DIE FURCHE · 44 2 Das Thema der Woche Weggesperrt 2. November 2023 AUS DER REDAKTION Allerseelen. Der Tag des christlichen Totengedenkens ist hierzulande auch der dritte Jahrestag des islamistischen Attentats von Wien. Unversehens sind die Ereignisse von 2020 wieder präsent – der Krieg in Nahost lässt die Terrorgefahr in Europa neu real werden. Auch der dieswöchige FURCHE- Fokus zur Frage, ob Gefängnisse Probleme der Gesellschaft lösen, thematisiert, ob staatliche Verwahrung Terrorismus und Radikalisierung hinanhalten können. Haft kann für Präventionsarbeit durchaus vorteilhaft sein, meint da Deradikalisierungsexperte Moussa Diaw. Ob des Wiederaufflammens von Judenhass brennend aktuell ist auch die Frage, wie antisemitisch der Islam an sich ist. Religions- und Antisemitismusexperte Michael Blume versucht, sich diesem Problem zu nähern. Die Auseinandersetzungen um Abtreibungen in Vorarlberg nimmt Bildungsforscher und Psychoanalytiker Josef Christian Aigner zum Anlass, um einer Differenzierung dieser Debatte das Wort zu reden. Christian Jostmann erinnert anhand eines neuen Buches im Feuilleton an bislang verschwiegene Beiträge von Indigenen an den Entdeckungsreisen zu Beginn der Neuzeit. Und Manuela Tomic legt eine Relecture des Romans „Aurelia“, eines Wegbereiters des Surrealismus, vor. Die Viennale ist soeben zu Ende gegangen – mit „Anatomie eines Falls“ und „Europa“ kommen zwei Highlights des Filmfests regulär ins Kino: Das und viel mehr bietet die aktuelle FURCHE zu Lektüre und Auseinandersetzung an. (ofri) Von Thomas Hoisl Am Abend des 2. November 2020 wird die Wiener Innenstadt von Terror erfasst. Ein jihadistischer Attentäter schießt im Ausgehviertel Bermudadreieck um sich, vier Menschen werden getötet, 23 verletzt. Die Lage ist noch völlig unübersichtlich, als Moussa Al-Hassan Diaw kurz nach 22 Uhr eine Sprachnachricht auf seinem Handy erhält. Einer seiner jungen Klienten berichtet darin, er habe den Attentäter auf Videos, die in den Medien zirkulieren, erkannt. Der Hinweis geht weiter an die Polizei und liefert damit an jenem Abend den ersten, konkreten Anhaltspunkt bezüglich Identität des 20-jährigen Terroristen. Die Episode zeigt, wie nah Moussa Al-Hassan Diaw an der heimischen, extremistischen Szene dran ist; in Österreich kennt das Milieu wohl kaum jemand so gut wie der Islamismusforscher und Pädagoge. 2015 gründete Diaw „Derad“ – einen Verein, der innerhalb von Gefängnissen radikalisierte Personen betreut und dabei versucht, ihnen ihr gefährliches Weltbild buchstäblich auszureden. In Gesprächssitzungen – meist zweiwöchentlich, im Bedarfsfall aber auch öfter - argumentiert man anhand theologischen, historischen aber auch subkulturellen Wissens, wie widersprüchlich und letztlich sinnlos die Gedankenwelt der Extremisten beschaffen ist. Derzeit rund 100 Klienten In der Regel werden die rund ein Dutzend Mitarbeiter von „Derad“ dabei erst tätig, wenn schon etwas passiert ist. Auf Weisung der Justiz zieht man sie nach Verhaftungen oder Verurteilungen neben der klassischen Bewährungshilfe hinzu. Bei bedingter Entlassung geht die Betreuung dann außerhalb der Haft weiter. Über die Jahre betreute der Verein dadurch gut 550 Personen, derzeit sind es etwa 100 Klienten, heißt es seitens „Derad“. Ein Großteil davon kommt aus dem islamistischen Spektrum, aber auch Rechts- und Linksextreme sowie sogenannte Staatsverweigerer sind darunter. In den Haftanstalten sitzen die „Derad“-Mitarbeiter ihren Klienten direkt in der Verhörzone gegenüber. „Wir arbeiten bewusst nicht mit zeitlich beschränkten Einheiten, um den Gesprächsfluss nicht zu stören“, sagt Moussa Al-Hassan Diaw im Gespräch mit der FUR- CHE. Ein Allheilmittel könne die Haft nicht sein, für die Deradikalisierung bringe sie aber gerade am Anfang durchaus Vorteile mit sich, meint der Pädagoge. „Die Klienten sind im Gefängnis von ihrem oft sehr problematischen Umfeld isoliert, bekommen eine andere Tagesstruktur und können Termine mit uns nicht einfach kurzfristig absagen.