DIE FURCHE · 44 8 Religion 2. November 2023 Von Otto Friedrich Am Allerheiligentag wäre Huub Oosterhuis 90 Jahre alt geworden. Er hat seinen Geburtstag nicht mehr erlebt. Denn am Ostersonntag 2023 ist der Erneuerer religiöser Sprache, der Vorkämpfer für Poesie auch in gegenwärtigen Gottesdiensten, verstorben. Eine Existenz zwischen Allerheiligen und Ostersonntag – das Leben hält Zufälle bereit, die gar nicht so wirken. Huub Oosterhuis, niederländischer Lieder- und Gebetsdichter hat auch im deutschen Sprachraum die religiöse Sprache nach dem II. Vatikanum mitrevolutioniert. Im katholischen Gesangsbuch „Gotteslob“ sind seine Lieder zu finden, auch wenn ihn mit der katholischen Kirche mehr eine Konfliktgeschichte verband. Seine Gemeinde, die Ekklesia Amsterdam, ist mit dem aus dem Jesuitenorden Ausgetretenen eine freie christliche Gemeinschaft geworden mit Verbindungen zu den reformierten Gemeinden in den Niederlanden. Biblische Dichter als Lehrer Dennoch war die Spiritualität von Huub Oosterhuis „katholisch“ geprägt. Bei den biblischen Dichtern sei er in die Schule gegangen hat er immer wieder betont, und im Lauf der Jahre hat er seine Auseinandersetzung mit dem Judentum intensiviert – Jesus, Sohn der Tora: Dieser Zugang zum Juden Jesus ist in seinen späteren Ge- Lesen Sie auch den Nachruf auf Huub Oosterhuis von Otto Friedrich am 12.4.2023, siehe „Bis wohin gehst du mit mir?“ auf furche.at. Ein Leben zwischen Allerheiligen und Ostern: Am 1. November wäre Huub Oosterhuis (1933–2023) 90 Jahre alt geworden. Religiöse Sprache ist Poesie Foto: Wikimedia/Roel (cc by 2.0) dichten, Liedern und Meditationen ständig präsent. Mit zwei Büchern wollte der deutsche Patmos-Verlag Oosterhuis zum Neunziger feiern – nun sind diese ein Vermächtnis des Verstorbenen geworden: Im schmalen Bändchen Geworfen in die Weite – Meine Hoffnung, die von Cornelis Kok, seinem engsten Mitarbeiter herausgebracht und übersetzt wurde, kann man der feinen und gleichzeitig unbändigen Sprachkraft von Oosterhuis noch einmal begegnen. Cornelis Kok zitiert da gleich im Vorwort ein Oosterhuis-Gedicht, das programmatisch für sein Denken und Schreiben ist: Ich hänge nicht an Religion. Hab wohl gehört die Stimme von der Befreiungsvision die glutrot geschrieben steht in der jüdischen Bibel: „Gleiche Ansprüche auf Glück die sanften Kräfte der Solidarität Gnade Brot für jeden Menschen Auszug aus allen grausamen schlauen marternden Sklaverei-Systemen je und immer neu erfunden.“ ... Die Gedichte in diesem Bändchen sind das eine, als mindestens ebenso berührend erfährt man beim Lesen die Meditationen, die dazwischen stehen, oft autobiografisch gefärbt. Auch hier offenbart Oosterhuis seine Nähe zum jüdischen Denken: Langsam, aber sicher wurde ich zu einem Schüler der Bibel, der sich vor allem von drei jüdischen Lehrern leiten ließ: David Flusser, Emmanuel Levinas und George Steiner. Von Flusser, bekennt Oosterhuis, habe er vor allem die humane Sensibilität gelernt, die in der langen Geschichte des Judentums einen festen Platz eingenommen habe: In diesem geistigen Klima wurden Jesus und Paulus geformt. Es handelt sich um die älteste Spiritualität der westlichen Welt. Die Geschichte einer Liebe Das zweite Buch ist eine erweiteret Neuausgabe von Alles für alle. Ein Glaubensbuch für das 21. Jahrhundert, die Summe von Oosterhuis’ Denken und Glauben. Cornelis Kok hat diesem Band vor allem ein kleines Lebensbild