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DIE FURCHE 02.11.2023

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DIE FURCHE · 44 14 Literatur 2. November 2023 Von Manuela Tomic FEDERSPIEL Ten/ Seven/ Danach Einander umbringen macht für uns keinen Sinn. Für die anderen aber schon. Wann ist Friede? Wir sitzen um Milchbrot. Salz. Sabbath. Ein Spruch. Karfiolkopf, Erdäpfel, Tahin. Diese Rettungsidee vom Schutzort im Ritual ist so lieb. Aber blöd. Glaubt jemand, dass wir etwas Frieden Stiftendes sagen können? C. erzählt von den Videos. M. fragt sich, wo die Soldaten waren. Lydia erinnert sich an Bilder im Buch „Der gelbe Stern“. Dokumente der Häme. Fotos von schönen Frauen, Männern, Kindern, deren Vernichtung Gerichtsmediziner analysieren. Salz auf das Milchbrot. Schande über die Hamas, das Böse in der Welt, die Diskursverweigerung. Lächerliches Wort. Lydia, wer bist du? Lechaim. Niemals vergessen, das ist gut und richtig, vor allem, dass Lydia nicht vergisst. Um ein Uhr früh geht sie zur U-Bahn und begegnet einem orthodoxen Juden. Er trägt seine Tracht und sie denkt schneller, als die Polizei es erlaubt, tarne dich doch! Mitten in der Zirkusgasse. In der U-Bahn kommt ihr vor: zu viele junge Berauschte, dunkle und helle, vielleicht Judenfeinde. Sie ist schon Neuordnung der Welt Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Kräftemessen der europäischen Mächte immer aggressiver. Der Prozess des langen Wettrüstens begann. Der Schriftsteller Gérard de Nerval gilt als Wegbereiter des Surrealismus. Sein Werk „Aurelia“ entführt den Leser in die Traumwelt, aus der es kein Erwachen gibt. Eine Relektüre. Schlaf und Schauder Traum ist ein zweites Leben. Jene Pforten aus Elfenbein oder Horn, die uns „Der von der unsichtbaren Welt trennen, habe ich nicht ohne Schaudern durchqueren können. Die ersten Augenblicke des Schlafs sind ein Bild des Todes. Lähmende Starre befällt unser Denken, und wir können den Augenblick nicht genau erfassen, in welchem das Ich in anderer Gestalt das Werk der Existenz fortsetzt.“ Das Buch des französischen Schriftstellers Gérard de Nerval (1808–1855), „Aurelia oder Der Traum und das Leben“, breitet schon zu Beginn einen eigenen kosmologischen Schleier über den Leser aus. Jeder und jede, die sich de Nervals Schreiben hingibt, weiß, dass dieser Schleier keine Verengung des Blicks kreiert. Ganz im Gegenteil: Hinter den Toren des gedanklichen Nebels, der Traum und Wirklichkeit verschmelzen lässt, eröffnet sich eine dritte Dimension. Es ist die Welt der geheimsten Wünsche, der tiefsten Abgründe und der inneren Zerrissenheit – schlicht die Welt des Wahnsinns, der de Nerval in seinen späten Jahren verfiel. Und es ist ein Werk, das – posthum erschienen – zum Kultbuch der Surrealisten avancierte. Sein Schreiben beschäftigte Charles Baudelaire und Marcel Proust, aber auch André Breton, der in seinem ersten surrealistischen Manifest („Manifeste du Surréalisme“) Bezug auf Nerval nahm – der eigentlich Gérard Labrunie hieß. „Aurélia ou le rêve de la vie“ wurde 2016 von Ernst W. Junker im Rahmen der von Thomas Ballhausen herausgegebenen Reihe „Bibliothek der Nacht“ neu übersetzt und liegt nun wieder in deutscher Sprache vor. De Nerval, geboren in Paris, war einer der wichtigsten französisichen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Doch zu Lebzeiten eine alte Frau und es geht sich aus zu wissen, nicht gut aufgehoben zu sein. Sie hat Die Zeit mit dem Davidstern am Titelblatt in der Hand. Wird das U-Bahn-Volk ihr Selbstverständnis stören, wenn sie Die Zeit offen liest? Ist diese Blitzüberlegung hysterischer Alarmismus