Aufrufe
vor 11 Monaten

DIE FURCHE 02.02.2023

  • Text
  • Furche
  • Theologie
  • Menschen
  • Februar
  • Kirche
  • Unternehmen
  • Kaiser
  • Foto
  • Ukraine
  • Frau

Von Manuela Tomic

Von Manuela Tomic manden, den es so friert wie mich. Als Kind jedoch hatte ich meinen Eistraum: Jeden Winter lief ich mit meiner Schwester und meinem Cousin zu einem kleinen gefrorenen Teich auf einer Lichtung. Magisch zog uns das Eis am Rande der Siedlung an. Mit meinen Kinderhänden schnürte ich mir die schwarzen Eishockeyschuhe, die einst dem Nachbarbuben gehörten. Sie waren so groß, dass ihre Verschalung gegen meine Kniescheiben drückte. Mit den überdimensionalen Schuhen drehte ich hunderte Runden auf dem winzigen Teich. Stumme, starre Pflanzen ästelten mir entgegen. Frostgräser und steife Schilfstiele durchbohrten die schwarzblaue Eisdecke. Eines Tages kam eine alte Frau mit Hund vorbei. Sie klopfte mit ihrem Stock auf das Eis und rief mir zu: „Då is amål a Madale ertrunk’n. Vielleicht is’ sie imma noch då unt’n.“ Ich drehte um, wollte Schwester und Cousin warnen, doch sie waren nicht mehr da. Plötzlich begann das Eis zu knacken. Ich stürzte nach unten und landete in eine Kamelhaardecke eingewickelt auf dem weichen Lammfell auf meinem Lesestuhl. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Möchten Sie mozaik abonnieren und das neueste Stück digital lesen? furche.at/newsletter Welche Konsequenzen haben Gehirnchips abseits der Medizin? Für die vielen kritischen Stimmen wäre es anzuraten, die eindrucksvollen Leistungen der Ingenieure und Wissenschafter von Neuralink nicht herunterzuspielen, meint Autor Klaus Stiefel. Von Klaus Stiefel sind sie dabei schon gekommen, und wie on auf deren Website und in den sozialen realistisch sind ihre Pläne? Medien. Etwas eigenartig ist dort nur die er südafrikanisch-amerikanische Unternehmer Elon Musk gie, die sich „Link“ nennt, bei der eine gro- Hirnforschung wissen muss, um an der Neuralink entwickelt eine Technolo- Ankündigung, dass man nichts von der hat mit seinem Kauf der Social- ße Zahl (einige Tausend) Elektroden in ein Entwicklung von Hirnimplantaten mitzuarbeiten („No prior experience in neuro­ Media-Plattform Twitter ganze menschliches Gehirn implantiert werden. Divisionen von „Tastaturkämpfern“ gegen sich aufgebracht und mit seitrischen Impulse der einzelnen Nerven- every thing you need to know“). Diese Elektroden messen dann die elekscience is necessary – we will teach you ner Firma Space X die private Raumfahrt zellen im Gehirn. Elektroden in menschliche Gehirne einzupflanzen ist nicht trivial, sein Fokus klar auf medizinischen Anwen- Was Neuralink aber klarmacht, ist, dass erstmals als kompetitive Alternative zu staatlichen Raumfahrtbehörden etabliert. gelingt aber in der neurologischen klinischen Praxis regelmäßig. Diese Implantate die Firma in ein paar Sätzen, dass es ihre dungen liegt. Nur ganz vorsichtig schreibt Auch ist er ein Pionier der Elektroautoherstellung und -vermarktung, und die elektrischen Priuse fahren teils auch schon ohchen Ursprungs von epileptischen Herden völkerung mit ähnlichen Implantaten zu dienen der Detektion des genauen räumli- Langzeitvision ist, auch die gesunde Bene Fahrer. oder ähnlichen medizinischen Anwendungen. Das Team von