von Huub Oosterhuis angefügt. In einer jahrhundertealten Tradition von Überleben und Hoffnung gegen Verzweiflung wurde die Jesus-Geschichte eingesetzt im täglichen Kampf gegen Tod in all seinen Gestalten […] Die Geschichte einer lebenden, aber bedingungslosen Liebe. In einer Zeit ohne ‚Normen und Werte‘ bekenne ich mich zu dieser Geschichte als einem wehrlosen, unbeweisbaren letzten Maßstab. Auch diesem „Glaubenssatz“ ist nichts hinzuzufügen. RADIO-TIPP: Religiöse Sprache ist Poesie Otto Friedrich/DIE FURCHE erinnert an Huub Oosterhuis. Lebenskunst – Begegnungen am Sonntagmorgen • So 5.11., 7.05 Uhr, Ö1 Geworfen in die Weite Meine Hoffnung Von Huub Oosterhuis, Patmos 2023 112 S., geb., € 14,95 Alles für alle Ein Glaubensbuch für das 21. Jahrhundert Von Huub Oosterhuis. Erw. Neuausgabe, Patmos 2023 248 S., kt., € 24,70,– 24H 01 361 5000
DIE FURCHE · 44 2. November 2023 Gesellschaft 9 Mit einem Buch will Eva Masel, die Leiterin der Palliativstation am AKH, dem Tod den Schrecken nehmen. Dazu hat sie Geschichten einstiger Patienten ausgewählt, die zu Herzen gehen. Im Interview plädiert sie für eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit dem eigenen Ableben. „Sterben hat mit dem Leben zu tun“ Das Gespräch führte Victoria Schwendenwein Als Palliativmedizinerin hat Eva Masel ständig mit Tod, Trauer und Verlust zu tun. Trotz dem Schmerz, der diesen Themen anhaftet, heißt ihr neues Buch „Gut gelaufen“. Darin gibt sie nicht nur Einblicke in ihre Arbeit, sondern will vor allem Mut machen, der eigenen Sterblichkeit nicht mit Angst zu begegnen. Im Gespräch erklärt sie, warum es sich lohnt, sich im Leben mit dem Tod auseinanderzusetzen. DIE FURCHE: Palliativmedizin ist etwas, das man stark mit dem Tod verbindet, damit, dass Patienten die Station nicht mehr lebend verlassen. Trotzdem sagen sie: Es geht um das Leben, um Bewusstsein für die schönen Dinge. Wie schafft man das? Masel: Prinzipiell ist es durchaus möglich, von einer Palliativstation nach Hause zu gehen. Es gelingt auf unserer Station in ungefähr 40 Prozent der Fälle. Etwa 60 Prozent versterben bei uns. Je früher die Patienten kommen, desto höher die Chancen, dass sie wieder heimkommen. Die Auseinandersetzung mit herausfordernden Fragen gelingt im Leben generell oft dann leichter, wenn man nicht aus einer Krisensituation heraus handelt. Das Leben zu leben oder am Leben teilzuhaben, bedeutet natürlich für jeden Menschen was anderes. Um ein Leben glücklich leben zu können, muss man bei sich selber anfangen und sich fragen: „Was bedeutet Glück für mich? Lebe ich überhaupt das Leben meiner Träume?“ Mit dem Buch will ich den Menschen sagen, dass das Leben etwas Kostbares ist, das momentan ist und wir uns fragen sollten, ob es nicht an uns vorbeizieht, während wir glauben, es kommt noch alles, was uns wichtig ist, irgendwann später. DIE FURCHE: Gleichzeitig gehen Sie darauf ein, rechtzeitig Vorsorge für die Durchsetzung des eigenen Willens zu leisten. Warum? Masel: Mir ist es deswegen wichtig, weil ich immer wieder höre: „Das wird eh meine Frau entscheiden, das wird eh mein Mann entscheiden, das werden meine Kinder für mich entscheiden.