oder Herabsetzung der Zivilcourage? Es ist Angst, damit ist alles gesagt. Und was wird aus ihr, wenn diese Sätze an die Öffentlichkeit geraten? Gültig ist, was L. gespürt hat. Anderntags geht sie mit ihrem Sohn durch die Stadt. Er sagt: Genau das hat die Hamas gewollt. Wenige Stunden später wird die israelische Fahne beim Stadttempel aus der Halterung gerissen – die zwei Täter haben kein Bewusstsein für die Schande, die sie sich antun. Ein Passant mischt sich ein, ihm wird ins Gesicht geschlagen. Wo sind wir? Ich möchte, dass sich Lydia als absurd erweist, wenn Sie diese Zeilen gelesen haben werden. Die Autorin ist Schriftstellerin. Von Lydia Mischkulnig war ihm dieser Ruf missgönnt. Nach einem Medizinstudium, das er abbrach, schloss er sich dem Pariser Künstlermilieu an, wo er unter anderem mit Heinrich Heine und Victor Hugo bekannt wurde. Er verfasste Gedichte und Prosa und übersetzte Goethes „Faust“ in Französische. „Aurelie“ schrieb er, als er bereits an einem Nervenleiden litt, das ihn seit 1841 plagte und bis zu seinem Suizid 1855 nicht mehr losließ. De Nerval erhängt sich am Gitter eines Hauses. Zur selben Zeit wurde mit „Aurelia“ sein letztes Werk in zwei Teilstücken in der „Revue des Paris“ veröffentlicht. Der Schriftsteller trug seinem Arzt Emile Blanche an, sein Werk posthum zu veröffentlichen. Das Schreiben sollte für de Nerval zu Lebzeiten auch als Therapie wirken und dabei helfen, seine Wahnvorstellungen zu fassen. „ Hinter den Toren des gedanklichen Nebels, der Traum und Wirklichkeit ineinander verschmelzen lässt, eröffnet sich eine dritte Dimension. Es ist die Welt der tiefsten Abgründe. “ Doch der Roman „Aurelia“ ist zweifelsfrei mehr als nur die Écriture automatique eines Wahnsinnigen. Diese später auch von den Surrealisten gerne verwendete Technik des „automatischen Schreibens“ erhebt die Authentizität des Einfalls zur obersten Prämisse. Dabei dürfen sowohl Sätze, Satzstücke und Wortketten als auch einzelne Wörter geschrieben werden. Alles ist erlaubt. Um mit dieser Écriture automatique jedoch Literatur hervorzubringen, braucht es ein feines Gespür für Sprache. De Nerval erzählt die Suche nach Aurelia, in der Experten die von de Nerval verehrte und 1842 verstorbene Schauspielerin Jenny Colon sehen, nicht etwa chronologisch. Die verlorene Geliebte definiert sich nur über ihre Foto: iStock/suteishi Abwesenheit, der Ich-Erzähler nur über seine heftigen Illusionen. Er begibt sich, wie schon zu Beginn des Buches angemerkt, auf eine Reise, die ihn erschaudern lässt. Eine Reise in die Traumwelt, die er selbst nicht mehr kontrollieren kann und in eine Zeitwahrnehmung über die er nicht mehr verfügt. „Der Protokollierende büßt, während er versucht, eine Folge aus Erkrankungen, Genesungen und Rückschlägen zu verkraften und aus der ihn umgebenden ‚Welt der Einbildungen‘ Sinn zu ziehen“, heißt es in Ballhausens Nachwort zur Neuauflage von „Aurelia“. Aber was bleibt in einer Welt, in der alles entgleitet? Das europäische Jahrhundert Angesichts der heutigen vielfältigen Krisen verwundert es, dass die Traumliteratur nicht mehr Beachtung findet. Zu de Nervals Lebzeiten ist die Französische Revolution noch nicht einmal hundert Jahre alt, die Demokratie noch jung. Das „Jahrhundert Europas“, wie das 19. Jahrhundert gerne genannt wird, ist eine Zeit der demokratischen Mitbestimmung, der Entstehung der Bürgerrechte und der politischen Teilhabe. Doch zum Ende des Jahrhunderts wurde das Kräftemessen der europäischen Mächte immer aggressiver. Sowohl der stärker werdende Nationalismus, als auch der grassierende Imperialismus führten zu einer Militarisierung der Gesellschaft. Der Prozess des langen Wettrüstens, der später in zwei Weltkriegen enden sollte, begann. De Nerval fand sich also gegen Ende seiner Lebenszeit in einer Lage der weltpolitischen Neuaufstellung der Mächte wieder. In dieser Zeit ein so introspektives, modernes und den Illusionen gewidmetes Buch wie „Aurelia“ zu verfassen, machte ihn zweifelsohne zum großen Vorbild der Surrealisten, die in einer nicht minder fordernden Zeit das nicht Aussprechbare in Sprache zu formen versuchten. Die Geschichte verdichtet sich zu einer Vorsehung, etwa, wenn de Nerval folgendes schreibt: „Eine monderhellte Landschaft lag vor mir beim Blick durch das Türgatter, und die Gestalt der Baumstämme und Felsen kam mir bekannt vor. Dort hatte ich schon in einer anderen Existenz gelebt, und ich glaubte, die tiefen Grotten von Ellora wiederzuerkennen. Allmählich drang ein bläulicher Lichtschein in den Kiosk und ließ dort seltsame Bilder erscheinen. Da glaubte ich mich inmitten eines weiten Beinhauses zu befinden, in das die Weltgeschichte mit blutigen Zügen eingetragen war.“ Von den indischen Höhlentempeln wandert der Ich-Erzähler direkt in mittelalterliche Beinhäuser. Vom Licht in den Tod. Von göttlichen Tempeln in irdische Knochengebilde – eine Erinnerung an die Vergänglichkeit. Es sind Beobachtungen wie diese, die Leser dazu verführen könnten, de Nervals Werk immer und immer wieder zu lesen. Schließlich entdeckt man immer neue Symbole, kleine Rätsel und Geheimnisse. Letztendlich sind es die Geheimnisse der Welt. Nervals „Aurelia“ ist eine Liebeserklärung an das Unerklärliche. Denn im Traum gibt es keinen Anfang und kein Ende; genauso wenig wie in der Sehnsucht, der sich der Ich-Erzähler bis zum letzten Punkt so poetisch hingibt. Aurelia oder Der Traum und das Leben Roman von Gérard de Nerval Übersetzt von Ernst W. Junker Edition Atelier 2023 128 S., geb., € 17,50,–

DIE FURCHE · 44 2. November 2023 Kultur 15 Warum der Künstler und Bootsbauer Wolfgang Müllegger die hitzigen Diskussionen im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres „Salzkammergut 2024“ begrüßt, was rurale von urbaner Kunst unterscheidet – und wieso der gängige Wohlstandsbegriff aus seiner Sicht problematisch ist. „Es rumort. Und das ist gut so“ Von Sophie Huber-Lachner Die Hände wissen genau, was zu tun ist: ob es Arbeiten sind, für die es Fingerspitzengefühl braucht; oder Handgriffe mit der groben Säge. Schon hat das Holz die typische Form einer „Plätte“ – so nennt man die Boote, die seit jeher für Transporte aller Art auf den Seen des Salzkammerguts verwendet werden. In Mülleggers Werkstatt, die für alle Arten der Holzbearbeitung ausgelegt ist, hängen aber auch großformatige Leinwände von der Decke; und manche Ecke wird von bunten Skulpturen geschmückt, die aus jeder Perspektive eine andere Geschichte erzählen. Hier ist einer am Werk, der länger gebraucht hat, um sich festzulegen – und der immer noch das Vielgestaltige sucht. „Wolfgang Müllegger war auch Fernfahrer“, sagt er lachend – und selten greift eine Selbstbeschreibung derart zu kurz wie in diesem Fall. Müllegger – 50, ein Lausbubenlächeln im Gesicht – hat sich beruflich in vielerlei Hinsicht ausprobiert; und war noch nie so in seiner Mitte wie heute. Mehr und mehr gelingt es ihm als Künstler, seine Sprache und auch ein Auslangen zu finden. Der Weg dorthin war alles andere als linear. „Mir ist erst der Knopf aufgegangen, als ich getan hab, was ich wollte, und nicht was die anderen wollten“, stellt Müllegger fest. Am Land wird eine künstlerische Lebensart immer noch kritisch beäugt – Spannungen, mit denen er gelernt hat umzugehen, und die er in seine Arbeit einfließen lässt. Endlich rauskommen Müllegger wächst im oberösterreichischen Salzkammergut auf, vor allem in Bad Ischl und Ebensee. Die Schuljahre verlaufen holprig, Müllegger schaut stundenlang aus dem Fenster, versinkt in eigenen Gedanken. Die Lehre zum Dachdecker und Spengler bricht er kurz vor Ende ab und erzählt seiner Mutter nichts davon. Als ihn ein schwerer Sturz bei der Arbeit vom Dach holt, nutzt er die Zwangspause, macht den LKW-Führerschein und steigt ein in den Fernverkehr: „Rauskommen, erste Erfahrungen im Ausland machen, für die damalige Zeit viel Geld verdienen – das war sehr verlockend.“ Müllegger leidet aber zusehends unter dem Sitzen, baut körperlich ab und erkennt, dass er etwas vermisst: „Ich habe nichts mit den Händen machen können, nichts produzieren. Am Abend bist du saumüde, weißt aber nicht, was du getan hast.“ Gerade eben hat Müllegger sein erstes Haus abbezahlt, als er fühlt, dass es Zeit ist, etwas Grundlegendes zu ändern. Er beginnt wieder zu zeichnen – schon als Kind hat er das andauernd gemacht und von seinem Umfeld viel Lob dafür bekommen. Er ist 28, als er sich für die Fachschule für Bildhauerei in Hallstatt ent- Werkstatt und Atelier 1972 in Bad Ischl geboren, ist Wolfgang Müllegger seit 2001 freischaffender Künstler und seit 2014 Bootsbauer in Obertraun am Hallstättersee. Ein Video-Porträt von ihm findet sich unter dem angeführten QR-Code. scheidet; die Klasse schließt er mit Auszeichnung ab. Außerdem bietet ihm einer seiner Lehrer, der nebenberuflich Plätten baut, die Nachfolge an – das Wissen um die Konstruktion der traditionellen Boote wird seit jeher nur mündlich überliefert. Müllegger nimmt an. Mittlerweile betreibt er mit Michael Straberger eine eigene Bootsmanufaktur und stellt eine besonders wendige Interpretation des alten Transportschiffs her. Jahrelang arbeitet Müllegger aus wirtschaftlichen Gründen aber auch im Messebau: „Das Geld lockt immer. Ich hab mich irgendwie versklavt und etwas getan, was mir eigentlich vollkommen widerspricht. Viele Menschen gehen in diese Falle. Man geht unbefriedigt nach Hause. Eigentlich ist man über sich selbst verärgert, weil man mitspielt. Und man sieht die Ausstiegsmöglichkeiten oft nicht.“ Erst in der Corona-Zeit, als das Messegeschäft einbricht, gelingt ihm der Ausstieg – Müllegger beschließt, möglichst nur mehr von dem zu leben, was mit seinem Wertesystem übereinstimmt – und der künstlerischen Arbeit mehr Platz einzuräumen. Lieber Handwerk als Kunst? Dass das schwierig ist, erlebt er andauernd. „Jeder, der in die Werkstatt kommt, sieht die Plätte und findet das schön, das hat auch einen gewissen handwerklichen Fetisch, das ist greifbar. Wenn daneben künstlerische Arbeiten von mir stehen, verdrehen die Leute oft die Augen.“ Meistens gelingt es Müllegger, konstruktiv auf diesen Umstand zu schauen: Wichtig sei die Auseinandersetzung, die in so einer Situation entstehen kann; wichtig seien die Bilder, die Kunst aufmachen kann. „Es geht nicht ums Objekt, um die Zeichnung, das Bild, die Grafik. Es geht um die Diskussion darüber.“ Manchmal ist da aber schon auch Verzweiflung, weil es kaum Menschen gibt, mit denen man sich künstlerisch austauschen kann. Ein Aspekt, der Müllegger in den vergangenen Jahren viel beschäftigt hat: dass Kunst im ruralen Raum unter ganz anderen Bedingungen entsteht als im urbanen Bereich. „Im Künstlerischen ist man sehr allein, im Handwerklichen bekommt man die Anerkennung.“ Regelmäßig wird Müllegger von Fernsehteams besucht, die sich vor allem für ihn als Plättenbauer interessieren. „Handwerk, Tradition und noch dazu diese Idylle – das ist gerade so ein Hype. Vielleicht wollen die Menschen sehen, dass es das anderswo noch gibt, dass alles gut ist. Es ist natürlich irre, aber in den Köpfen ist das so ein Sehnsuchtsort.“ „ Im Künstlerischen ist man sehr allein, im Handwerklichen bekommt man die Anerkennung. Handwerk, Tradition und noch dazu diese Idylle – das ist gerade ein Hype. “ Wolfgang Müllegger Nur wenige Kilometer von Mülleggers Wohnort Obertraun am Hallstättersee entfernt: der ultimative Sehnsuchtsort Hallstatt, der mittlerweile das ganze Jahr über von Touristen geflutet wird. Müllegger versteht, warum so viele hierherkommen: „Es ist wirklich wunderschön. Aber die Masse an Menschen ist völlig absurd. Und es ist irgendwie auch unwürdig – für alle Beteiligten.“ Wie er sich das Phänomen erklärt? „Vielleicht hat es etwas Lust auf mehr Kunst? Abonnieren Sie DIE FURCHE jetzt 4 Wochen gratis und bleiben Sie informiert über Kunst und Kultur. Foto: Sophie Huber-Lachner Unter diesem QR-Code sowie auf furche.at finden Sie die Online-Version dieses Artikels mit einem Video-Porträt des Künstlers. furche.at/abo/gratis damit zu tun, dass wir nicht in unserer Mitte sind. Wir kämpfen uns in der Arbeit ab und suchen dann in unserer Freizeit irgendwo Entspannung. Und dann rennen wir rudelweise zu dieser vermeintlichen Entspannung hin.“ Immer mehr Menschen sind wohlhabend genug, dafür um den halben Erdball zu fliegen. Für Müllegger hat das nichts mit Wohlstand zu tun: „Das ist ein vermeintlicher Wohlstand, das wird uns vorgegaukelt.“ Mülleggers Wohlstand: einer Arbeit nachzugehen, auch einer künstlerischen, die ihn beglückt. „Es hat insofern mit Geld zu tun, als ich mir das leisten können muss. Aber es geht darum, im Kopf frei zu sein und nicht dem Geld hinterherzulaufen. Wohlstand ist die Zeit, die wir uns nehmen und die wir uns auch zugestehen.“ Work-Life-Balance – für Müllegger ein Reizwort. Der springende Punkt ist doch, Leben und Tätigsein auf gute Art und Weise wieder zusammen zu denken: „Das Wichtigste für mich ist: Ich fahre jeden Tag mit einer Freude in die Arbeit und komme jeden Tag mit einer Freude heim.“ Auf der Donau bis Novi Sad „Wohlstand (Afterparty)“ heißt Mülleggers aktuelles Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024, bei dem er Kunst und Bootsbau verbindet. Mit einem selbst gebauten Boot – bzw. einer zweiteiligen Bootsskulptur – sind Müllegger und der Bildhauer Georg Holzmann ab Anfang September die Donau entlang bis Novi Sad gefahren, wobei sie das Salzkammergut mit drei weiteren Kulturhauptstädten „verbanden“. Am 21. Oktober wurden beide Teile der Skulptur in Gmunden vereint; 2024 wird sie dann endgültig an einem öffentlichen Ort im Salzkammergut aufgestellt. „Wir haben viel gestritten im gesamten Prozess“, sagt Müllegger über die Zusammenarbeit mit seinem Bildhauer-Kollegen, „und das war gut so“. Auch die vielen – mitunter medial ausgetragenen – Diskussionen im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres sieht er positiv: Es sei verständlich, dass sich die heimischen Künstlerinnen und Künstler, die gegen die internationale Ausrichtung der Kulturhauptstadt aufbegehren, eine Leistungsschau gewünscht hätten; gleichzeitig seien Außenansichten aber genau das, was die Region brauche, um sich weiterzuentwickeln: „Es rumort, es gibt Reibereien“, sagt Müllegger. „Und es bewegt sich endlich was.“ Die Autorin ist Filmemacherin und leitet seit 1.10. Programm und Produktion beim Freien Fernsehen Salzburg FS1.tv. Mehr zur Kulturhauptstadt: salzkammergut-2024.at

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