Neuralink will diese auf diese Weise unabhängig von räumli- versorgen. Das Ziel: Die Menschen sollen Dem Mann geht es, wie es scheint, nicht nur ums Geldverdienen (was natürlich Technologie verbessern und serienreif machen. Die Anzahl der Elektroden ist höher Künstlicher Intelligenz kommunizieren. chen Entfernungen miteinander sowie mit auch nicht zu kurz kommt), sondern da rum, der technologischen Entwicklung der modernen Welt seinen Stempel aufzudrücken. gen, und die Implantation wird semi-auto- der Vielen angeregt. als in den meisten bisherigen Anwendun- Diese wenigen Sätze haben die Fantasie Ein Zeichen, wie ambitioniert seine Unternehmungen sind, ist, dass das Musk’sche Es gibt dann auch eine Smartphone-App, Wie „sprechen“ die Nervenzellen? matisch von Roboterarmen durchgeführt. Unternehmen Neuralink, das futuristisch die die Daten auslesen kann. Nicht wenige der wissenschaftlichen klingende Hirnimplantate entwickelt, erst Die Entwicklung der Links ist noch nicht Publikationen und populärwissenschaftlichen Artikel über Neuralink stammen nach Twitter, Prius und Space X die viertmeiste Aufmerksamkeit unter den Firmen aber der Ansatz ist durchaus interessant nicht von Hirnforschern, sondern von Phi- auf dem Stadium der klinischen Versuche, des Star-Unternehmers abbekommt. Aber und realistisch. Es gibt über das Projekt losophen und Sozialwissenschaftern. Darin spekulieren diese über die Chancen was wollen die Ingenieure und Hirnforscher von Neuralink erreichen, wie weit von Neuralink sowie reichlich Informati- und Gefahren einer Technologie, die künf- wissenschaftliche Literatur vom Personal tig einmal aus solchen Hirnimplantaten hervorgehen könnte. Diese Analysen malen sowohl im Positiven wie auch im Negativen ein extremes Bild der Möglichkeiten, die durch einen Gehirncomputer „Link“ zustande kommen. Ein Mensch mit so einem Implantat ver- DIE FURCHE · 5 16 Forum 2. Februar 2023 DIE FURCHE EMPFIEHLT Imago Dei 2023 FESTIVAL Nadja Kayali stellt nach der sehr erfolgreichen ersten Edition ihr zweites Festival „Imago Dei“ unter den Titel „Balance“ vor. Das Festival begibt sich auf literarisch-musikalisch-juristische Erkundungen von Recht und Gerechtigkeit. 15 Konzerte im Klangraum Krems Minoritenkirche münden im Grande Finale am Ostermontag mit Händels „Messias“. Imago Dei 2023 Krems 17.03. bis 10.04. 2023 www.klangraum.at Buddhistische Praxis VORTRAG Der Sozialanthropologe Dendup Chophel präsentiert bei einer ISA Guest Lecture der ÖAW eine Studie über bhutanesische Gemeinschaften in Bhutan und in Australien. Er untersuchte, wie diese Gemeinschaften mit den Folgen der Pandemie und prekären Lebensverhältnissen zurechtkommen, und inwiefern ihnen dabei buddhistische Praxis hilft. Hilfreiche buddhistische Praxis ÖAW, Wien 9. Februar 2023, 16 Uhr www.oeaw.ac.at Kammermusik: Loisarte 2023 MUSIK UND LITERATUR Die Idee, selten gespielter zeitgenössischer Musik und Literatur eine außergewöhnliche Bühne zu geben, steht im Zentrum des Festivals „Loisarte“. Im Mittelpunkt des neuen Programms steht diesmal der Schweizer Cellist, Komponist und Arrangeur Thomas Demenga. Die Beschäftigung mit den Werken Bachs ist seit jeher ein zentrales Anliegen Thomas Demengas. Loisarte 2023 Loisium Weinwelt, Langenlois 23. bis 26. März 2023 www.loisarte.at IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Grundsatztreue gefragt Böse Festungs-Spiele Von Doris Helmberger. Nr. 4, Seite 1 Nicht unerwartet hat die ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sowohl die absolute Mehrheit in Niederösterreichs Landtag, als auch in der Landesregierung verloren, wie auch SPÖ-Landesrat Wolfgang Schnabl ein Mandat an die Grünen und einen Regierungssitz an die Blauen abgeben musste. Die von der türkis-grünen Bundesregierung ungeschickt angepackten oder noch ungelösten Probleme sind Mitursachen und werden sich bei den kommenden Landtagswahlen und erst recht bei der Nationalratswahl auswirken. Tiefere Ursachen liegen wohl darin, dass das Regieren immer schwieriger wird, die Menschen mit den Krisen nicht zurechtkommen und die Schuld auch darin erkennen, dass konservative Volksparteien zunehmend von christlichen Werten einer Sozialen Marktwirtschaft in Richtung Kapitalismus abgleiten und Sozialdemokraten von den Werten der sozialen Gerechtigkeit in einen bürokratischen Law and Order-Pragmatismus um Doskozil und Schnabl absacken. Der national-ideologische Höhenflug der Freiheitlichen würde dann eine Ende haben, wenn die Volkspartei, die Sozialdemokraten und Grünen wieder bzw. weiterhin auf Grundsatztreue setzen und ihre Kraft auf überzeugende Sacharbeit legen. Karl Semmler Bad Blumau Promotion für FPÖ wie oben Nach Otto Friedrich wundert sich auch Doris Helmberger über die guten Umfragewerte der FPÖ. Doch das überrascht keineswegs – wenn man zusehen muss, wie sich die politische Mitte bekämpft, sich mit Hass und Häme überschüttet. Personen wie Kai Jan Krainer oder auch Frau Tomaselli (!) haben sich längst der FPÖ angepasst. Die Ibiza-Partei konnte sich im Windschatten als Saubermacherpartei sonnen! – wenn sich Journalismus in der „Berichterstattung“ fast ausschließlich auf negative Infos beschränkt. Diese Art von Journalismus zersetzt auf Dauer unsere Demokratie und fördert Rechts(extreme). Die FPÖ müsste sich bei Österreichs Medien und den Oppositionsparteien (inklusive Grüne) für die günstige Promotion bedanken. Franz Kryscin Schlierbach Portischs Gedanken Ein Preis – und ein Vermächtnis Von Heinz Nußbaumer Nr. 4, Seite 14 Ich entnehme Ihrer Kolumne die Besorgnis, dass „mangelndes Weltwissen immer von einem Schwund an Solidarität und globalem Humanismus begleitet ist – und auch unsere Demokratiefähigkeit schwächt“. Meine Frage ist: Wie viel von Portischs Gedanken wurde oder wird heute von den Menschen/der Politik aufgegriffen? Blieb nur die Erinnerung an diesen populären Menschen ohne Relevanz für uns Heutige? Franz Winter via Mail DIE FURCHE · 4 22 Wissen 26. Jänner 2023 I lustration: Rainer Messerklinger Eistraum MOZAIK ir ist kalt. Ich kuschle mich in mein Lammfell, ich wickle mich in mei- Kamelhaardecke, der Heizkör- Mne per glüht, aber mir ist kalt. Ich kenne nie- Foto: iStock/ aydinozon Elon Musks Unternehmen Neuralink will auch bei Gesunden Gehirnchips implantieren. Die Aufregung darüber ist groß. Was ist wirklich dran an diesen Plänen? Eine Einschätzung. Hype oder Durchbruch? D „ Das Thema Hirn-Computer-Schnittstellen beflügelt generell die Fantasie der Propheten gesellschaftlicher Paradigmenwechsel. “ Was ist unter der Decke? In dieser Ausgabe der FURCHE finden Sie eine Beilage der Peter Hahn GmbH. Neuralink Toxische Therapien Von Hildegund Keul. Nr. 4, Seite 10 Eigentlich sollte die katholische Kirche kein Problem mit homosexuellen Priestern haben. Die zölibatär lebenden Kleriker sind gehalten, „vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren“. (CIC, can. 277, § 1.) Diese im Codex Iuris Canonici gebotene absolute sexuelle Enthaltsamkeit gilt sowohl für heterosexuelle als auch für homosexuelle Priester. Oder hat man vielleicht Angst vor allem, was „unter der Decke“ passiert? Dr. Anton Schwarz 1210 Wien Abbrüche schwer gemacht Pro Choice/Pro Joy Gastkommentare von Linda Biallas und Martina Kronthaler Nr. 3, Seite 3 Ja, eine Abtreibung ist ein Eingriff wie kein anderer. Trotzdem ist es ein medizinischer Eingriff und als solcher gehört er auch in Krankenhäusern durchgeführt. Dies würde auch zu den von der – von mir sehr geschätzten – „Aktion Leben“ geforderten Statistiken über die tatsächlichen Zahlen führen. Aktuell reisen Frauen oft in andere Bundesländer und nicht selten ins benachbarte Ausland, um einen Abbruch durchführen zu lassen. Hierzu verlässliche Zahlen zu bekommen, halte ich für sehr schwierig. Es ist mittlerweile wohl allen klar, dass die Entscheidung über Fortführung einer Schwangerschaft oder Abtreibung bei der betroffenen Frau liegen muss. Jedoch scheint es, dass ihr die Entscheidung pro Abtreibung schon möglichst schwer gemacht werden soll. Was es bräuchte, um Frauen, die unentschlossen sind, die Entscheidung für das Kind zu erleichtern, ist in der FURCHE von beiden Seiten deutlich dargestellt worden. Die Statistiken über Einkommensunterschiede, Altersarmut und fehlender Kinderbetreuung, die meist Frauen in ihrer Biografie betreffen, zeigen auf, dass noch viel zu tun ist. Und dass Zahlen und Fakten alleine noch nichts ändern, wenn der politische Wille dazu nicht ausreichend ist. Und es gilt zu akzeptieren, dass sich auch trotz bester Bedingungen Frauen gegen ein Kind entscheiden können. Anneliese Pieber via Mail Eine reine Freude Eistraum Von Manuela Tomic Nr. 4, Seite 22 Ich möchte Ihnen zu Ihrem herzerfrischenden „mozaik“ gratulieren! Es ist jedes Mal eine reine Freude und eine Bereicherung für die FURCHE, deren begeisterter Leser ich bin. Alois Painsi 8542 St. Peter im Sulmtal So ein Können! wie oben Die Zeilen von Frau Tomic – wie diese über die Hustensalbe aus ihrer Kindheit (Werbespot) – sind derart genial, dass ich sie nur bewundere! Einfach großartig! So ein Können! Traudi Holzer via Mail Am 3. Februar mit der Promotion „Shower of Millionaires“ 100 × 1 Million extra bei EuroMillionen EuroMillionen hat bereits viele Spielteilnehmer:innen zu Millionären gemacht. Am Freitag, dem 3. Februar 2023 bekommen sie Gesellschaft von zumindest 100 weiteren Gewinner:innen. Denn es besteht bei dieser außergewöhnlichen Runde nicht nur die Chance, den Europot zu knacken, sondern es werden unter allen in den teilnehmenden Ländern abgegebenen Tipps 100 mal 1 Million Euro zusätzlich verlost. Die Promotion nennt sich „Shower of Millionaires“, und es geht dabei tatsächlich um viele Millionen. Alle an diesem Freitag teilnehmenden EuroMillionen Tipps nehmen automatisch an der Verlosung dieser 100 Millionen Euro teil. Dafür wird eine