“ Tatsächlich ist das nur sehr begrenzt gültig. Denn was ist, wenn es drei Kinder gibt und jeder sagt was anderes? Dann liegt wieder sehr, sehr viel bei der Medizin. Und die Medizin muss sowieso immer überlegen, ob eine Behandlung überhaupt sinnvoll ist. Das sind die zwei wesentlichen Säulen. Erstens, ist eine Behandlung medizinisch sinnvoll und zweitens, lehnt dieser Mensch die Behandlung ab oder stimmt er der Behandlung zu? Ganz häufig ist es aber so, dass die Menschen sich nicht vorab geäußert haben. Tritt dann eine Situation ein, in der man mit ihnen nicht mehr reden kann, wird medizinisch natürlich das Maximum getan, aber vielleicht oft auch zu viel – im Sinne von Überbehandlung; Sterben nicht zulassen aus Unsicherheit oder aus Angst vor juristischen Konsequenzen. Deswegen ist es wichtig, sich Gedanken zu machen. DIE FURCHE: Umgekehrt erntet man oft auch Unmut, wenn man Verwandte danach fragt, ob sie sich bereits um derartiges gekümmert haben. Wie geht man damit um? Foto: MedUni Wien / Feelimage Foto: iStock/Xesai Eva Masel ist die ärztliche Leiterin der Palliativstation am Wiener AKH, wo sie auch lehrt und forscht. Masel: Sterben betrifft irgendwie immer die anderen. Und trotzdem sage ich gerne: die Datenlage ist sehr gut. Wissenschaftlich gesprochen: N ist gleich alle. Es betrifft uns tatsächlich alle. Trotzdem ist es abstrakt. Wenn man eine Umfrage macht mit der Frage „Wo wollen Sie sterben?“ Dann sagen 80 Prozent, „Wenn, dann zu Hause“. So als wäre es etwas weit Entferntes. Ich verstehe schon, dass man damit auch Unmut schürt. Das Gegenüber fragt sich vielleicht: Schaue ich leicht zu schlecht aus oder rechnet meine Familie mit meinem Tod? Aber als Profis merken wir im Team immer wieder, wenn wir diese Gespräche führen – natürlich in unserem Fall mit doch schwer kranken Menschen – führt es zu einer Erleichterung. Es gibt auch Nachweise in der wissenschaftlichen Literatur: Weniger Angst, weniger Depression, bessere Lebensqualität durch Gespräche über meine Wünsche, meine Ziele, den gewünschten Sterbeort zum Beispiel. Der liegt in Wien bei Menschen mit Tumorerkrankungen zu 70 Prozent im Krankenhaus. DIE FURCHE: Warum ist das Reden über den Tod gesund? Masel: Da gibt es einen Spruch aus Deutschland: Über das Sterben zu reden, hat noch niemanden umgebracht. Manche Leute sind abergläubisch und denken, wenn man darüber spricht, passiert es. Ich würde es daher so beantworten wie Berta Pappenheim, eine Patientin von Sigmund Freud, die die Gesprächstherapie als ein „Schornsteinfegen“ gesehen hat. Sich selber zuhören, ist manchmal nicht schlecht, weil man draufkommt, dass man sich so viele Fragen nicht gestellt hat. Sterben und Tod fängt letzten Endes immer bei uns selber an. Sobald du geboren wirst, ist es ganz sicher, dass dein Leben vergänglich ist. In der Auseinandersetzung kommt oft sehr viel hoch, was mit dem Leben selber zu tun hat, was einem eigentlich wichtig ist. DIE FURCHE: Erleichtert eine solche Auseinandersetzung den Umgang mit der Trauer? Masel: Trauer ist auch – das ist ja das Unbefriedigende an diesen Dingen – sehr individuell. Wenn ein Mensch über Monate stirbt oder vielleicht sogar über Jahre schwächer wird, habe ich eine andere Chance, mich zu verabschieden. Und dann ist meine Art von Trauer vielleicht auch ganz anders, als wenn jemand plötzlich stirbt oder wenn Kinder versterben. Da merken wir auch immer wieder im Team, dass wir an Grenzen stoßen, wenn sehr junge Menschen sterben müssen, wenn Kinder sich von ihren Eltern verabschieden. Ich möchte es nicht wegleugnen, dass da auch sehr viel Schmerz ist. Nur, wenn dieser Schmerz von einem Team getragen wird und nicht mit Beschwichtigungen