DIE FURCHE · 31 20 1. August 2024 Illu: R M Von Manuela Tomic Sternchenstunde MOZAIK Im Sommer 2011 rockte ich in einer Strandbar in Makarska die Bühne. Sonnenbetäubte, schwitzende Kroatien-Urlauber hatten es sich mit ihren Cocktails und Muschelarmbändern auf den Plastikstühlen gemütlich gemacht, während ich vor Aufregung im Schatten einer Musikbox bibberte. Ich war als Erste dran und schlich schüchtern auf die Freiluftbühne. Als „Back to Black“ von Amy Winehouse aus den Boxen tönte, fiel jede Hemmung. Ich ging theatralisch auf die Knie, robbte über die Bühne und fiepte mit weinerlicher Stimme das Liebeskummerlied. Meine Eltern klatschten im Stehen, und mein Ex-Freund filmte die Szene. Die anderen Gäste lachten lauthals. Ein süßer Franzose mit Dreadlocks jubelte mir aus dem Publikum zu. Ich wurde zum Karaokeclown, gewann den zweiten Platz. Die Show triumphierte über die Stimme. Freudig nuckelte ich am nächsten Tag mit einem Strohhalm an meinem Siegespreis, einem Glas Piña Colada. Ich hielt Ausschau nach dem Franzosen. Er war natürlich schon abgereist. „Me and my head high / And my tears dry / Get on without my guy“, summte ich verschnupft. Ich versuchte, die Tränen vor den Paparazzi hinter meiner Sonnenbrille zu verbergen. Dann textete ich meinem Liebhaber eine SMS: „Vermisse dich“. Ich nahm einen letzten Schluck von meinem Ruhm, ehe ich wieder in meinen Berliner Alltag abtauchen musste. Back to work. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Foto: Wolfgang Machreich Von Wolfgang Machreich Olga Karatch ist keine Terroristin, sie ist eine Diebin, und das geben sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter der belarussischen Bürgerrechtsorganisation „Nash Dom“ („Unser Haus“) offen zu. Das Motto ihrer Unterstützungskampagne für Wehrdienstverweigerer lässt keinen Zweifel an ihrer diebischen Motivation: „Nein heißt Nein – wir wollen Lukaschenko seine Armee stehlen!“ Das Landgericht Brest verurteilte Karatch am 8. Juli für diesen Diebstahl, bei dem der belarussische Diktator bis jetzt bereits tausende Soldaten verloren hat, zu zwölf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 600.000 belarussischen Rubeln, umgerechnet 170.000 Euro. Fünf Strafartikel mussten als Begründung für diesen Soldatenraub herhalten, sie reichen von „Verschwörung oder versuchter Staatsstreich“ über die „Bildung einer extremistischen Formation“ und „Unterstützung extremistischer Aktivitäten“ bis hin zu „Verunglimpfung der Republik Belarus“ sowie der „Verleumdung von Alexander Lukaschenko“. Gängelungen durch Behörden nahmen zu Die Nachricht von ihrer Verurteilung erreichte Karatch in Vilnius, wo sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im Exil lebt. Litauens Hauptstadt kennt sie bereits aus der Zeit ihres Studiums. 2012 schloss sie dort ihr Masterstudium der Politikwissenschaft an der Europäischen Humanitären Universität (EHU) ab. 1992, nach dem Zerfall der Sowjetunion in Minsk gegründet, wurde die EHU 2004 aus politischen Gründen geschlossen und musste nach Vilnius übersiedeln, wo sie seither als belarussische Exiluniversität weiterbesteht. 2004 war auch ein Schlüsseljahr für Olga Karatch. Als 25-Jährige verfolgte sie mit Interesse und Sympathie die Orange Revolution in der Ukraine und ließ sich von deren Freiheits- und Bürgerrechtsidealen anstecken. Im Jahr darauf gründete sie das Zentrum für Bürgerinitiativen „Unser Haus“. Der Name hängt mit den ersten Aktivitäten des Vereins zusammen, die sich um Mieterschutz und rechtliche Unterstützung gegen die Willkür von Hausverwaltungen drehten. Dieser niederschwellige Zugang machte „Un- „ Dass Geheimdienstmitarbeiter ‚uneingeladen‘, wie Karatch mit einem Augenzwinkern erzählt, an ihrer Hochzeitsparty teilnahmen, war noch die harmloseste Form der Einschüchterung. “ ser Haus“ und Olga Karatch schnell bekannt; parallel zur Wertschätzung ihrer Arbeit in der Bevölkerung nahmen aber auch die Gängelungen seitens der Behörden zu. Noch mehr ins Visier der Staatssicherheit geriet Karatch, nachdem ihr Name in einer oppositionellen Liste auftauchte, in der die bekanntesten politischen und zivilen Persönlichkeiten des Landes als mögliche Kandidatinnen und Kandidaten für die belarussische politische Elite nach Lukaschenko aufgezählt wurden. Mit der Zunahme der Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung Andersdenkender in Belarus wurden auch die Arbeitsbereiche von „Unser Haus“ ausgeweitet, wuchs das Aufgabengebiet von Karatch und ihrem Team, darunter ihrem Ehemann, dem Journalisten Aleh Barshcheuski. Polizeiwillkür und Übergriffe der Sicherheitskräfte wurden genauso öffentlich angeprangert wie Gewalt gegen Frauen oder die Verfolgung von widerständigen Jugendlichen, denen man Drogenbesitz unterstellte. Dass Geheimdienstmitarbeiter „uneingeladen“, wie Karatch mit einem Augenzwinkern erzählt, an ihrer Hochzeitsparty teilnahmen, war noch die harmloseste Form der Einschüchterung. Die Konfrontationen mit der Staatsmacht nahmen Anfang der 2010er Jahre massiv zu, als Karatch für das Stadtparlament ihrer Heimatstadt Witebsk kandidierte und ihr Mann die Zeitung Witebski Kurier herausbrachte. Ein besonders absurder Vorwurf der Wahlkommission aus dieser Zeit lautete auf Bestechung der Wählerinnen und Wähler. Der an den Haaren herbeigezogene Beweis für das angebliche Delikt lautete, dass Karatch im Wahlkampf Luftballons mit der Aufschrift „Unser Haus“ verteilt hatte. Als diese Einschüchterungsversuche nicht fruchteten, schaltete die Staatssicherheit auf brutal. Einmal stoppte die Verkehrspolizei das Auto von Karatch und ihrem Mann, nahm beide wegen des Verdachts auf Autodiebstahl fest und ließ sie stundenlang bis drei Uhr in der Nacht verhören. Letztlich erhielt das Paar wegen 30 Exemplaren des Witebski Kurier, die man im Auto konfisziert hatte, und einiger Ausgaben der Vereinszeitschrift von „Unser Haus“ sowie Drucksachen zu Karatchs Wahlkampagne eine Verwaltungsanzeige. Ein Schlüsseltag für Karatch war der 19. April 2011. An diesem Tag ließ man sie und 18 weitere Aktivisten von „Unser Haus“ mit der Begründung festnehmen, sie hätten einen Terroranschlag auf eine U-Bahn-Station in Minsk verübt. Auch diese Unterstellung löste sich im Nichts auf. Bis dahin verbrachte Karatchs Ehemann aber zehn Tage in Haft; sie wurde bei den Verhören geschlagen und von Polizeibeamten mit Vergewaltigung bedroht. Gegen das Schweigen Olga Karatch macht mit ihrer Bürgerrechtsplattform „Unser Haus“ Polizeiwillkür in Belarus öffentlich. Lesen Sie dazu auch das Interview mit Olga Karatch, „Die Angst, dass jeder ein Agent ist“, von Wolfgang Machreich vom 17.4.2024 auf furche.at. Ein belarussisches Gericht hat die Menschenrechtlerin Olga Karatch zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Karatch lebt zwar derzeit im Exil – doch auch dort ist sie nicht sicher. „Es war wie in einem Krimi“ Dass Karatch auch im Exil in Litauen nicht in Sicherheit ist, zeigte sich im Dezember 2021, als sie und ihre Familie von der litauischen Polizei 17 Tage lang versteckt gehalten wurden. Laut Geheimdienstinformationen sollte ein Killerkommando im Auftrag des belarussischen Regimes auf Karatch angesetzt gewesen sein. „Wir sind von einem Ort in den nächsten gebracht worden, es war wie in einem Krimi“, erzählt sie im FURCHE-Gespräch, in dem sie vor allem über die schwierige Situation von bela russischen und russischen Flüchtlingen in Litauen berichtet. Diese geraten zunehmend unter Generalverdacht, Spione Lukaschenkos oder Putins zu sein. Auch Karatch wurde aufgrund ihres Engagements als Bedrohung für die nationale Sicherheit eingestuft, und ihr wurde der Asylstatus verwehrt. Mithilfe einer internationalen Kampagne, die auch vom Versöhnungsbund in Österreich getragen wurde, konnte die mehrfach für ihre Menschenrechts- und Friedensarbeit ausgezeichnete Aktivistin (Weimarer Menschenrechtspreis 2022, Alexander Langer Preis 2023, nominiert für den Friedensnobelpreis 2024) zumindest eine humanitäre Aufenthaltsgenehmigung bekommen. „Natürlich ist das nicht angenehm“, sagt sie, „wenn man da wie dort als Feind hingestellt wird, und du weißt, dass du nichts Schlimmes tust.“ „Ich bin dieselbe Person geblieben“ Nicht genug, dass man Karatch für ihre Arbeit verfolgt, wurde sie voriges Jahr als Folge der Autoimmunerkrankung Morbus Bechterew als bereits zu mehr als 50 Prozent gelähmt diagnostiziert. „Aber innerlich habe ich mich nicht verändert. Ich bin dieselbe Person geblieben“, sagt sie. Trotz der schweren Krankheit und der Depression, die sie manchmal überwältigt, will sie nicht aufgeben: „Natürlich ist es schmerzhaft, eine unheilbare Krankheit zu haben, die einen langsam, aber sicher Tag für Tag auffrisst. Aber andererseits bin ich Gott und dem Schicksal immer noch dankbar, dass ich hier und jetzt lebe. Ich habe immer noch die Möglichkeit, Menschen zu helfen und die Situation zum Positiven zu beeinflussen.“
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