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DIE FURCHE 01.06.2023

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DIE FURCHE · 22 4 Das Thema der Woche Russisch in Zeiten des Krieges 1. Juni 2023 Das Regime will die russische Sprache von fremdländischen Einflüssen „reinigen“, dabei war für viele Schriftsteller des 19. Jahrhunderts Russisch nicht einmal die Erstsprache. Spezialoperation und Frieden Von Daniel Jurjew Über den altgriechischen Fabeldichter Äsop ist überliefert, dass er seinem Herrn für ein Gastmahl einmal das beste Fleisch vom Markt bringen sollte, und ein anderes Mal das schlechteste. Beide Male brachte er nichts als Zungen – denn die Zunge, also die Sprache, sei die Wurzel sowohl alles Guten als auch allerlei Schlechten. Ist die russische Sprache nun vom russischen Imperialismus zu trennen? In ihrer historischen Gewachsenheit ist keine Sprache von Gewalt zu trennen. Identifiziert man die russische Sprache mit der heutigen Russischen Föderation, übernimmt man die Position des Kreml. Diese Sprache ist allerdings nicht nur Sprache der Russischen Föderation, sondern spielt auch außerhalb eine Rolle, etwa als Lingua franca in Teilen des postsowjetischen Raumes oder als Sprache zahlreicher Emigranten. Man spricht bisweilen von einem „Neusprech“ des Putin-Regimes, der nachhaltig die Denkweise der ihm Ausgesetzten zu beeinflussen drohe; hierzu scheint den Verantwortlichen jedoch die nötige sprachliche Gewandtheit zu fehlen. Keiner kann die Wortfindung „Spezialoperation“ ernst nehmen, wovon zum Beispiel der im russischsprachigen Internet kursierende gephotoshoppte Buchtitel „Spezialoperation und Frieden“ zeugt. Zu den Stilblüten von Putins Propaganda gehört auch „Importersatz“, materielle und immaterielle Dinge, die an die Stelle von solchen aus dem Ausland treten sollen – nicht nur Parmesan und Cognac, gerade auch die (eher weniger von Sanktionen betroffene, zumal schon Jahrhunderte lang „importierte“) ausländische Kultur soll tendenziell ersetzt werden. Solch einen provinziellen Stumpfsinn leistete sich nicht einmal die Sowjetunion, die an Lenins Diktum festhielt, man könne erst dann zum Kommunisten werden, wenn man sein Gedächtnis mit der Kenntnis all der Reichtümer bereichert habe, die die „Dostojewski: Immer dem nächsten Skandal entgegen“ von Georg Dox, 10.11.2021, auf furche.at. Menschheit geschaffen habe. Nun aber gehört die „Reinheit“ der russischen Sprache zu den „traditionellen Werten“, jenem vagen spießigen Ideologem, mit dem das Regime versucht, sein ideologisches Vakuum zu füllen. Auch hier bleibt es ungeschickt: Man will die russische Sprache von fremdländischen Einflüssen „reinigen“ und spricht selber von „Verbreitung von Fakes [englisches Wort auch im Original, Anm.] über die russischen Streitkräfte“. Die russische Sprache in der Ukraine hat ihre eigene Geschichte, worüber leider seit Jahrzehnten ein Zwist besteht. Die Realität des Krieges hat gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung der vornehmlich russischsprachigen Gebiete der Ukraine sich genauso sehr als Ukrainer versteht wie ihre Landsleute weiter westlich. Wie bei so vielem in diesem Krieg arbeitet Putin hier auf das Gegenteil dessen hin, was er als Ziel ausgegeben hat: Gerade besagte Gebiete sind Hauptziele der Angriffe und Gräueltaten, und viele Ukrainer spüren den Impuls, ihr Russisch aufzugeben. „ Die Sprachen, die ein Mensch beherrscht, sind integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit, auch wenn Staaten Sprachen vereinnahmen wollen. “ Die Sprachen, die ein Mensch beherrscht, sind integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit, auch wenn Staaten Sprachen vereinnahmen wollen. Die ukrainische Schriftstellerin Yevgenia Belorusets hat neulich in einem Gespräch in der FAZ sehr eindrücklich darüber gesprochen, dass für sie ihr Ukrainisch wie auch ihr (!) Russisch zu ihrer (!) ukrainischen Identität gehörten und sie sich weigere, da Amputationen vornehmen zu lassen. So ein menschliches, ideologiefreies Verhältnis zur Sprache droht leider immer mehr, abhanden zu kommen. Am 6. Juni ist der Tag der russischen Sprache. Eine bemerkenswerte und etwas paradoxe Tatsache ist, dass er (nicht zufällig) mit dem Geburtstag Alexander Puschkins zusammenfällt, für den Französisch in seiner Kindheit geläufiger war als Russisch. Überhaupt war für viele