abgetan wird, sondern einfach mit einer Art von Präsenz, dann ist er leichter zu bewältigen. Lesen Sie zum Thema auch „Der Tod hat keinen Schrecken mehr“ (14.5.2009) von Regine Bogensberger auf furche.at. „ Sich selber zuhören, ist manchmal nicht schlecht, weil man draufkommt, dass man sich so viele Fragen nicht gestellt hat. Sterben und Tod fängt immer bei uns selber an. “ Hand in Hand Auf der Palliativstation geht es darum, Menschen in einer lebensbedrohlichen Situation zu begleiten. Für viele ist es die letzte Lebensphase, in der der Fokus auf den wesentlichen Dingen liegt. DIE FURCHE: Sie gehen im Buch auf die Seelsorge ein. Welche Rolle spielt sie wirklich? Masel: Ich empfinde die Seelsorgenden als unglaublich bereichernde Menschen. Und zwar egal von welcher Konfession; weil sie auf einer Ebene mit den Menschen umgehen, für die die Medizin oft blind geworden ist. Es ist auch wieder diese Rückreflexion: Was ist eigentlich das eigene Konzept von Leben und Sterben? Im Buddhismus – mit dem habe ich mich sehr stark auseinandergesetzt – heißt es „Leben ist unsicher, Tod ist sicher“. Diesen Spruch habe ich auf einem kleinen Tempel in Nepal entdeckt und das war der Titel meiner allerersten wissenschaftlichen Arbeit im Jahr 2012. Diese wissenschaftliche Publikation ist von meinen Arbeiten am meisten zitiert worden. Ich glaube, dass die Seelsorge auch für viele Leute, die keinen Glauben haben, die Agnostiker oder Atheisten sind, sehr hilfreich ist. Immer wieder erlebe ich das: Es gibt anfänglich eine Abwehr und wenn diese Begegnung stattfindet und plötzlich ein Mensch da ist, der vielleicht etwas hat, das man selber nicht hat, ist das eine Chance. Die großen Fragen des Lebens sind Teil der Religion. Diese Fragen haben Bedeutung, wenn das Leben eines Menschen endet und zwar für jeden. Davon bin ich überzeugt. DIE FURCHE: Abschließend: Nach welchen Kriterien haben Sie die Geschichten für Ihr Buch ausgewählt? Masel: Als ich die ersten Seiten an den Verlag geschickt habe, bekam ich rückgemeldet: Schreiben Sie das doch nicht für Ihre AKH-Kollegen, die werden es eh nicht lesen. Das ist mir nahe gegangen und ich habe mir gedacht, das stimmt. Ich habe mich schon ein wenig hinter einer ärztlichen Distanz versteckt über die Jahre. Dann habe ich einfach die Geschichten, die hochgekommen sind, niedergeschrieben und gemerkt, wie präsent die Menschen wieder geworden sind, wie viel Erinnerungen da waren. Dann habe ich auch mit den Angehörigen Kontakt aufgenommen, und das Erstaunliche war: Nahezu alle haben gesagt, sie wollen nicht einmal, dass der Name verändert wird. Ich habe sehr berührende Rückmeldungen bekommen. Ein größeres Kompliment angesichts der Tatsache, dass Menschen ja verstorben sind und es sehr schmerzhaft ist, kann man eigentlich nicht bekommen. Da dachte ich, wie wichtig es eigentlich ist, dass wir einander Geschichten erzählen. Viel mehr als reine Fakten. Ich wollte es anhand dieser Geschichten lebendig machen und den Schrecken nehmen, weil in Bezug auf den Tod oft Horrorbilder auftauchen. Wie wird mein Sterben sein? Werde ich hilflos sein? Werde ich Schmerzen haben? Ich wollte den Menschen mitgeben, dass wir das irgendwie können, das Sterben. Wir haben das in uns. Wir können das und wir schaffen das. Gut gelaufen Schöne Abschiede vom Leben von Eva Masel edition a 2023 224 S., geb, € 24,95,–
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