“ Auch der permanente Lesen Sie zu den Entwicklungen das Interview „Deradikalisierung nicht miterledigen“ mit Albert Steinhauser (8.9.16) auf furche.at. Der Verein „Derad“ betreut Gefährder in Gefängnissen und leistet Präventionsarbeit gegen Radikalisierung. Obmann Moussa Al-Hassan Diaw hat derzeit besonders viel zu tun. Worte als Waffe gegen Extremismus „ Der permanente Konsum von gefährlicher Propaganda über soziale Medien lässt sich einschränken, auch wenn geschmuggelte Handys in der Haft ein herrschendes Problem sind. “ Konsum von gefährlicher Propaganda über soziale Medien lässt sich einschränken, auch wenn geschmuggelte Handys in Haft ein herrschendes Problem sind. Heute, genau drei Jahre nach dem verheerenden Anschlag in der Wiener Innenstadt, ist die Sicherheitslage angespannt wie lange nicht. Die Terrorwarnstufe wurde österreichweit auf die zweithöchste Ebene gesetzt. Das Innenministerium begründet den Schritt mit einer gefährlichen Gemengelage, weil die Situation im Nahen Osten auch in Europa zu Spannungen führe, und es etwa in Belgien zuletzt einen terroristischen Angriff gab. Es überrascht daher nicht, dass Diaw in diesen Tagen besonders viel zu tun hat. Zwar hätte man noch keine neuen Klienten bekommen, die unmittelbar wegen des Konflikts im Nahen Osten auffällig geworden seien, etwa durch Sympathien für die Terrororganisation Hamas. Jedoch mehren sich die Anfragen von besorgtem Lehrpersonal. „Ich habe allein in der letzten Woche sieben zusätzliche Workshops an Schulen gegeben, weil es seit dem 7. Oktober sehr viel Interesse an Prävention gibt“, sagt Diaw. Über die Jahre hat sich „Derad“ einen Ruf gemacht, weshalb auch Betreuungseinrichtungen oder Privatpersonen auf den Verein zukommen. Während man es in der Arbeit mit Straftätern mit Foto: APA / fotokerschi.at / Werner Kerschbaummayr Ein langer Prozess Deradikalisierung gelingt nicht immer, wie das Attentat in Wien 2020 zeigte. Im Bild: Jener 30-Jährige, der 2021 in Linz verurteilt wurde, weil er dem Täter falsche Papiere besorgt hatte. eindeutig extremistischer Propaganda zu tun hat, bearbeitet man in den Schulklassen quasi die Vorstufen davon: „Es geht in den Vorträgen um Fakenews, und in einem zweiten Teil um Nationalismus, wobei man da natürlich auch Antisemitismus thematisiert“, sagt Diaw. Für ihn sei nicht von der Hand zu weisen, dass in arabischen oder türkischen Communities antisemitische Narrative vorherrschen. In den Vorträgen sei es zielführend, nicht konfrontativ vorzugehen, sondern historisch. „Wir gehen da zurück bis zum osmanischen Reich, zeigen, dass der Konflikt ein vielschichtiger ist, dass die Palästinenser keine Einheit und schon gar keine Partei in Form der Hamas sind.“ Klar trennen müsse man diese Präventionsarbeit von der Deradikalisierung straffälliger Personen, dem Kerngeschäft des Vereins. Diaw hält es etwa für sehr unwahrscheinlich, dass seine Klienten mit Sympathien für den „Islamischen Staat“ an pro-palästinensischen Demonstrationen teilnehmen würden: „Allein dass dort Frauen und Männer gemeinsam auftreten, widerspricht ihrem Weltbild.