Buchstaben-Ziffern-Kombination auf der EuroMillionen Quittung aufgedruckt. Die gewinnbringenden Kombinationen werden unter anderem in den Annahmestellen der Österreichischen Lotterien und über win2day veröffentlicht. EuroMillionen kann in allen Annahmestellen der Österreichischen Lotterien sowie auf win2day.at gespielt werden. Entweder per Normalschein, Quicktipp, mit System, mittels Anteilsscheines, Team Tipp oder per EuroMillionen Abo. Und natürlich über die Lotterien App. Annahmeschluss ist am Freitag, dem 3. Februar um 18.30 Uhr. Isabella Krassnitzer moderiert die EuroMillionen Ziehung. Foto: © Österreichische Lotterien/ORF IN KÜRZE RELIGION ■ Franziskus in Afrika RELIGION ■ Prevost statt Ouellet RELIGION ■ Georg Baudler (1936–2023) GESELLSCHAFT ■ Ende für Corona-Maßnahmen Zuerst war es die Pandemie und im Vorjahr waren es die Knieprobleme von Papst Franziskus. Am 31. Jänner konnte nun die lang geplante Afrikareise des Pontifex beginnen. Zunächst bereist Franziskus die Demokratische Republik Kongo. Ab 2. Februar hält sich das katholische Kirchenoberhaupt gemeinsam mit dem anglikanischen Primas, Erzbischof Justin Welby von Canterbury, und dem Moderator der presbyterianischen Kirche Schottlands, Iain Greenshields, im Südsudan auf. Das erst 2011 unabhängig gewordene Land leidet unter gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Anhängern politischer und ethnischer Gruppierungen. Nachdem der frankokanadische Kurienkardinal Marc Ouellet letzte Woche noch mit dem von ihm mitunterzeichneten Brief gegen den deutschen Synodalen Weg in den Schlagzeilen war (Seite 13 dieser FURCHE), nahm der Papst den Rücktritt des 78-jährigen Ouellet als Chef des Bischofsdikasteriums im Vatikan an. Benedikt XVI. hatte 2010 den damaligen Erzbischof von Québec an die Spitze der für Bischofsbestellungen zuständigen Vatikanbehörde gesetzt. Als Nachfolger nominierte Franziskus den 67-jährigen US-Amerikaner Robert Francis Prevost. Der Augustinermönch war in den letzten Jahren Bischof von Chiclayo in Peru. Der Religionspädagoge und Buchautor verstarb 86-jährig in Aachen, wo er von 1971 bis 2001 Professor an der dortigen Hochschule war. Nach bahnbrechenden religionspädagogischen Arbeiten wurde Baudler vor allem durch seine in verständlicher Sprache verfassten systematisch-theologischen Bücher bekannt. Baudler setzte sich mit den Schriften des franko-amerikanischen Kulturtheoretikers René Girard auseinander; dessen Erkenntnisse zu Religion und Gewalt fanden ebenso Eingang in Baudlers Wirken wie der Entwurf einer interreligiösen Mystik. Auch für das theologische Gespräch mit Naturwissenschaften setzt sich Baudler ein. Nahezu drei Jahre nach den ersten bestätigten Coronavirus-Fällen in Österreich werden die zugehörigen Maßnahmen beendet. Bis spätestens 30. Juni 2023 sollen laut Ministerrat sämtliche Regelungen entfallen. Bis dahin erfolge eine schrittweise Abschaffung der einzelnen Maßnahmen. Die Maskenpflicht in Bereichen wie Spitälern und Pflegeheimen soll mit 30. April enden, ebenso die Risikogruppenfreistellung. Sämtliche Corona-Krisenstäbe und Gremien sollen aufgelöst werden. SARS-CoV-2 soll ab 30. Juni nicht mehr als meldepflichtige Krankheit gelten, die Verkehrsbeschränkung für positiv getestete Menschen werden entfallen.

DIE FURCHE · 5 2. Februar 2023 Literatur 17 Frauen über 50 werden oft: fast unsichtbar. Der Band „Wechselhafte Jahre“ wirkt dem entgegen. Schriftstellerinnen erzählen darin über ihr Älterwerden. Alida Bremer hat dafür auch wieder Virginia Woolf gelesen. Ein Vorabdruck. Alida Bremer Die Literaturwissenschafterin, Übersetzerin und Autorin wurde 1959 in Split geboren und lebt in Münster. Zuletzt erschien ihr Roman „Träume und Kulissen“ (Jung und Jung 2021). Von Alida Bremer Ich suchte nach einem Titel, der mein Gefühl zum Thema „Frau Ü60; spät Autorin geworden; Migrantin, die in einer Fremdsprache schreibt; Mutter zweier erwachsener Söhne“ am ehesten beschreiben könnte. Alt geworden, aber dankbar für das Wissen, das das Alter mit sich bringt. Wissen ist Macht – dieses geflügelte Wort gewinnt im Leben einer Frau mit dem Verlauf der Zeit an Bedeutung. Ich wollte über eine Frau im besten Alter schreiben, aber ich hatte noch keinen Titel. Doch war mein bestes Alter nicht zwischen zwanzig und dreißig? Als das Spiegelbild gut gelaunt zurückblickte? Bevor mein Spiegelbild in Richtung der Archetypen verrutschte, in Richtung der Urbilder der Hexen und der Matronen, der alten Weiber in Gesundheitsschuhen, der unattraktiven Geschöpfe, die ihrem Verlag besser Fotos aus jüngeren Tagen zur Verfügung stellen sollten? Ging es mir nicht besser, als ich jung war? Ich war mir damals zwar der Hindernisse bewusst, die einer Frau den Weg versperren – schließlich bin ich an der Schnittstelle zwischen Mittelmeer, Mitteleuropa und dem Balkan aufgewachsen, mehr Patriarchat ging kaum –, aber in meinem jugendlichen Übermut pflegte ich die Gedanken daran zu verdrängen. Heute empfinde ich neben ein wenig Mitleid auch tiefe Sympathie für jenes Mädchen, das an der östlichen Adriaküste ausgerechnet davon träumte, Literaturprofessorin an einer britischen oder amerikanischen Universität zu werden, Romane in englischer Sprache zu verfassen und geistreiche Gespräche zu führen. Und die glaubte, dass sie alles erreichen könnte, wenn sie sich nur genug anstrengte. Nie vollständig zu sein Ich suchte nach einem Titel, der das Gefühl beschreibt, nie vollständig zu sein: in jungen Jahren voller Tatendrang, wissensdurstig, aber naiv; im Alter ernüchtert, aber nicht unzufrieden. Ich gab in die Suchmaschine „knapp vorbei ist auch daneben“ ein und fand mich in einer Internetdiskussion wieder: Ob es nicht richtiger sei zu sagen „knapp daneben ist auch vorbei“? Ich scrollte nach unten Foto: Ali el Bayâ und erfuhr, dass diese Redewendung im Englischen „close, but no cigar“ heißt: „Diese idiomatische Redewendung hat ihren Ursprung in der Tatsache, dass auf US-amerikanischen Volksfesten bzw. Jahrmärkten um die Jahrhundertwende Zigarren als Preise vergeben wurden.“ Zigarren gehören in dem Essay „Ein eigenes Zimmer“ von Virginia Woolf zu den „Annehmlichkeiten“, für welche die Frauen kein Geld haben, nachdem sie es mit Mühe geschafft haben, in Oxbridge eine bescheidene Bildungsstätte einzurichten: „Kein einziger Penny blieb für ‚Annehmlichkeiten‘ übrig; für Rebhühner und Wein, Pedelle und Rasen, Bücher und Zigarren, Museen und Müßiggang.