kein Israeli, der nicht einenVerwandten oder Bekannten hat, der Opfer je-nes Massakers wurde, im Krieg gegen Hamasums Leben kam oder schwer verletzt wurde.Bei Freunden in Haifa: Plötzlich war der Kriegbuchstäblich vor der Haustür, hatte eine durchdas Abfangnetz gelangte Rakete aus Libanonmit ohrenbetäubender Detonation im Nachbarhauseingeschlagen; vom Gebäude war nichtsmehr übrig, alle Autos ausgebrannt, sämtlicheFenster und Wohnungseinrichtungen zerstört.Nacht für Nacht im BunkerWie völlig anders sah dann Israel aus, nachdemich abgeflogen war: Nacht für Nacht verbrachtedie Bevölkerung in Bunkern und Unterständen.28 Israelis wurden von iranischenRaketen getötet, rund 3000 verletzt. Mit derunbeschwerten Normalität war es mit einemSchlag vorbei.Trump hat nach dem beispiellosen Bombenangriffauf die iranischen Nuklearanlagen behauptet,die „Operation Midnight Hammer“habe diese total ausgeschaltet. Netanjahu hattezuvor mit der „Rising Lion“ seinen amerikanischenKollegen vor vollendete Tatsachen gestellt– und zugleich unter Zugzwang gesetzt(und seine sterbende Popularität wieder hergestellt).Erstmals wurde der Iran direkt inKriegshandlungen involviert, nachdem Israeldessen terroristische Speerspitzen in Libanonund Gaza weitgehend ausschalten konnte undsich beim iranischen Vasallen Syrien ein dramatischerMachtwechsel vollzogen hatte. Mitseinen präzise kalkulierten und lange vorbereitetenLuftschlägen hat Israel die iranischeMilitärmacht gelähmt.Der jüdische Staat ist jetzt die unbestritteneHegemonialmacht in Nahost. Doch Expertengeben zu bedenken, dass die Iraner das angereicherteUran längst in andere unterirdischeVerstecke verbrachten. Die Gefahr eines vonIran lancierten „Nuclear Holocaust“ gegen denTodfeind Israel ist somit keineswegs gebannt,sondern lediglich aufgeschoben. Eine konventionellgeschlagene Diktatur könnte skrupelloszum letzten Mittel greifen: der Atomwaffe.Der Autor war viele Jahre Redakteur sowieAuslandskorrespondent der Neuen ZürcherZeitung – u. a. in Jerusalem, Washington,London, Buenos Aires und Wien.ZUGESPITZTFree Henry!Es war einmal ein Mann namensHenry David Thoreau. Er lebte in einemfernen Land namens USA, daseinst stolz verkündet hatte, sichvom König loszusagen – weil dochalle Menschen gleich geschaffenseien; nur um dann Sklaverei, Kriegund Heuchelei zur Staatsräson zuerklären. Henry roch den Widerspruch.Also tat er, was Männer mitPrinzipien eben tun: Er zog in eineWaldhütte. An einem 4. Juli.Dort schrieb er ein Manifest: Wennein Gesetz dich zwingt, Unrechtzu tun – dann brich es. Die Mehrheithat nicht immer recht. Henrywusste das aus Erfahrung. Manhatte ihn schon ins Verlies geworfen,weil er keine Steuern für einenSklavereistaat zahlen wollte. Undso erkannte er: In einem Königreich,das Gerechte einsperrt undUngerechte wählt, ist der Kerkerwohl der einzige Ort für einen anständigenMann. 180 Jahre vergingen,das Land ist wieder im Tumult.Der Heimatschutz verhaftet, derSupreme Court schweigt. Einer mitKappe und Größenwahn regiert wieein König – nur ohne Krone, dafürmit Gold. „President for life, maybe“,scherzt er – jawoll. „No Kings!“,rufen sie jetzt durchs ganze Land.Und wenn Henry nicht gestorben ist,sitzt er wohl noch immer im Wald –oder längst als staatsgefährdenderAnti-Amerikaner hinter Gittern.Los, holt die Schilder! Free Henry!Daniela PirchmoserPORTRÄTIERTLöwin in Gelb-Weiß für die Salzburger PolitbühneMit Karoline Edtstadler als neuer Landeshauptfrauund Parteichefin muss als Erstes die SalzburgerÖVP Haare lassen: Mähne ab, hieß es bereitsfür den Löwen im Parteilogo, in Zukunft wird eine Löwinin den Papstfarben Gelb-Weiß die Volkspartei symbolisieren.Und manche – in der 21 Jahre langen Ära von WilfriedHaslauer gewachsenen – alten Zöpfe wird die SalzburgerVolkspartei abschneiden müssen, will sie der Edtstadler-Vorgabe folgen, wonach die Partei jünger, weiblicher undoffener werden soll.„Papa, ich bin wieder da!“, rief Edtstadler von der Bühneihrem Vater im Publikum des Parteikongresses am Wochenendezu. Die Kür zur Landeshauptfrau von Salzburgist für die 44-jährige Salzburgerin nach Jahren als ÖVP-Geheimwaffe für schwierige Fälle – von Kickl-Aufpasserinals Staatssekretärin im Innenministerium bis zur Gewessler-Bändigerinals Kanzleramtsministerin – ein Heimkommen:Der Chiemseehof, Amtssitz der Landesregierung, istihr seit Kindheitstagen als Arbeitsstätte des Vaters, desfrüheren Landtagsdirektors Karl Edtstadler, sehr vertraut.Dass Karoline Edtstadler so schnell wieder heimkommt,war nicht ausgemacht. EU-Kommissarin in Brüssel, ÖVP-Obfrau und Bundeskanzlerin oder das eine oder andereAmt als Ministerin in Wien erschienen lange als logischereKarriereschritte. Obwohl immer als Favoritin genannt,kamen aber andere als sie zum Zug. Seit dem Abgang ihresMentors Sebastian Kurz war es mit Edtstadlers Hausmachtin der Bundes-ÖVP nicht weit her. Wahrscheinlich fürchteteman dort, mit Edtstadler an der Spitze eben so manchelieb gewordenen Zöpfe abschneiden zu müssen.Zu Recht. Klarheit vor Harmonie ist Edtstadlers Leitlinie,die sie in ihren beruflichen und politischen Positionen,angefangen als Richterin am Salzburger Landesgericht,(durch)gezogen hat. Die Zuschreibung „Eisprinzessin“kommt nicht von ungefähr, zeigt aber gleichzeitig, wieschnell durchsetzungsstarke Frauen eine negative Punzebekommen.„Wir werden da fortsetzen, wo Wilfried Haslauer aufgehörthat“, streute Edtstadler ihrem Vorgänger zum AbschiedRosen. Fürs Poesiealbum: Im Chiemseehof wirdmit Edtstadler ein neuer Besen an der Spitze Salzburgs(ein)kehren, und sie wird einen Schnitt machen. Der RegierungspartnerFPÖ weiß das, das blaue Entsetzen über dieAnkündigung der neuen Landeshauptfrau war nicht gespielt.Nach dem Festspielsommer gehört die Bühne derLöwin in Gelb-Weiß. (Wolfgang Machreich)Foto: APA / Franz NeumayrKaroline Edtstadler(44) wird erste ÖVP-Landeshauptfrauvon Salzburg seit 80Jahren. Und schneidetalte Zöpfe ab.
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