“ Im engen Weltbild von Jihadisten seien auch Hamas-Anhänger keine wahren Muslime, weil diese etwa durch Wahlen an die Macht gekommen seien. Die herrschende Angespanntheit, die Bilder in den Medien und die Emotionen könnten aber sehr wohl ein Trigger für Extremisten sein. „Jeder unserer radikalisierten Klienten birgt das Potenzial, Handlungen zu setzen. Seien es Sachbeschädigung, körperliche Angriffe oder sogar was Größeres“, so Diaw. Fehlender Austausch Wann aber gilt ein Klient als deradikalisiert? „Es reicht nicht, wenn sich jemand einfach verbal von Gewalt distanziert. Die Person muss aktiv Handlungen setzen, seinen Habitus ändern. Sie muss riskieren, dadurch auch vom früheren Umfeld angefeindet oder ausgeschlossen zu werden.“ Ein Prozess, der in der Regel mehrere Jahre dauere. Beim Wiener Attentäter – auch er war bei „Derad“ in Betreuung – habe es dagegen nie eine positive Prognose gegeben, beteuert Diaw. Nachdem dieser aus der Haft kam, kehrte er in seinen alten Freundeskreis zurück, radikalisierte sich auch äußerlich. Schmerzlich sei der Umstand, dass er daneben zudem Handlungen setzte, die den Sicherheitsbehörden – wie einem versuchten Munitionskauf – bekannt waren, aber nicht mit der Deradikalisierung geteilt wurden. Guten Austausch pflegt der Verein seit jeher mit dem Wiener Verfassungsschutz, mit der DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst) gebe es hingegen keinerlei Kontakt, so Diaw. „Es hat sich seit dem Attentat leider nichts verbessert. Die Kommunikation ist eher weniger geworden“, kritisiert er. Er bemängelt auch die nach wie vor dürftige finanzielle Lage des Vereins. Man arbeite auf Honorarbasis, der Rahmenvertrag mit dem Justizministerium sei befristet. Eine Expertenkommission hatte schon bald nach dem Anschlag angeregt, die Deradikalisierungsarbeit strukturell besser zu verankern und finanziell auszustatten. Aus dem BMJ heißt es, man führe dazu nach wie vor „intensive Gesprächen mit allen beteiligten Institutionen“, um Empfehlungen der Kommission umzusetzen.
DIE FURCHE · 44 2. November 2023 Das Thema der Woche Weggesperrt 3 Das Gespräch führte Dagmar Weidinger Am 1. März dieses Jahres ist das Maßnahmenvollzugs-Anpassungsgesetz in Kraft getreten, das die Zahl der Einweisungen in die „Maßnahme“ reduzieren soll (siehe Infokasten). Julia Kolda hat unmittelbar danach am Landesgericht in Linz den ersten entsprechenden Fall verhandelt. Im FURCHE-Gespräch beschreibt sie, was sich verändert hat – und warum es noch viel Verbesserungsbedarf gibt. DIE FURCHE: Frau Kolda, worum ging es in diesem ersten Fall nach der Gesetzesänderung? Julia Kolda: Es war ein Fall wie aus dem Lehrbuch: Eine ältere Dame mit bekannter schizo-affektiver Vorerkrankung hatte angeblich eine Mitbewohnerin gefährlich bedroht und sie zu einer Handlung genötigt. Sprich, sie wollte sie anscheinend am Verlassen eines Zimmers hindern. Ich sage das bewusst mit einem süffisanten Unterton, denn wie bei den meisten meiner Mandantinnen und Mandanten, hat sie die Situation selbst als gefährlich erlebt. Ihr Gegenüber hatte offensichtlich einen großen scharfen Hund und war ihr möglicherweise nicht wohlgesonnen. DIE FURCHE: Wie hat sich die neue Gesetzeslage auf diesen Fall ausgewirkt? Kolda: Nach altem Recht wäre die Dame – unabhängig davon, ob das Delikt tatsächlich stattgefunden hat – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in die Maßnahme eingewiesen worden. Im Zuge der Reform haben sich jedoch die Einweisungsregeln geändert. Nur wenn eine Person mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft tätlich aggressiv wird, führen gefährliche Drohung, Nötigung oder auch der Widerstand gegen die Staatsgewalt zu einer Einweisung. In besagtem Fall, der am 3. März verhandelt wurde, also zwei Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes, gab es keinen Grund zu glauben, dass die Dame in Zukunft gefährlich werden könnte; einerseits aufgrund ihrer biografischen Unbescholtenheit, andererseits, weil sie sich auch während der dreimonatigen Anhaltung auf der forensischen Psychiatrie nichts zuschulden kommen ließ. Foto: Wikipedia/Haeferl (cc by-sa 3.0 at) Kommen psychisch kranke Menschen mit dem Gesetz in Konflikt, werden sie in den Maßnahmenvollzug eingewiesen. Dieser wird seit Jahren reformiert, im Endeffekt bleibe es aber bei „Reförmchen“, kritisiert die Anwältin Julia Kolda im Interview. „Wir sperren lästige Menschen lieber weg“ Mehr Sprachsensibilität bei Gesetzen forderte der Artikel „Abartig alt: Sprache im Strafgesetzbuch“ am 12. Februar 2015; nachzulesen unter furche.at. DIE FURCHE: Das „VertretungsNetz“, ein Verein, der sich für den Schutz der Grundrechte von Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung einsetzt, kritisiert den Maßnahmenvollzug: Häftlinge würden massiven Beschränkungen ihrer Persönlichkeitsrechte – z. B. Zwangsbehandlungen, Bewegungsbeschränkungen, Isolation – unterliegen, ein wirksamer Rechtsschutz fehle. Außerdem würden die Vorschriften der UN-Behindertenrechtskonvention verletzt. Hat die Reform Verbesserungen gebracht? Kolda: Ich beobachte, dass der Umgang mit Menschen, die psychische Erkrankungen haben und denen ein Delikt vorgeworfen wird, ein ganz anderer ist als etwa mit Personen von öffentlichem Interesse. Eine ähnliche Ungleichbehandlung erlebe ich übrigens auch gegenüber Frauen im Falle von häuslicher Gewalt. Bei Gewalt gegen Frauen heißt es in den Begründungen der Staatsanwaltschaft rasch, dass es sich um keine ernst gemeinte Drohung, sondern eine emotionale Unmutsäußerung gehandelt habe. Oder es wird gesagt, dass die Aussage in der Hitze des Gefechts bzw. in einer Ausnahmesituation passiert sei. Wir reden dabei aber von schriftlichen Drohungen der Art: „Wenn du nicht bis 18 Uhr zuhause bist, mache ich dich fertig.“ Man hätte daher die Reform viel mehr zum Anlass nehmen können, eine Debatte über den Umgang mit Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen oder auch Behinderungen in der Justiz zu starten. Foto: Privat Julia Kolda ist Rechtsanwältin in Steyr u. a. mit Fokus auf besonders schutzbedürftige Menschen. DIE FURCHE: Die Reform wollte genau an diesem Punkt ansetzen, indem sie stigmatisierende Begriffe abgeschafft hat. Aus der „Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“ wurde beispielsweise die „forensischtherapeutische Einrichtung“. Kolda: Ich finde das einen Tropfen auf den heißen Stein. Insgesamt würde ich die Reform lieber als Reförmchen bezeichnen. Häufig sind Unverständnis und Unwissen das wahre Problem; dem könnte man beikommen, indem man entsprechende Inhalte bereits im Jus-Studium verankert. Glauben Sie mir, nicht nur die Menschen auf der Straße haben Angst vor Schizophrenie, auch die Richter und Richterinnen! Einweisungen in die Maßnahme erfolgen oft mit Sätzen wie: „Das ist zu Ihrem Schutz. Es wird Ihnen geholfen und in ein paar Monaten sind sie wieder draußen.