“ Den Essay las ich, als ich bereits die ersten Ernüchterungen hinter mich gebracht hatte und aus dem Kokon meiner kindlichen Naivität zu entschlüpfen begann. Rebhühner und Wein waren Begriffe aus einem Schlaraffenland, zu dem ich, das war inzwischen klar, nie vordringen würde, und zwar nicht nur deshalb, weil ich eine Frau war. Zwischen mir und dem fiktiven Oxbridge und auch allen anderen Orten mit der magischen Close, but no cigar Aura der altehrwürdigen Bildung standen so viele Hindernisse, dass mir die Erinnerung an meine Verehrung für die traditionsreichen Universitäten lächerlich vorkam; die sozioökonomische, geographische und biographische Realität hatte mich eingeholt. Es war eindeutig, dass uns Frauen auch sonst viel entgeht: „Man kann nicht gut denken, gut lieben, gut schlafen, wenn man nicht gut gespeist hat. Die Lampe in der Wirbelsäule brennt nicht von Rindfleisch und Backpflaumen.“ Nicht, dass ich verstand, was dem Rindfleisch und den Backpflaumen fehlte, die zur Verpflegung gehörten, die sich die studierenden Frauen in Oxbridge leisten konnten. Aber ich vertraute Virginia Woolf. Die Gründerinnen jener ersten fiktiven Hochschule für Frauen konnten nur mit größter Mühe das Geld zusammenkratzen, um eine bescheidene Stätte inmitten der Pracht, die den männlichen Gelehrten vorbehalten war, aufzubauen. Warum wirtschafteten unsere Mütter so schlecht, fragt sich die Ich-Erzählerin, dass sie uns gar nichts vererben konnten? „ Doch war mein bestes Alter nicht zwischen zwanzig und dreißig? Als das Spiegelbild gut gelaunt zurückblickte? “ Und sie erwähnt an dieser Stelle die Mutter einer ihrer Kolleginnen, mit der sie sich in jenem ärmlichen Frauencollege unterhielt. Diese Frau habe dreizehn Kinder geboren, weshalb es wohl verständlich sei, dass sie kein Vermögen hinterließ. Doch wäre diese Mutter eine erfolgreiche Geschäftsfrau gewesen, dann hätte es ihre Tochter nicht gegeben. Dieses Dilemma ist unlösbar, solange es für das Gebären von Kindern keinen Ausgleich gibt, mit dem die wirtschaftlichen Nachteile der Mütter aufgehoben werden. „Als erstes sind da die neun Monate, bevor das Kind geboren wird. Dann wird das Kind geboren. Dann gehen drei oder vier Monate damit hin, das Kind zu stillen. Nachdem das Kind abgestillt worden ist, gehen bestimmt fünf Jahre damit hin, mit dem Kind zu spielen. Man kann Kinder offenbar nicht einfach auf die Straße schicken.“ Gleichzeitig forschten gebildete Männer zum Thema „Was ist eine Frau?“ Die Erzählerin staunt, zu welchen Aspekten des vermeintlichen Frauseins sich die schreibenden Männer auslassen; die Bibliotheken waren voll von entsprechenden Abhandlungen. Weit entfernt von eigener Realität Die britischen Frauen schafften es dennoch, in Oxbridge Fuß zu fassen, bescheiden zwar und ohne gute Weine und Zigarren, aber wie weit entfernt war das von meiner eigenen Realität! Nur etwas war gleich: Die Tatsache, dass eine Frau pro Kind mindestens sechs Jahre ihres erwachsenen Alters opfert, was für eine intellektuelle oder künstlerische Karriere sehr viel ist. Heute sind meine Kinder zwar keine Kinder mehr, sondern Männer mit Bärten und tiefen Stimmen, die selten anrufen und sich noch seltener blicken lassen. Das nennt sich Selbstständigkeit und gelungene Erziehung, aber auch leeres Nest, das mir das Gefühl der Verlassenheit gibt – und mir meine Zeit zurückschenkt. Als meine Söhne klein waren, las ich jede Stipendien-Ausschreibung mit Wehmut; mein erträumtes Oxbridge entfernte sich immer mehr von mir. Schwangerschaften, Stillzeiten, Kinderkrankheiten, traumatische Schulzeiten der pubertieren- FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023