russische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts Russisch nicht ihre Erstsprache; noch Nabokov konnte als Kind zunächst nur diejenigen Worte lesen, die in kyrillischer Schrift genauso aussahen wie in lateinischer, zum Beispiel „Kakao“. So gesehen wurde die russische Literatursprache von multilingualen Autoren geschaffen. Seit Anfang des Krieges werden vielerorts Puschkin, Tolstoi, Dostojewski, auch Komponisten wie Tschaikowski zu Vertretern einer „imperialistischen russischen Kultur“ erklärt, die am besten einzumotten seien. Dies erscheint als Spezialfall einer Mode, die im Namen einer „kulturellen Reinlichkeit“ fordert, alle, die sich nach heutigen Maßstäben in irgendeiner Frage geirrt haben, in die Bedeutungslosigkeit zu vertreiben; Kant war Rassist, Schopenhauer misogyn, Hegel preußischer Imperialist, also weg mit ihnen! Dadurch erziehen sich die Menschen zur Unmündigkeit (recht so, gegen diese hatte Kant ja auch etwas!), denn statt einander zuzubilligen, aus den jeweiligen Texten eigenständig auszuwählen, was wertvoll ist und was Humbug, kultiviert man so die Manier, aus Listen „unbescholtener Kulturheroen“ en gros Lehrsätze zu nehmen und diese nicht weiter zu reflektieren. Nur blöd, wenn fleißige Forschung bei immer neueren „Heroen“ etwas Ungutes zu Tage fördert und man die gelernten Lehrsätze wieder aus dem Kopf tilgen muss. Uneins, ohne einander zu streichen Puschkin, der in seiner Jugend rebellischen Idealen angehangen hatte, wurde in späteren Jahren viel konservativer, blieb der Obrigkeit gegenüber aber kritisch und wurde von der Geheimpolizei Nikolais I. engmaschig überwacht. Vorwürfe gegen Puschkin beziehen sich auf zwei Gedichte, die er anlässlich des polnischen Aufstands gegen die Zarenmacht 1830/31 geschrieben hat und die gegen den Aufstand und vor allem gegen westeuropäische Interventionspläne („Lasst ab: Das ist ein Streit von Slawen untereinander“) gerichtet sind. Diese Gedichte stießen nicht nur auf heftigen Widerspruch beim Großteil von Puschkins russischen Freunden, sondern belasteten seine bis dahin sehr freundschaftliche Beziehung zum polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz, der von seiner Jugend an dem russischen Imperialismus in Feindschaft verbunden war und viele Jahre später sogar nach Konstantinopel ging, von wo er auf Seiten der antirussischen Koalition in den Krimkrieg ziehen wollte, was sein Tod durch die Cholera verhindert hat. Nach Puschkins Tod schrieb Mickiewicz einen mit „Ein Freund Puschkins“ unterschriebenen Nekrolog, in dem er die negativen Seiten Puschkins auf die Umstände zurückführt und von Puschkins Edelmut und Aufrichtigkeit spricht. Diese Geschichte bietet Stoff zum Nachdenken, wie Dichter politisch uneins und sogar Feinde sein können, ohne jedoch einander aus der Literaturgeschichte streichen zu wollen. Innerlich frei 1921 hielt Alexander Blok anlässlich des Todestags Puschkins eine Rede „Über die Bestimmung des Dichters“. Es zeichnete sich schon ab, dass sich der kommunistische Staat zu einer totalitären Diktatur entwickeln würde, und vor diesem Hintergrund erklärte Blok im Namen Puschkins zur Bestimmung des Poeten, innerlich frei zu dichten, insbesondere frei von an ihn herangetragener Agenda. Die Rede wurde von den Anwesenden als sehr politisch empfunden, denn sie verweist auf den freien, dichterischen Umgang mit Sprache als Möglichkeit, sich des gesellschaftlichen Zwangs zu erwehren. Heute wie damals ist Dichtung (egal in welcher Sprache) Schutzschild gegen allerlei „Neusprech“ und hilft, möglichst auf der guten Seite der äsopschen Gegensätze in der Sprachverwendung zu bleiben. Der Autor kam mit zwei Jahren mit seinen Eltern, den Schriftstellern Olga Martynova und Oleg Jurjew, aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland. Er lebt heute in Frankfurt am Main und Trier und schreibt Lyrik sowie Prosa und übersetzt literarische Werke aus (u. a.) dem Russischen ins Deutsche; letzte Buchveröffentlichung (aus dem Russischen): Polina Barskova: Mutabor. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, 2023. Nächste Woche im Fokus: Zwischen Patriarchat und Emanzipation: Die Erwartungen an Väter haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Gleichzeitig werden Eltern mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Was bedeutet es heute, Vater zu sein? Ein Fokus zum bevorstehenden Vatertag.

DIE FURCHE · 22 1. Juni 2023 Politik 5 Am 3. Juni wird Österreichs Sozialdemokratie in Linz Hans Peter Doskozil oder Andreas Babler zu ihrem neuen Parteichef küren. Kann sie sich noch als Zukunftspartei aufstellen? Ein Gastkommentar. Die vergebene Chance der SPÖ Von Anton Pelinka Die SPÖ hat eine Gelegenheit verpasst, sich als Partei der Zukunft zu profilieren. Sie hätte die Mitgliederbefragung als mutiges Experiment innerparteilicher Demokratie vermitteln können – stattdessen bleibt der Eindruck von Zank und Streit. Und sie hätte Pamela Rendi-Wagner als Schritt in die Richtung einer zunehmend von Frauen bestimmten Politik verstehen können, eine Weichenstellung in eine Ära weiblicher Politik. Das alles hat die SPÖ versäumt. Am 3. Juni bietet sich ihr nochmals eine Gelegenheit, sich als Zukunftspartei zu positionieren. Doch zunächst bleibt einmal die Auswahl zwischen einem Retro-Austromarxisten, der nostalgische Gefühle anspricht, die im Gestern verharren und die von Bruno Kreisky und anderen eingeleitete Modernisierung rückgängig machen wollen (einschließlich der Wende zur Marktwirtschaft – wobei es Ferdinand Lacina war, der als Finanzminister die umfangreichste Privatisierung der Republik durchführte); und einem Kandidaten, der die FPÖ durch partielle Imitation zu überholen verspricht – eine nach außen hin sozialdemokratisch eingefärbte Strategie à la Sebastian Kurz. Auffallend ist, dass ununterbrochen Kreisky bemüht wird, der ein Modernisierer jenseits der alten Sozialdemokratie eines Otto Bauer war. Und was noch auffällt, ist, dass die SPÖ-Debatte von einem sich abschottenden Kleinstaat namens Österreich ausgeht: Außen- und Europapolitik kommen in der Debatte nicht vor. Verweigerte Internationalität Bruno Kreisky wird missverstanden. Wie wird seine berühmte Einladung an Nicht-Parteimitglieder – „ein Stück des Weges mitzugehen“ – von Babler und Doskozil in das 21. Jahrhundert übertragen? Auch die Beispiele von Palme, Brandt, Mitterrand, Blair werden ignoriert, ebenso das Beispiel von Sanna Marin, die als sozialdemokratische Regierungschefin Finnlands die sicherheitspolitische Neuorientierung ihres Landes eingeleitet hat. Ist die SPÖ eine Partei provinziellen Inseldenkens geworden? Finnlands und Schwedens Weg in die NATO wird nicht diskutiert – und die scheidende Parteivorsitzende hat Mühe, das beschämende Bild zu verteidigen, das ihre Fraktion angesichts der Rede des ukrainischen Präsidenten geboten hat. Bezeichnend ist auch, wie oberflächlich mit den Begriffen „links“ und „rechts“ umgegangen wird: Andreas Babler gilt als links, obwohl eine gesellschaftspolitische Reformpolitik entweder als europäische betrieben wird – oder nicht stattfinden kann. Der Binnenmarkt der EU zwingt zu einer europäischen Politik – gerade, wenn es um Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn und Migration geht. „Rechts“ sind die EU-Gegner à la FPÖ, „Linke“ müssten glühende Europäer sein. War nicht einmal eine Parole der SPÖ „Hoch die internationale Solidarität“? Babler signalisiert mit seiner austromarxistischen Rhetorik ein „Vorwärts in die Vergangenheit“; eine Vergangenheit, von der die SPÖ nach 1945 aus guten Gründen schrittweise abgerückt ist. Doskozil hat sich gegen ein Bündnis mit der „Kickl“-FPÖ ausgesprochen und will „Schwarz- Blau“ verhindern: Ist dies eine Ansage für „Rot-Blau“ ohne Kickl, verkleidet als ein Weg zur Verhinderung eine ÖVP-FPÖ-Koalition? Apropos: Salzburgs Koalition gibt der SPÖ die Chance, sich als unverzichtbare Stütze jeder Alternative zu einer FPÖ-Regierungsbeteiligung zu profilieren. Ist Doskozil für diese Rolle glaubwürdig? Auch die Antwort darauf wird am Parteitag eine Rolle spielen. Es gibt in der SPÖ ein Unbehagen mit einer Partei, die sich in die Mitte drängt, wo schon andere Parteien sind. In diesem Sinn ist das von Babler artikulierte Ressentiment auch verständlich. Er will eine Sozialdemokratie mit Ecken und Kanten. Aber die Zukunft ist nicht die Vergangenheit. Das Proletariat – wenn es das überhaupt noch gibt – wird mit Duldung der SPÖ vom Wahlrecht ferngehalten, weil es in Österreich zwar bei türkischen Wahlen wählen darf, aber nicht in ihrem faktischen Heimatland Österreich. Wie stehen Babler und Doskozil dazu? War da irgendetwas zu vernehmen, das deutlich macht, wofür sie angesichts des „ ,Linke‘ müssten glühende Europäer sein. War nicht einmal eine Parole der SPÖ ,Hoch die internationale Solidarität‘? “ Skandals eintreten, dass fast eine Million legal in Österreich lebende Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen und so an Gesetze gebunden sind, an deren Formulierung sie auch indirekt keinen Anteil haben – wie vor der Einführung des allgemeinen Wahlrechts Frauen und Arbeiter? KLARTEXT Heucheleien Die SPÖ hat sich in den letzten Jahren mit mehr oder weniger taktischem Geschick als Oppositionspartei zurecht gefunden. Aber sie muss Regierungspartei werden wollen; dafür braucht sie eine Strategie; und in ihrer Strategie muss die Partei dem Wandel der Gesellschaft Rechnung tragen. In dieser Gesellschaft werden – auch dank sozialdemokratischer Reformen der Vergangenheit – immer mehr Menschen von höherer Bildung bestimmt; und unter diesen ist ein wachsender Anteil weiblich. Die SPÖ ist von ihren eigenen Erfolgen eingeund überholt worden: Die Gleichstellung der Frauen und die Bildungsexplosion tragen eine sozialdemokratische Handschrift. In den Parteistrukturen selbst ist das aber nicht immer erkennbar. Um die SPÖ als reformorientierte Partei herauszustellen, braucht es – über das Klein-Klein des politischen Alltags hinaus – eine umfassende Strategie. Die muss den Anspruch glaubhaft machen, dass sich hier eine zukünftige Der Meeresspiegel steigt. Das wissen wir. Der Level der Heucheleien steigt noch rascher. Bei den Nachrichten beginnt man immer öfter darüber zu stolpern, ob man wohl richtig gehört hat. Wenn in den News eine Meldung oder ein Interview damit beginnt, dass Respekt und Würde eingefordert werden, kann man sicher sein, dass in den Folgeminuten nach dem wertepathetischen Einstieg nur noch über Geld gesprochen wird: bei Pflegerinnen, Ärzten, Lehrern, Betreuern und anderen. Wenn von breiter Verarmung und Verelendung aufgrund von Kostensteigerungen und Inflation gesprochen wird, geht es nicht um die Selbstverständlichkeit, dass man dem unteren Einkommensviertel unter die Arme greifen muss (was durch Sozialpolitik und Steuerpolitik in großem Maße geschieht), sondern um die Einkommen von Freeridern, die ihre eigenen Interessen „mitfahren“ lassen wollen: Mittelschicht, Interessenvertretungen, umsatzmaximierende Sozial-NGOs. Lesen Sie unter „Neuer Kurs oder neue Partei?“ (3.5.2023) auf furche.at auch den Gastkommentar von Trautl Brandstaller. Foto: APA / Helmut Fohringer Abgang der Chefin Am 24. November 2018 ist die damalige SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner Christian Kern auf dessen Wunsch nachgefolgt. Beim Bundesparteitag am 3. Juni in Linz ist sie nicht mehr dabei. Regierungspartei outet. Am bevorstehenden Parteitag kann die Partei klar machen, dass sie das bloße Taktieren (von Sonntagsfrage zu Sonntagsfrage den demoskopischen Befunden hinterher hechelnd) hinter sich lassen kann und ein Angebot für die Zukunft zu stellen vermag; eine Zukunft, die nicht nur zwischen Neusiedler- und Bodensee liegt, sondern in ganz Europa und darüber hinaus; in der dem Aufstieg der Frauen ebenso Rechnung getragen wird wie der Realität einer Bildungsgesellschaft; die in Fragen der Sicherheit das schwedische und finnische Beispiel nicht einfach ignoriert, sondern offen darüber zu sprechen wagt; und in der sie als sozialdemokratische Partei nicht die Sorgen der Armen vergessen darf – die zu oft vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Eine reine Männerpartei? Am Parteitag wird auch deutlich werden, wie mit der scheidenden Vorsitzenden umgegangen wird: Pamela Rendi-Wagner hat sich Anerkennung verdient, weil sie bereit war, die Parteiführung von Christian Kern zu übernehmen, als keiner der heute an die Spitze drängenden Männer sich interessiert zeigte; und auch die Souveränität, mit der sie das Ergebnis der Mitgliederbefragung zur Kenntnis nahm, sollte positiv vermerkt werden. Die Art, wie am Parteitag mit ihr umgegangen wird, muss als Signal für die Zukunft gelten – auch dahingehend, ob die SPÖ mehr als eine Männerpartei ist. Die Republik fand nach 1945 – anders als nach 1918 – zu einem Erfolgskurs. Entscheidend dafür war, dass ÖVP und SPÖ aufeinander zugingen; zwei Parteien, die – heute beide in der Krise – sich an diese Lehre erinnern sollten. Freilich ist die Vorgabe 2023 eine andere, als sie 1945 war. Die SPÖ hat die Verantwortung für diese Vergangenheit – und darauf kann sie auch stolz sein. Die Verantwortung für die Zukunft kann die Partei am 3. Juni deutlich machen. Der Autor war von 1975 bis 2006 o. Univ. Prof. für Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck und von 2006 bis 2018 Prof. an der Central European University, Budapest. 1966/67 war er Redakteur der FURCHE. Wenn man Arbeitskräftemangel durch eine 20-prozentige Arbeitszeitverkürzung und Inflation durch einen 20-prozentigen Stundenlohnanstieg bekämpfen will, dann ist selbst der Begriff der Voodoo-Ökonomie zu harmlos. Wenn irgendwann der Begriff Neutralität fällt, kann man begrifflichen Vernebelungsaktionen beiwohnen, für die man den Begriff Voodoo-Völkerrecht einführen müsste. Wenn man darauf eingestimmt wird, dass sich die großen Öko-Ziele 2035 oder 2050 einstellen werden, sollte man sich vergegenwärtigen, dass dann keiner der jubelnden Politiker noch im Amt sein wird. Denn trotz Begeisterung über das Green Century sind alle wesentlichen Probleme mit Sonne, Wind und E-Auto nicht gelöst: Speicherfrage, Leitungsbau, Rohmaterialien und Rentabilität. Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz. Von Manfred Prisching

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