“ Ich kenne aber niemanden, der eingewiesen wurde und nach ein paar Monaten wieder draußen war. Wir sperren Menschen, die uns als Gesellschaft lästig sind, anscheinend lieber weg, als Wege zu finden, sie zu integrieren und gut zu versorgen. DIE FURCHE: Ziel der Maßnahme sollte sein, dass sich der Gesundheitszustand der Personen derart ändert, dass sie nach absehbarer Zeit entlassen werden können, ohne eine Gefährdung darzustellen. Mancherorts wird die Maßnahme jedoch zur Geriatrie. Was läuft da schief? Kolda: Die gesamte Maßnahme ist ein Paradox. Mandanten mit einer Krankheit aus dem schizotypen Formenkreis erzählen mir häufig Folgendes über ihre Anlasstat: Sie hätten – bedingt durch eine Halluzination – ihr Gegenüber als sehr gefährlich erlebt und daher aggressiv reagiert, um sich selbst zu schützen. Sie erlebten, hörten, spürten und sahen die Bedrohung so, wie es der eigenen Wahrnehmung in dem Moment entsprach. Für eine Delikteinsicht müssten sie also den Sprung machen, zu sagen: Meine Wahrnehmung stimmt nicht. Das geht sich für die wenigsten Menschen aus. Für eine Lockerung der Maßnahme verlangen die behandelnden Ärzte aber genau diese Form von Deliktsund Krankheitseinsicht; im Fachjargon Was ist adäquat? Aufgrund der hohen Anzahl an Maßnahmen-Insassen (derzeit rund 1450) sind viele auch in geschlossenen Abteilungen verschiedener Krankenhäuser untergebracht – wie etwa dem Pavillon 23 der Klinik Penzing in Wien. „ Bei Gewalt gegen Frauen heißt es rasch, dass es sich um keine ernst gemeinte Drohung gehandelt habe. Bei psychisch kranken Menschen wird das anders, strenger gesehen. “ MASSNAHME Einweisung ohne Enddatum spricht man von Compliance. Ohne Compliance hat man keine Chance auf Lockerung oder Entlassung. Im Endeffekt lernen die Betroffenen zu schauspielern. Sie müssen den Ärzten Compliance und Krankheitseinsicht vorspielen, um möglichst gute Stellungnahmen für die Verhandlung zu erwirken. DIE FURCHE: Welche Alternativen sehen Sie? Kolda: Ein Großteil der Anlassfälle, die zu einer Unterbringung in der Maßnahme führen, ist das Resultat von nicht adäquater Betreuung von Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen. Am Ende des Tages landen wir also beim Thema Pflege. Was mir auffällt, ist, dass vollbetreute Plätze für psychiatrische Patienten Mangelware sind; gleichzeitig gibt es genügend Angebot in forensisch-therapeutischen Einrichtungen. Erst kürzlich wurden in Oberösterreich die Plätze aufgestockt. Die Frage der Betreuung dieser Personengruppe ist alles andere trivial. Aber manchmal fragt man sich schon: Müssen Menschen in die Forensik kommen, um einen passenden Wohnplatz zu erhalten? Seit 1975 können Delikte, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr belegt sind, im Fall von psychisch kranken oder intellektuell beeinträchtigten Menschen zur Einweisung in den Maßnahmenvollzug führen. Im Gegensatz zur normalen Haft hat dieser kein definiertes Ende; das zuständige Gericht entscheidet auf Basis von Gutachten und der Stellungnahme der behandelnden Ärzte einmal im Jahr über die Entlassung. Aufgrund der hohen Zahlen bleiben viele Häftlinge mittlerweile auf geschlossenen Abteilungen verschiedenster Krankenhäuser. Die im März 2023 in Kraft getretene Reform hat sich die Reduktion der Anzahl der Insassen zum Ziel gesetzt. Derzeit sind in Österreich 1294 Männer und 158 Frauen im Maßnahmenvollzug. (dw)
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE